Fünfter Gesang

[302] Wenn heller ich, als man auf Erden sieht,

Dir flamme in der Gut der heil'gen Liebe,

So daß ich deiner Augen Kraft besiege,

So wundre dich nicht; nur dein tiefres Schauen

Ist dessen Grund, und, so wie es erfaßte,

So schreitet im erfaßten Gut es vorwärts.

Ich sehe wohl, wie schon in deinem Geiste

Der Strahl des ew'gen Lichts zu glänzen anfängt,

Das, nur gesehn, auf ewig Lieb' entzündet.

Was immer eure Liebe sonst verführt,

Es lockt euch, weil auch darin eine Spur,

Obwohl verkannt, von jenem Lichte schimmert.

Du wünschst zu wissen, ob für unerfüllte

Gelübde man so viel durch andere Dienste

Erstatten kann, daß sicher sei die Seele. –

Dies war der Anfang, den Beatrix diesem

Gesange gab, und wie, wer seine Rede

Nicht trennt, gab sie ihm also heil'gen Fortgang:

Die größte Gabe, welche bei der Schöpfung

Aus Gnaden Gott verlieh, die seiner Güte

Zumeist entspricht, die er am höchsten hält,

Des Willens Freiheit war's mit welcher alle

Vernunftbegabte Wesen, und nur sie,

So wohl begnadigt waren, als noch sind.

Erwägst du dies, so wirst du des Gelübdes

Erhabnen Wert erkennen, ist der Art es,

Daß, willigst du ein, Gott zugleich einwilligt.

Sobald als den Vertrag der Mensch mit Gott schließt,

So opfert er den Schatz solch hohen Wertes

Als ich gesagt, und zwar durch dessen Tat.[302]

Was kann man also zum Ersatze bieten?

Willst du, was du geopfert, gut verwenden,

So willst du mit Geraubtem Gutes tun.

Klar ist dir nun der wichtigste der Punkte;

Doch weil Dispens erteilt die heil'ge Kirche

(Was dem zuwider scheint, was ich dir sagte),

Mußt du ein wenig noch bei Tische weilen;

Denn, weil die Speise, die du nahmst, so schwer ist,

Bedarfst der Hilfe du sie zu verdauen.

Eröffne denn den Geist dem was ich künde

Und halt' es fest darin; denn wenig fruchtet,

Wenn man es nicht behält, gehört zu haben.

Zu dieses Opfers Wesen sind zwei Dinge

Gehörig: eines ist der Gegenstand,

Die Übereinkunft aber ist das andre.

Die letzte ist nicht anders zu beseit'gen

Als durch Erfüllung, und auf sie bezog sich

Was so entschieden oben ich dir sagte.

Drum war das Opfern nur die Pflicht der Juden,

Wenn auch im einzelnen die Opfergabe,

Wie dir bekannt ist, manchesmal vertauscht ward.

Das andre, was ich Gegenstand dir nannte,

Kann füglich so sein, daß mit etwas andrem

Vertauscht es ohne Fehltritt werden kann.

Doch soll die Bürde seiner Schultern niemand

Aus eigener Willkühr, wenn die beiden Schlüssel,

Der weiß' und gelbe, sich nicht drehten, tauschen.

Und jeden Tausch soll er für Täuschung halten,

Wo das Erlass'ne nicht im Übernommnen

Enthalten ist, wie in der Sechs die Viere.

Drum, ist so schwer nach ihrem Wert die Sache,

Daß stets sie niederzieht der Wage Schale,

So kann durch andres nimmer man erstatten.

Nicht soll'n die Menschen mit Gelübden spielen.

Was ihr gelobt, das haltet; doch gelobt nicht

Blindhin, wie Jephta bei dem ersten Opfer.[303]

Ihm ziemte mehr, zu sagen: übel tat ich,

Als durch Worthalten Schlimmeres zu tun.

Gleich töricht war der große Griechenführer,

Als Iphigenien er ihr schönes Antlitz

Beweinen ließ und mit ihr Weis' und Toren,

Die je von solchem Götterdienst vernommen.

O Christen, was ihr tut, das tut besonnen!

Seid nicht der Feder gleich in jedem Winde,

Und wähnet nicht, Euch wasche jedes Wasser.

Ihr habt das alt' und neue Testament,

Sowie den Kirchenhirten, der euch leitet;

Genügen kann euch das zu eurem Heile.

Wenn üble Leidenschaft euch andres zuruft,

So seiet Menschen, nicht sinnlose Tiere,

Daß euch der Jude unter euch nicht höhne.

Gleicht nicht dem Lamme, das die Milch der Mutter

Verläßt, und voller Einfalt übermütig

Nach eigner Lust mutwillig sich umhertreibt! –

So wie ich schreibe, sprach zu mir Beatrix;

Dann wandte sie sich voll Verlangen dorthin,

Wo Leben mehr als sonstwo hat die Welt.

Ihr Schweigen, wie der Wechsel ihres Ausdrucks

Gebot dem wißbegier'gen Geiste Schweigen,

Der neue Fragen schon in Vorrat hatte.

Und wie ein Pfeil, der in das Ziel hineinschnellt,

Bevor die Sehne ruhig noch geworden,

So flogen wir dem zweiten Reiche zu.

So freudestrahlend sah ich meine Herrin,

Als dieses Himmelslicht sie in sich aufnahm,

Daß heller der Planet darob erglänzte.

Und wandelte sich das Gestirn in Lächeln,

Wie mußte mir erst sein, der von Natur

So wandelbar ich bin nach jeder Richtung!

Wie man die Fische wohl im klaren Weiher

Zuschießen sieht auf was von außen kommt,

Wenn sie zum Futter es für tauglich halten,[304]

So sah auf uns ich mehr als tausend Lichter

Zueilen, und es tönt' aus einem jeden:

Dort kommt, der einst wird unser Lieben mehren. –

Und jede Seele, wie sie sich uns nahte,

Bekundete die Fülle ihrer Freude

Im hellen Lichtblitz, welcher von ihr ausging.

Denkst Leser du, welch peinliches Begehren

Mehr zu vernehmen du empfändest, bräch' ich

Hier plötzlich ab was ich begonnen habe,

So wirst du selbst erkennen, welch Verlangen

Ich zu erfahren trug, wer diese seien,

Seit offenbar sie meinem Blick geworden.

O du zum Heil Geborner, welchem Gnade,

Zu schauen die Throne ewigen Triumphes

Verstattet, während du noch Streiter bist!

Vom Lichte, das den Himmel ganz durchdringt,

Sind wir entbrannt; drum, wünschst du über uns

Belehrung, so soll Sättigung dir werden. –

So sprach zu mir von jenen frommen Geistern

Der eine, und Beatrix sagte: Rede

Vertrauensvoll, und glaube so wie Göttern. –

Ich sehe wohl, wie in dem eignen Lichte

Du nistest, und es ausstrahlst aus den Augen,

So daß sie hell aufleuchten, wenn du lächelst;

Doch weiß ich, wer du sei'st nicht, und warum

Du, würdge Seele, des Planeten Stufe,

Den fremder Strahl für uns verschleiert, einnimmst. –

So sprach ich, zu dem Lichte hingewendet,

Das erst mich ansprach, und es ward darob

Noch leuchtender, als es bisher gewesen.

So wie die Sonne sich durch Übermaß

Des Lichtes selbst verbirgt, sobald die Wärme

Der dichten Dünste Mildrung aufgesogen,

So barg sich mir durch höhre Freudigkeit

Die heilige Gestalt in ihren Strahlen,[305]

Und was sie, so verhüllet, mir erwidert,

Das wird der nächste der Gesänge singen.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 302-306.
Lizenz:
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