Neunter Gesang

[318] Nachdem dein Karl, anmutige Clemenza,

Mich so belehrt, erzählt' er mir den Trug,

Den künftig sein Geschlecht erfahren sollte;

Doch sagt' er: Schweig, und laß die Jahre kreisen. –

Verkünden darf ich denn nur dies: Es werden

Gerechte Tränen eurem Schaden folgen.

Schon hatte sich des heil'gen Lichtes Leben

Der Sonne zugewandt, die als das Heil,

Das jedem Ding genüget, es erfüllet.

Betörte Seelen, arge Kreaturen,

Die ab von solchem Heil das Herz ihr wendet,

Der Eitelkeit zukehrend eure Schläfe![318]

Und sieh, da nahte mir sich eine andre

Von jenen Flammen, und daß sie bereit sey,

Gefällig mir zu sein, bewies ihr Leuchten.

Die Augen Beatrice's, die wie vorher

Fest auf mir ruhten, gaben mir Gewißheit

Willkommener Bewill'gung meines Wunsches.

Laß bald Erfüllung mein Verlangen finden,

Sagt' ich, o seel'ger Geist, und mich erproben,

Daß sich auf dich rückspiegelt was ich denke. –

Drauf fuhr das andre Licht, das mir noch neu war,

Als freute guter Tat sich's, aus dem Inn'ren,

Von wo zuvor sein Lied gekommen, fort:

In jenem Teil des schnöden Land's Italien,

Das zwischen dem Rialto und den Quellen

Der Brenta und der Piave sich erstreckt,

Erhebt ein Hügel sich zu mäß'ger Höhe,

Von welchem eine Fackel, die das Land

Mit Ungestüm verheerte, einst hervorging.

Mit ihr ensproß ich aus der gleichen Wurzel,

Cunizza war mein Name, und hier glänz' ich

Weil mich bezwungen dieses Sternes Kraft.

Indes verzeih' ich meines Loses Ursach

Mir selber gern und fühle kein Bedauern,

Mag's auch befremdlich eurem Pöbel scheinen.

Von dieser teuren Flamme, mir zunächst,

Die unsres Himmels leuchtendes Juwel ist,

Blieb hoher Ruhm zurück, und eh' er endet

Verfünffacht sich noch des Jahrhunderts Zahl

Drum suche sich hervorzutun der Mensch,

Daß ihm vom ersten Leben bleib' ein zweites.

Des aber achtet das Gesindel nicht,

Das zwischen Etsch und Tagliamento hauset,

Und keine Reue fühlt, obwohl geschlagen.

Doch bald wird Padova bis hin zum Sumpfe

Das Wasser wandeln, das Vicenza netzet,

Weil störrisch gegen seine Pflicht das Volk ist.[319]

Und wo den Sile der Cagnan begleitet

Herrscht einer jetzt mit hochgehobnem Haupte,

Den einzufangen schon das Netz gestrickt wird.

Wohl wird die Sünden seines schnöden Hirten

(Und Malta ward um größre nie beschritten)

Noch zu beweinen Feltro Ursach haben.

Der Bottich, der das Blut der Ferraresen

Aufnehmen sollte, müßte wahrlich groß sein,

Und müde würde, wer es lotweis wöge:

Das Blut, das so gefällig dieser Pfaffe

Verschenken wird, nur der Partei zu Liebe;

Doch solche Gaben sind dort landesüblich.

Dort oben weilen Spiegel, »Throne« sagt ihr,

Aus denen Gott, der Richtende, uns glänzet;

Drum heißen wir auch solche Rede gut. –

Hier schwieg sie, und indem sie in den Kreis,

Dem sie zuvor gehörte, wieder eintrat,

Bewies sie, daß sie nun an andres dachte.

Die andre Wonne, die, als hohen Wertes,

Mir schon bekannt war, glich zu mir gewendet

Dem edelsten Rubin im Sonnenstrahle.

So wie das Lächeln hier, so mehrt dort oben

Die Freudigkeit den Glanz, nur daß hienieden

Die Trauer auch der äußre Schatten zeigt.

O seel'ger Geist, so sagt' ich, Gott sieht alles,

In ihn versenkt dein Schaun sich also, daß

Kein Wünschen sich vor dir verbergen kann.

Warum entspricht denn deine Stimme, welche,

Verbunden mit dem Lied der in sechs Flügel

Gehüllten heil'gen Flammen, stets den Himmel

Erfreuet, nicht von selber meinem Wunsche?

Erkennt' ich dich, so wie du mich erkennest,

So würd ich nicht auf dein Begehren warten. –

Das größte Becken, drin sich Wasser sammelt,

Also begann nun seine Rede, wenn man

Vom Meere absieht, das die Welt umgürtet,[320]

Erstreckt sich zwischen zwiegespaltnen Ufern

So weit, daß man am einen Ende Mittag

Da hat, wo für das andre Horizont ist.

An dieses Beckens Ufer, zwischen Ebro

Und Macra, die das Land der Genovesen

Abschneidet von Toscana, war ich heimisch.

Fast einen Untergang und Aufgang haben

Budscheia und die Stadt aus der ich stammte,

Die einst mit eignem Blut den Hafen wärmte.

Von denen die mich kannten ward ich Foulquet

Genannt, und also wie ich dieses Himmels

Gepräge trage, trägt er auch das meine.

Denn mehr entbrannte Belus Tochter nicht,

Als ihr Sichaeus und Creusa zürnten,

Denn ich, solang' es meinem Alter ziemte.

Nicht mehr auch, von Demophoon betrogen,

Die Rhodopäerin, nicht mehr Alkides,

Als in sein Herz er Jole geschlossen.

Doch fühlt man hier nicht Reue, nein, man lächelt;

Nicht ob der Schuld, denn die hat man vergessen,

Nein, ob der Kraft, die ordnet und vorhersieht.

Die Kunst bestaunt man hier, die solche Wirkung

Hervorbringt, und man lernt das Heil begreifen,

Das nach der obern Welt die niedre wendet.

Doch damit jeden der in dieser Sphäre

Entstandnen Wünsche du erfüllt davon trägst,

Muß sich noch weiter meine Red' erstrecken.

Zu wissen wünschest du, wer in dem Lichte

Hier neben mir, so wie der Sonnenstrahl

Im klaren Wasser, hell erglänzend weilet.

So wisse denn, in ihm fand Rahab Ruhe

Und dieser Kreis trägt, seit sie ihm gehört,

Voll ausgeprägt den Stempel ihres Siegels.

Sie war die erste Seele, die von Christi

Triumphe dieser Himmel (wo der Schatten

Sich zuspitzt, den die Erde wirft) empfangen.[321]

Wohl ziemte sich's, daß, als des Sieges Palme

Den eine und die andre Hand erkämpfte,

Aufnahme sie in einem Himmel fand;

Denn sie begünstigte den ersten Ruhm,

Den Josua sich erwarb im heil'gen Lande,

An das den Papst zu denken wenig kümmert.

Es prägt und es verbreitet deine Stadt

Die der gepflanzt hat, welcher seinem Schöpfer

Zuerst den Rücken wandt', und dessen Neid

So viel beklagt wird, die verwünschte Blume,

Die ab vom Wege führt so Schaf als Lämmer,

Weil sie zum Wolf gewandelt hat den Hirten.

Die Evangelien und die Kirchenväter

Versäumt man ihrethalb; nur Dekretalen

Studiert man, daß die Ränder davon zeugen.

Nach ihr nur streben Papst und Kardinäle,

Nicht ist ihr Sinn nach Nazareth gewendet,

Dorthin, wo Gabriel die Flügel auftat.

Allein der Vatikan und all' die andren

Erwählten Plätze Rom's, die Kirchhof wurden

Für jene Kriegsschar, welche Petro folgte,

Bald werden frei sie sein von solchem Ehbruch.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 318-322.
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