Fünfzehnter Gesang

[65] So trägt uns nun der eine jener Dämme,

Und so erstickend wirkt des Wassers Broden,

Daß vor der Glut er Bach und Ränder schützet.

Sowie die Flämen zwischen Brügg' und Kadsand,

Geängstet von der Flut, die auf sie anstürmt,

Schutzwehren baun, das Meer sich fernzuhalten,

Und wie die Padovaner längs der Brenta,

Eh' Chiarentana Sommerglut empfindet,

Vor Schlössern und vor Gärten Deich' errichten,

Also gebildet waren jene Dämme;

Nur daß ihr Meister, wer er immer sei,

In minderer Höh' und Stärke sie geschaffen.

Schon waren wir so weit entfernt vom Walde,

Daß, hätt' ich auch zurücke mich gewendet,

Ich nicht erspäht mehr seine Stelle hätte,

Als wir auf eine Schar von Seelen trafen,

Die längs des Dammes uns entgegen kamen,

Und deren jed' uns ansah, wie beim Neumond

Sich abends zwei Begegnende beschaun.

So hefteten auf uns sie ihre Blicke,

Wie auf das Nadelöhr ein greiser Schneider.

Als mich in solcher Art die Schar betrachtet,[65]

Erkannte mich der ein', und an dem Saume

Des Kleid's mich fassend, rief er: Welch ein Wunder! –

Und während nach mir hin den Arm er streckte,

Wandt' ich mein Aug' auf die verbrannten Züge,

So daß der Glut Entstellung meinen Sinn

Nicht mehr verhinderte, ihn zu erkennen.

Die Hand darauf zu seinem Antlitz neigend,

Sagt ich: O Herr Brunetto, seid ihr hier? –

Er aber sprach zu mir: Mein Sohn gestatte,

Daß während die Gefährten weiter eilen,

Bruno Latini etwas mit dir umkehrt. –

Ich sprach: So viel ich kann, bitt' ich euch drum,

Und, wollt' ihr's, will ich auch mich zu euch setzen,

Wenn dieser mir's erlaubt, denn mit ihm geh' ich. –

Mein Sohn, sagt' er, wer sich von dieser Herde

Nur irgendwie verweilt, bleibt unbewegt

Dann hundert Jahr, ob auch das Feu'r ihn peitsche.

Geh' weiter denn; ich bleibe dir zur Seite

Und hole später die Gefährten ein,

Die um ihr Elend, das nie endet, weinen. –

Ich wagte nicht, den Damm hinabzusteigen

Um neben ihm zu gehn. Gesenkten Hauptes

Schritt ich darum, wie wer in Ehrfurcht wandelt.

Drauf hub er an: Ist's Zufall oder Schickung,

Was vor dem letzten Tag dich hier herabführt?

Und wer ist jener, der den Weg dir weiset? –

Dort oben, sagt' ich, in dem lichten Leben

Verirrt' ich mich in einem wald'gen Tale,

Eh voll geworden meiner Jahre Zahl;

Erst gestern morgen kehrt' ich ihm den Rücken

Als ich mich wieder wandte, traf ich diesen,

Der mich auf solchem Pfad heimführen will. –

Drauf sagt' er mir: Folgst du nur deinem Sterne,

So kann des Ruhmes Port dir nicht entgehen,

Wenn recht ich wahrnahm dort im schönen Leben.

Und wär' ich nicht so früh von dir geschieden,[66]

So hätt ich dich in deinem Werk gefördert,

Da ich den Himmel dir so günstig wußte.

Doch jenes Volk voll Bosheit und voll Undank,

Das niederstieg von Fiesole vor Alters

Und nach dem Berg' und dem Gestein noch schlachtet,

Wird feindlich dir ob deines Rechttums werden.

Wie sollt' es anders sein? Die süße Feige

Kann unter herben Schlehen nie gedeihen.

Schon alte Rede nennt sie blind dort oben;

Hochmütig sind sie, geizig und voll Neides.

Hab' acht, daß ihre Sitten du dir fernhältst!

Dein Schicksal hat zur Ehre dir beschieden,

Daß jede der Partei'n nach dir wird hungern;

Doch bleibe fern dem Schnabel solche Weide.

Das Fiesolaner Vieh zertret' einander

So viel es will; jedoch an keiner Pflanze,

Wenn eine noch in solchem Unrat aufkommt,

Vergreif' es sich, worin der heilge Samen

Von jenen Römern auflebt, die dort blieben,

Als einst so vieler Bosheit Nest gebaut ward. –

Wenn meinem Wunsche voll entsprochen wäre,

Erwidert' ich ihm drauf, wär't aus dem Leben

Der Menschen wahrlich ihr noch nicht verbannet.

Eur lieb' und gutes väterliches Bild,

Das itzt mich weinen macht, trag' ich im Herzen,

Wie ihr dort in der Welt von Tag zu Tage

Mich lehrtet nach Unsterblichkeit zu ringen.

Wie wert ich's halte, soll, so lang' ich lebe,

In meiner Rede noch sich offenbaren.

Was ihr von meines Lebens Fortgang sagtet,

Bewahr' ich, daß es mir mit andrem Texte

Ein hohes Weib glossiert, die dessen kundig.

Doch so viel kann ich itzt schon euch versichern,

Daß, wenn mich mein Gewissen nur nicht schilt,

Bereit ich bin zu gut' und bösem Glücke.

Nicht neu ist meinem Ohr solch übles Angeld;[67]

Drum möge nur ihr Rad Fortuna rollen,

Mir gilt's, als ob der Bauer seinen Karst schwingt. –

Da wendete sein Haupt zur rechten Seite

Mein Meister, blickte nach mir hin und sprach:

Wer sich es merkt, der ist der beste Hörer. –

Nicht hinderte das Reden unsre Schritte;

Doch bat ich Ser Brunetto, die Gefährten,

Die hochgestellt und namhaft, mir zu nennen.

Von einigen zu reden, ist geziemend;

Von andern ist es löblicher zu schweigen;

Es reicht die Zeit nicht hin zu so viel Namen:

Vernimm indes, daß sie teils geistlich waren

Teils grundgelehrte Leute hohen Ruhmes,

Von gleicher Schuld besudelt insgesamt.

Mit jener argen Schar geht Priscian

Und Franz, Accursens Sohn, auch konntest

Wenn anders du nach solcher Räude Lust trägst,

Du den erblicken, den der Knecht der Knechte

Vom Arnostrand verpflanzt zum Bacchiglione,

Wo er die sündentflammten Nerven ließ.

Gern spräch' ich weiter; doch Geleit und Rede

Muß ich beenden, weil dort aus dem Sande

Ich vor uns neuen Rauch aufsteigen sehe.

Fernbleiben muß ich denen, die da kommen.

Laß den Tesoro dir empfohlen sein,

In dem ich leben blieb, nur das begehr' ich. –

Dann wandt' er sich zurück, gleich deren einem,

Die in Verona um den grünen Teppich

Den Plan durchlaufen; doch nicht dem Verlierer,

Nein, jenem glich er, der den Sieg davonträgt.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 65-68.
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