|
[418] O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohnes,
Demütigste und höchste der Erschaffnen,
Vorherbestimmtes Ziel vom ew'gen Ratschluß.
Du bist es, die die menschliche Natur
So hoch geadelt, daß ihr eigner Schöpfer
Es nicht verschmäht, in ihr Geschöpf zu werden.
In deinem Schoß entflammte neu die Liebe,
Durch deren Wärme hier im ew'gen Frieden
Sich diese Blume also hat entfaltet.
Der Liebe mittagshelle Fackel bist du
Hier oben uns; den Sterblichen dort unten
Bist du der Hoffnung lebensvolle Quelle.
Solch' hohe Herrin bist, soviel vermagst du,
Daß wer nach Gnade sucht und dich nicht anruft,
Des Wünschen möchte fliegen ohne Flügel.
Doch Hilfe leistet deine Huld nicht nur
Dem, der dich bittet; oftmals eilt freiwillig
Der Bitte des Bedürft'gen sie voraus.
In dir ist Mitleid und in dir Erbarmen,[418]
In dir ist Großmut, ja, in dir vereint sich
Was immer im Geschöpfe ist an Güte.
Nun bittet dieser, der der Geister Leben,
Beginnend von des Weltalls tiefster Lache,
Bis hierher, alle, eines nach dem andren,
Gesehn hat, daß aus Gnaden du die Kraft
Ihm spendest, höher noch mit seinen Augen,
Bis zu dem letzten Heil sich zu erheben.
Ich, der für eignes Schau'n nie mehr entbrannte,
Als jetzt für seines, bringe meine Bitten
Dir alle dar, und flehe, daß sie g'nügen,
Auf daß du ihn durch deine Bitten losmachst
Von jeder Wolke seiner Sterblichkeit,
Und sich die höchste Wonne ihm entfalte.
Noch bitt' ich, Königin, dich, die du alles
Vermagst was du nur willst, daß du gesund ihm
Nach solchem Schau'n die Neigungen bewahrest.
Menschliche Regung zügle deine Obhut,
Sieh', wie Beatrix und die Sel'gen alle
Zu dem, was ich erbat, die Hände falten. –
Die Augen, welche teuer Gott und lieb sind,
Bewiesen uns, fest an dem Redner haftend,
Wie ihr willkommen sind andächt'ge Bitten.
Zum ew'gen Lichte wandten sie sich dann,
Zu dem den Blick, wie uns zu glauben obliegt,
Nie ein Geschöpf mit gleicher Klarheit wandte.
Ich aber, der dem Ende alles Sehnens
Mich nahte, fühlte des Verlangens Glut
Gebührend nun in mir zu Ende gehn.
Da winkte mir mit einem Lächeln Bernhard,
Daß ich nach oben blicke; doch schon hatt' ich
Von selbst getan, was er von mir verlangte.
Denn meine Sehkraft, wie sie lautrer wurde,
Drang in den Strahl des hohen Lichtes tiefer
Und tiefer ein, das an sich selber wahr ist.
Und größer wurde, als die Rede kündet,[419]
Die diesem Anblick weicht, nunmehr mein Schauen,
Und solchem Übermaß folgt kein Gedächtnis.
Wie einer, der im Traum Gesichte sieht,
Und nach dem Traum bleibt die dadurch geweckte
Erregung, doch des Traumes Bilder schwanden,
Also bin ich, da mein Gesicht fast ganz mir
Entschwunden ist, indes die Süße noch,
Die von ihm herstammt, mir im Herzen träufelt.
Also vergeht der Schnee am Strahl der Sonne,
Also verloren sich auf leichten Blättern
Beim Windeswehn die Sprüche der Sibylle.
O höchstes Licht, das über menschlichem
Verständnis du so hoch schwebst, leihe meinem
Gedächtnis dessen etwas, das du schienest.
Gewähre meiner Zunge solche Kraft,
Daß einen Funken sie von deinem Ruhme
Dem künftigen Geschlecht verlassen könne;
Denn mehr wird man von deinem Sieg begreifen,
Wenn etwas wiederkehrt in mein Gedächtnis
Und diese Vers' ein wenig davon künden.
Die Schärfe des lebend'gen Strahles, den
Ich aushielt, hätte, glaub' ich, mich geblendet,
Wenn abgewandt von ihm den Blick ich hätte.
Das aber weiß ich, daß infolgedessen
Ich kühner ward, so daß mit meinen Augen
Die Kraft ich, die unendlich ist, erreichte.
O Gnadenüberfluß, durch den ich's wagte,
In's ew'ge Licht mein Schauen zu versenken,
So daß ich meine Sehkraft drin erschöpfte!
In seiner Tiefe sah ich verdreieinigt
Und durch die Lieb' in einen Band gefaßt,
Was sich im Weltall auseinanderblättert.
Zufall und Wesenheit und ihr Verhalten
Sah wie verschmolzen ich in solcher Weise,
Daß was ich sage nur ein Schimmer ist.
Ich glaub', ich habe dieses Knotens Grundform[420]
Geschaut, denn noch, indem ich davon rede,
Fühl' ich in weitrem Maße meine Freude.
Doch ward ein Augenblick mir größrer Schlaftrunk.
Als drittehalb Jahrtausende dem Wagnis,
Bei dem Neptun ob Argo's Schatten staunte.
Ganz hingerissen schaute so mein Geist
Aufmerksam, unbeweglich und gebunden,
Und immer mehr entbrannte er im Schauen.
Von solcher Art ist dieses Lichtes Wirkung,
Daß sich von ihm zu andrem Schau'n zu wenden
Aus freiem Willen nimmer möglich ist,
Indem das Heil, das jedes Willens Ziel ist,
In ihm sich einigt, und was außer ihm
Nur mangelhaft, in ihm vollkommen ist.
Hinfort wird auch für das, des mir gedenket,
Wortkarger meine Rede, als des Kindes,
Das an der Brust die Zunge netzet, sein.
Nicht als ob mehr denn nur ein einfach Bild
In dem lebend'gen Licht sei das ich schaute,
Nein, unverändert ist es, wie es war;
Doch weil im Schau'n mein Auge neue Kraft fand,
So schien die in sich einige Erscheinung
Wie ich mich wandelte, sich selbst zu wandeln.
Ich sah in dieses hohen Lichtes tiefer
Und heller Wesenheit drei Kreise schimmern,
An Farbe dreifach, doch nur eines Umfangs.
Der zweite schien ein Spiegelbild des ersten,
Wie eine Iris von der andren; Feuer,
Gleich ausgestrahlt von beiden, schien der dritte.
Wie dürftig ist die Sprache doch für meinen
Gedanken, und er selbst, mit dem verglichen,
Was ich geschau't, wie ist er mehr als winzig.
O ew'ges Licht, das du in dir nur ruhest,
Allein dich selbst erkennst, und dich, erkannt
Sowie erkennend, liebest und dir lächelst!
Das Kreisen, das mir dreifach aufgefaßt[421]
Erschienen war, es dünkte, wie ein Spiegel,
Als meine Augen länger es betrachtet,
In seinem Innern mit den eignen Farben
Mir unsres Angesichtes Bild zu zeigen,
Weshalb mein Schau'n ich völlig drin versenkte.
Dem Geometer, der sich ganz vertieft,
Den Kreis zu messen, und, wie sehr er sinne,
Den Grundsatz dessen er bedarf nicht findet,
War ich vergleichbar bei dem neuen Anblick.
Wie mit dem Kreise jenes Bild sich einigt,
Und wo sein Platz drin ist, wollt' ich erkennen;
Doch nicht vermochten das die eignen Flügel.
Da wurde plötzlich, wie von einem Blitze,
Mein Geist durchzuckt und das Ersehnte kam.
Hier schwand die Kraft der hohen Phantasie;
Doch schon bewegte Willen und Verlangen
Mir, wie ein gleichbewegtes Rad, die Liebe,
Die kreisen macht die Sonne wie die Sterne.
Ende.[422]
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht
282 Seiten, 13.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro