|
[393] Dem Vater, wie dem Sohn' und heil'gen Geiste,
Begann das ganze Paradies, sei Ehre! –
So daß der heiße Sang mich gar berauschte,
Was ich gewahrte däuchte mir ein Lächeln
Des ganzen Weltalls, so daß das Entzücken
Zugleich durch Ohr und Augen in mich eindrang.
O Freud', o Wonn' in Worten nicht zu schildern,
Der Liebe und des Friedens lautres Leben,
O sichrer Reichtum, frei von weitrem Wunsche!
Vor meinen Augen standen die vier Fackeln
In lichtem Brand, und die zuerst gekommen
Begann noch heller als zuvor zu leuchten.
So war sie anzuschaun wie Jupiter,
Wenn Vögel wären er sowohl als Mars,
Und das Gefieder wechselweis sie tauschten.
Es hatte, die Beruf und Folge dort[393]
Bestimmt, die Vorsehung, dem sel'gen Chore
Stillschweigen auferlegt nach jeder Seite,
Als ich vernahm: Wenn ich mich so verfärbe,
Soll dich's nicht wundern; alle diese wirst du
Verfärben sich bei meiner Rede sehn.
Der auf der Erde meinen Stuhl sich anmaßt,
Den Stuhl, den Stuhl, der in dem Angesichte
Des Sohnes Gottes jetzt erledigt ist,
Verwandelt hat er zu des Blut's und Stankes
Kloake meinen Kirchhof, drob der Arge
Der von hier niederstürzte, drunten froh ist. –
Da sah den ganzen Himmel in der Farb' ich,
Mit der die Sonne, gegenüberstehend,
Die Wolken früh und Abends malt, erglühend.
Und wie ein sittig Mädchen, das auch ferner
Sich rein fühlt, dennoch ob des fremden Fehltritts
Betreten wird, wenn sie ihn nur mit anhört,
So wechselte das Aussehn Beatrice,
Und solche Finsternis ward wohl im Himmel
Als an dem Kreuz die höchste Macht gelitten.
Dann fuhr in seiner Red' er weiter fort,
Doch so verändert klang dabei die Stimme,
Daß größer nicht des Aussehns Wandlung war:
Es ward mit meinem Blut und dem des Linus
Und Cletus Christi Braut nicht aufgezogen,
Daß sie gebraucht zum Gelderwerbe werde.
Nein, zum Erwerbe dieses sel'gen Lebens
Vergossen Sixtus, Pius und Calixt
Ihr Blut gleich Urban unter manchen Tränen.
Wir wollten nicht, daß von dem Christenvolke
Ein Teil zur Rechten und ein Teil zur Linken
Von denen säße, die im Amt uns folgten,
Und nicht, daß die mir anvertrauten Schlüssel
Zum Wappenschild für eine Fahne würden,
Die zu dem Kampfe mit Getauften führte.
Auch nicht, daß ich das Siegelbild erkaufter[394]
Und lügenhafter Privilegien werde,
Darob ich oft erröt' und Funken sprühe.
Im Kleid des Hirten sieht man von hier oben
Auf jeder Weide gier'ge Wölfe gehn;
O Schutz des Herrn, was zögerst du so lange!
Gascogner rüsten sich und Cahorsiner
Von unserem Blut zu trinken. Hoher Anfang,
Zu was für schnödem Ende mußt du sinken!
Doch die mit Scipio Rom den Ruhm der Welt
Erhielt, die hohe Vorsehung, zur Hilfe
Wird bald Sie, wie ich schon erkenne, eilen.
Und du, o Sohn, der ob der Erdenschwere
Noch dorthin wiederkehrst, tu' auf den Mund
Und birg den andren nicht was ich nicht berge. – o
Wie von gefrornen Dünsten unsre Luft,
Wenn mit der Himmelsziege Horn die Sonne
Zusammenstößt, nach unten Flocken sendet,
So sah ich aufwärts sich den Äther schmücken
Und jene siegesfrohen Flammen schnein,
Die dort bisher mit uns geweilet hatten.
Es hing mein Aug' an ihrer Lichterscheinung
Und folgte bis des Zwischenraumes Größe
Nicht mehr gestattete hindurchzudringen.
Worauf die Herrin, die vom Aufwärtsschauen
Befreit mich sah, mir sagte: Senke nun
Den Blick und sieh, wie weit du dich gewendet. –
Seit meinem ersten Niederblick durchmessen
Hatt' ich den Bogen, den die erste Zone
Von ihrer Mitte macht bis an ihr Ende,
So daß ich Gades jenseits von Ulysses'
Tollkühnem Paß erblickte, diesseits aber
Den Strand, wo süße Last Europa ward.
Und weiter wäre dieses Balls Gestaltung
Mir noch entdeckt; indes, ein Zeichen vor mir
Und mehr, schritt unter mir die Sonne vorwärts.
Mein liebentbrannter Geist, der immerdar[395]
Um meine Herrin wirbt, begehrte heißer
Als je, den Blick auf sie zurückzuwenden.
Bot Lockungen Natur, bot jemals Kunst sie
Im Fleisch des Menschen, oder dessen Bilde
Den Augen, um durch sie den Geist zu fangen,
Sie würden insgesamt gleich nichts erscheinen
Der Himmelslust verglichen, die mir strahlte,
Als in ihr lächelnd Angesicht ich schaute.
Die Kraft, die solcher Anblick mir gewährte,
Entriß dem schönen Neste Leda's mich,
Und trieb hinan mich zu dem schnellsten Himmel.
So gleich in sich sind seine lebensvollen,
Erhabnen Teile, daß den von Beatrix
Erkornen Ort ich nicht bezeichnen kann.
Sie aber, die erkannte was ich wünschte,
Begann, und lächelte dabei so selig,
Daß Gottes Freud' aus ihrem Antlitz strahlte:
Der Welt Beschaffenheit, die nur der Mitte
Zu ruhn, sonst allem sich zu drehn gebeut,
Beginnt von hier aus ihrem Ausgangspunkte.
Es gibt kein andres wo in diesem Himmel
Als Gottes Geist, an dem die Lieb' entbrennt,
Die ihn bewegt, dem seine Kraft entstammt.
Wie alle andren er, also umgibt ihn
Ein Kreis von Licht und Lieb', und diesen Kreis
Erkennet der allein der ihn gewölbt hat.
Nicht andres dient zum Maß für dieses Himmels
Bewegung, sondern sie mißt alle andren,
Wie Hälft' und Fünftel Maß sind für die Zehn.
Nun kann dir offenbar geworden sein,
Daß dies der Boden ist, in dem die Zeit
Die Wurzeln hat, und anderwärts die Blätter.
O Habsucht, die du unter dich die Menschen
So tief hinabdrückst, daß aus deinen Fluten
Die Augen zu erheben keiner Kraft hat!
Es blüht der Wille wohl im Menschenherzen;[396]
Jedoch der stete Regenguß verwandelt
Was edle Pflaume war in schlechte Huzel.
Unschuld und Treu und Glauben findet man
Nur noch bei Kindern; doch bevor die Wange
Behaart ist, flieht die eine wie die andre.
Gar mancher fastet noch solang' er stammelt;
Doch mit gelöster Zunge schlingt in jedem
Kalendermonat jede Speis' er nieder.
Auf seine Mutter hört in Liebe mancher
Solang' er stammelt; doch ist seine Rede
Entwickelt, möcht' er sie begraben sehn.
So schwärzt sich, die beim ersten Anblick weiß
Erschien, die Haut der schönen Tochter dessen,
Der, Morgen bringend, hinter sich die Nacht läßt.
Damit du aber dich nicht wunderst, denke,
Daß jetzt auf Erden keiner ist, der herrsche;
Drum irrt soweit ab das Geschlecht der Menschen.
Doch eh' noch (weil das Hundertsteil ihr drunten
Nicht rechnet) Jänner aus dem Winter austritt,
Wird solch ein Tönen dieser Himmelskreise
Bewegung wecken, daß die allersehnte
Fortuna, wo das Steuer ist, den Schnabel
Hinwenden wird, so daß die Flotte recht läuft
Und nach der Blüte wahre Frucht man erntet. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
140 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro