|
[167] Wenn aufgehoben wird das Würfelspiel,
Bleibt, wer verloren, ärgerlich zurück,
Bedenkt die Würf', und lernt was er versehn hat.
Dem andren aber folgt der ganze Haufen:
Der drängt sich vor, ein zweiter zupft ihn hinten,
Ein dritter macht sich seitwärts ihm bemerklich.
Er aber weilt nicht, hört auf den und jenen;
Wem er die Hand gereicht, ist nicht mehr lästig,
Und so erwehrt er klug sich des Gedränges.
So tat auch ich in jener dichten Schar;
Denn, mein Gesicht bald da, bald dorthin wendend,
Macht' ich mich los von ihnen durch Versprechen.
Der Aretiner, den die grimmen Arme
Des Ghin di Tacco töteten, war da,
Und auch der andre, der gejagt ertrunken.
Da baten mich mit ausgestreckten Händen
Friedrich Novello so wie der Pisaner,
Durch den Marzucco Kraft bewies, der gute.
Graf Orso sah ich, und die, wie sie sagte,
Aus Neid und Mißgunst, nicht ob eigner Schuld,
Von ihrem Körper losgeriss'ne Seele
Des Peter de la Brosse, und dies bedenke
Die Dame von Brabant, weil sie noch hier ist,
Daß sie nicht ärger Herde drum verfalle.
Als ich mich losgemacht von all' den Schatten,
Die nur, daß andre beten möchten, baten,
Damit ihr Heiligwerden sich erfrühe,
Begann ich: Du mein Licht, in einem Texte
Scheinst du mit klaren Worten zu verneinen,
Daß je Gebet des Himmels Ratschluß ändre;
Und dennoch bitten diese nur um solches.
Täuscht sie denn ihre Hoffnung, oder
Blieb unklar mir die Deutung deines Wortes? –[168]
Nicht dunkel ist mein Wort, sagt' er dagegen,
Noch trügerisch die Hoffnung dieser Seelen,
Wenn man nur aufmerkt mit gesundem Geiste.
Es beugt sich nicht des Richterspruches Höhe,
Erfüllt im Augenblick das Liebesfeuer
Was zu bezahlen hat, wer hier verweilet.
Dort aber, wo ich jenen Grundsatz aussprach,
Ward nicht der Mangel ausgefüllt durch Bitten;
Denn losgetrennt von Gott war das Gebet.
Damit begnüge dich, und bis dich jene
Belehrt, die zwischen Wahrheit und Verständnis
Dir Leuchte wird, laß ab von solchem Zweifel.
Verstehst du mich? Von Beatrice red' ich,
Du wirst sie wiedersehn; doch weiter oben,
Auf dieses Berges Gipfel, selig lächelnd. –
O Herr, so sagt' ich, gehn wir denn geschwinder,
Nicht so wie früher werd' ich nun ermatten,
Und sieh, wie Schatten schon der Berg uns bietet. –
Wir wollen vorwärts gehn mit diesem Tage,
Erwidert' er darauf, so weit wir können;
Doch anders steht, als wie du denkst, die Sache.
Denn, die sich hinterm Berge jetzt versteckt hat,
So daß du ihre Strahlen nicht mehr auffängst,
Siehst, eh' wir oben sind, du wiederkehren.
Doch sieh' den Schatten, der so ganz allein
Dort weilend nur nach uns das Auge wendet;
Er wird vom nächsten Weg' uns Kunde geben. –
Wir kamen näher; o Lombardenseele,
Wie saßest stolz du da und unerschüttert,
In deines Aug's Bewegung Ruh' und Würde!
Sie redete mit keinem Wort uns an,
Nur, wie wir gingen, blickte sie nach uns,
Wie wohl ein Löwe tut, wenn er sich ausruht.
Da trat Virgil zu ihr mit dem Begehren,
Daß sie den besten Weg zur Höh' uns zeige;
Sie aber, statt der Bitte zu entsprechen,[169]
Frug uns nach Vaterland und Lebensweise.
Aus Mantova – begann mein süßer Meister;
Da stand, der nur in sich bisher gekehrt war,
Der Schatten auf, und sprach entgegeneilend:
O Mantovaner, sieh' in mir Sordello,
Aus deiner Stadt! – worauf sich beid' umarmten.
Geknechtetes Italien, Haus der Schmerzen,
Schiff ohne Steuermann in großem Sturme,
Nicht Länderkönigin, nein Hurenkammer!
Schon bei dem süßen Klange seiner Heimat
War dieser edle Schatten so beeifert
Den Landsgenossen freudig zu begrüßen;
Doch du! – auch heute sind die in dir leben
Nicht ohne Krieg, es hassen sich einander
Die eine Mauer und ein Graben einschließt.
Betrachte ringsum deine Meeresküsten,
Du Ärmste, blicke dann in deinen Schoß,
Ob Frieden irgendeinen Teil erfreue.
Was hilft es, daß Justinian den Zügel
Dir hergestellt, wenn ledig bleibt der Sattel,
Geringer wär' die Schande ohne jenen.
Ihr, die verpflichtet wäret, fromm zu sein,
Im Sattel Cäsar unbeirrt zu lassen,
Verstündet recht ihr, was euch Gott gebietet,
Seht, wie so tückisch ist dies Tier geworden,
Weil nicht mehr in der Flank es fühlt die Sporen,
Seit an den Zügel ihr gelegt die Hand!
Der du dies Roß, das wild ward und unbändig,
Statt zügelnd in den Sattel dich zu schwingen,
Sich selber überlässest, deutscher Albrecht,
Gerecht Gericht, das offenbar und neu sei,
Mög' auf dein Blut von den Gestirnen fallen,
So daß die Furcht, den der Dir nachfolgt, fasse.
Wie durftet ihr, du und dein Vater, dulden,
Nur weil die Habsucht euch dort jenseits festhielt,
Daß eures Reiches Garten gar verwildre?[170]
Komm, sieh' die Cappelletti und Montecchi,
Monald' und Filippeschi, Pflichtvergeßner;
In Furcht die einen, schon betrübt die andern.
Fühlloser, komm und sieh', wie schwer bedrückt
Dein Adel ist; komm, heile seine Schäden!
Sieh' selber, tiefgesunken, Santa Fiore.
Sieh, deine Roma, die in heißen Tränen,
Verwittwet und allein, bei Nacht und Tage,
Mein Cäsar, ruft, warum bist du mir ferne? –
Komm sieh', in welcher Art man hier sich lieb hat;
Und wenn du doch mit uns kein Mitleid fühlest,
So komm, ob deines Rufes dich zu schämen.
Ist wohl zu kühn die Frage, Herr des Himmels,
Der du für uns gekreuzigt bist auf Erden:
Ob anderwärts dein heil'ges Auge hinblickt?
Bereitest du vielleicht in deines Ratschluß'
Grundloser Tief' ein Heil auf diesem Wege,
Das menschlichem Erkennen unerreichbar?
Sind doch Italiens Städte samt und sonders
Voll von Tyrannen; ein Marcellus dünkt sich
Jedweder Bauer, der Parteiung zettelt.
Mein Florenz, sei zufrieden, du hast Ursach,
Denn dich kann dieser Ausfall nimmer treffen,
Dank deinem Volke, das so klug sich vorsieht.
Gerechtigkeit im Herzen haben viele,
Doch scheun sie, unberaten loszudrücken;
Dein Volk indes hat stets sie auf den Lippen.
Wohl manche fliehn die Last für's allgemeine;
Doch deine Bürger eilen ungefordert
Zu rufen: Gebt nur her, ich unternehm' es.
So freue dich, denn Grund hast du die Fülle.
Du bist ja reich, friedfertig, voller Weisheit;
Ob ich die Wahrheit sage, zeigt die Wirkung.
Athen und Lacedämon, die vor Zeiten
Gesetze gebend edle Sitte übten,
Mit dir verglichen leisteten sie wenig;[171]
Denn du erläßt so pfiffige Gebote,
Daß nicht zur Hälfte des Novembers vorhält,
Was während des Oktobers du gesponnen.
Wie oft schon, seit ich denke, hast Gesetze,
Hast Münzen, Ämter, Sitten du gewechselt
Und umgewandelt alle deine Glieder.
Erinnerst du dich recht und hast du Einsicht,
So wirst du sehn, daß du der Kranken gleichest,
Die auf dem Pfühl nicht Ruh zu finden weiß,
Und die sich wendet, um dem Schmerz zu wehren.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro