Einundzwanzigster Gesang

[368] Die Augen hatt' ich und zugleich die Seele

Dem Antlitz meiner Herrin zugewendet

Und sie entzogen jedem andren Ziele.

Doch lächelte sie nicht: Denn, lächelt' ich,

Also begann sie, würde dir geschehen,

Wie Semele, als sie zu Asche wurde.

Es leuchtet meine Schönheit, die, wie du

Gesehn, des ewigen Palastes Stufen

Hinan sich immer strahlender entzündet,

Jetzt so, daß wenn sie ungemildert bliebe,

Dem Laub dein sterbliches Vermögen gliche,

In das ein Wetterstrahl herniederfährt.

Entrückt sind wir zum siebenten Planeten,

Der unter des entflammten Löwen Brust,

Vermischt mit ihm, jetzt seine Kraft entsendet.

Nun folge sorglich mit dem Geist den Augen

Und mache sie zu Spiegeln von dem Bilde,

Das dir erscheinen wird in diesem Spiegel. –

Wer wüßte, welche Wonne meinen Blicken[368]

Das Schau'n des sel'gen Angesichtes bot,

Als ich mich doch zu andrer Sorge wandte,

Der sähe draus, wie gern bereit ich war,

Der himmlischen Begleiterin zu folgen,

Wög' er die ein' und andre Seite ab.

In dem Kristalle, der die Welt umkreisend

Den Namen seines hohen Führers trägt,

Zu dessen Herrscherzeit die Bosheit tot war,

Sah in des Goldes Farbe, das ein Strahl

Bescheint, ich eine Leiter aufgerichtet,

So hoch, daß sie mein Auge nicht verfolgte.

Die Sprossen sah so mannigfachen Glanz

Ich niedersteigen, daß jedwedes Licht

Des Himmels dort ich ausgestreuet wähnte.

Und wie, natürlicher Gewohnheit folgend,

Die Kräh'n bei Tagesanbruch sich gemeinsam,

Die kalten Federn zu erwärmen, regen,

Dann diese gehn, nicht wieder umzukehren,

Zurück zum Ausgangspunkte andre fliegen,

Noch andre weilend sich im Kreise drehn,

Also zu tun schien jenes Lichtgefunkel,

Das auf und ab dort stieg, sobald zu einer

Bestimmen Sprosse sie gekommen waren.

Das Licht indes, das uns am nächsten weilte,

Erglühte so, daß bei mir selbst ich dachte:

Die Liebe seh' ich wohl, die du mir kündest. –

Doch sie, von welcher ich das wie und wann

Des Schweigens und der Red' erwart', ist stumm,

Weshalb ich trotz des Wunsches besser schweige.

Sie aber, die mein Schweigen in dem Anschaun

Von dem gewahrte, welcher alles sieht,

Sie sagte: Löse nur dein heiß Verlangen. –

Und ich begann: Wohl macht mich mein Verdienst

Nicht deiner Antwort wert; doch ihretwillen,

Die mir vergönnt zu fragen, sel'ges Leben,

Das in den Glanz der eignen Freudigkeit[369]

Du dich verbirgst, verkünde mir die Ursach,

Die dich so nahe zu mir hergeführt,

Und sage mir, warum in diesem Kreise

Die süße Symphonie des Himmels schweigt,

Die in den andren so andächtig tönte? –

So wie dein Aug', ist sterblich dein Gehör,

Sagt' er; derselbe Grund, der Beatrice

Nicht lächeln ließ, verhindert unser Singen.

Der heil'gen Leiter Stufen stieg so weit ich

Hinab, durch meine Rede und das Licht

Das mir als Mantel dient dich zu erfreuen.

Nicht größ're Liebe machte mich bereiter,

Denn, wie der Glanz der Lichter zeigt, entflammt

Auch andre Seelen mehr und gleiche Liebe.

Doch, die uns zu bereiten Dienerinnen

Vom Ratschluß der die Welt regieret, macht,

Die hohe Liebe ist es, die hier auswählt. –

Ich sehe wohl, begann ich, heil'ge Leuchte,

Wie freie Lieb' an diesem Hofe ausreicht,

Um was die Vorsehung bestimmt, zu wollen;

Was aber schwer mir zu begreifen dünkt,

Das ist, warum nur du vorherbestimmt wardst

Zu solchem Amte vor so viel Genossen. –

Es machte, eh' ich noch zum letzten Worte

Gelangt, dies Licht zum Zentrum seine Mitte,

Um die sich's drehte, gleich geschwinder Mühle.

Dann sprach die Liebe, die darinnen weilte:

Ein Strahl von Gottes Licht kehrt sich zu mir;

Das Licht durchdringend, welches mich umhüllt.

Indem mich seine Kraft mit meinem Schauen

Verbunden über mich erhebt, gewahr' ich

Die höchste Wesenheit, aus der es stammt.

Da her die Freudigkeit in der ich leuchte;

Denn nach dem Maß der Klarheit meines Schauens

Bestimmt sich auch die Klarheit meiner Flamme.

Doch die verklärteste der Himmelsseelen,

[370] Der Seraph, der sein Aug' in Gott versenkt,

Genügen kann er deiner Frage nicht;

Denn in den Abgrund ewigen Beschlusses

Vertieft sich, was du wissen willst, so weit,

Daß kein erschaffner Blick bis dahin vordringt.

Berichte, wenn du heimkehrst, dies der Welt

Der Sterblichen, daß sie sich nicht erkühne,

Nach solchem Ziele hin den Fuß zu heben.

Auf Erden qualmt der Geist, wenn hier er leuchtet;

Erwäge denn, ob drunten er vermag,

Was ihm versagt bleibt auch als Himmelsbürger. –

So fühlt' ich mich gehemmt durch seine Worte,

Daß ich die Frage aufgab und in Demut

Ihn, wer er sei zu fragen mich beschränkte:

Inmitten von Italiens beiden Ufern

Erheben, unfern deiner Heimat, Felsen

So hoch sich, daß die Donner tiefer rollen.

Den Höcker, den sie bilden, nennt man Catria;

Ein Eremitenkloster liegt darunter,

Bestimmt nur zu andächtiger Betrachtung. –

Also begann er seine dritte Rede;

Dann aber fuhr er fort und sprach: Im Dienste

Des Herrn befestigt' ich mich dort so sehr,

Daß ich bei Speisen, nur mit Saft des Ölbaums

Bereitet, Frost und Hitze leicht ertrug,

Befriedigt von beschaulichen Gedanken.

Wohl lieferte dies Kloster unsren Himmeln

Sonst reiche Ernte; doch nun ist's verweltlicht,

So sehr daß bald es allen offenbar wird.

Im Kloster hieß ich Petrus Damianus;

Petrus peccator aber in dem Hause

Von unsrer Frau am Strand der Adria.

Nur wenig Lebenszeit war mir geblieben,

Als zu dem Hute man mich lud und drängte,

Den nach dem Schlechten meist ein Schlecht'rer trägt.

Einst gingen Kephas und das große Rüstzeug[371]

Des heil'gen Geistes mager her und schuhlos,

Die Speise nehmend aus jedweder Herberg';

Die Hirten unsrer Zeit bedürfen rechts

Und links, wer sie geleit' und unterstütze,

So schwer sind sie, und wer die Schleppe trage.

Den Zelter auch bedecken ihre Mäntel,

So daß in einem Fell zwei Bestien stecken.

O göttliche Geduld, wie lang' erträgst du's? –

Bei dieser Rede sah ich viele Flämmlein

Die Stufen niedersteigen und sich drehn,

Und schöner machte sie jedwede Drehung.

Um ihn gesammelt ruhten sie dann alle

Und taten einen Schrei so mächt'gen Tones,

Daß sich ein Gleichnis hier nicht finden läßt.

Verstehn konnt' ich ihn nicht, vom Schall bewältigt.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 368-372.
Lizenz:
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