Dreißigster Gesang

[125] Zur Zeit, wo Juno wegen Semele's

So sehr dem Blute der Thebaner zürnte,

Als sie zu manchen Malen es betätigt,

Ward Athamas von Wahnsinn so befallen,

Daß, als an jeder Hand mit einem Kinde

Beladen, er die Gattin sah, er rief:

Die Netze stellet auf, daß ich beim Wechsel

Die Löwin und die jungen Löwen fange.

Dann streckt er aus die unbarmherz'gen Krallen,

Ergriff den einen, der Learchus hieß,[125]

Und sein Gehirn zerschmettert' er am Felsen;

Sie aber mit dem andren sprang in's Meer.

Und als das Schicksal der Trojaner Hoheit,

Die alles unternahm, zum Sinken brachte,

So daß zugrunde gingen Reich und König,

Stieß Hekuba, gefangen und im Elend,

Als tot Polyxena ihr lag zu Füßen,

Und auf dem Meeresstrande sie voll Schmerzen

Den Leichnam ihres Polydor gewahrte,

In ihrem Wahnsinn hündisches Gebell aus;

Also verkehrte ihren Geist der Schmerz.

Doch Troja's oder Thebens Furien hetzten

Niemanden je, um Tiere so zu quälen,

Geschweige denn die Glieder eines Menschen,

Als ich zwei Schatten tun sah bleich und nackend,

Die andre beißend hin und wieder liefen,

Wie Schweine tun, entläßt man sie dem Koben.

Es stürzte sich der eine auf Capocchio;

Packt in's Genicke ihn und schleift' ihn also,

Daß ihm den Bauch der harte Boden kratzte.

Der Arctiner, der zurückblieb, bebte

Und sprach: Der Poltergeist ist Gianni Schicchi;

In seiner Wut zerfleischt er wen er antrifft. –

O, sagt' ich, soll der andre seine Zähne

In dein Genick nicht schlagen, so gewähre,

Eh' er enteilt, mir, wer er ist, zu künden. –

Und er zu mir: Das ist die Seele Myrrha's,

Der alten Frevlerin, die ihren Vater

In andrer als der rechten Lieb' umarmte.

Auf das mit ihm, zu sünd'gen ihr gelinge,

Verfälschte also sie in fremde Form sich,

Wie um »der Koppel Königin« zu haben,

Der andre, der dort hineilt, unternahm

Buoso Donati fälschend vorzustellen

Und so für ihn letztwillig zu verfügen. –

Als die zwei Rasenden vorüber waren,[126]

Die bis dahin mein Auge festgehalten,

Wandt' ich's um andre Sünder zu betrachten.

Geformt gleich einer Laute war der eine,

Wenn nur, von da an wo der Mensch sich gabelt,

Des Körpers untrer Teil gemangelt hätte.

Die Wassersucht, die, weil die Säfte krankhaft

Sie wandelt, so das Ebenmaß der Glieder

Zerstört, daß Kopf und Leib sich nicht entsprechen,

Riß, wie dem Lungenkranken, ihm die Lippen

So voneinander, daß des Durstes wegen

Zum Kinn sich eine kehrt', die andre aufwärts.

Die ihr, ich ahne nicht aus welchem Grunde,

Von Strafe frei seid in der Welt des Jammers,

Seht her und merket auf das bittre Elend

Des Meister Adam, – so sprach er zu uns.

Was ich begehrte hatt' ich einst in Fülle;

Jetzt lechz' ich Ärmster um ein Tröpflein Wassers.

Die Bächlein, welche von den grünen Hügeln

Des Casentino hin zum Arno rinnen

Und ihre Ufer kühlen und befeuchten,

Stehn zu vermehrter Qual mir stets vor Augen;

Denn ärger dörrt ihr Bild mich, als die Krankheit,

Die meinem Angesicht das Fleisch entzieht.

Die streng mich geißelnde Gerechtigkeit

Entnimmt dem Ort, wo ich gesündigt, Mittel,

Um meiner Seufzer Hast noch zu vermehren.

Dort ist Romena, wo ich die Legierung,

Die mit des Täufers Bild geprägt wird, fälschte,

Weshalb verbrannt ich meinen Leib zurückließ.

Doch, säh' ich hier die schnöde Seele Guido's,

Die Alessandro's, oder die des Bruders,

Um Fontebranda gäb' ich nicht den Anblick.

Schon ist die ein' hier innen, wenn die Schatten,

Die wütend ringsum laufen, Wahrheit künden;

Doch nutzt mir's nicht, denn lahm sind meine Glieder.

Wär' ich nur noch so leicht, daß im Jahrhundert[127]

Ich einen einz'gen Zoll breit vorwärts käme,

So hätt' ich längst mich auf den Weg gemacht,

Ihn unter den Entstellten hier zu suchen,

Obwohl elf Miglien dieses Tales Umkreis

Und seine Breite reichlich eine halb' ist.

In dieser Sippe bin ich ihretwegen;

Auf ihr Verlangen prägt' ich jene Gulden,

Die drei Karat wohl an Legierung hatten. –

Drauf ich zu ihm: Wer sind die beiden Armen

Die hier zunächst an deiner Rechten liegen

Und dampfen wie benetzte Händ' im Winter? –

Hier fand ich sie, als ich in diese Schlucht

Geregnet, und nicht rührten sie seitdem sich,

Auch glaub' ich nicht, daß sie sich je mehr rühren.

Die ein' ist, die den Joseph falsch beschuldigt,

Der falsche Grieche Sinon ist der andre;

Des hitz'gen Fiebers Glut macht sie so qualmen. –

Der eine, der es übel wohl vermerkte,

Nicht ehrender genannt zu werden, schlug

Mit seiner Faust den harten Bauch Adamo's;

Der aber dröhnte drob gleich einer Trommel

Den Schlag erwidert' er ihm in's Gesicht

Mit seinem Arme, der nicht wen'ger hart schien,

Und sagte: Kann ich auch nicht von der Stelle,

Weil mir gelähmt die Glieder sind, so ist

Der Arm doch frei zu solcherlei Verrichtung. –

Die Antwort war: Als man zum Scheiterhaufen

Dich führte, war dein Arm nicht so behende;

Doch war er's ebenso und mehr beim Prägstock. –

Du sagst die Wahrheit, sprach der Wassersücht'ge,

Doch so wahrhaftig war dein Zeugnis nicht;

Als um die Wahrheit man dich frug bei Troja. –

Ich redete, du aber münztest Lügen,

Sprach Sinon; ich bin wegen einer Sünde,

Du wegen mehr hier unten als kein Teufel. –

Meineidiger, gedenke doch des Pferdes,[128]

Gab der mit dem geschwollenen Bauch zur Antwort;

Daß alle Welt es weiß, sei deine Strafe. –

Die deine sei der Durst, von dem die Zunge

Dir birst, sprach Sinon, und das faule Wasser,

Das dir den Bauch bis vor die Augen aufbläht. –

Dein Maul zerreißt sich, sagte drauf der Münzer,

Gewohnterweise nur zur eigenen Schande.

Quält mich der Durst und schwillt mein Leib vom Wasser,

So brennt dich Fieberglut und schmerzt dein Kopf dich,

Und, daß vom Spiegel des Narciß du lecktest,

Bedürft' es auch bei dir nicht langes Bitten. –

Ich dacht' an nichts, als nur auf sie zu hören,

Da sprach zu mir mein Meister: Sieh doch, siehe;

Es fehlt nicht viel daran, daß ich dich schelte. –

Als zürnend ich zu mir ihn reden hörte,

Blickt' ich ihn an mit solchem Schamgefühle,

Daß noch es mich ergreift, wenn ich dran denke.

Dem Manne gleich, der träumt, es treff' ihn Unheil

Und träumend wünschet, daß es nur ein Traum sei,

Und so, was ist, als wär' es nicht, ersehnet,

War mir zu Mut; doch reden konnt' ich nicht.

Entschuld'gen wollt' ich mich, und wie ich glaubte,

Ich tät es nicht, hatt' ich mich schon entschuldigt.

Es büßt geringre Scham wohl größren Fehler

Als deiner war, begann darauf mein Meister;

So wirf denn von dir jegliche Betrübnis,

Und führt der Zufall je dich wieder hin,

Wo Leute sich in solcher Weise zanken,

So denke stets, du habest mich zur Seite.

Denn niedren Sinn zeigt, wer auf solches aufmerkt. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 125-129.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon