Achtundzwanzigster Gesang

[117] Wer könnte, selbst in ungebundner Rede

Bei öfterem Erzählen, all' das Blut

Und all' die Wunden, die ich jetzt sah, schildern?

Jedwede Zunge würde daran scheitern,

Sowohl der Sprach, als der Erinnrung wegen,

Die, soviel zu umfassen, nicht genügen.

Und sähe man auch all' das Volk beisammen,

Das einstmals auf dem schicksalsschwangren Boden

Apuliens sein vergoßnes Blut beklagte

In dem Trojanerkrieg' und jenem langen,

Wo die Karthager soviel Ring' erbeutet,[117]

Als Livius, welcher nimmer irrt, berichtet,

Das Volk auch, das durch Wunden Schmerz erlitten,

Weil es dem Robert Guiscard widerstand,

Und das auch, dessen Knochen man noch aufliest

Bei Ceperano, wo zum Lügner jeder

Pugliese ward, und dort bei Tagliacozzo

Wo waffenlos Alard, der alte, siegte,

Und zeigte dieser dann zerfetzte Glieder,

Und der verstümmelte; nicht zu vergleichen

Wär's doch der achten Bolgia grausem Inhalt.

Kein Faß, verliert es Dauben oder Boden,

Wird so zerfetzt, als wie ich einen sah,

Gespalten von dem Kinn bis zu dem After.

Es hingen ihm die Eingeweide zwischen

Den Beinen; Herz und Leber gleich dem Sacke

Der was man schlingt in Kot verwandelt sah man.

Noch heftete auf ihn ich meine Blicke,

Da riß, mich anschauend, er die Brust sich auf

Und sagte: Sieh hierher, wie ich zerberste;

Also verstümmelt siehst du Mahomet.

Alì geht vor mir her und weinet laut,

Gespalten im Gesicht vom Kinn zum Wirbel.

Und all' die andren, die du hier gewahrest,

Sie sä'ten lebend Zwietracht aus und Spaltung,

Drum sind sie hier, so wie du siehst gespalten.

So richtet uns ein Teufel zu, dort hinten,

Der jeden, der vorbeikommt nach der Reihe

Die Schneide seines Schwertes fühlen läßt,

So oft den Weg der Schmerzen er beendet;

Denn zugeheilt sind jedesmal die Wunden,

Eh' wir im Kreise wieder zu ihm kommen.

Doch du, wer bist du, der dort oben lungert,

Wohl um die Strafe später anzutreten,

Die dir auf dein Geständnis zuerkannt ward? –

Noch griff der Tod ihn nicht, auch treibt ihn Schuld nicht

Die Qual zu leiden, sagte drauf mein Meister.[118]

Nur um wahrhafte Kunde ihm zu geben,

Muß ich, der tot ich bin, ihn durch die Hölle

Von einem Kreise zu dem andren führen.

Dies ist, so wahr ich mit dir rede, wahr. –

Wohl mehr als hundert hemmten, als sie's hörten,

Im Graben ihren Schritt, mich zu betrachten,

So staunend, daß der Strafe sie vergaßen.

Der du vielleicht bald wiedersiehst die Sonne,

Ermahne Fra Dolcin, daß, will er anders

Nicht bald hierher mir folgen, er mit Vorrat

Sich wohl verseh', damit der Schnee ihn nicht

Bedräng' und Sieg dem Novaresen leihe.

Wie anders ihn zu zwingen möchte schwer sein. –

Als einen Fuß zum Geh'n er schon erhoben,

Sprach diese Worte Mahomet zu mir;

Dann setzt' er, weitergehend, ihn zu Boden.

Ein andrer, dem durchbohrt die Kehle war

Und weggestutzt bis zu den Brau'n die Nase,

Der auch am Kopf ein einzig' Ohr nur hatte,

War staunend mit den andren stehngeblieben;

Doch öffnet vor den andren er den Schlund,

Der außen blutig war nach jeder Seite.

Dann sagt' er: Du den nicht die Schuld verdammt

Und den ich im Latinerland schon sah,

Täuscht anders große Ähnlichkeit mich nicht,

Erinn're dich an Pier von Medicina,

Siehst du die schöne Fläche jemals wieder,

Die sich bis Marcabò senkt von Vercelli,

Und laß die besten zwei von Fano wissen

Den Messer Guido wie den Angiolello,

Daß wenn nicht, was man hier vorhersieht, täuschet,

Sie der Verrat des schnödesten Tyrannen

In's Meer aus ihrem Schiffe werfen wird

Und säcken nächst Cattolica's Gestade.

Es sah Neptun, von Cypern bis Majorca,

Seeräuber und argolisches Gesindel[119]

So große Missetat niemals begehn.

Es wird sie der einäugige Verräter,

Der jenen Ort, den nie gesehn zu haben

Der eine meiner Nachbar'n wünscht, beherrschet,

Zu sich entbieten, um Gespräch zu halten;

Dann aber so tun, daß sie kein Gelübde

Zum Schutze vor Focara's Wind mehr brauchen. –

Drauf ich zu ihm: Erläutre mir und sage,

Soll ich nach oben Botschaft von dir bringen,

Wem, wie du sagst, der Anblick bittre Frucht trug? –

Da legte er die Hand an des ihm Nächsten

Kinnlade, riß den Mund ihm auf und schrie:

Der ist es; doch verlernt hat er das Reden.

Verbannt, ertötet' er in Cäsars Herzen

Den Zweifel, als er sagte, dem Bereiten

Gereichte Säumen immerdar zum Nachteil. –

Wie so verstört schien mir, mit bis zum Schlunde

Ihm ausgeschnittner Zunge, jener Curio,

Der einst zum Reden überkühn gewesen!

Und einer, welchem abgehackt, so diese

Als jene Hand war, hob empor die Stummeln,

So daß sein Angesicht das Blut beschmutzte:

Erinn're dich, so rief er, auch des Mosca,

Der leider sagte: »nach der Tat kommt Rat«,

Was Unheilsamen ward dem Volk der Tusker. –

Und deines Hauses Tod! – also ergänzt' ich;

Worauf, zum Schmerze neue Schmerzen häufend,

Gleich dem er hinging, den der Gram verwirrt.

Ich aber blieb, die Schar mir zu betrachten,

Und fürchten würd' ich, was ich sah, zu sagen,

Hätt' ich kein andres Zeugnis als mein Wort.

Doch Zuversicht verleiht mir mein Gewissen,

Der wackere Gesell, der unverzagt macht

Den, dessen Harnisch ist, sich rein zu wissen.

Gewiß, ich sah, und noch zu sehen dünkt mich's,

Gleichwie die andren jener Herde gingen,[120]

Des Haupt's ermangelnd einen Rumpf einhergehn.

Den abgeschlagnen Kopf hielt an den Haaren

Er hängend in der Hand, gleich einer Lampe.

Der aber schaut' uns an und sagte: Wehe! –

Sich selber braucht' er, um sich zu beleuchten;

In einem waren's zwei, in zweien einer.

Wie das geschah, weiß nur, wer's so verordnet.

Als senkrecht er am Fuß der Brücke stand,

Hoch hob empor den Arm er mit dem Haupte,

Um seine Worte näher uns zu bringen.

Sie lauteten: Der atmend du die Toten

Im Gehn beschaust, sieh meine grause Strafe

Und sag', ob eine wohl so groß als diese?

Damit der Welt du Kunde von mir bringest,

So wisse, daß ich Bertram bin von Bornio,

Der schlimmen Rat erteilt Johann dem König.

Den Sohn verfeindet' ich mit seinem Vater;

Ahitophel tat Absalom nicht ärger,

Als wider David er ihn böslich hetzte.

Und weil zwei so Verbundne ich getrennet,

Trag' ich zur Qual getrennet mein Gehirn

Von seinem Ursprung, der in diesem Rumpf ist.

Also wird mir, wie ich getan, vergolten. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 117-121.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Traumnovelle

Traumnovelle

Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon