|
[76] Ein Ort der Hölle heißet Malebolge
Und, gleich der Felswand die ihn rings umschließet,
Ist er durchaus von Stein und eisenfarbig.
In dieses argen Feldes Mittelpunkte
Tut sich ein Brunnen auf, der weit und tief ist
Und dessen Weis' ich seinerzeit berichte.
Rund ist sonach der Raum, der frei bleibt, zwischen
Dem Brunnen und dem Fuß des Felsenufers,
Und in zehn Täler ist geteilt sein Boden.
Wie die Gestalt ist, die, wo zur Verteid'gung
Rings um die Mauern einer Burg viel Gräben
Gezogen sind, die Bodenfläche bietet,
So war das Bild, das jene Gräben zeigten.
Und so wie von den Toren solcher Burgen
Zum äußren Ufer kleine Brücklein ausgehn,
So gingen von dem untren Teil der Wand
Felsstücke aus, die bis hinab zum Brunnen
Die Dämm' und Gräben schnitten und verbanden.
Da war es, wo vom Rücken Geryon's
Wir abgesetzt uns fanden, und es wandte
Der Dichter, dem ich folgte, sich zur Linken;
Zur Rechten aber sah ich neuen Jammer
Sah neue Qualen, neue Peiniger,
Die dieser ersten Bolgia Raum erfüllten.
Nackt waren in des Tales Grund die Sünder;
Diesseits der Mitte kamen sie auf uns zu,
Doch jenseits gingen sie mit uns, nur schneller:
So wie die Römer, ob der großen Menge,
Im Jubiläumsjahr der Übergang
Der Brücke für die Pilgerschar geregelt,
Daß sie zur einen Seite, nach der Burg
Die Stirne kehrend, gen Sankt Peter gehn,
Und auf der andren sich zum Berge wenden.[77]
Diesseits und jenseits in der dunklen Felskluft
Sah' ich gehörnte Teufel, die von hinten
Mit großen Geißeln jene Sünder schlugen.
Wie hoben die schon von den ersten Hieben
Die Hacken in die Höhe, und nicht einer
Erwartete die zweiten und die dritten!
Als ich so ging, da trafen meine Augen
Auf einen Schatten, und ich rief sofort:
Nicht fremd sind diese Züge meinen Blicken. –
Ihn zu erkennen, hemmt' ich meine Schritte,
Der süße Führer aber tat das gleiche
Und ließ auch zu, daß ich zurück mich wandte.
Sich zu verbergen suchte der Gepeitschte
Und senkte drum das Haupt, indes vergebens;
Weshalb ich ausrief: Der du blickst zur Erde,
Sind täuschend nicht die Züge, die du trägst,
Bist du Venedico Caccianimico.
Was aber führt dich in so arge Schluchten? –
Drauf er zu mir: Ungerne nur bekenn' ich's;
Doch deine klare Rede nötigt mich,
Die mich erinnert an die alte Welt.
Ich war es, der die schöne Ghisola
Bewogen, sich dem Markgraf preiszugeben,
Wie anders auch die schnöde Mähr berichte.
Auch wein' ich nicht als einz'ger Bolognese
An diesem Ort; nein, ihrer sind so viele,
Daß zwischen Sávena und Reno heute
Nicht so viel Zungen sind, die Sipa sagen.
Begehrst dafür du Zeugnis oder Bürgschaft,
So denke nur an unsre geiz'gen Herzen. –
Noch sprach er also, da versetzt' ein Teufel
Ihm einen Geißelhieb und sagte: Pack dich,
Du Kuppler, feile Dirnen gibt's hier nicht. –
Zu meinem Führer kehrt' ich nun zurück,
Und dorthin kamen wir nach wenig Schritten,
Wo von dem Ufer sich ein Felsblock löste.[78]
Mit kleiner Mühe stiegen wir hinauf,
Und rechts gewandt auf seinem rauhen Rücken
Verließen wir die ew'gen Mauerkreise.
Als wir gelangten, wo der Fels nach unten
Zum Durchgang der Gepeitschten offnen Raum läßt,
Begann mein Führer: Weil und laß dein Auge
Jetzt dieser andren Sünder Antlitz treffen;
Noch sahst du, weil bisher in gleicher Richtung
Mit uns sie gingen, nicht in ihr Gesicht. –
Und von der alten Brücke Rand beschauten
Die Schar wir, die uns dort entgegenkam
Und von der Geißel ebenfalls gejagt ward.
Und ungefragt begann der gute Meister:
Sieh' jenen Großen, der uns zugewendet,
Was er auch leide, keine Träne weinet.
Wie ist so königlich noch seine Haltung!
Jason ist es, durch dessen Mut und Schlauheit
Das goldne Vließ den Kolchiern geraubt ward.
Es hatten, als auf Lemnos er ans Land stieg,
Die kühnen und erbarmungslosen Weiber
Was auf der Insel männlich war getötet.
Durch Schmeicheln wußt' er und gewandte Rede
Hypsipyle, die junge, zu betrügen,
Die vorher all die andren Frau'n betrogen;
Dann ließ er schwanger einsam sie zurück.
Ob dieser Schuld erfährt er diese Strafe,
Doch wird zugleich Medea mitgerächt.
Wer so betrogen, geht in gleicher Richtung;
Und dies genüge dir vom ersten Tale
Zu wissen und von denen, die es einschließt. –
Schon waren dort wir wo der enge Pfad,
Den zweiten Damm erreichend, Widerlage
Für einen andren Brückenbogen bildet.
Von dort aus hörten in der zweiten Bolgia
Wir Leute ächzen, prustend mit der Schnauze,
Und mit der flachen Hand sich selber schlagen.[79]
Ein Schimmel überkleidete die Ufer,
Der sich gebildet von dem Qualm des Grundes
Und widrig war dem Auge wie der Nase.
So dunkel war das Tal, daß auf den Boden
Zu sehn, nur dem gelang, der auf die Höhe
Des Bogens stieg, wo senkrecht man hinabblickt.
Dorthin gelangten wir, und in der Tiefe
Gewahrt' ich Volk, ganz eingetaucht in Kot,
Der herzurühren schien aus Abtrittsgruben.
Und während noch mein Aug' dort unten spähte,
Erblickt ich einen, so beschmutzten Hauptes,
Daß ich nicht sah', ob Lai' er oder geistlich.
Der schrie mich an: Was bist du so begierig,
Vor all den andern nur auf mich zu blicken? –
Und ich zu ihm: Weil, wenn ich mich nicht täusche,
Ich dich mit trocknem Haar schon sah, und du
Alessio bist Interminei aus Lucca;
Drum richtet sich mein Aug auf dich vor allen. –
Da schlug er auf den Schädel sich und sagte,
Die Schmeichelreden tauchten mich hier ein,
Von denen nimmer meine Zunge abließ. –
Mein Führer sagte drauf: Laß deine Blicke
Noch etwas weiter gehn, damit dein Auge
Das Angesicht der Dirne wohl erfasse,
Die dort voll Schmutzes und mit kahlem Kopfe
Sich eifrig kratzt mit ihren kotgen Nägeln,
Und bald sich niederduckt, bald aufrecht steht.
Das ist die Hure Thais, die dem Buhlen
Als er sie frug: Steh ich in großer Gunst
Bei dir? erwiderte: In wunderbarer.
Genügen möge dieses unsren Blicken. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Der Erzähler findet das Tagebuch seines Urgroßvaters, der sich als Arzt im böhmischen Hinterland niedergelassen hatte und nach einem gescheiterten Selbstmordversuch begann, dieses Tagebuch zu schreiben. Stifter arbeitete gut zwei Jahrzehnte an dieser Erzählung, die er sein »Lieblingskind« nannte.
156 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro