|
[121] So trunken waren von dem vielen Volke
Und den verschiednen Wunden meine Augen,
Daß sie sich sehnten, ruhend auszuweinen.
Mein Meister aber sprach: Was schaust du noch,
Was haftet unverwandt dein Blick dort unten
Bei den verstümmelten unsel'gen Schatten?
In andren Bolgien tatest du nicht also
Vernimm, willst du, die hier im Tal sind, zählen,
Daß zweiundzwanzig Miglien es umkreiset.[121]
Schon steht der Mond grad' unter unsren Füßen,
Nur wenig Zeit ist jetzt uns noch verstattet
Und manches bleibt zu sehn, das du noch nicht sahst. –
Wenn du den Grund beachtet hättest, sagt' ich
Darauf, der mich bewog hinabzublicken,
Das Weilen hättest du vielleicht gestattet. –
Schon ging mein Führer und ich folgt' ihm nach,
Als ich ihm diese Antwort gab, und weiter
Fügt' ich hinzu: In jener dunklen Grube,
Wohin ich eben stier mein Auge wandte,
Glaub' ich, beweint ein Geist von meinem Blute
Die Sünde, die so teuer hier bezahlt wird. –
Da sprach zu mir mein Meister: Es bekümmre
Nicht fürder seinethalb sich dein Gedanke:
Er bleibe wo er ist, merk du auf andres;
Denn an dem Fuß der Brücke sah ich ihn,
Dich, heftig drohend, mit dem Finger zeigen,
Und Geri hört' ich ihn del Bello nennen.
Du warst von dem, der Hautefort besessen,
Damals so ganz gefesselt, daß nicht eher
Du ihn gewahrtest, als bis er davon ging. –
O Führer, der an ihm verübte Mord,
So rief ich aus, den bis zur Stunde keiner,
Auf den die Schande mitgefallen, rächte,
Erweckte seinen Zorn, und drum vermut' ich,
Ging er vorüber, ohn' ein Wort an mich;
Mich aber faßt darob erhöhtes Mitleid. –
So sprachen wir bis wo der Fels zuerst
Das nächste Tal, wär's heller nur gewesen,
Uns bis zum Grunde hätte sehen lassen.
Wir standen oberhalb der letzten Klause
Der Malebolge, deren Laienbrüder
Sich unsrem Blick nun offenbaren konnten.
Da stürmten, Pfeilen ähnlich, deren Spitzen
Mitleid bewehrt, viel Klagen auf mich ein,
Weshalb die Ohren mit der Hand ich deckte.[122]
So vieles Leiden als beisammen wäre,
Wenn man in eine Gruft mit der Spitäler
Des Chianatals vom Juli bis September
Maremma's und Sardiniens Seuchen brächte,
So viel war hier, und solcher Stank erhob sich,
Als aus Gliedmaßen, welche eitern, aufsteigt.
Wir stiegen, immerdar nach links gewandt,
Zum letzten Strand des langen Felsens nieder,
Und klarer sah ich da in jene Tiefe,
In der die Dienerin des hohen Herrschers,
Die nie zu täuschende Gerechtigkeit,
Die Fälscher, die sie hier schon einschrieb, strafet.
Nicht trauriger, vermut' ich, war der Anblick,
Das ganze Volk Aegina's krank zu sehn,
Als so verpestet war der ganze Dunstkreis,
Daß, was da lebte, bis zum kleinsten Wurme
Tot niederfiel, und dann sich die Bewohner,
Wie uns als Wahrheit melden die Poeten,
Aus der Ameisen Samen neu ergänzten!
Nicht traur'ger, als in diesem Tal die Geister
Zu sehn, wie haufenweise sie verlechzten.
Auf seinem Bauch lag der, ein zweiter stützte
Sich auf des andren Schultern, jener schlich
Den traur'gen Pfad dahin auf allen Vieren.
Langsamen Schrittes gingen wir und schwiegen;
Doch sah'n und hörten wir auf jene Kranken,
Die nicht vermochten sich emporzurichten.
Und aneinander sah ich zwei sich stützen,
Wie Tiegel man an Tiegel stützt beim Wärmen,
Vom Haupt bis zu dem Fuß bedeckt mit Schörfen.
Nie sah ich einen Knecht, der ungern wach bleibt,
Nie einen, dessen Dienstherr auf ihn wartet,
Den Striegel in so großer Hast bewegen,
Als jeder dieser beiden, ob der Qual
Des Juckens, die er so nur weiß zu lindern,
Am Leibe mit den Nägeln hin- und herfuhr.[123]
Und wie ein Messer Schuppen streift vom Karpfen
Und andren Fischen, die noch größre haben,
So rissen jene Nägel ab die Schörfe.
Der mit den Fingern du dich selbst zerfleischest,
Begann zu einem jener zwei mein Meister,
Und öfters auch als Zange sie gebrauchest,
Soll dir in Ewigkeit zu solcher Arbeit
Dein Nagel g'nügen, so erteil' uns Auskunft,
Ob irgendein Lateiner ist hierinnen. –
Wir beid', erwidert' unter Tränen einer,
Die du so schwer entstellt siehst, sind Lateiner;
Doch du, der nach uns frugest, sprich, wer bist du? –
Von Stufe, sagte drauf Virgil, zu Stufe
Steig' ich mit diesem, der noch lebt, hernieder,
Denn mir liegt ob, die Hölle ihm zu zeigen. –
Da brach die Wechselstützung auseinander;
Erzitternd blickten nur nach mir die beiden
Und alle die's zur zweiten Hand vernommen.
Drauf wandte sich zu mir der gute Meister
Und sagte: Sprich zu ihnen was dir gut dünkt. –
Und ich begann, so wie er mir geheißen:
Soll eu'r Gedächtnis in der ersten Welt
Der menschlichen Erinn'rung nicht entschwinden
Und weiter leben unter vielen Sonnen,
So sagt mir, wer ihr seid und welchen Stammes;
Die ekle Strafe, die ihr duldet hindre
Euch nicht an eures Namens Offenbarung. –
Ich stamme von Arezzo, sprach der eine,
Verbrennen ließ mich Albero von Siena;
Doch starb ich nicht für das was mich hierher führt.
Wohl sagt' ich, doch im Scherze, daß ich fliegend
Mich aufzuschwingen in die Luft vermöchte;
Einfältig und voll Neugier wollte jener,
Daß ich die Kunst ihm lehr', und weil ich nicht
Zum Dädalus ihn machte, ließ zum Holzstoß
Er mich durch den, der ihn als Sohn hielt, schicken.[124]
Weil aber droben Alchimie ich übte
Hat Minos, der sich nimmer täuscht, zur letzten
Von den zehn schlimmen Bolgien mich verurteilt. –
Zum Dichter sagt' ich drauf: Sah man wohl jemals
Ein Volk leichtsinnig so wie die Sanesen?
Selbst die Franzosen sind's um vieles minder. –
Der andre Sücht'ge, der mein Wort vernommen,
Erwiderte darauf: Doch nimm den Stricca,
Der so bescheidnen Aufwand machte, aus,
Auch Nicolò nimm aus, der in dem Garten,
Wo solche Saat gedeiht, der Nägelein
Kostspieliges Rezept erfunden hat.
Nimm die Gesellschaft aus, in welcher Caccia
D'Asciano mit dem großen Wald den Weinberg
Und Abbagliato seinen Ruf vergeudet.
Doch, daß du wissest, wer so mit dir einstimmt
Im Tadel der Sanesen, sieh mich scharf an,
So daß mein Angesicht dir Antwort gebe.
Erkennen wirst du dann Capocchio's Schatten,
Der ich durch Alchimie Metalle fälschte,
Und, seh' ich anders recht, muß dir bewußt sein,
Daß ich ein guter Affe der Natur war. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?
134 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro