|
[351] Wie Wahrheit über das, was gegen ihn
Gesagt war, der von Klymene verlangte,
Der noch die Väter karg den Söhnen macht,
So fühlt ich mich und so verstand mich auch
Sowohl Beatrix, als die heil'ge Lampe,[351]
Die meinethalb zuvor den Platz gewechselt.
Drauf meine Herrin: Laß des Wunsches Flamme
Hervor nur brechen; aber sei bedacht,
Daß sie gezeichnet sei vom innren Stempel.
Nicht daß sich unsre Kunde durch dein Wort
Vermehre; nein, damit du so den Durst
Zu künden dich gewöhnst, daß man dir schenke. –
Mein teurer Stamm, der du so hoch erhöht bist,
Daß, so wie Menschengeister sehn, im Dreieck
Sei für zwei stumpfe Winkel nimmer Platz,
So du die Dinge, die der Zufall lenket,
Bevor sie sind, hinschauend auf den Punkt
Erkennst, dem gegenwärtig jede Zeit ist;
Als ich noch mit Virgil verbunden war,
Den Berg hinauf, der Heilung bringt den Seelen,
Und niedersteigend in die Welt der Toten,
Vernahm ich über mein zukünft'ges Leben
Viel schwere Worte, ob ich mich auch gegen
Des Schicksals Schläge wohlgekantet fühle.
Drum würde mir's Befriedigung gewähren,
Zu hören, welches Schicksal mich erwartet;
Vorhergesehner Pfeil trifft minder heftig. –
So sprach ich zu dem Lichte, das zuvor
Mit mir geredet, und gestanden hatt' ich
Nun meinen Wunsch, wie Beatrice wollte.
Und nicht mit Umschweif, wie die tör'gen Völker
Sich drin verstrickten, ehe das Lamm Gottes
Getötet war, das alle Sünde trägt;
Mit klarem Wort und in bestimmter Rede
Erteilte Antwort jene Vaterliebe,
In's eigne Licht gehüllt und aus ihm leuchtend:
Des Zufalls Wechselspiel, das sich nicht weiter
Erstreckt als wie eu'r Stoff, vollständig liegt es
Vor Gottes Aug' im voraus abgebildet;
Jedoch Notwendigkeit erhält es davon
So wenig, als vom Auge, drin sich's spiegelt,[352]
Ein Schiff das mit dem Strom zu Tale fährt.
Von dort empfang ich, sowie von der Orgel
Zum Ohre süße Harmonie gelangt,
In das den Einblick, was dir noch bevorsteht.
Wie wegen seiner argen, unbarmherz'gen
Stiefmutter Hippolyt Athen verließ,
Also wirst Florenz du verlassen müssen.
Das wünscht man dort, das will man dort erreichen
(Und bald wird was man dort bezweckt erfolgen),
Wo Christum man verkauft von Tag zu Tage.
Auf den Gekränkten wird im Mund der Leute
Das Unrecht fallen; doch es wird der Wahrheit
Der Zeugnis geben, der die Rache austeilt.
Was dir am liebsten ist, das wirst du alles
Verlassen, und das ist der erste Pfeil,
Den der Verbannung Bogen auf dich schleudert.
Dann wirst du fühlen, wie das fremde Brot
So salzig schmeckt, und welch ein harter Pfad ist
Die fremden Treppen auf- und abzusteigen.
Was dir die Schultern mehr noch wird beschweren,
Ist die nichtsnutz'ge schmähliche Gesellschaft,
Mit der du fallen wirst in diese Schlucht.
In allem töricht, undankbar und schlecht
Wird gegen dich sie sein; doch ihre Schläfe,
Nicht deine, werden bald darob sich röten.
Wie sehr sie Bestien gleicht, das wird ihr Fortgang
Beweisen, und zum Ruhm wird dir gereichen,
Daß du dir für dich selbst Partei gebildet.
Die erste Zuflucht und die erste Herberg'
Wird dir der mächtige Lombarde bieten,
Der auf der Leiter führt den heil'gen Vogel.
So gütig wird er gegen dich gesinnt sein,
Daß unter euch an Bitten und Gewähren,
Was sonst das spätre ist, das erste sein wird.
Mit ihm wirst den, der dieses starken Sternes
Eindruck bei der Geburt so sehr erfahren,[353]
Daß was er tun wird Staunen weckt, du sehn.
Noch hat die Welt, ob seines zarten Alters
Ihn nicht bemerkt, denn diese Räder haben
Erst seit neun Jahren sich um ihn gedreht;
Doch eh' den hohen Heinrich der Gascogner
Verrät, wird an des Geldes und der Mühen
Nichtachtung Funken seines Wert's man sehen.
So wird von seiner Großmut sich die Kunde
Verbreiten, daß sogar der Feinde Zungen
Darüber stumm zu bleiben nicht vermögen.
Auf ihn vertrau' und das was er dir tun wird;
Verwandelt wird durch ihn das Los von vielen,
Indem er Arme reich macht, arm die Reichen.
Was du von ihm vernahmst, das trag' im Geiste
Mit fort; doch sage nichts. – Und Ding' erzählt' er,
Unglaublich denen selbst, die's einst erleben.
Dann fuhr er fort: Mein Sohn, das sind die Glossen
Zu dem was dir gesagt ward, das die Schlingen,
Die wen'ger Jahre Kreislauf noch verbirgt.
Doch sollst du deine Nachbar'n nicht beneiden;
Denn länger währt die Zukunft deines Lebens,
Als ihrer Missetaten Strafe reicht. –
Als nun die heil'ge Flamme durch ihr Schweigen
Bezeigte, daß sie des Gewebes Einschlag
Vollendet, das gezettelt ich ihr darbot,
Begann ich, einem gleich, der, selber zweifelnd,
Von jemand Rat begehrt, der rechten Willen
Und Einsicht hat, und der zugleich ihm wohl will:
Ich sehe wohl, mein Vater, daß die Zeit
Auf mich heranstürmt, um mich so zu schlagen,
Wie der am schwersten fühlt, der sich ergibt.
Drum tu' ich gut, mit Vorsicht mich zu waffnen,
Daß, wenn der Orte liebster mir geraubt wird,
Ich durch mein Lied die andren nicht verscherze.
Dort unten in der endlos bittren Welt
Und auf dem Berg', von dessen schönem Gipfel[354]
Die Augen meiner Herrin mich erhoben,
Und dann im Himmel hier von Licht zu Lichte
Vernahm ich, was, im Fall ich's wiedersage,
Nach herber Säure schmecken wird für viele.
Und, bin ich furchtsam in der Wahrheit Freundschaft,
So fürcht' ich, geht das Leben mir bei denen
Verloren, welchen alt heißt diese Zeit. –
Das Licht, in dem mein dort gefundnes Kleinod
Mir lächelte, erglänzte erst so hell
Wie in der Sonne Strahl ein goldner Spiegel;
Dann gab es mir zur Antwort: Ein Gewissen,
Das eigne oder fremde Schuld befleckt,
Wird deines Wortes Herbigkeit empfinden.
Doch soll dich das nicht hindern, ungeschminkt
Vollständig dein Gesicht zu offenbaren,
Und wer dann räudig ist, den laß sich kratzen.
Wird deines Wort's anfänglicher Geschmack
Auch lästig sein, so wird es, wenn verdaut,
Dem Hörer Lebensnahrung hinterlassen.
Es wird dein Ruf dem Winde gleichen, welcher
Am heftigsten die höchsten Gipfel trifft,
Und zu nicht kleinem Ruhm wird das gereichen.
Gezeigt sind deshalb dir in diesen Rädern,
Den Berg herauf und in dem Tal der Schmerzen
Nur Seelen, welche durch den Ruf bekannt sind;
Denn nicht befriedigt, noch überzeugt
Des Hörers Geist ein Beispiel, dessen Wurzel
Ihm unbekannt ist und verborgen blieb,
Noch sonst ein Grund, der nicht in's Auge fällt. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.
52 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro