|
[41] Es trieb die Blässe, mit der Furcht mich malte,
Die neu entstanden, schleuniger zurück.
Als ich des Führers Umkehr sah, die seine,
Aufmerkend stand er gleich dem Mann der horchet;
Denn durch die düstre Luft, den dichten Nebel
Vermochte nicht das Aug' ihn weit zu tragen.
Wohl müssen wir in diesem Kampfe siegen,
Sagt' er. Wo nicht; – doch, der's versprach, wird helfen!
Wie lange däucht es mir, bis Hilfe eintrifft. –
Ich merkte wohl, wie er der Rede Anfang
Durch das verdeckte, was noch hinterdrein kam;
Denn Worte waren's jenen widersprechend.
Trotzdem erschreckte mich was er gesprochen;
Vielleicht weil ich die abgebroch'ne Rede
In schlimm'rem Sinn verstand als er sie meinte.
Stieg wohl zu diesem Grund der traur'gen Schale
Jemals ein Schatten von der ersten Stufe,
Die keine Strafe kennt als Hoffnungsmangel? –
So frug ich, und er sagte drauf: Nur selten
Geschieht es, daß aus unsrer Mitte einer
Den Weg zurücklegt, welchen ich jetzt wandle.
Doch ist es wahr, daß ich schon einmal hier war,
Beschworen von der grimmigen Erichtho,
Die zu den Leibern ihre Seelen heimrief,
Seit kurzem war mein Fleisch von mir entkleidet,
Als sie mich eingehn hieß in diese Mauer,
Um einen Geist aus Judas' Kreis zu holen.
Der dunkelste, der tiefste Ort ist das,
Der fernste von dem äußersten der Himmel;
Der Weg ist mir bekannt, darum sei ruhig.
Der argen Stank ausatmende Morast
Umgürtet rings die Stadt der bittern Schmerzen,
In die wir friedlich Eingang nicht mehr finden. –
Noch andres sagt' er, doch mir ist's entfallen;[42]
Denn schon war zu des Turmes glühndem Gipfel
Ich durch mein Auge mächtig hingerissen.
Drei Höllenfurien, ganz von Blut gerötet,
Sah ich mit einem Mal dort aufrecht stehn,
Die an Gebärd' und Gliedern Weiber schienen.
Gegürtet waren sie mit grünen Schlangen,
Blindschleichen bildeten ihr Haar und Ottern,
Und wanden rings sich um die grausen Schläfe.
Er aber sagte, weil bekannt ihm waren
Der Königin der Tränen Dienerinnen:
Blick hin, das sind die gräßlichen Erynnen!
Die dort zur linken Seite ist Megaera,
Zur Rechten weint Alekto. In der Mitte
Siehst du Tisiphone – und damit schwieg er.
Die Brust zerriß sich mit den Nägeln jede,
Mit Fäusten sich einander schlagend, schrien
So laut sie, daß ich scheu zum Meister floh.
Medusen bringt herbei, ihn zu versteinen!
So sprachen alle, auf mich niederblickend,
Wir rächten zu gelind des Theseus Anfall. –
Schnell wende dich und schließe fest die Augen!
Denn, zeigen sie Gorgonen und du siehst sie,
So kehrst du nie zur Oberwelt zurücke. –
So sprach mein Meister, und er selber wandte
Mich rückwärts. Drauf, mißtrauend meinen Händen,
Schloß mit den seinen auch er mir die Augen.
Ihr die gesund euch das Verständnis wahrtet,
Erwägt die Lehre wohl, die mit dem Schleier
Der Verse sich verhüllt, die seltsam lauten!
Schon aber kam daher die schmutz'gen Wellen
Entsetzenvollen Tones fernes Dröhnen,
Davon die Ufer beiderseits erbebten.
Dem Winde glich es, welcher, ungestüm
Geworden durch den Kampf von Hitz' und Kälte,
Sich auf den Wald mit schrankenloser Wut stürzt,
Die Zweige bricht, hinaus die Blüten schleudert.[43]
Staubwirbelnd schreitet er, jagt übermütig
Die Herde wie die Hirten in die Flucht.
Die Augen löst' er mir und sprach: Nun richte
Den Nerv des Sehens längs dem alten Schaume
Dorthin, wo dieses Sumpfes Qualm am dicksten. –
Wie vor der Wasserschlange, ihrer Feindin,
Die Frösche alle durch die Flut entschlüpfen,
Bis auf den Boden jeder sich geduckt hat,
So sah ich Tausende verlorener Seelen
Vor einem fliehen, der den Übergang
Des Styx bewirkte, nicht die Sohlen netzend.
Die dicke Luft von seinem Antlitz scheuchend,
Bewegt' er vor sich her oftmals die Linke,
Und nur von dieser Pein schien er beklommen.
Ich spürte wohl, er sei des Himmels Bote;
Mein Meister aber winkte noch ausdrücklich,
Daß ich in Schweigen mich vor ihm verneige.
Wie schien er so erfüllt mir von Entrüstung!
Das Tor berührt er kaum mit seiner Gerte,
So sprang es auf trotz alles Widerstrebens.
Vom Himmel ausgestoßenes schnödes Volk,
Begann er auf der grauenvollen Schwelle,
Was unterfangt ihr euch so kecker Frechheit?
Wie wagt dem Willen ihr zu widerstreben,
Der niemals unerreicht sein Ziel gelassen,
Und öfters eure Qualen schon gemehrt hat?
Was hilft es dem Geschick zu widerstreben?
Eu'r Cerberus trägt, wenn Ihr Euch entsinnet,
Geschunden noch davon so Kinn als Kehle. –
Dann wandt' er sich zurück die schmutz'ge Straße;
Zu uns sprach er kein Wort und tat wie einer,
Den andre Sorg' in Anspruch nimmt und quälet,
Als die des Mannes, der ihm gegenwärtig.
Der Stadt zu wandten wir nunmehr die Füße
Voll Zuversicht auf Grund der heiligen Worte,
Und Eintritt ward uns ohne weitern Kampf.[44]
Ich aber, der gespannt war zu erkunden
Die Eigenheit des Orts der so befestigt,
Entsandte, wie ich eintrat, rings die Blicke,
Und sah nach jeder Richtung weite Fläche
Von Schmerzen angefüllt und arger Qual.
Wie wo die Rhone sich bei Arles aufstaut,
Und wie bei Pola nahe dem Quarnaro,
Der Wälschland schließt und seine Grenzen netzet,
Der Grund uneben ist von lauter Gräbern,
So war er's hier auch nach jedweder Seite!
Nur war der Gräber Art um vieles bittrer,
Denn Flammen brannten zwischen Grab und Grab,
Und hielten sie in so gewalt'ger Glut,
Daß größre keine Schmiedekunst erfordert.
Die Decke war von jedem aufgehoben
Und innenher erklang so bittre Klage,
Daß Zeugnis sie von schweren Martern gab.
Und ich: O Meister, wer sind diese Schatten,
Die in den Grüften hier begraben scheinen
Und sich in Seufzern so vernehmen lassen? –
Drauf Er: Hier sind der Ketzereien Stifter,
Mit seinem Anhang von Sektierern jeder;
Viel voller als du denkst sind all die Gräber.
Mit gleichem ist der gleiche hier begraben
Und mehr und minder glühend sind die Särge. –
Als er darauf zur Rechten sich gewendet
Führt unser Weg uns zwischen Qual und Zinnen.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro