|
[372] Betäubt von Staunen wandt' ich, gleich dem Kinde,
Das dort die Hilfe sucht, wo es am meisten
Vertrauen hegt, mich zu der Führerin.
Sie aber, gleich der Mutter, welche schleunig
Durch ihre Stimme, die ihm neuen Mut gibt,
Dem Kinde hilft, das atemlos und bleich ist,
Sie sprach zu mir: Vergißt du, daß im Himmel
Du bist, und daß in ihm nur Heil'ges sein kann?
Was hier geschieht, kommt nur von gutem Eifer.
Hat jener Schrei schon dich so sehr erschüttert,
So denke selber, wie dich der Gesang
Und wie mein Lächeln umgewandelt hätten.
Wenn du die Bitten, die in jenem lagen,
Verstanden hättest, kenntest du die Rache
Bereits, die noch bevor du stirbst, du sehn wirst.
Das Schwert des Himmels schneidet weder langsam,
Noch schneidet's eilig; nur erscheinet's dem so,[372]
Der es erwartet, hoffend oder fürchtend.
Nun aber wende zu den andren dich;
Noch viel erlauchte Geister wirst du sehn,
Läßt meinen Worten du die Blicke folgen. –
Wie sie geboten, richtet' ich die Augen
Und sah wohl hundert Sphären, die einander
Durch ihre Wechselstrahlen noch verschönten.
Ich war gleich einem, der des Wunsches Stachel
In sich zurückdrängt, und nicht wagt zu bitten,
Weil er besorgt, daß es zuviel erscheine.
Da trat die glänzendste und größte aller
Der Perlen aus den übrigen hervor,
Freiwillig meinem Wunsche zu genügen.
Aus ihrem Inn'ren hört ich: Sähest du
Gleich mir die Liebe, welche in uns glühet,
So gäb'st du Ausdruck dem, was dir im Sinn liegt.
Doch, damit wartend du dein hohes Ziel
Nicht aufschiebst, will ich dir auf den Gedanken,
Den du zu sagen scheust, die Antwort geben.
Der Berg, an dessen Hang Casino liegt,
War einst auf seinem Gipfel viel besucht
Von schlechtgesinnten und betörten Leuten.
Ich bin es, der zuerst auf jenen Berg
Den Namen dessen trug, der uns die Wahrheit
Zur Erde brachte, die uns nun so hoch hebt.
Und mich erleuchtete so reiche Gnade,
Daß ich vom schnöden Gottesdienst ringsum
Die Orte abzog, der die Welt verführte.
Beschaulich war das Leben all der Feuer
Die du hier siehst; sie brannten in der Liebe;
Die heil'ge Blüten wachsen macht und Früchte.
Hier sind Macarius und Romuald,
Hier meine Brüder, deren Füß' im Kloster
Verweilten, während fest zugleich das Herz blieb. –
Und ich zu ihm: Die Neigung, welche redend
Du mir beweisest und der güt'ge Ausdruck,[373]
Der sich mir zeigt in jeder eurer Flammen,
Hat, wie die Sonne mit der Rose tut,
Wenn dies' in ihrem Strahl sich soweit auftut
Als sie vermag, erweitert mein Vertrauen.
Drum bitt' ich dich, und, Vater, du belehre
Mich, ob ich soviel Gnade finden kann,
Daß ich dich seh' im unverhüllten Bilde? –
Drauf er: Es wird dein hoher Wunsch, o Bruder,
Erfüllung finden in der letzten Sphäre,
Wo alle sich erfüllen und auch meiner.
Dort ist vollkommen, reif und schon gewährt
Ein jeder Wunsch; in ihr ist jeder Teil
Am selben Orte, wo er stets gewesen.
Dort ist kein Raum und dort sind keine Pole,
Und unsre Leiter steiget dort hinauf;
Deshalb entzieht sie so sich deinem Blicke.
Jacob der Patriarch sah sie bis dorthin
Hinauferstrecken ihren obren Teil,
Als ihm so voller Engel sie erschien.
Jetzt aber hebt, um sie hinanzuklimmen,
Niemand den Fuß vom Boden; meine Regel
Ist nur geblieben zur Papierverschwendung.
Es sind die Mauern, die einst Klöster waren,
Nun Räuberhöhlen, und der Mönche Kutten
Sind Säcke nun voll von verdorbnem Mehle.
Doch wucherliche Zinsen nimmt man nicht
So wider Gottes Willen, als die Frucht,
Durch die das Herz der Mönche so betört wird.
Denn denen, die um Gotteswillen bitten,
Gehört was nur die Kirche inne hat,
Nicht Vettern, oder schlimmerem Gezüchte.
Das Fleisch der Menschen ist so leicht verführbar,
Daß guter Anbeginn bei euch nicht ausreicht
Vom Keim der Eiche bis die Eichel reif wird.
Petrus begann mit Golde nicht und Silber,
Und ich mit Fasten nur und mit Gebeten,[374]
In Demut gründete sein Kloster Franz.
Wenn eines jeden Ursprung du betrachtest
Und dann erwägst, wohin sie nun gelangt sind,
So siehst du wohl, daß dunkel ward, was weiß war.
Zurückgewandt hat wahrlich sich der Jordan;
Doch wunderbarer war, als Gott es wollte,
Des Meeres Fliehn, wie hier die Hilfe wäre. –
So sprach er, und dann wandt' er sich zurücke
Zu seiner Schar; die aber schloß sich enger,
Und fuhr empor gleich einem Wirbelwinde.
Die süße Herrin trieb mit einem Winke
Mich leiteran und ihnen nach; so ward
Durch ihre Kraft besiegt mein eignes Wesen.
Nie war hinieden, wo man auf- und absteigt
Nach Ordnung der Natur, so schleunige
Bewegung, daß sie meinem Fluge gliche.
So wahr ich zum gesegneten Triumphe
Zu kehren hoffe, Leser, dessenthalb ich
Ob meiner Sünden oft die Brust mir schlage,
Du zögst nicht schneller aus dem Feu'r den Finger,
Den du hineingetan, zurück, als ich
Das Zeichen, das dem Stier folgt, sah und drin war.
Glorreiche Sterne, Licht an Kräften schwanger
Dem ich verdanke, was ich an Begabung
Empfangen, sei es wenig oder mehr,
Mit euch erhob sich, mit euch ging zur Rüste
Das Licht, das alles Erdenlebens Quell ist,
Als ich zuerst Toskanerluft geatmet;
Und als mir dann gespendet ward die Gnade,
In's hohe Rad, das euch bewegt, zu treten,
Ward mir beschieden euer Himmelszeichen.
Zu euch seufzt eherbietig meine Seele,
Um Kraft zu finden für das hohe Wagnis,
Von dem in Anspruch sie genommen wird!
Du bist so nahe schon dem letzten Heile,
So hub Beatrix an, daß deine Augen[375]
Der Klarheit nun bedürfen, wie der Schärfe.
Drum, eh' du weiter dich darein vertiefest,
Schau niederwärts und sieh, welch ein Stück Welt
Bereits ich dir zu Füßen liegen machte,
Damit dein Herz so freudig als es kann
Der Schar der Triumphierenden sich zeige,
Die froh daherkommt durch das Ätherrund.
Zurück durch all die sieben Sphären kehrt' ich
Mit meinem Blick, und diese Kugel sah ich
So klein, daß lächeln mich ihr Anblick machte.
Drum halt' ich für den besten den Entschluß, der
Sie am geringsten achtet; wahrhaft redlich
Ist der zu nennen, der auf andres denkt.
Latona's Tochter sah ich von dem Schatten
Befreit, der einstens Anlaß mir gegeben
An Lockeres und Dichteres zu denken.
Den Anblick, Hyperion, deines Sohnes
Ertrug ich hier, und wie um ihn und nah' ihm
Sich Maja und Dione drehten, sah ich.
Alsdann erschien mir zwischen Sohn und Vater
Des Jupiter gemäßigt Licht, und klar
Ward mir der stete Wechsel ihrer Stellung.
Und alle sieben ließen mich erkennen,
Wie groß sie sind, wie schnell sie sich bewegen,
Und wie ihr Abstand wohl bemessen ist.
Und jenen Ball, den Schauplatz unsres Wütens,
Sah, während mit dem ew'gen Zwillingspaare
Ich kreiste, vom Gebirg' ich bis zum Strande;
Dann wandt' ich zu den schönen meine Augen.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro