Siebenter Gesang

[310] Bewähre Heil, o du Herr Zebaoth,

Den sel'gen Flammen dieser Königreiche,

Indem du sie bestrahlst mit deiner Klarheit! –

So hört' ich, sich bei seinem Liede wendend,

Den sel'gen Geist, in dem zwiefaches Licht

Entbrannt, das Aug' auf mich gerichtet, singen.

Dann dreht 'er mit den andren sich zum Tanze,

Und, überschnellen Funken gleich, verbargen

Sie sich vor mir durch plötzliche Entfernung.

Ich schwankte noch und: sage ihr's, ja sag' ihr's,

Sagt' ich bei mir, der teuren Herrin sag' es,

Die deinen Durst dir löscht mit süßem Taue;

Doch jene Ehrfurcht, die mich ganz bemeistert,

Sobald ich B und ICE nur vernehme,

Ließ mich das Haupt, gleich dem, der einschläft, senken.

Nicht lange ließ sie mich in solchem Zustand,

Dann strahlte sie mich an mit einem Lächeln,

Das selig selbst im Feuer macht' und sprach:

Nach meinem Dünken, das sich nimmer täuschet,

Macht dir Bedenken, wie gerechter Rache

Gerechte Rache folgen könn' als Strafe.

Doch werd' ich bald dir deine Zweifel lösen,

Und du merk' auf, denn meine Worte werden

Dir großen Richterspruch vor Augen stellen.

Der niegeborne Mensch, weil seines Willens

Heilsamen Zügel er nicht tragen wollte,

Verdammte mit sich allen seinen Samen.

Drum lag das menschliche Geschlecht dort unten[310]

Viel hundert Jahre krank in großem Irrtum,

Bis Gottes Wort zur Erde niederstieg,

Wo die Natur, die sich von ihrem Schöpfer

Entfremdet hatte, Er mit Sich persönlich

Durch seiner ew'gen Liebe Tat vereinte.

Nun richte deinen Blick auf meine Rede:

Es war, geeint mit ihrem Schöpfer, jene

Natur, wie sie geschaffen wurde, rein und gut.

Sie selber hat sich aus dem Paradiese

Vertrieben, weil sie sich vom Weg der Wahrheit

Und ihrem eignen Leben abgewendet.

Der angenommenen Natur nach wurde

Gerecht're Strafe nimmer denn verhängt,

Als jene, die gebüßet ward am Kreuze.

Und doch war keine je so ungerecht,

Erwägt man die Person, die sie erduldet

Und sich mit menschlicher Natur bekleidet.

Aus einer Tat entsprang verschiedne Wirkung:

Gott und die Juden wollten einen Tod,

Den Himmel schloß er auf, die Erd' erbebt' ihm.

Nun kann dir nicht mehr unbegreiflich scheinen,

Wenn dir gesagt ward, daß gerechte Rache

Dann von gerechtem Richterhof gerächt ward.

Doch seh ich deinen Geist, von dem zu jenem

Gedanken, nun verstrickt in einen Knoten,

Den sehnlich er gelöst zu sehn erwartet.

Du sagest, wohl versteh' ich, was ich höre;

Doch warum Gott nur diese Weise wählte

Uns zu erlösen, das bleibt mir verborgen.

Begraben bleibt, o Bruder, dieser Ratschluß

Für jeden, dessen Geist nicht in der Flamme

Der Lieb' herangewachsen ist zur Reife;

Doch weil so viel nach diesem Ziel man ausschaut

Und wenig es erkennt, will ich dir sagen,

Warum das würdigste der Mittel dies war.

Die Güte Gottes, die jedwede Mißgunst[311]

Von sich zurückweist, sprühet solche Funken,

Daß Sie die ew'ge Schönheit offenbar macht.

Was unvermittelt niederträuft von ihr,

Hat nie ein Ende, weil wenn sie gesiegelt,

Der Abdruck keinem Wandel unterliegt.

Was unvermittelt von ihr niederregnet,

Ist völlig frei, denn nimmer unterliegt es

Geschaffner Dinge wandelbarem Einfluß.

Was ihr am meisten gleicht, ist ihr das Liebste;

Denn die das All bestrahlt, die heil'ge Glut,

Ist in dem Ähnlichsten am meisten wirksam.

Geschmückt mit jedem Vorzug ward

Die menschliche Natur, und fehlt ihr einer,

So muß von ihrer Würde sie verlieren.

Die Sünde ist's, die ihr die Freiheit raubt

Und sie unähnlich macht dem höchsten Gute,

Weshalb sein Licht nur wenig sie erleuchtet.

Und nie gewinnt sie wieder ihre Würde,

Fällt nicht die Lücke, die die Schuld geschlagen,

Trotz böser Lust, gerechte Strafe aus.

Von diesen Würden, wie vom Paradiese,

Ward ausgeschlossen, als sie sündigte,

Die menschliche Natur in ihrer Ganzheit.

Und einsehn mußt du, wenn du sorgsam spähest,

Daß sie sich wieder nicht erwerben ließen,

Ward eine dieser Furten nicht durchschritten:

Entweder mußte Gott aus seiner Gnade

Vergeben, oder aus sich selber mußte

Der Mensch Genüge tun für seine Torheit.

Nun hefte in den Abgrund ewigen

Beschlusses deinen Blick soviel dir möglich

Und folg' in engem Anschluß meiner Rede!

Es konnte nie der Mensch in seinen Schranken

Genüge tun, weil nimmer er in Demut

Soweit gehorsam niedersteigen konnte,

Als er emporgestrebt in Ungehorsam.[312]

Und darin liegt der Grund, warum der Mensch

Von sich aus zu genügen nicht vermochte.

So mußte Gott denn zum vollkommnen Leben

Zurück die Menschen seine Wege führen,

Der Wege einen sag' ich, oder beide.

Doch weil das Werk um so viel werter ist,

Je reichlicher es von des Herzens Güte,

Aus welchem es hervorging, Zeugnis beut,

Gefiel's der Güte Gottes, die im All

Sich ausprägt, um euch wieder zu erheben,

Auf allen ihren Wegen vorzuschreiten.

Vom ersten Morgen bis zum letzten Abend,

Sah man so großen und erhabnen Vorgang

Auf jener Wege keinem, sieht ihn nimmer.

Freigebiger, als hätt' er nur verziehen,

War Gott, als er sich opferte, damit

Der Mensch sich zu erheben Kraft gewinne.

Und der Gerechtigkeit genügte keiner

Von allen Wegen, hätte Gottes Sohn

Sich nicht so weit erniedrigt, Fleisch zu werden.

Doch um dir jeden Wunsch nun zu erfüllen,

Kehr' ich zurück, dir einzelnes zu deuten,

Damit so klar du schauest, wie ich schaue.

Du sagst, ich sehe Wasser, sehe Feuer

Und Luft und Erd' und alle ihre Mischung

Zugrunde gehn und kurze Zeit nur dauern,

Und diese Dinge sind doch auch geschaffen;

Drum müßten sie, wenn wahr ist was ich sagte,

Gesichert alle vor Verderbnis sein.

Die Engel, Bruder, und das lautre Land

In dem du weilest sind, so wie sie noch sind,

In ihrer vollen Wesenheit geschaffen.

Die Elemente aber, die du nanntest

Und was daraus gebildet wird, Gestaltung

Erhält es durch geschaffne Kräfte nur.

Erschaffen ward der Stoff, den sie enthalten,[313]

Erschaffen auch die Kraft in diesen Sternen,

Die Kreise um sie ziehn, sie zu gestalten.

Es ziehn aus Stoffen, die dazu sich schicken,

Der heil'gen Lichter Strahlen und Bewegung

Die Seele jedes Tieres und der Pflanzen.

Eu'r Leben aber strömet unvermittelt.

Die höchste Huld aus, und in solcher Liebe

Entflammt sie's, daß es stets nach ihr begehrt.

Auch eure Auferstehung kannst hieraus du

Entnehmen, überlegst du nur gehörig,

In welcher Art der Menschen Fleisch geformt ward,

Als Gott die ersten Eltern beide schuf. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 310-314.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon