Fünfundzwanzigster Gesang

[385] Geschäh' es je, daß das geweihte Lied,

An welches Hand gelegt so Erd als Himmel,

Und welches jahrelang mich hager machte,

Die Grausamkeit bezwänge, die mich ausschließt

Von jener schönen Hürde, drin als Lamm

Ich schlief, den Wölfen feind, die sie befehden,

Mit andrer Stimme und mit andrem Vließe

Kehrt' ich dann heim als Dichter, um die Krone

Zu nehmen an dem Born wo ich getauft ward.

Dort trat ich in den Glauben, der die Seelen

Gott kund macht, ein, und um des Glaubens willen

Umkreiste Petrus also mir die Stirne.

Dann naht' ein Licht uns aus demselben Kreise,

Aus dem der Erstling von den Stellvertretern,

Die Christus hinterließ, gekommen war,

Und voller Freudigkeit sprach meine Herrin:

Sieh hin, sieh hin, das ist der hohe Ritter,

Deswegen drunten man Galizien heimsucht. –

Wie wenn die Taube neben die Gefährtin[385]

Sich setzt, und eines dann dem andren kreisend

Und durch Gemurmel seine Neigung kund tut,

Also empfangen sah den einen jener

Glorreichen großen Fürsten ich den andren,

Die Speise feiernd, die man dort genießt.

Dann stellte jeder, als das freud'ge Grüßen

Beendigt war, sich schweigend vor mich hin,

So flammend, daß das Aug' es nicht ertrug.

Drauf sagte unter Lächeln Beatrice:

Erlauchtes Leben, das die Freudigkeit

Geschildert, die in unsrer Kirche herrscht,

Ertönen laß die Hoffnung nun hier oben;

Du weißt ja, daß du sie so oft bedeutest,

Als Jesus sich den dreien mehr verklärte. –

Richt' auf das Haupt und fasse Zuversicht;

Denn reif erst muß an unsren Strahlen werden

Was von der Welt der Sterblichkeit hierher kommt. –

Vom zweiten Feuer kam mir dieser Zuspruch,

Weshalb das Aug' ich zu den Bergen hob,

Die durch zu große Last zuvor es beugten.

Weil denn aus Gnaden unser Kaiser will,

Daß vor dem Tod' in dem geheimsten Rate

Du seinen Grafen gegenüberstehest,

Damit in dir und andren du die Hoffnung,

Die drunten rechte Liebe weckt, bestärkest,

Nachdem du unsres Hofes Wahrheit sahst,

Sprich was sie ist (so fuhr das zweite Licht

Noch weiter fort), wie deine Seele sie

Mit Blüten schmückt, und wie sie dir zuteil ward. –

Da kam die Fromme, welche mir die Flügel

Geleitet hatte zu so hohem Fluge,

Der Antwort, die mir oblag, so zuvor:

An Hoffnung reicher ist kein Sohn der Kirche

Die streitet, und so steht es in der Sonne

Die diese ganze Schar bestrahlt, geschrieben.

Drum ward vor seines Kriegesdienstes Ende[386]

Ihm, von Ägypten nach Jerusalem

Gewährt zu kommen, daß er es beschaue.

Die beiden andren Punkte, die gefragt sind,

Nicht um zu wissen, nein, daß er berichte

In welchem Maß dir diese Tugend lieb ist,

Die lass' ich ihm; nicht Schwierigkeit, noch Selbstlob

Enthalten sie für ihn. Antworte er denn,

Und dazu wolle Gott ihm Gnade geben. –

Sowie der Schüler, der bereit und willig

Dem Lehrer folgt in allem das ihm kund ist,

Um seine Tüchtigkeit zu zeigen, sagt' ich:

Die Hoffnung ist ein sicheres Erwarten

Zukünft'ger Herrlichkeit, durch Gottes Gnade

Bewirkt und durch vorgängiges Verdienst.

Von vielen Sternen kommt mir dieses Licht;

Der aber träufelt' es zuerst in's Herz mir,

Der höchster Sänger war des höchsten Lenkers.

»Die deinen Namen kennen«, sagt er, »hoffen

Auf dich o Herr«, in seinem Gottgesange;

Kennt aber der ihn nicht, der glaubt wie ich?

Und dann betau'test du mit seinem Taue

Im Briefe mich, so daß ich dessen voll bin.

Und andren euren Regen weiter regne. –

Es zuckt', indes ich sprach, in dieses Feuers

Lebend'gem Schoß' ein häufiges und rasches

Aufflammen, dem des Blitzes zu vergleichen.

Dann sprach's: Die Lieb' in der ich noch entbrenne

Für jene Tugend, die mir bis zur Palme

Und bis zum Ausgang aus dem Kampfplatz folgte,

Heißt mich noch weiter zu dir reden, der

Du ihrer dich erfreust, und so verlang' ich,

Daß, was die Hoffnung dir verheißt du sagest.

Und ich: Die alten und die neuen Schriften

Bezeichnen mir das Ziel. – Und er: So nenn' es. –

Es sagt Jesaias von den Seelen, welche

Sich Gott befreundet, daß in ihrem Lande[387]

Zwiefältige Kleider jede haben soll,

Und dieses süße Leben ist ihr Land.

Und viel gereifter noch enthüllt dein Bruder,

Da wo der weißen Kleider er gedenket,

Uns das Verständnis dieser Offenbarung. –

Zuerst vernahm nach dieser Worte Schlusse

Ich über uns: Es hoffen auf dich Herr! –

Worauf die Reigen alle Antwort gaben.

Dann wuchs zu solcher Helle eins der Lichter,

Daß wenn der Krebs solch ein Juwel besäße,

Ein Wintermonat einen Tag nur hätte.

Und sowie freudig eine Jungfrau aufsteht,

Vorschreitet und zum Tanze antritt, nur

Der Braut zu Ehren, nicht um eigne Lust,

So sah ich jenen neu erhellten Glanz

Zu den zwei andren kommen, die im Kreise

Nach ihrer heißen Liebe Maß sich drehten.

Wie in ihr Lied, trat er in ihren Tanz,

Und meiner Herrin Auge hing an ihnen

Gleich einer Braut bewegungslos und schweigend.

Der hat an unsres Pelikanes Brust

Gelegen, und der ward herab vom Kreuze

Zum großen Pflichtberufe auserlesen. –

So meine Herrin; doch ihr Auge hing

Nachher nicht minder als zuvor an ihm,

Indessen sie auf seine Worte lauschte.

Wie dem, der hinblickt und zu sehn erwartet

Wie sich die Sonne anfängt zu verfinstern,

Vor lauter Sehn die Kraft zu sehn erlischt,

So ging es mir bei dieser letzten Flamme.

Da ward gesagt: Was blendest du dein Auge,

Bemüht, was hier nicht Statt hat, zu gewahren?

Mein Leib ist Erd' auf Erden; mit den andren

Bleibt er so lange dort, bis unsre Zahl

Dem ew'gen Ratschluß gleichgekommen ist.

Mit beiden Kleidern sind im sel'gen Kloster[388]

Allein die beiden aufgefahrnen Lichter,

Und das sollst du berichten eurer Welt. –

Bei diesem Wort schloß das entflammte Kreisen

Und mit ihm auch das süße Tongemische,

Das durch dreifachen Hauch gebildet war;

So halten, um Gefahr zu meiden, oder

Anstrengung, Ruder, die das Wasser schlugen,

Auf einer Pfeife Tönen alle ein.

Ach aber wie entsetzt war meine Seele,

Als ich mich wandte, um nach Beatrice

Zu schaun, und, wenn auch in der Welt des Heiles

Und neben ihr, sie nicht zu sehn vermochte.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 385-389.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Die Akten des Vogelsangs

Die Akten des Vogelsangs

Karls gealterte Jugendfreundin Helene, die zwischenzeitlich steinreich verwitwet ist, schreibt ihm vom Tod des gemeinsamen Jugendfreundes Velten. Sie treffen sich und erinnern sich - auf auf Veltens Sterbebett sitzend - lange vergangener Tage.

150 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon