Achter Gesang

[176] Gekommen war die Stunde, die die Sehnsucht

Der Schiffer weckt, die weicher macht die Herzen

Am Tag, wo sie von lieben Freunden schieden,

Und Liebeswunden schlägt dem Pilgerneuling,

Hört er von Ferne Glockentöne hallen,

Die ob des Tages Tod zu klagen scheinen,

Als aufzuhorchen ich allmählich nachließ,

Auf einen Schatten blickend, welcher aufstand,

Und winkend mit der Hand, Gehör begehrte.

Er trat hervor und richtete die Augen

Mit aufgehobenen Händen gegen Morgen,

Als sagte er zu Gott: Dich nur begehr' ich. –

Te lucis ante tönt aus seinem Munde

So fromm und innig, in so süßen Klängen,

Daß ich zuhörend selber mich verlor.

Die andren aber sangen, ihn begleitend,

Die Augen zugewandt den ew'gen Rädern,

Mit gleicher Innigkeit den ganzen Hymnus.

Nun suche, Leser, scharfen Blick's die Wahrheit;

So locker ist der Schleier itzt gewoben,

Daß wenig Mühe macht, ihn zu durchdringen.

Ich sah wie jenes edle Heer von Schatten,

Schweigsam nach oben blickend und beklommen,

Gewärtig dessen war, das kommen würde.

Da sah zwei Engel ich mit feur'gen Schwertern,

Die abgestumpft und ohne Spitzen waren,[176]

Von oben kommen und herniedersteigen.

Mit grünen Flügeln fächelten und schlugen

Sie das Gewand, das, grün gleich jungen Blättern,

Bewegt vom Winde hinter ihnen wallte.

Nah über uns ließ sich der eine nieder,

Der zweite senkte sich zum andren Ufer,

So daß sie zwischen sich die Seelen hatten.

Das blonde Haupt erkannt' ich wohl an ihnen;

Ihr Antlitz aber blendete mein Auge,

Wie vor dem Übermaß die Kraft versagt.

Sie kommen beide von Maria's Schoße

Zur Wache dieses Tales, sprach Sordello,

Der Schlange wegen, die in kurzem nahet. –

Ich aber, der nicht wußte, von woher,

Sah forschend ringsherum, und ganz erstarret

Drängt' ich mich fest an die erprobten Schultern.

Sordell sprach weiter: Steigen wir nun nieder

Und reden wir mit jenen großen Schatten.

Gewiß ist ihnen, euch zu seh'n willkommen. –

Ich glaube, nur drei Schritte stieg ich abwärts,

Da war ich unten, und sah einen, welcher

Nach mir nur schaut, als wollt' er mich erkennen.

Schon dunkelte die Luft; doch nicht im Maße,

Daß sie nicht zwischen meinem Aug' und seinem

Erläutert hätte, was sie erst verborgen.

Entgegen trat er mir; ich ihm desgleichen:

Giudice Nino, wie zufrieden war ich,

Als ich erfuhr, du sei'st nicht bei den Sündern.

Der trauten Grüße tauschten wir die Fülle.

Dann frug er mich: Seit wann bist über's Meer

Zum Fuße dieses Berges du gekommen? –

O, sagt' ich, tief her aus den traur'gen Räumen

Kam ich heut früh und bin im ersten Leben;

Doch streb' auf dieser Reis' ich nach dem zweiten. –

Als diese meine Antwort sie vernommen,

Trat, gleich Sordell, die ganze Schar zurück,[177]

Wie Leute, die vor Staunen sich nicht fassen.

Virgil sah einer an, der zweite wandte

Sich einem zu, der dort saß: Auf, Corrado!

Rief er, vernimm, was Gott aus Gnaden wollte. –

Und dann zu mir: Bei dem besondren Danke,

Den dem du schuldest, welcher seine Gründe

Also verbirgt, daß keine Furt zu finden,

Bist du erst jenseits von den breiten Wellen,

So bitte du Giovanna, meine liebe,

Zu bitten, wo die Unschuld man erhöret.

Nicht scheint's, daß ihre Mutter mich noch liebe,

Seit abgelegt sie hat die weißen Binden,

Die noch zurückbegehren wird die Arme.

An ihrem Beispiel kann man leicht erkennen,

Wie schnell in Weiberherzen Lieb' erlischt,

Entflammt sie nicht das Aug' und die Berührung.

Die Schlange, welche Mailand's Fahnen zeigen,

Wird ihrem Grabe mindre Zierde sein,

Als es Gallura's Hahn gewesen wäre. –

So sprach er und in seinem Antlitz prägte

Der Stempel sich des rechten Eifers aus,

Der, glühend in der Brust, doch Maß behält.

Begierig haftete mein Blick am Himmel,

Dort wo am langsamsten die Sterne kreisen,

Dem Rade gleich zunächst an seiner Achse.

Mein Führer sprach: Was schaust du nach dort oben? –

Und ich darauf: Nach den drei Fackeln schau ich,

Von denen dieser Pol so ganz entbrannt ist. –

Und er zu mir: Die leuchtenden vier Sterne,

Die du heut morgen sahst, sind jetzt dort unten,

Und diese stiegen auf an jener Stelle. –

Ich sagte: – doch Sordello zog ihn an sich

Und sprach, die Richtung mit dem Finger weisend:

Sieh hin, dort kommt er, unser Widersacher. –

Dort, wo des Tales Eingang offen lag,

War eine Schlange, der wohl zu vergleichen,[178]

Die Eva einst die bittre Speise bot.

Der böse Streifen, zwischen Gras und Blumen

Kam er und wandte leckend oft zum Rücken

Das Haupt, wie Tiere tun, wenn sie sich putzen.

Ich sah es nicht, drum kann ich's nicht berichten,

Wie jene Himmelsfalken sich erhoben,

Doch sah ich beide während sie schon flogen.

Als sie den Schlag der grünen Flügel hörte,

Entfloh die Schlange, und die Engel kehrten

Zurück zu ihren Plätzen, gleichen Fluges.

Nicht hatte während dieses ganzen Angriffs

Der Schatten, der zu Nino war getreten,

Als dieser rief, den Blick von mir gewendet.

Soll jene Leuchte, die dich aufwärts führet,

So vieles Wachs in deinem Willen finden,

Als nötig ist bis zu der höchsten Bläue,

(Also begann er) wenn du wahre Kunde

Von Valdimacra hast und seiner Gegend,

So gib sie mir, denn einst war ich dort mächtig.

Mein Name war Corrado Malaspina;

Der alte bin ich nicht, doch von ihm stamm' ich. –

Daß ich zu sehr die Meinen liebte, büß' ich. –

Nie, sagt' ich, war bisher in eurem Land' ich;

Wo aber kann man in Europa weilen,

Daß man von denen Kunde nicht vernähme?

Es preist der Ruf, der eures Hauses Ehre

Verkündet, so die Herrn als wie die Landschaft,

So daß drum weiß, wer auch nicht dort gewesen.

So wahr hinaufzugehn ich hoffe, schwör' ich,

Daß euer ehrenhaft Geschlecht den Ruhm

Des Reichtums wie des Schwertes sich bewahrte.

Durch Übung und Natur ist es bevorzugt,

Daß es allein, den Irrweg meidend, recht geht,

Ob auch die Welt ihr schnödes Haupt verkehre. –

Und er: So gehe; denn nicht sieben Male

Wird sich die Sonn' im Bette, das der Widder[179]

Umspannt mit seinen Füßen, niederlegen,

Daß diese günst'ge Meinung dir im Haupte

Verfestigt werden wird mit größren Nägeln

Als fremde Rede sie vermag zu bieten,

Bleibt ungehemmt im Lauf des Himmels Ratschluß. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 176-180.
Lizenz:
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