[49] An eines hohen Ufers letztem Rande,
Gelangten wir zu schlimmerem Gedränge.
Den Felsen, die im Kreis gebrochen, bilden,
Wir aber zogen vor dem Übermaße
Des schrecklichen Gestankes, der vom Abgrund
Emporqualmt, hinter eines hohen Grabes
Steindecke uns zurück, auf der ich las
Die Inschrift: Anastas, den Papst bewahr' ich,
Den ab vom rechten Wege zog Photin. –
Nur zögernd wollen wir jetzt niedersteigen,
Daß etwas sich zuvor der Sinn gewöhne[49]
An den Gestank und er nachher nicht hindre. –
So sprach der Meister, und ich sagt': Ersinne
Was uns die Zeit, die wir hier weilen, ausfüllt. –
Er aber: Du wirst sehn, daß ich's bedachte.
Mein Sohn, im Innern dieses Felsgeklüftes,
Begann er, sind drei Kreislein, die gleich denen,
Die du verläßt, sich stufenweise folgen.
Von fluchbeladenen Geistern sind sie alle
Erfüllt, und daß dir bloßes Sehn genüge,
Vernimm, wie und warum sie eingepfercht sind.
Jedweder Bosheit Ziel, die Haß im Himmel
Erwirbt, ist Unrecht, und zu diesem Ziele
Gelangt durch Trug sie oder durch Gewalt.
Doch weil Betrug dem Menschen eigne Sünd' ist,
Mißfällt er Gott mehr, darum weilen tiefer
Und leiden größre Qualen die Betrüger.
Im ersten Kreis sind, die Gewalttat übten;
Doch weil Gewalt sich gegen drei läßt richten,
Ist weiter eingeteilt er in drei Ringe.
Man kann sich selbst, dem Nächsten, oder Gott
Gewalt antun, so ihnen als dem Ihren,
Wie du noch hören und begreifen wirst.
Durch Mord und arge Wunden tut dem Nächsten
Gewalt man an, und dem was ihm gehöret
Durch Raub und Brand und bösliche Zerstörung.
Drum quält der erste Ring, mehrfach gegliedert,
Totschläger und die freventlich mißhandeln,
Mordbrenner, Räuber und Landschädiger.
Gewalttat übt an sich und an dem Gute
Das er besitzt der Mensch. Im zweiten Ring
Ist denen drum fruchtlose Reu beschieden,
Die sich des Sein's in eurer Welt berauben,
Die ihr Vermögen mutwillig vergeuden,
Und die, statt froh zu sein, trübsinnig weinen.
Es richtet gegen Gott, der die Gewalt,
Der ihn im Herzen leugnet oder lästert,[50]
Und die Natur und was sie schenkt verachtet.
Darum beschließt der engste der drei Ringe
Mit seinem Siegel Sodom sowie Cahors
Und die böswillig Gott verachtend reden.
Trug, welchen jegliches Gewissen anklagt,
Kann gegen den man üben, der uns trauet,
Und gegen den, der kein Vertraun beherbergt.
Die letztgenannte Weise tötet nur
Das Liebesband, das die Natur geschaffen;
Drum nisten in dem zweiten dieser Kreise
Die Kuppler, Schmeichler und die Amtsverkäufer,
Die Fälscher, die Bestechlichen und Heuchler
Nebst Dieben und mehr ähnlichem Gezüchte.
Die andre Art verletzet mit der Liebe,
Die von Natur ist, die hinzugekommne,
Auf die sich das besondre Zutraun gründet.
Darum verzehrt im engsten Kreise, wo
Des Weltalls Punkt ist, auf dem Dis beruht,
Sich wer verraten hat in Ewigkeit. –
Drauf sprach ich, Meister, deine Rede schreitet
Zwar deutlich vor und unterscheidet gut
Den Schlund hier und das Volk, das ihn bewohnet.
Doch sage mir, die von dem fetten Sumpfe,
Die, die der Wind treibt, und der Regen geißelt,
Und die mit herbem Scheltwort sich begegnen,
Wenn unter Gottes Zorn sie stehn, warum
Sind in der roten Stadt sie nicht gestrafet?
Und tun sie's nicht, warum sind sie gepeinigt? –
Und er entgegnete: Was irrt so ferne
Dein Geist von dem ab, was er sonst zu sein pflegt,
Falls dein Gedanke nicht wo anders hinschaut?
Gedenkst du nicht der Worte deiner Ethik,
Mit denen sie die dreierlei Gesinnung
Behandelt, die zuwider Gottes Willen:
Maßlosigkeit und Bosheit und die wilde
Vertiertheit, und wie von den drei'n die erste[51]
Gott minder kränkt und weniger bestraft wird?
Betrachtest du gehörig diesen Grundsatz,
Erinnerst du dich auch, wer jene sind,
Die außerhalb der Stadt dort Strafe leiden,
So siehst du ein, warum von diesen Argen
Getrennt sie sind, warum mit mindrem Zorne
Die göttliche Gerechtigkeit sie geißelt. –
O Sonne, die umtrübten Blick du heilest,
So sehr erfreuet stets mich deine Lösung,
Daß Wissen mir nicht lieber ist als Zweifeln.
Ich bitte, sprach ich, wende die Gedanken
Zurück und lehre mich, warum der Wucher
Die Güte Gottes, wie du sagst, verletzet? –
Philosophie belehret den, der aufmerkt,
So sagt' er drauf, an mehr als einer Stelle,
Daß die Natur die Bahnen, die sie einschlägt,
Aus Gottes Geist entnimmt und seiner Kunst.
Erwägst du dann das Buch von der Physik,
So findest du nach nicht gar vielen Blättern,
Daß eure Kunst, soweit sie kann, der letzten
So wie der Schüler seinem Meister, nachfolgt
Und sozusagen Gottes Enklin ist.
Aus diesen beiden, wie die Genesis
Dir bald im Anfang sagt, soll Unterhalt
Die Menschheit nehmen und sich vorwärts helfen.
Weil nun der Wuchrer andre Bahnen einschlägt,
Verachtet er in sich und ihrer Tochter
Natur; denn andershin zielt seine Hoffnung.
Nun aber komm, weil mir beliebt zu gehen.
Die Fische blinken schon am Horizonte
Und gen Nordwest senkt sich der ganze Wagen;
Der Absturz aber fällt dort jenseits ab. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.
226 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro