Zwanzigster Gesang

[364] Wenn der Planet, der Licht dem Weltall spendet,

Von unsrer Hemisphäre niedersteigt,

So daß der Tag auf allen Seiten schwindet,

So schimmert bald der Himmel, der zuvor

Von ihm allein entbrannt war, in viel Lichtern,

In denen allen nur das eine glänzt.

An solche Himmelswandlung mußt' ich denken,

Als das Panier der Welt und seiner Führer

Nun mit dem benedeiten Schnabel schwieg.

Denn alle die lebend'gen Lichter stimmten,

Nun heller als zuvor, Gesänge an,

Die mein Gedächtnis nicht bewahren konnte.

Die du dich hüllst in Lächeln, süße Liebe,

Wie glühend hört' ich dich in jenen Flöten,

Die nichts als heilige Gedanken hauchten.

Nachdem die teuren leuchtenden Juwele,

Womit geschmückt das sechste Licht ich sah,

Die Engelglockentöne schweigen hießen,

Glaubt' eines Flusses Murmeln ich zu hören,

Der klar herniederfällt von Fels zu Felsen,

Die Wasserfülle seines Quell's bewährend.

Und, wie der Klang Gestalt am Hals der Zither

Gewinnt, und wie die Luft, die durch sie hinzieht,

Zum Ton wird an der Mündung der Schalmei,

So stieg, ein weitres Säumen nicht erwartend,

Des Adlers Murmeln in dem Hals' empor,[364]

Wie wenn er ausgehöhlt zur Gurgel wäre.

Zur Stimme wird es dort, und aus dem Schnabel

Trat es hervor in Form von Worten, wie

Das Herz, drin ich sie aufschrieb, es vermutet:

Aufmerksam sollst du nun, also begann er,

Den Teil von mir, der Sehkraft hat, beschauen,

Und der die Sonn' erträgt an euren Adlern;

Denn von den Flammen all, die mich gestalten

In Stufen mannigfach, sind die die höchsten,

Von denen mir im Haupt das Auge funkelt.

Der mir inmitten als Pupille leuchtet,

Er war des heil'gen Geistes Sänger, der

Die Bundeslade trug von Ort zu Orte.

Nunmehr erkennt er seines Lied's Verdienst,

Soweit aus seinem Ratschluß es hervorging,

Durch die Belohnung, welche gleiches Maß hält.

Von Fünfen, die sich mir zur Braue biegen,

Hat, der dem Schnabel mir der nächste ist,

Getröstet wegen ihres Sohn's die Witwe.

Nun sieht er ein, wie, Christo nicht zu folgen

So teuer kostet, da dies süße Leben

Er, wie zuvor sein Gegenteil erfahren.

Und der nun in des Bogens höchster Wölbung,

Von dem ich rede, nachfolgt, hat den Tod

Hinausgeschoben durch wahrhafte Buße.

Nun sieht er ein, daß sich gerechter Ratschluß

Nicht ändert, möge auch gerechtes Bitten

Zu Morgigem dort unten Heut'ges machen.

Es machte, der nun folgt, mit den Gesetzen

Und mir, in guter, schlecht belohnter, Absicht

Dem Hirten Raum zu geben, sich zum Griechen.

Nunmehr erkennt er, wie das Unheil, welches

Aus seiner guten Tat floß, ihm nicht schadet,

Obwohl die Welt dadurch zugrunde ging.

Und den du in des Bogens Neigung siehst,

War jener Wilhelm, den das Land betrauert,[365]

Das über Karl und Friedrich weint, die leben.

Nun sieht er ein, wie den gerechten König

Der Himmel liebt, und dessen gibt er Zeugnis

Durch seines Glanzes helleres Entflammen.

Wer glaubte wohl in eurer Welt voll Irrtum,

Daß von den heil'gen Lichtern dieser Rundung

Das fünfte Ripheus, der Trojaner, sei!

Gar viel erkennt er nun von Gottes Gnade,

Was unsichtbar dem Menschenauge bleibt,

Obwohl auch sein Blick nicht den Grund erreicht. –

Der Lerche gleich, die in die Luft sich schwingend

Erst singt, dann aber, von der letzten Wonne,

Die ihr Genüge tut, befriedigt, schweigt,

Also befriedigt däuchte mir dies Bild

Des Abdrucks ew'ger Wonne, durch das Sehnen

Nach welcher jedes Ding wird was es ist.

Und, war ich gleich für meinen Zweifel dort

Wie Glas der Farbe, die es überkleidet,

Ertrug er's doch nicht, schweigend zu erwarten.

Und aus dem Munde trieb durch seine Schwere

Er: Was für Dinge sind das? – mir hervor,

Weshalb, auflodernd, Freude mir bezeigt ward.

Drauf gab zur Antwort, noch entflammt'ren Auges,

Das benedeite Sinnbild mir, um länger

Mich in des Staunens Schwebe nicht zu halten:

Ich sehe wohl, du glaubst was du vernommen,

Weil ich's gesagt; doch du erkennst den Grund nicht,

So daß, obwohl geglaubt, dir's dunkel bleibt.

Du gleichest einem, dem der Sache Namen

Bekannt ist; doch der ihre Wesenheit

Nicht sieht, bis sie ihm kund ein andrer tut.

Gewalt erleidet durch lebend'ge Hoffnung

Und heiße Liebesglut das Himmelreich;

Denn sie besiegen auch den Willen Gottes.

Nicht wie ein Mensch dem andern obsiegt; sondern

Weil er besiegt sein will wird er besiegt,[366]

Und so besiegt, siegt er durch seine Gnade.

Der Braue erstes sowie fünftes Leben

Macht dich erstaunen, weil mit ihnen beiden

Du ausgestattet siehst das Reich der Engel.

Doch nicht als Heiden, wie du wähnst; sie ließen

Den Leib als Christen, an die Füße glaubend,

Die schon gelitten, oder leiden sollten.

Heim zum Gebeine kehrte aus der Hölle,

Wo niemand Gutes wollen kann, der eine,

Und das war Lohn für lebenskräft'ge Hoffnung:

Für jene Hoffnung, die auf die Gebete,

Daß Gott ihn auferweck' und sich sein Wille

Zum Glauben wenden könne, fest vertraute.

So kehrt' auf kurze Zeit in's Fleisch zurück

Die ruhmgekrönte Seele, die ich meine,

Und glaubt' an den, der Hilf' ihr geben konnte.

Und glaubend brannte sie in solchem Feuer

Wahrhaft'ger Liebe, daß beim zweiten Tode

Sie zugelassen ward zu diesen Spielen.

Die andre richtete aus Gnadenwirkung

So tiefer Quelle, daß das Auge keines

Geschöpfes je zur ersten Welle drang,

All ihre Liebe auf Gerechtigkeit;

Weshalb den Blick von Gnade ihr zu Gnade

Der künftigen Erlösung Gott erschloß.

So glaubte sie an jene, und von da an

Trug sie nicht mehr den Stank des Heidentumes

Und schalt darob die irrenden Geschlechter.

Wohl tausend Jahr und länger vor dem Taufen

Vertraten die drei Frau'n des rechten Rades,

Die du gesehn hast, ihr der Taufe Stelle.

O Gnadenwahl, wie doch so weit entlegen

Ist deine Wurzel von den Blicken deren,

Die nicht die erste Ursach ganz erkennen!

Ihr Sterblichen indes, enthaltet euch

Zu richten, denn selbst wir, die Gott wir schauen,[367]

Wir kennen doch nicht all' die Auserwählten.

Und dies Nichtwissen süß bedünkt es uns;

In solchem Heil erhöht sich unser Heil noch,

Denn Gottes Willen ist auch unser Wollen. –

So ward von jenem göttlichen Gebilde

Mein Auge, das kurzsicht'ge, zu erleuchten,

Mir Arzenei voll Süßigkeit gereicht.

Und wie des Sängers Lied der Saitenspieler

Begleitet mit den Schwingungen der Saite,

Wodurch erhöht wird des Gesanges Wohlklang,

Sah während dieser Rede ich die beiden

Gebenedeiten Lichter, mit den Worten

Zusammenstimmend, wie der Augen Blinken

Zusammenstimmt, bewegen ihre Flämmlein.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 364-368.
Lizenz:
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