Einunddreißigster Gesang

[271] Der jenseit du des heil'gen Flusses weilest,

Begann fortfahrend sie ohn' alles Säumen,

Indem der Rede Spitze, deren Schneide

Mir schon so weh tat, gegen mich sie kehrte,

Sag' an, ob wahr ich sprach? denn zu so schwerer

Beschuldigung muß dein Geständnis treten. –

Es war so gänzlich meine Kraft gebrochen,

Daß sich die Stimme regte, aber tonlos

Erlosch, eh' ihr Organ sie kundgegeben.

Nach kurzem Warten sagte sie: Was denkst du?

Antworte mir; das Wasser hat die trüben

Erinnerungen dir noch nicht genommen. –

Furcht und Beschämung preßten miteinander

Verbunden solch' ein Ja! aus meinem Munde,

Daß durch das Aug' es nur vernehmbar ward.

So wie die Armbrust, die zu straff gespannt ist,

Drückt man sie los, so Sehne bricht als Bogen,

Weshalb der Pfeil mit mindrer Kraft das Ziel trifft,

So brach ich ob der großen Last zusammen,

Und Tränen quollen vor und so viel Seufzer,

Daß an der Pforte sie die Stimme schwächten.

Und sie zu mir: Was fandest im Verlangen

Nach mir, das jenes Gut dich lieben lehrte,

Jenseits von dem kein Ziel die Sehnsucht findet,

Für Ketten du und welche Wäll' und Gräben,

Die dir die Hoffnung, ihrer Herr zu werden

Und vorzuschreiten so benommen hätten?

Und welcher Vorteil, welch Entgegenkommen

Hat sich auf andrer Güter Stirn gezeigt,

Daß deine Schritte du zu ihnen kehrtest? –

Nachdem ich bitter aufgeseufzt und tief,

Gewann zur Antwort mühsam ich die Stimme

Und kaum gelang dem Mund der Worte Bildung:[272]

Die gegenwärt'gen Dinge, sagt' ich weinend,

Sie wandten mir durch falsche Lust die Schritte,

Sobald eu'r Angesicht sich mir verborgen. –

Und sie: Ob du verschwiegst, ob leugnetest

Was du gestanden, wäre deine Schuld

Nicht minder kundig, solch ein Richter kennt sie

Doch, klagt mit eignem Mund der Schuldige

Sich selber an, so kehrt an unsrem Hofe

Des Schleifsteins Rad der Schneide sich entgegen.

Allein, damit du jetzo deines Irrtums

Dich schämest, und wenn künftig die Sirenen

Du wieder hörst, du größre Kraft bewährest,

So hemme nun der Tränen Quell und höre

Wie dir ein Antrieb umgekehrten Sinnes

Mein eingesargtes Fleisch zu sein bestimmt war.

Nie wies Natur, nie Kunst, dir solche Wonne,

Als es die schönen Glieder taten, die mich

Umschlossen und auf Erden nun zerstreut sind.

Und schlug durch meinen Tod die höchste Wonne

Dir also fehl, wie konnte dann ein andres

Sterbliches Ding noch dein Verlangen wecken?

Wohl hätt'st du dich schon bei dem ersten Pfeile

Der trügerischen Dinge, mir zu folgen,

Die nicht mehr sterblich war, aufschwingen sollen.

Nicht durften Mädchen dir, noch Eitelkeiten,

Die nutzlos rasch vergehn, die Flügel hemmen,

Daß ausgesetzt du weitren Schlägen bliebest.

Ein junges Vöglein läßt sich mehrmals täuschen;

Doch vor der ausgewachs'nen Augen stellet

Umsonst man Netze aus und zielt mit Pfeilen. –

Wie Kinder die gefehlt, sich schämend, schweigen

Und niederblickend ihre Schelte hören,

Den Fehl erkennend und die Tat bereuend,

So stand ich, und sie sagte: Schmerzt dich schon

Was du gehört, so hebe nun den Bart auf,

Und größren Schmerz wird was du siehst dir bringen. –[273]

Wohl mit geringrem Widerstande kämpft

Der Nordwind, oder der aus Jarba's Lande,

Wenn einen kräft'gen Eichbaum er entwurzelt,

Als ihr Geheiß, daß ich das Kinn erhebe.

Und wie den Bart statt des Gesichts sie nannte,

Verstand ich wohl das Gift der Redeweise.

Als ich mein Angesicht nun aufgerichtet,

Ward ich gewahr, wie jene ersten Wesen

Mit ihrem Blumenstreuen innehielten.

Mein Aug' indes sah, scheu noch und unsicher,

Beatrix zu dem Tiere, das nur eine

Person in zwei Naturen ist, gewendet.

Verhüllt vom Schleier und jenseit des Wassers

Schien so viel schöner sie, als sie gewesen,

Wie hier sie alle andren überragte.

Da brannte mich so sehr der Reue Nessel,

Daß mir, welch' andres Ding zur Lieb' am meisten

Mich je gelockt, das feindlichste nun wurde.

So brannt' in meinem Herzen Schuldbewußtsein,

Daß ich bewältigt niedersank, – und sie,

Die das bewirkte, weiß in welchem Zustand.

Als dann das Herz den Sinnen wieder Kraft gab,

Sah ich das holde Weib, das ich allein fand,

Nun über mir, und: Fasse mich nur! – sprechend.

Sie zog mich, den sie in den Fluß getaucht

Bis an die Kehle, nach, und auf dem Wasser

Ging sie so leicht als wie ein Weberschiffchen.

Als ich dem seelgen Ufer nahe war,

Hört' ich: »Entsünd'ge mich« so süßen Tones,

Daß ich's nicht sagen, ja nicht denken kann.

Es öffnete das schöne Weib die Arme

Und tauchte mich, mein Haupt umfassend, unter,

Weshalb notwendig Wasser ich verschluckte.

Dann zog sie mich heraus, und den Benetzten

Bot sie dem Reigen der vier Schönen dar,

Und ihrer jed' umfing mich mit den Armen.[274]

Hier sind wir Nymphen, doch am Himmel Sterne;

Bestellt sind wir zu ihren Dienerinnen,

Noch eh Beatrix niederstieg zur Erde.

Vor ihre Augen woll'n wir dich geleiten;

Doch schärfen für das heitre Licht in ihnen

Die drei, die tiefer blicken, erst die deinen. –

Also begannen singend sie und führten

Mich dann der Brust des Greifen gegenüber,

Wo zu uns hergewandt Beatrix weilte.

Dann sagten sie: Nun spare nicht die Blicke!

Vor die Smaragden stellten wir dich hin,

Draus Amor einst dir seine Pfeile sandte. –

Es zog die meinen zu den Strahlenaugen

Verlangen tausendfach, wie Flammen glühend;

Sie aber hafteten am Greife nur

Nicht anders strahlte drin, als wie im Spiegel

Die Sonne strahlt, das zwiegestalt'ge Tier,

In dieser bald und bald in andrer Weise.

Erwäge, Leser, ob ich mich verwundert,

Als ich die Sache, ruhig in sich selber,

In ihrem Abbild so sich wandeln sah.

Noch nährte froh und staunend meine Seele

Sich von der Speise, die zwar mit sich sättigt,

Doch immer neuen Hunger nach sich wachruft.

Da traten, höhre Abkunft in der Haltung

Verratend, die drei andren Frau'n hervor

Und tanzten vor dem Engelswagen her.

Beatrix, wende deine heil'gen Augen

Nun deinem Treuen zu, so war ihr Lied,

Der, dich zu sehn, so manchen Schritt getan hat.

Tu' uns die Gnad', aus Gnade deinen Mund

Ihm also zu enthüllen, daß er auch

Die zweite Schönheit, die du birgst, erkenne. –

O Glanz des ewigen, lebend'gen Lichtes!

Wer bleichte so in des Parnasses Schatten

Die Wange, wer trank so aus seinem Brunnen,[275]

Daß nicht umnebelt dann sein Geist erschiene,

Wenn er, zu schildern, wie du war'st versuchte,

Als du, von Himmelsharmonien umschattet,

Dein Angesicht der freien Luft enthülltest!

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 271-276.
Lizenz:
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