Vierzehnter Gesang

[61] Weil mich das Mitgefühl der gleichen Heimat

Bewegte, sammelt' ich die losen Blätter

Am Fuß des matt gewordenen Strauches auf.

Dann kamen dorthin wir, wo von dem zweiten

Der dritte Ring sich trennt und wir die grause

Kunst göttlicher Gerechtigkeit erblickten.

Was sich hier zeigte wohl zu schildern, sag' ich

Daß wir zu einer weiten Fläche kamen,

Die keiner Pflanze Wuchs auf sich gestattet.

Der Wald des Weh's umgibt gleich einem Kranz sie,

Wie diesen wiederum der heiße Blutstrom.

Dort gingen wir entlang am letzten Saume.

Die Tenne war von dichtem, trocknem Sande,

Beschaffen gleich dem Wüstensande, den

In Lybien Cato's Füße einst betreten.

Wie sehr, o Rache Gottes, sollte jeder

Dich fürchten, der da liest, was meinem Auge

Auf diesem Sandgefild sich offenbarte:

Von nackten Seelen sah ich manche Schar

Und alle jammerten vor Schmerz, obwohl

Verschiedner Ordnung sie botmäßig schienen.

Die einen lagen rücklings ausgestreckt,

Am Boden sitzend kauerten die zweiten,[61]

Noch andere rannten rastlos hin und wieder.

Die größte Zahl war deren, die da liefen

Die liegend Qual erlitten waren minder,

Doch lauter klagend regten sie die Zunge.

Und große Feuerflammen fielen leise

Auf jenes Sandes weite Fläche nieder,

Wie Schnee bei stiller Luft im Hochgebirge.

So wie die Flammen, die auf Alexander's

Heerschar im heißen Indien niederfielen

Und ihre Glut am Boden noch bewahrten

(Weshalb der König seine Leute hieß,

Das Erdreich festzustampfen, weil die Dünste

Für sich allein sich besser löschen ließen),

So regnete die ew'ge Glut hernieder,

Wovon der Sand, zur Qualverdopplung, brannte,

Wie unterm Feuerstahl sich Schwamm entzündet.

Es war ohn' Unterlaß der Tanz der Hände,

Womit bald hier bald dort sich die Gequälten

Des frischen Brandes zu erwehren suchten.

O, Meister, hub ich an, der alle Dinge

Bezwingt, die bösen Teufel ausgenommen,

Die uns am Eingangstor entgegentraten,

Wer ist der Große, welcher diese Flammen

Für nichts zu achten scheint und trotzig daliegt,

Als ob der Feuerregen ihn nicht kümmre? –

Doch jener, der vernahm, daß seinetwegen

Ich meinen Führer frug, schrie mir zur Antwort:

Der ich im Leben war, bleib' ich im Tode!

Mag Jupiter nur seinen Schmied ermüden,

Von dem im Zorn den scharfen Blitz er nahm,

Zu Boden mich am letzten Tag zu schmettern,

Mag in des Mongibello schwarzer Esse

Im Wechseldienst die andren er ermatten

Und schrein: Zur Hilfe komm, Vulcan zur Hilfe,

So wie er schrie bei jenem Kampf von Phlegra,

Mag Blitz' er nach mir schleudern wie er will;[62]

Nie soll er Freud' an seiner Rach erleben. –

Da sprach mein Führer mit gehobner Stimme,

Daß ich so laut ihn nimmer noch vernommen:

O Kapaneus, daß ungebeugt dein Stolz ist,

Darin erleidest du die schwerste Strafe;

Denn keine Qual vermöchte deinen Frevel

So zu vergelten, als wie deine Wut. –

Dann, freundlicheren Blicks zu mir gewendet:

Von jenen sieben Königen war er einer,

Die Theben einst belagert, und noch scheint er

So wie er damals tat, Gott zu verachten.

Doch ist sein Schmähen, wie ich eben sagte,

Für seine Brust die wohlverdiente Zierde.

Nun aber folge mir und habe acht,

Den Sand, der glimmend ist, nicht zu betreten;

Stets halte hart am Walde sich dein Fuß. –

Wir gingen schweigend, bis wir zu der Stelle

Gelangten, wo dem Wald' ein kleines Flüßchen

Entquillt, ob dessen Röte noch mir schaudert.

Wie aus dem heißen Sprudel bei Viterbo

Der Bach rinnt, den die Sünderinnen teilen,

So rann dies Flüßchen durch den Sand dahin.

Sein Boden und die Ufer beiderseitig,

So wie die Ränder, waren fester Stein;

Daraus erriet ich, daß dort unser Weg sei.

Von allem was seither ich dir gewiesen,

Seitdem durch jene Pforte wir gekommen,

Durch welche einzutreten jedem freisteht,

Sah nichts dein Auge, das bemerkenswert

Gleich diesem Bach ist, welcher über sich

Jedwede Glut des Feuerregens auslöscht. –

So lauteten die Worte meines Meisters;

Drum bat ich, daß die Speis' er mir gewähre,

Zu der die Lust in mir er wachgerufen.

Einsam im Meer liegt ein verwüstet Eiland,

Entgegnet' er darauf, des Nam' ist Kreta.[63]

Keusch war die Welt, als einst sein Fürst regierte.

Dort ist ein Berg, der sonst durch Wald und Quellen

Das Aug' erfreut, und den man Ida nannte;

Verwüstet ist er jetzt und ungeachtet.

Den wählte Rhea einst zur sichren Wiege

Für ihren Sohn, und ließ, sobald er weinte,

Ihn übertönendes Geschrei erheben.

Aufrecht in jenem Berge steht ein Greis!

Die Schultern wendet er nach Damiette,

Und Rom als seinen Spiegel schaut er an.

Es ist sein Haupt aus feinem Gold gebildet,

Von reinem Silber sind so Brust als Arme,

Das weitre bis zur Gabelung ist Kupfer.

Von da nach unten folgt erles'nes Eisen;

Doch ist der rechte Fuß gebrannter Ton,

Und mehr auf ihm, als auf dem andern ruht er.

Das Gold ist unversehrt; sonst zieht durch alle

Die Glieder sich ein Spalt, der Tränen träufelt,

Die dann vereinigt diesen Fels durchfressen.

Zu diesem Tal senkt sich ihr Lauf hernieder;

Sie bilden Acheron, Styx, Phlegethon,

Und fließen dann durch diese enge Rinne

Zu jenem Punkt, wo man nicht weiter absteigt.

Dort bilden sie Cocytus, welchen Teich

Du selber sehn wirst. Drum laß hier mich schweigen. –

Drauf sagt' ich: Wenn nun also dieser Graben

Bis hier von unsrer Oberwelt herabfließt,

Warum begegneten wir ihm nicht früher? –

Und er zu mir: Du weißt, daß rund der Raum ist,

Und ob du wohl, fortwährend links gewendet,

Schon weit hinabgestiegen in die Tiefe,

Hast du den ganzen Kreis noch nicht vollbracht.

Wenn also neues unserm Blick sich zeiget,

Soll sich dein Auge darum nicht verwundern. –

Drauf sprach ich weiter: Sage mir wo sind denn

Lethe und Phlegethon? Du schweigst vom einen,[64]

Den andern sagst du bilden jene Tränen. –

In allen deinen Fragen lob' ich dich;

Allein des roten Wassers Sieden konnte

Dir eine, die du tatest, füglich lösen.

Lethe wirst du, doch nicht hier unten sehn.

Es waschen sich in ihm die reu'gen Seelen,

Wenn Buße ihnen jede Schuld getilgt hat. –

Dann sagt er: Uns vom Walde zu entfernen

Ist es nun Zeit, drum folge meinen Schritten,

Gehn wir den Damm entlang; die Glut verschont ihn

Und über ihm erlischt der Feuerregen. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 61-65.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon