|
[68] Schon waren wir am Ort, wo man das Tosen
Des Wasserfalls, der in dem nächsten Kreise
Hinabstürzt, hörte, wie Gesumm' von Bienen.
Da trennten vollen Laufes miteinander
Drei Schatten sich von einer größern Schar,
Die bei des Feuerregens Qual dahinflog.
Sie kamen auf uns zu und jeder rief:
Halt an, der nach der Weise deiner Kleidung
Du einer scheinst aus unsrer argen Heimat! –
Ach was für Wunden, frisch' und halbvernarbte,
Sah eingebrannt ich allen ihren Gliedern;
Noch schaudert mich's wenn ich nur dran gedenke.
Aufmerksam ward durch ihren Ruf mein Meister;
Dann wandt' er sich zu mir und sprach: Hab' Achtung;
In Ehrfurcht ziemt sich's diesen zu begegnen.
Und wäre nicht das Feuer, das des Ortes
Natur herniederregnen läßt, so sagt' ich,
Daß, mehr als ihnen, Dir die Eil geziemte. –
Kaum standen wir, so sangen sie auf's neue
Das alte Lied, und als sie uns erreichet,
Begannen sie selbdritt im Kreis zu laufen.
So wie die Kämpen, die gesalbt und nackend,
Eh' sie zum Schlagen und zum Stoßen schreiten,
Vorteil und Angriff spähend sich erwägen,
So wandt' im Kreislauf jeder das Gesicht
Fortwährend nach mir hin, weshalb den Füßen
Entgegen immer sich der Hals bewegte,
Entwertet uns vielleicht und unsre Bitten,
Begann der eine, dieses Ortes Elend
Und unser Aussehn, das voll Brand und Wunden,
So laß durch unsren Nachruhm dich bewegen
Zu sagen wer du bist, der du so sicher
Lebend'gen Fußes durch die Hölle schreitest.[69]
Der, dessen Spuren meine Schritte folgen,
Wie nackt er und geschunden auch einhergeht,
War höher wohl gestellt, als du vermutest.
Gualdradens Enkel war er, jener guten:
Sein Nam' ist Guido Guerra und im Leben
Hat er mit Schwert und Klugheit viel geleistet.
Der, welcher hinter mir den Sand zertritt
Ist Tegghiai' Aldobrandi, dessen Wort
Dort in der Welt man gern vernehmen sollte.
Ich aber, der die gleiche Qual erdulde,
War Jacob Rusticucci, und wahrhaftig
Der Gattin Stolz war meines Unheils Hauptgrund. –
Wär' ich gesichert vor der Glut gewesen,
So wär' ich unter sie hinabgeeilt,
Und zugelassen hätt' es wohl mein Lehrer.
Doch, weil des Feuers Glut verbrannt mich hätte,
Bewältigte die Furcht den guten Willen,
Der mich verlangen ließ, sie zu umarmen.
Drauf hub ich an: Sobald mein Herr und Meister
Mir Worte sagt', aus denen ich entnahm,
Daß solche Schatten wie ihr seid, sich nahten,
Erweckte nicht Mißachtung, sondern Schmerz
Eur traurig Los mir in der tiefsten Brust,
Und nicht sobald wird er daraus verschwinden.
Aus eurer Heimat bin ich und von jeher
Hab' eure Taten und gepriesne Namen
Ich liebevoll gehört und wiederholet.
Die Galle lassend, geh ich nach den Früchten,
Die süß der treue Führer mir verheißet,
Doch muß ich erst zum Zentrum niedersteigen. –
Soll deine Seel', entgegnete nun jener,
Noch lange deines Leibes Glieder lenken
Und soll der Ruhm dein Leben überdauern,
So sag' ob Tapferkeit und Rittersitte
In unsrer Stadt wie sonst noch weilen, oder
Ob sie aus deren Mauern sind gewichen.[70]
Denn Wilhelm Borsier, welcher unsre Qualen
Seit kurzem teilt und dort mit den Gefährten
Dahin läuft, kränkt uns oft durch seine Reden. –
Das neue Volk, die plötzlichen Gewinnste,
Die haben Stolz und Übermaß, o Florenz,
In dir erzeugt, so daß du schon drum weinest! –
So rief ich mit erhobnem Angesichte;
Und jene drei, die mich vernommen, winkten
Einander, wie man wohl der Wahrheit beistimmt.
Macht es dir jederzeit so wenig Mühe,
Die andern zu befried'gen, sagten alle,
So bist du glücklich, so nach Wunsch zu sprechen.
Entrinnst du aber diesen dunklen Räumen
Und kehrst zurück, zu sehn die schönen Sterne,
Wo du dann gerne sagen wirst, ich war,
So säume nicht, der Welt von uns zu reden. –
Da brachen sie den Kreis ab und entflohen,
Daß die behenden Füße Flügel schienen.
Verschwunden waren sie in kürzrer Zeit
Als man bedarf ein Amen auszusprechen;
Drum schien zu gehn es an der Zeit dem Meister.
Ich folgt' ihm, und bevor wir weit gegangen,
War uns so nah des Wasserfalles Brausen,
Daß übertönt selbst laute Red' es hätte.
So wie der Fluß, der auf der linken Seite
Des Apennin gen Ost von Mont Viso
Zur Adria zuerst selbständigen Weg hat
Und oben Acquacheta heißt, bevor
Er talwärts fließt zu seinem niedren Bette,
Doch bei Forlì nicht mehr den Namen führet;
Wie dieser bei San Benedetto toset,
Weil er hinab zu einer Halde stürzet,
Wo Unterkunft für tausend sollte sein,
So hörten von des Ufers steilem Absturz
Die dunkelfarbne Flut wir niederbrausen;
In kurzem hätt' es weh dem Ohr getan.[71]
Mit einem Stricke war mein Leib gegürtet,
Durch den, den Pardel mit dem bunten Felle
Zu fangen, ich gehofft vorzeiten hatte.
Nachdem ich, so wie jener mir befohlen,
Den losgebunden hatte, reicht' ich ihn
Verschlungen und verknotet meinem Meister.
Der aber wandte sich zur rechten Seite
Und warf, etwas entfernt noch von dem Ufer,
In jenen tiefen Abgrund ihn hinunter.
Ich sagte bei mir selbst: Was wird nur neues
Die Antwort sein auf dies besondre Zeichen,
Dem sorglich mit dem Aug' der Meister nachfolgt? –
Ach, wie behutsam soll man sein bei denen,
Die, statt allein die äußre Tat zu sehn,
In die Gedanken mit dem Geiste dringen!
Er sprach zu mir: Auftauchen wird in Bälde
Was ich erwarte, und, was du jetzt träumend
Dir denkst; alsdann sich deinem Blick enthüllen. –
Der Wahrheit, die der Lüge Antlitz trägt
Soll, wenn es möglich, man die Lippen schließen,
Denn unverschuldet bringt sie uns Beschämung.
Hier aber kann ich's nicht, und bei den Versen
Von diesem Liede schwör' ich dir, o Leser,
Wenn lange Gunst sie nicht entbehren sollen,
Daß ich durch jene dicke finstre Luft
Empor ein Untier schwimmen sah, so seltsam,
Daß wohl der Mutigste sich drob entsetzte.
Dem Manne glich es, der, nachdem den Anker
Vom Fels er löste, oder sonst'gem Anhalt,
Um aus dem Meeresgrund emporzutauchen,
Die Füße anzieht und sich streckt nach oben.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.
266 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro