|
[376] So wie der Vogel, der im lieben Laube
Die Nacht hindurch, die uns verbirgt die Dinge,
Im Nest geruht hat bei den süßen Kleinen,
Daß er erkenne die ersehnten Häupter
Und Futter suche, sie damit zu nähren,
Wobei die schwerste Mühe ihm genehm ist,
Der Zeit voran auf freiem Aste eilt
Und heiß verlangend auf die Sonne wartet,
Aufmerksam schauend, ob es noch nicht dämmre,
So aufgerichtet und mit festem Auge
Der Seite zugewandt, wo minder eilig
Die Sonne sich bewegt, stand meine Herrin;
So daß, weil ich gespannt sie sah und sinnend,
Dem Manne glich, der ob wohl andres wünschend,
Inzwischen mit der Hoffnung sich begnügt.
Doch kurze Zeit verging nur von dem einen
Zum andren Augenblick, dem des Erwartens,
Und dem wo hell und heller ward der Himmel.
Und Beatrice sagte: Sieh die Scharen
Von dem Triumphe Christi, sieh die Frucht
Des Kreisens dieser Sphären eingesammelt! –
Ihr ganzes Angesicht schien mir zu glühen,
Und so voll Wonne waren ihre Augen,
Daß ohne Schild'rung ich es muß verschweigen.
Wie Trivia in den heit'ren Vollmondsnächten
Umgeben von den ew'gen Nymphen lächelt,
Die schimmernd jeden Himmelsraum bemalen,
So sah ich über tausendfachem Lichtglanz
Die eine Sonne, welche Licht den andren
So leiht, wie unsre tut den Himmelsaugen.
Es schien durch das lebend'ge Licht hindurch
So hell die strahlenreiche Wesenheit
In meine Augen, daß sie's nicht ertrugen.[377]
Beatrix, süße, teure Führerin ...! –
Sie aber sagte: Das, was dich bewältigt,
Ist eine Kraft, der niemand widerstehn kann.
Die Weisheit und die Macht, die von der Erde
Den Weg zum Himmel aufgetan, wonach
So lang' erfolglos man verlangt, sind hier. –
Wie Feuer sich von seiner Wolke losreißt,
Hat sich's so ausgedehnt, daß ihm der Raum fehlt,
Und niederfährt, zuwider seinem Wesen,
So ging mein Geist, der unter solchem Festmahl
Gewachsen war, heraus aus seinem Selbst
Und was er tat, kann er sich nicht erinnern.
Tu' auf die Augen nun und siehe mich
So wie ich bin; nach dem was du gesehn hast,
Vermagst du auch mein Lächeln zu ertragen. –
Wie wer an ein Gesicht, das er vergessen
Zurückedenkt, und sich umsonst bemüht,
Es der Erinn'rung wieder vorzuführen,
So war mir, als ich dies Erbieten hörte,
Das solchen Dankes wert war, wie er nimmer
Im Buch verlischt, das das Geschehne aufnimmt.
Ob alle Zungen nun ertönen möchten,
Die Polyhymnia mit ihren Schwestern
Durch ihre süße Milch zumeist gekräftigt,
Mir beizustehn; des heil'gen Lächelns Schild'rung,
Und wie das heil'ge Antlitz es verschönte,
Erreichte doch kein Tausendteil der Wahrheit.
So muß das gottgeweihte Lied, gleich einem,
Der plötzlich unterbrochen sieht den Pfad,
Es überspringen in des Himmels Schild'rung.
Doch wer des Gegenstand's Gewicht erwägt
Und daß die Schulter, die sich's auflud, sterblich,
Der wird's nicht tadeln, wenn sie drunter zittert.
Das Wasser, welches kühn der Kiel durchschneidet,
Ist nicht geschaffen für geringe Nachen,
Noch für den Steuermann der Mühen scheut.[378]
Was fesselt dich mein Antlitz so in Liebe,
Daß du dich nicht zum schönen Garten wendest,
Der unter Christi Strahl in Blüten prangt?
Hier ist die Ros', in der das ew'ge Wort
Zum Fleische ward, hier sind die Lilien, deren
Geruch zum guten Wege hat geleitet. –
So sprach Beatrix, und bereit, wie immer,
Zu folgen ihrem Rate, unterwarf ich
Die schwachen Lider abermals dem Kampfe.
Wie einst mein Auge, selbst im Schatten weilend,
Beim Sonnenstrahl, der durch den Spalt der Wolke
Hindurchbrach, eine Blumenwiese sah,
So sah durch Lichtglanz der von oben kam
Hell angestrahlt ich Scharen lichter Geister,
Obwohl des Glanzes Ursprung ich nicht sah.
Huldreiche Kraft, die sich in ihnen ausprägt,
Du schwangest dich empor, um meinen Augen,
Die nicht mehr konnten, wieder Raum zu geben!
Der schönen Blume Namen, die ich stets
Anrufe, früh und spat, hieß meinen Geist
Sich einzig nach der größten Flamme wenden.
Als des lebend'gen Sternes Glanz und Größe,
Der dorten siegt, wie er hienieden siegte,
Sich mir gemalt in beide Augen hatte,
Stieg eine Fackel von dem Himmel nieder
In Kreisgestalt, vergleichbar einem Kranze,
Den Stern umwindend und um ihn sich drehend.
Der Melodien süßeste hienieden,
Die mehr als eine an sich zieht die Seele,
Sie klänge gleich zerrißner Wolke Donner
Verglichen mit der Leier süßem Klange,
Das jenen köstlichen Saphir umkränzte,
Von dem Saphiresglanz der Himmel lieh:
Als eines Engels Lieb' umkreise ich
Die hohe Wonne, die dem Schoß entströmet,
In welchem Herberg' unsre Sehnsucht nahm.[379]
So lange werd' ich's tun, o Himmelsherrin,
Als du dem Sohne folgst, und als
Durch dich verherrlicht wird die höchste Sphäre. –
So siegelte, im Kreise sich bewegend,
Sich selber diese Melodie, und alle
Die andren Lichter riefen aus: »Maria!«
Der königliche Mantel aller Bände
Des Weltalls, der in Gottes Art und Odem
Am meisten brennt und sich daran belebet,
War über uns mit seinem inn'ren Ufer
Noch so entfernt, daß, wo ich mich befand,
Die Blicke nichts von ihm entdecken konnten.
Darum vermochten der gekrönten Flamme,
Die ihrem Sprosse nach gen oben schwebte,
Bis dorthin meine Augen nicht zu folgen.
Und wie das Kind, wenn es die Brust genommen,
Zur Mutter hin die kleinen Arme streckt,
Weil auch nach außen flammt wie es gesinnt ist,
So streckte jeder Lichtglanz seine Flamme
Hinauf gen oben, und gar wohl erkannt' ich,
Mit welcher Inbrunst sie Maria liebten.
Dann blieben sie vor meinen Augen dort,
So süßen Ton's: Regina Coeli singend,
Daß mich die Lust daran niemals verließ.
Wie ist so groß der Reichtum, der gesammelt
In jenen Truhen ist, die hier auf Erden
Zum Säen tücht'ge Ackerleute waren!
Man lebt hier von dem Schatz und freut sich seiner,
Den unter Tränen man in dem Exile
Von Babylon erwarb, wo man das Gold ließ.
Hier feiert unter Gottes und Mariä
Erhabnem Sohne den Triumph des Sieges
So mit dem neuen als dem alten Rate
Der, welcher dieser Glorie Schlüssel hält.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
1858 in Siegburg geboren, schreibt Adelheit Wette 1890 zum Vergnügen das Märchenspiel »Hänsel und Gretel«. Daraus entsteht die Idee, ihr Bruder, der Komponist Engelbert Humperdinck, könne einige Textstellen zu einem Singspiel für Wettes Töchter vertonen. Stattdessen entsteht eine ganze Oper, die am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wird.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro