[294] Die Sonne, die mein Herz in Lieb' entflammte,
Sie hatte mir das Antlitz schöner Wahrheit
Beweisend und verwerfend nun enthüllet.
Um zu bekennen, daß ich überzeugt
Und meines Irrtums mir bewußt sei, hob ich
So weit zum Reden nötig war mein Haupt;
Doch ein Gesicht erschien mir, das mein Auge
So ganz gefangen hielt, daß mein Geständnis
Vergessen wurde und nicht ausgesprochen.
Gleich wie aus glattem und durchsicht'gem Glase,
Und wie aus klarem wellenlosem Wasser,
Das, weil es flach, den Boden nicht verbirgt,
Die Linien unsrer Züge so verschwimmend,
Daß eine Perl' auf weißer Stirne leichter
Das Auge unterscheidet, wiederkehren,
Sah ich Gesichter, die bereit zum Reden
Mir schienen, und ich irrte umgekehrt,
Als der in Liebe zu dem Quell entbrannte.
Denn kaum, daß wahrgenommen ich sie hatte,
Als ich, im Wahn, es seien Spiegelbilder,
Zu sehn von wem sie sei'n, das Auge wandte.
Als nichts ich sah, wandt' ich sie wieder vorwärts[294]
Grad' in das Licht der süßen Führerin,
Die lächelnd in den heil'gen Augen glühte.
Sie sprach: Belächl' ich deinen knabenhaften
Gedanken, so verwundre das dich nicht,
Da noch dein Fuß, nicht sicher in der Wahrheit
Sich gründend, wie er pflegt, Abwege wandelt.
Wahrhafte Wesen, die hierher gebannt sind
Weil ihr Gelübde sie gebrochen, siehst du.
Drum sprich sie an, und glaube was sie sagen,
Denn das wahrhafte Licht, das sie befriedigt,
Erlaubt nicht, daß von ihm den Fuß sie wenden. –
Den Schatten, der, so schien es, das Gespräch
Am meisten wünschte, sprach ich an und sagte
Gleich einem, den zu großer Wunsch bedränget:
Zum Heil geschaffner Geist, der bei den Strahlen
Des ew'gen Lebens du die Süße fühlest,
Die ungekostet nie verstanden wird,
Als Gunst nähm' ich es auf, wenn euer Los
Und deinen Namen du mir künden wolltest. –
Bereit und frohen Blick's sprach dann der Schatten:
Gerechtem Wunsche schließet unsre Liebe
Die Pforte nimmer; denn sie gleicht der höchsten,
Die ihren ganzen Hof sich ähnlich sehen will.
Auf Erden war ich gottverlobte Jungfrau,
Und wenn du dein Gedächtnis recht befragest,
Kann mich vermehrte Schönheit Dir nicht bergen,
Und als Piccarda wirst du mich erkennen,
Die mit den andren Seligen hier selig
Ich in der langsamsten der Sphären bin.
Es fügen unsre, nur im Wohlgefallen
Des heil'gen Geist's entbrannte, Wünsche freudig
Der Ordnung sich, die er für sie verfügte.
Dies Los, das niedrig vor den andren scheint,
Ward uns, weil die Gelübde, die wir taten,
Versäumt wir und zum Teil gebrochen haben. –
Und ich: Es strahlt aus euren wunderbaren[295]
Gesichtern solch besondrer Gottesglanz,
Daß er den alten Bildern euch entfremdet;
Darum war ich so säumig im Erinnern.
Nun aber, wo was du gesagt mir nachhilft,
Wird leichter mir, dich wieder zu erkennen.
Doch sage, die ihr selig hier euch fühlet,
Begehrt ihr nicht nach einer höhren Stelle,
Um mehr zu schauen und werter Gott zu werden? –
Als mit den andren etwas sie gelächelt,
Gab sie mir Antwort mit solch frohem Ausdruck,
Als glühte sie im ersten Liebesfeuer:
O Bruder, Ruhe spendet unsrem Willen
Der Liebe Kraft, die uns nur was wir haben
Begehren läßt und nach nichts andrem dürsten.
Wenn wir verlangten höher aufzusteigen,
Wär' unser Wunsch nicht mit dem Willen dessen
In Einklang, welcher diesen Stern uns anwies;
Das aber kann nicht sein in diesen Kreisen.
Du siehst es ein, erwägst du, daß in Liebe
Hier alle sind, und die Natur der Liebe'
Denn wesentlich im Sein der Sel'gen ist es,
Daß in dem göttlichen ihr Wille bleibe:
Einträchtig ist drum unser aller Wille.
Wie wir verteilt in diesem Reich von Stufe
Zu Stufe sind, gefällt's dem ganze Reiche;
Denn aller Willen lenkt des Königs Wille.
Sein Will' ist unser Will', er ist das Meer
Zu welchem alles hinfließt, was er selber
Geschaffen und was die Natur gebildet. –
Da ward mir klar, daß, wenn auch gleichermaßen
Nicht allen träuft des höchsten Gutes Gnade,
Doch überall im Himmel Paradies ist.
Doch, wie man von der einen Speise wohl
Genüge hat, und noch begehrt der andren,
Um die man bittet, wenn man dankt für jene,
So tat auch ich in Worten und Gebärden,[296]
Um von ihr zu erfahren, welches Linnen
Ihr Weberschiffchen unvollendet ließ.
Verdienste seltner Art und Lebensreinheit
Erhöhn ein Weib zu schön'rem Himmel, sprach sie,
Nach deren Weise drunten Kleid und Schleier
Man trägt, um mit dem Bräut'gam bis zum Tode
Zu weilen Tag und Nacht, der, was aus Liebe
Zu ihm gelobt ward, immerdar genehm heißt.
Ihr nachzufolgen floh ich jung an Jahren
Die Welt und hüllte mich in ihr Gewand,
Gelobend, ihrer Regel nachzuleben.
Doch raubten Menschen mich dem süßen Kloster,
Die Böses mehr zu tun als Gutes pflegen,
Und wie seitdem mein Leben war, weiß Gott.
Was so von mir ich sage, will der Lichtglanz,
Den du zu meiner Rechten in der Fülle
Des Lichtes unsrer Sphär' entbrennen siehst,
Gleichmäßig auch von sich verstanden wissen:
Auch sie war Schwester, und vom Haupte ward
Auch ihr geraubt der heil'gen Binde Schatten.
Doch, ward der Welt sie gegen ihren Willen
Und gute Sitte wieder zugewendet,
So legte nie sie ab des Herzens Schleier.
Constanza strahlt aus diesem Licht, die große,
Die mit dem zweiten Sturm aus Schwabenlande
Den dritten zeugte, ihrer Herrschaft letzten. –
So sprach sie; dann begann sie singend: »Ave
Maria«, und indem sie sang verschwand sie,
So wie der Stein, der sinkt in trübem Wasser.
So lang es möglich war, folgt' ihr mein Auge;
Doch, als es sie verloren hatte, kehrt' es
Zurück zum Ziel des größeren Verlangens
Und wandte ganz sich Beatrice zu.
Sie aber strahlte so mit Blitzeshelle,
Daß es mein Auge anfangs nicht ertrug;
Weshalb zu fragen ich ein wenig säumte.
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