Neunzehnter Gesang

[80] O Zaubrer Simon, o ihr schmachbeladnen

Nachfolger, die die heil'gen Dinge, welche

Der Tugend sich allein vermählen sollten,

Um Gold und Silber räub'risch ihr verkuppelt!

In die Posaune stoß' ich jetzt um euch,

Weil euch die dritte Bolgia zugemessen.

Erstiegen hatten wir des Felsblocks Höhe,

Der überwölbt die nächste Gruft, und standen

Nun senkrecht über dieses Grabens Mitte.

Wie groß ist deine Kunst, o höchste Weisheit,

Die Himmel, Erd und Hölle offenbaren,

Und wie gerecht teilt deine Allmacht aus!

Ich sah des bräunlichen Gesteines Boden

Und beiderseit'gen Abhang voll von Löchern,

Die sämtlich rund und gleich an Weite waren.

Sie däuchten enger nicht mir und nicht weiter,

Als, die in meinem schönen San Giovanni

Zum Platz der Tausenden sind hergerichtet.

Solch ein Behältnis brach vor wenig Jahren

Entzwei ich, weil ein Mensch darin erstickte,

Und dies sei Zeugnis, jeden zu enttäuschen.

Aus jedes dieser Löcher Mündung ragten

Die Füße eines Sünders bis zur Wade

Hervor, doch alles andre steckte drinnen;

In Flammen loderten die Sohlen aller,

Weshalb die Knöchel so gewaltsam zuckten,

Daß Strick' und Bande sie zerrissen hätten.

Und, wie beim Brennen fettbestrichner Dinge

Die Flammen an der Oberfläche spielen,

So taten hier sie von den Zeh'n zum Hacken.

Wer ist wohl jener, der durch ärgres Zucken

Sich mehr beklagt, als die Gefährten alle

Und dessen Sohlen rötre Flamme leckt? –[81]

So frug ich; und der Meister: Soll ich dort

Den mindersteilen Hang dich niedertragen,

So wird er Schuld und Namen selbst dir künden. –

Genehm ist, sagt' ich, mir was dir beliebt,

Du bist der Herr, von deinem Will'n entfern' ich

Mich nimmer, auch was man nicht ausspricht weißt du. –

Also gelangten wir zum vierten Damme;

Dort wandten wir uns links und stiegen nieder

In die durchlöcherte und enge Tiefe.

Von seiner Hüfte setzte mich der Meister

Nicht ab, bis wir zur Felsenmündung kamen,

Aus welcher jener mit den Beinen klagte.

Der du das Obre so gekehrt nach unten

Im Boden wie ein Pfahl steckst, traur'ge Seele,

Wer du auch sei'st, vermagst du es, so rede. –

Ich stand gebückt, so wie der Mönch, der Beichte

Dem Meuchler hört, wenn der, schon in der Grube,

Den Tod noch zu verschieben, ihn zurückruft.

Er aber schrie: So bist du schon zur Stelle,

So bist du schon zur Stelle Bonifazio?

Um mehr als ein Jahr log die Prophezeiung.

Bist du so bald gesättigt von dem Gut,

Daß dich die schöne Braut durch Lügenkünste

Zu frei'n bewog und dann sie zu mißhandeln? –

Ich glich dem Manne, der, weil unverständlich

Ihm ist, was ihm gesagt wird, zweifelnd dasteht,

Verhöhnt sich glaubt und keine Antwort findet.

Drauf sagte mir Virgil: Erwid'r ihm schnell,

Der bin ich nicht, der nicht, den du erwartest, –

Und meine Antwort war, wie er befohlen.

Darob verdrehte schier der Geist die Beine

Und sagte seufzend mit bewegter Stimme:

Bist du der nicht, was willst du denn von mir?

Liegt dir so viel dran, wer ich sei, zu wissen,

Daß du deshalb das Ufer niederstiegest,

So wisse, daß ich trug den großen Mantel.[82]

Doch war ich ein wahrhafter Sohn der Bärin,

Begierig, so die Bärenbrut zu fördern,

Daß droben Geld ich, und hier mich einsackte.

Mir unterm Haupte liegen all die andren,

Die mir voraus im Ämterschacher gingen,

Tief eingeklemmt in des Gesteines Spalten.

In jene Tiefe sink' auch ich, wenn jener,

Für den ich dich gehalten, kommen wird,

Als ich die rasche Frag' an dich gerichtet.

Doch längere Zeit schon brannten mir die Füße,

Seit ich den Kopf zu unterst hier verweile,

Als er hier sein wird mit entflammter Sohle.

Denn nach ihm kommt von Westen her ein Hirte,

Der ärger noch es treibt und kein Gesetz kennt,

So daß er mich bedecken wird und jenen.

Dem Jason wird, von dem die Makkabäer

Berichten, gleich er sein; wie dem sein König

Gefällig war, wird ihm es der von Frankreich. –

Ich weiß nicht, war ich hier allzu verwegen,

Daß ich ihm Antwort gab in diesem Tone:

So sage mir doch, was für Schätze heischte

Vom heil'gen Petrus unser Herr, bevor

Er die Gewalt der Schlüssel ihm vertraute?

Nur eins verlangt er: Komm und folge mir!

Auch Petrus und die andren heischten Silber

Und Gold nicht von Matthias, als das Los ihm

Den Platz gab, den verloren der Verräter.

So schweige; denn gerecht ist deine Strafe.

Bewahre nur das schlechterworb'ne Geld,

Das gegen Karl dich übermütig machte.

Und hielte nicht noch immer mich zurück

Die Ehrerbietung vor den hohen Schlüsseln,

Die du gehalten hast im heitren Leben,

So würd' ich noch viel härtre Worte brauchen.

Verderblich ist eu'r Geiz der Welt; die Guten

Tritt er mit Füßen und erhebt die Schlechten.[83]

Euch Hirten meinte der Evangelist,

Als er das Weib, das auf den Wassern sitzet,

Mit Königen auf Erden huren sah,

Die da geboren ward mit sieben Häuptern

Und ihre Stütze fand in den zehn Hörnern

So lange Tugend ihrem Mann gefiel.

Gemacht habt ihr aus Silber und aus Golde

Euch euren Gott; ihr gleicht dem Götzendiener,

Doch betet der nur einen an, ihr hundert.

O Constantin, wie großen Übels Mutter

War – deine Taufe nicht –, nein jene Mitgift,

Die du verliehn dem ersten reichen Vater! –

Schlug das Gewissen ihm, trieb ihn der Zorn,

Ich weiß nicht, doch bei meines Liedes Noten

Verdreht' er heftig beide Sohlen.

Der Führer aber schien mir beizustimmen,

Mit so zufriednem Ausdruck folgt' er stetig

Dem Klange meiner wahrheitstreuen Worte.

Dann faßt' er mich mit seinen beiden Armen,

Und als er fest an seiner Brust mich hielt,

Stieg er zurück, wo er hinabgestiegen.

Nicht eher ließ er ab, mich so zu tragen

Bis er gebracht mich zu des Bogens Höhe,

Der sich vom vierten Damm zum fünften wölbet.

Hier setzte sanft er seine Bürde nieder:

Sanft auf dem Felsen, der so rauh und steil war,

Daß ihn selbst Ziegen schwer erklommen hätten.

Drauf ward ein neuer Talgrund mir enthüllet.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 80-84.
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