[164] Schon war von jenen Schatten ich geschieden
Und folgte weiter meines Führers Spuren,
Als einer hinter mir, gehobnen Fingers:
So seht doch, ausrief, wie der Strahl der Sonne
Nicht leuchtet zu des untren linker Seite
Und wie er sich gebart, als ob er lebe. –
Bei dieser Worte Laut wandt' ich die Blicke
Und sah wie sie nach mir, nach mir nur starrten
Und nach dem Lichtstrahl, der durch mich gehemmt war.
Was läßt du dir den Geist so sehr befangen,
Begann mein Meister, daß im Gehn du nachläßt?
Was kümmert dich was dort geflüstert wird?
Komm, folge mir und laß die Leute reden.
Steh' fest gleich einem Turme, dessen Spitze,
Wie auch die Winde toben, nicht erzittert;
Denn wer in sich Gedanken auf Gedanken
Aufschließen läßt, entfernt sich nur vom Ziele;
Des einen Ungestüm schwächt ja den andren. –
Was konnt' ich wohl erwidern, als: Ich komme. –
Ich sagt' es, angehaucht von jener Farbe,
Die oft dem Fehlenden Verzeihung einbringt.
Inzwischen kam den Abhang quer hernieder,
Nur wenig vor uns, eine Seelenschar
Die wechselweise sang: »Gott sei mir gnädig«.
Als sie bemerkten, daß den Sonnenstrahlen
Mein Körper durchzudringen nicht gestatte,
Ward ihr Gesang zum langen, heis'ren O!
Und zwei von ihnen liefen als Gesandte
Der andren uns entgegen mit der Frage:[164]
Wollt über euren Zustand uns belehren. –
Mein Meister sagte drauf: Geht denn zurücke
Und saget denen, die euch hergesendet,
Der Körper dieses hier sei Fleisch und Bein.
Sind also, weil sie seinen Schatten sahn,
Sie stehn geblieben; so genügt die Antwort;
Sie haben ihn zu ehren allen Anlaß. –
Nie sah entflammte Dünst' ich so geschwinde
Den Himmel beim Beginn der Nacht durchstreifen,
Noch, wenn die Sonn' im Sinken, Sommerwolken,
Daß schneller rückgekehrt nicht diese wären.
Kaum waren sie dort angelangt, als alle
Vereint in jähem Lauf sich zu uns wandten.
Gar zahlreich sind die hier sich an uns drängen,
Sie kommen dich zu bitten, sprach der Meister,
Doch weile nicht und höre sie im Gehn. –
O Seele, die, um froh zu werden, aufsteigt
Mit den dir von Geburt verliehnen Gliedern,
Halt' etwas an, so riefen sie, die Schritte.
Schau hin, ob je du wen von uns gesehn hast,
Daß Kunde du von ihm hinüberbringest.
Willst du schon gehn? Warum magst du nicht weilen?
Gewaltsam litten alle wir den Tod
Und waren Sünder bis zur letzten Stunde;
Da bracht' ein Himmelslicht uns zur Besinnung,
So daß wir reuig und dem Feind vergebend
Das Leben endeten, versöhnt mit Gott,
Der, ihn zu schaun die Sehnsucht uns in's Herz legt. –
Und ich: Wie eure Züg' ich auch betrachte,
Zum Heil geborne Geister, kenn' ich keinen;
Doch wünschet ihr, was ich vermag zu leisten,
So sprecht, und ich gelob' es zu vollbringen
Bei jenem Frieden, den mit solchem Führer
Von Welt zu Welt ich zu erlangen strebe. –
Und einer sagte: Ohne daß du schwörest,
Vertraut ein jeder deiner guten Tat,[165]
Wenn nicht Unmöglichkeit den Willen aufhebt.
Drum bitt' ich, der ich vor den andren rede,
Daß, wenn das Land du siehst, daß von Romagna
Sich zu dem Königreiche Karls erstreckt,
Du so willfährig mir dein Fürwort spendest,
Daß man für mich in Fano bet', und Zutritt
Ich zu der schweren Sünden Buße finde.
Dort stammt' ich her; allein die tiefen Wunden
Woraus das Blut, in dem ich wohnte, floß,
Erhielt ich im Gebiet der Stadt Antenor's,
Wo ich am sichersten zu sein vertraute.
Geheißen hatt' es der von Este, welcher
Weit mehr, als zu entschuld'gen ist, mich haßte.
Doch wäre nur gen Mira ich geflohn'
Als eingeholt ich ward bei Oriago,
So weilt' ich dort noch heute, wo man atmet.
Ich aber lief zum Sumpf, und Schmutz und Röhricht
Verstrickten mich; ich stürzte und nun sah ich
Mein Blut am Boden eine Lache bilden. –
Dann rief ein andrer: Ach, wenn das Verlangen
Gewährt dir werde, das dich zieht zum Berge,
So hilf dem meinen du durch gutes Mitleid.
Ich war aus Montefeltro, bin Buonconte;
Nicht denkt Johanna mein und nicht die andren,
Drum geh gesenktes Haupt's ich unter diesen. –
Drauf sagt' ich: Welcher Zufall, welche Macht
Entfernte dich so weit von Campaldino,
Daß nie bekannt ward deines Grabes Stelle? –
Und er: Noch über'm Eremo entspringt
Im Apennin ein Bach, genannt Archiano
Und fließt dann nieder zu dem Casentino.
Dorthin, wo dessen Name schwindet, kam ich
Auf flücht'gem Fuße mit durchbohrter Kehle;
Es färbte, wie ich floh, mein Blut den Boden.
Da ward mein Auge trübe und der Name
Maria's war mein letztes Wort. Dann fiel ich[166]
Zur Erde und mein Leib blieb nun allein.
Die Wahrheit red' ich, und du sag' es weiter:
Mich faßte Gottes Engel; doch der Bote
Der Hölle schrie: Raub ist das, du vom Himmel!
Ob eines Tränleins, das ihn mir entrissen,
Trägst du von hinnen sein unsterblich Teil;
So will ich mit dem andren anders schalten. –
Du weißt, wie in der Luft die feuchten Dünste
Sich sammeln, die als Wasser niederfallen,
Sobald zur kalten Schicht sie aufsteigen.
Durch die Gewalt, die ihm verliehn sein Wesen,
Erregte Dunst und Sturm der arge Wille,
Der mit des Geistes Kraft nur Arges sinnt.
Sobald es Nacht ward, überzog mit Nebel
Von Pratomagno bis zum Joch das Tal er
Und ließ darüber solche Kält' entstehen,
Daß jene schwangere Luft zu Wasser wurde.
Der Regen fiel, und was das Land nicht aufsog,
Floß nieder in so manchem kleinen Rinnsal.
So angesammelt in den größten Bächen
Stürzt' er zum Königsstrom hin so gewaltsam,
Daß seinen Lauf kein Hindernis mehr aufhielt.
Archiano, flutenreich, fand meinen Körper
Erstarrt an seiner Mündung; in den Arno
Riß er ihn fort, das Kreuz der Arme lösend,
Das ich gemacht, als mich der Schmerz bewältigt.
Er wälzte mich umher an Grund und Ufern
Und seine Beute ward mir Hüll und Decke. –
Ach, wenn du heimgekehrt bist zu der Welt,
Und ausgeruht von deiner langen Reise,
So schloß der dritte Geist sich an die Rede
Des zweiten, denke mein, ich bin die Pia;
Mich zeugte Siena, tötete Maremma.
Der weiß es, der zuvor auf meinen Finger
Den Trauring mit dem Edelstein mir steckte. –
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