|
[138] Vom grauenhaften Mahl erhob der Sünder
Den blut'gen Mund und wischt ihn an den Haaren
Des Schädels ab, den hinten er zerfleischt;
Dann sprach er: Du begehrst, daß ich erneue
Den wilden Schmerz, den mir schon in Gedanken
Das Herz abpreßt, noch eh' ich von ihm rede;
Doch, soll mein Wort zum Samenkorne werden,
Aus welchem Schande keimt für den Verräter,
Den ich benagt, so will ich weinend sprechen.
Ich weiß nicht wer du bist, noch welchen Weges
Hierher du kamst, doch hör' ich deine Rede,
So dünkst du wahrlich mir ein Florentiner.
So wisse denn, ich war Graf Ugolino
Und dieser ist der Erzbischof Ruggieri;
Warum ich solch ein Nachbar bin vernimm nun.
Daß ich infolge seiner schlauen Tücken
Gefangen ward, weil ich ihm Zutrau'n schenkte,
Und dann getötet, darf ich nicht erst sagen;
Allein was niemand dir berichten konnte,
Wie grausam meines Todes Art gewesen,
Das hör', und sprich dann ob mein Haß gerecht ist.
Schon hatte manchen Mond das schmale Lichtloch
Des Kerkers, der nach mir der Hungerturm heißt,
Und andre künftig noch einschließen wird,
Durch seine Öffnung mich erblicken lassen,
Als mir der Schlaf das böse Traumbild brachte,
Das von der Zukunft mir den Schleier riß.
Als Herrn und Meister sah ich diesen hier
So Wolf als Wölflein jagen auf dem Berge,[138]
Der die Pisaner nicht bis Lucca sehn läßt.
Es ritten vor ihm her mit einer Meute
Von magren Hündinnen, die gierig spürten,
Sismondi, nebst Gualandi und Lanfranchi.
Ermüden sah ich schon nach kurzem Laufe
Den Vater wie die Jungen; ihre Weichen
Sah ich der Rüden scharfen Zahn zerreißen.
Als ich erwacht war eh' der Morgen graute,
Hört' ich im Schlafe meine Kinder weinen,
Die mit mir waren, und nach Brot verlangen.
Hartherzig bist du, wenn du nicht schon mitfühlst,
Erwägst du was mein banges Herz nun ahnte;
Und, weinst du nicht, um was pflegst du zu weinen?
Auch sie erwachten, und die Stunde nahte,
Zu der man Nahrung uns zu reichen pflegte,
Und seines Traumes dachte jeder sorgend.
Vernageln hört' ich da den untren Ausgang
Des grauenvollen Turmes, und ich schaute
Sprachlos darum in meiner Kinder Antlitz.
Ich weinte nicht, so sehr erstarrt' ich innen;
Sie aber weinten und mein Anselmuccio
Rief aus: Du blickst so, Vater, sprich, was ist dir? –
Und dennoch weint ich nicht und gab nicht Antwort
Den ganzen Tag nicht und die Nacht die folgte,
Bis abermals der Welt die Sonne aufging.
Als etwas Licht bis in den Schmerzenskerker
Gedrungen war, und ich die eignen Züge
In vier Gesichtern abgespiegelt sah,
Biß ich vor Jammer mir die beiden Hände
Da richteten, im Wahne, daß, nach Speise
Verlangend, ich's getan, sie schnell sich auf
Und sagten: Vater, glaub', es schmerzt uns minder,
Wenn du von uns dich nährst; bekleidet hast du
Mit diesem armen Fleisch uns, nimm es wieder! –
Und ich bezwang mich, ihren Schmerz zu mildern;
Stumm blieben diesen Tag wir und den nächsten.[139]
Was tat'st du dich nicht auf, grausame Erde?
Als wir gelangt zum vierten Tage waren
Warf Gaddo sich mir ausgestreckt zu Füßen.
Und rief: Mein Vater, warum hilfst du nicht? –
So redend starb er, und, wie du mich siehst,
Sah ich vom fünften bis zum sechsten Tage
Die drei hinsinken, einen nach dem andren.
Schon blind, tappt' ich von Leiche dann zu Leiche
Und rief zwei Tage sie nach ihrem Tode,
Bis, was kein Schmerz vermocht, der Hunger tat. –
Als er geendet, faßt' er stieren Blickes
Den armen Schädel mit den Zähnen wieder,
Die, Hundeszähnen gleich, sich hart bewährten.
O Pisa, Schande du des Menschenstammes
Im schönen Lande, wo das sì ertönet!
Wenn deine Nachbarn dich zu strafen säumen,
So soll Caprara und Gorgona kommen,
Den Arno an der Mündung aufzustauen.
Um zu ersäufen, was in dir nur atmet.
Verklagte das Gerücht Graf Ugolino,
Daß an den Feind die Burgen er verraten,
So durftest du die Knaben doch nicht martern.
Von Schuld entband die Jugend, neues Theben,
Brigata, Uguccione und die beiden,
Die oben schon von meinem Lied genannt sind.
Wir gingen weiter dorthin, wo die Decke
Des Eises andre Schatten grausam einschnürt,
Nicht vorgebeugt, nein auf dem Rücken liegend.
Das Weinen selbst verhindert dort am Weinen;
Die Träne, die im Aug' ein Hemmnis findet,
Drängt sich zurück, die innre Angst zu mehren.
Zu einem Damm erstarr'n die ersten Tränen
Und füllen, gleich kristallenen Visieren,
Die ganze Höhlung unterhalb der Brauen. –
Obwohl auf meinem Angesicht die Kälte,
Als wäre schwielenhart die Haut geworden,[140]
Fast ganz ertötet die Empfindung hatte,
So glaubt' ich dennoch Windeswehn zu spüren,
Und sagte: Meister, was bewegt die Luft hier;
Ist nicht hier unten jeder Dunst erloschen? –
Drauf er zu mir: Bald wirst du dorthin kommen,
Wo hierauf Antwort dir dein Auge gibt,
Siehst es den Grund, von dem dies Wehen ausgeht. –
Ein Sünder aber aus der kalten Decke
Hub an: Ihr Seelen, die so schuldbeladen
Ihr seid, daß euch der letzte Platz zuteil wird,
Lös't von den Augen mir die harten Schleier
Damit der Schmerz, der mir das Herz drückt, etwas
Ausström', eh' wieder mir die Tränen frieren. –
Drauf ich zu ihm: Begehrst du meine Hilfe,
So sage, wer du bist, und tu' ich's dann nicht,
Mög' auf des Eises Grund ich steigen müssen. –
Da sagt' er: Frate Alberigo bin ich,
Der Früchte bot, gereift in bösem Garten;
Doch hier bezahlt für Feigen man mir Datteln. –
Wie, sagt' ich, bist du denn bereits gestorben? –
Und er zu mir: Wie's meinem Körper gehe
Dort oben in der Welt, kann ich nicht sagen;
Das ist das Vorrecht dieser Ptolemäa,
Daß oft die Seele schon in sie herabfällt,
Eh' Atropos zu scheiden ihr geheißen.
Und daß bereiter, die verglasten Tränen
Du sei'st vom Angesicht mir wegzunehmen,
So wisse, daß sobald, wie ich getan,
Verrat die Seele übt, von ihrem Leibe
Besitz ein Teufel nimmt, bis abgelaufen
Die ganze Zeit ist, die ihm zugemessen;
Sie aber stürzt hinab in diesen Brunnen.
Vielleicht erscheint dort oben noch der Körper
Des Schattens, der dort hinten eingewintert;
Du mußt es wissen, wenn du eben herkömmst.
Ser Branca d'Oria ist es, und schon Jahre[141]
Verstrichen, seit ihn so das Eis umschließet. –
Ich glaube, sagt' ich ihm, du willst mich täuschen;
Denn Branca d'Oria starb bisher mit nichten,
Der ißt und trinkt und schläft und geht in Kleidern. –
Dort oben in dem Tal der Malebranche,
Wo stets im Sieden bleibt das zähe Pech,
War Michel Zanche noch nicht eingetroffen,
Als dieser schon, statt seiner, einen Teufel
In seinem Leibe ließ und des Verwandten,
Der zum Verrate sich mit ihm verbunden.
Doch strecke zu mir nieder nun die Hand aus
Und öffne mir die Augen! – Doch ich tat's nicht,
Und hart mit ihm zu sein, war Schuldigkeit.
O Genuesen, Volk das abgewendet
Von aller Sitte ist und voller Tücke,
Warum seid aus der Welt ihr nicht verstoßen!
Denn mit dem schlimmsten Schatten aus Romagna
Fand ich der euren einen, dessen Sünden
Die Seele dort schon im Cocytus büßet,
Obwohl der Leib hier oben scheint zu leben.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Am Hofe des kaiserlichen Brüder Caracalla und Geta dient der angesehene Jurist Papinian als Reichshofmeister. Im Streit um die Macht tötet ein Bruder den anderen und verlangt von Papinian die Rechtfertigung seines Mordes, doch dieser beugt weder das Recht noch sich selbst und stirbt schließlich den Märtyrertod.
110 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro