Achtzehnter Gesang

[355] Schon freute seines Wort's der sel'ge Spiegel

Sich nun allein, und im Geschmack des meinen

Ermäßigt' ich das Herbe mit dem Süßen.

Und jene Herrin, die zu Gott mich führte,

Sie sprach: Laß ab von Sorgen, und bedenke,

Daß dem, der jedes Unrecht sühnt, ich nah bin. –

Auf deren, die mein Trost ist, liebend Wort

Wandt' ich den Blick; doch welche Lieb' ich damals

In ihren heil'gen Augen sah, verschweig' ich.

Nicht nur, daß meiner Rede ich mißtraue,

Nein, auch weil das Gedächtnis, ungeleitet,

Sich über sich so hoch nicht schwingen kann.

Berichten kann von diesem Augenblicke

Ich nur, daß, sie anschauend, mein Verlangen

So lange frei von jedem andren Wunsch war,

Als mich die ew'ge Wonne, die Beatrix

Unmittelbar bestrahlt', im Wiederscheine

Aus ihrem schönen Angesicht beglückte.

Durch eines Lächelns Leuchten mich besiegend

Sprach sie zu mir: Nun wende dich und höre;

Nicht nur in meinem Aug' ist Paradies. –

Und wie man hier, ist der Affekt so groß,

Daß er in Anspruch nimmt die ganze Seele,

Ihn manchmal ausgedrückt sieht in den Zügen,

So konnt' ich in des heil'gen Glanzes Flammen,

Zu dem ich mich gewandt, den Wunsch erkennen,

Noch etwas weiteres mit mir zu reden.

Und er begann: Auf dieser fünften Stufe

Des Baums, der aus dem Gipfel Nahrung zieht,

Der immer Frucht bringt und das Laub nie abwirft,

Sind sel'ge Geister, die, bevor der Himmel

Sie aufnahm, drunten solchen Ruf genossen,

Daß jeder Muse reichen Stoff sie böten.[356]

So schau' nun auf die Arme dieses Kreuzes,

Und jeden, den ich nenne, wirst du tun sehn,

Wie in der Wolke tut ihr schnelles Feuer. –

Da sah ein Licht ich durch das Kreuz hin eilen,

Sobald der Name Josua's genannt ward,

Und früher als mein Sehn war nicht das Hören.

Und bei des hohen Makkabäers Namen

Sah wirbelnd ich ein andres sich bewegen,

Und innre Freude war des Kreisels Peitsche.

Bei dem des großen Karl und Roland's folgte

Mein aufmerksamer Blick zwei andren dann,

Wie seinem Falk' im Fluge folgt das Auge.

Dann zogen Wilhelm und dann Rennewart

Und Herzog Gottfried, sowie Robert Guiscard

Mein Aug' entlang den Armen jenes Kreuzes.

Drauf zeigte mir, vereint sich mit den andren

Bewegend, jenes Licht das zu mir sprach,

Wie es im Himmelschor ein Künstler sei.

Ich wandte mich zu meiner rechten Seite,

Um in Beatrix' Reden oder Miene

Zu lesen, was mir nun zu tun gebühre.

Und solchen Glanzes sah ich, sah so freudig

Ihr Auge, daß die Schönheit ihres Aussehns

Die früh'ren übertraf und selbst die letzte.

Und wie der Mensch an größrer Freudigkeit

Im Gutestun von Tag zu Tag gewahr wird,

Daß für die Tugend ihm die Kräfte wachsen,

Also erkannt' ich, größer sei der Bogen

Geworden, drin ich mit dem Himmel kreis'te,

Weil soviel schöner ich dies Wunder schaute.

Wie einer Jungfrau weißes Antlitz schnell

Die Farbe wechselt, wenn von ihren Wangen

Die Scham verschwindet, welche sie gerötet,

So war's vor meinem Aug', als ich mich wandte

Des weißen Lichts des sechsten Sternes wegen,

Der milder strahlend mich nun aufgenommen.[357]

Ich sah in jener Fackel Jupiters

Das Funkensprühn der Liebe, die dort weilte,

Vor meinen Augen Menschenrede zeichnen.

Wie Vögel, die vom Ufer sich erheben,

Als freuten sie der Atzung sich gemeinsam,

In Linien bald und bald im Kreis sich scharen,

So sangen jene heiligen Geschöpfe,

In ihren Lichtern hin und wieder fliegend,

Ein D erst bildend, dann ein I und L.

Erst tanzten sie nach ihres Sanges Takte,

Dann wurden sie das eine jener Zeichen,

Dann hielten sie ein wenig ein und schwiegen.

O Pegasea, Göttin, die den Geistern

Du Ruhm verleihst und Leben langer Zeiten,

Wie sie durch dich den Städten und den Reichen,

Erhelle mich aus dir, daß ihre Bilder,

Wie ich sie aufgefaßt, ich wiedergebe;

Es leuchte deine Kraft aus meinen Versen.

In fünfmal sieben Konsonanten und

Vokalen zeigten sie sich, und ich merkte

Die Teile, wie sie mir zu lauten schienen.

Diligite justitiam, das waren

Der ganzen Rede erstes Zeit- und Hauptwort,

Die mit qui judicatis terram schloß.

Und zu dem M des fünften Wort's geordnet,

Beharrten sie, so daß dort Jupiter

Mit Golde eingelegtes Silber schien.

Und andre Lichter sah ich auf der Höhe

Des M sich niederlassen, und, lobsingend

Dem Gut, das sie zu sich zieht, glaub' ich, weilen.

Dann schienen mir, wie bei entbrannter Scheite

Zusammenstoß unzähl'ge Funken sprühn

(Woraus die Narr'n sich künft'ges Glück verkünden),

Von dort wohl tausend Lichter aufzusteigen,

Die einen niedriger, die andren höher,

Wie es die Sonn', in der sie brennen, wollte.[358]

Und als an seinem Ort nun jedes ruhte,

Sah eines Adlers Hals und Kopf dies Feuer

Ich auf dem weißren Hintergrunde bilden.

Der dorten malt, hat niemand der ihn leite;

Er aber leitet, und nur ihm entstammt

Die Kraft, die Formen bildet in den Nestern.

Die andre sel'ge Schar, die erst zufrieden

Schien, sich dem M zur Lilie anzufügen,

Schloß der Gestaltung, schwach bewegt, sich an.

Wieviel und was für edle Steine zeigten

Mir menschliche Gerechtigkeit als Wirkung

Des Himmels, den du schmückst, o schöner Stern!

So bitt' ich denn den Geist, von dem dein Kreisen

Herstammt und deine Kraft, daß er den Ursprung

Des Rauch's, der deine Strahlen trübt, erwäge,

So daß er ob des Kaufens und Verkaufens

Im Tempel, der durch Wunder und durch Martern

Gemauert ward, auf's neu' in Zorn entbrenne.

O bitte du, des Himmels Kriegerschar

Die ich betrachte, für die Erdbewohner,

Die in die Irre schlechtes Beispiel führte.

Einst pflegte mit dem Schwert man Krieg zu führen;

Jetzt tut man's, da und dort das Brot entziehend,

Das keinem Kind versagt ein frommer Vater.

Du aber, der nur schreibt um auszustreichen,

Bedenk, daß Petrus noch und Paulus leben,

Die für den Weinberg, den du schädigst, starben.

Wohl kannst du sagen: So steht mein Verlangen

Nach dem nur, der die Einsamkeit erwählte,

Und dem den Martertod das Tanzen brachte,

Daß ich nicht Fischer und nicht Paulus kenne.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 355-359.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon