|
[172] Als jene freudig ehrenhaften Grüße
Schon drei- und viermal sich erneuet, trat
Sordell zurück und sprach: Sagt an wer seid ihr? –
Eh' sich zu diesem Berg die Seelen wandten,
Die würdig sind zu Gott emporzusteigen,
Ward mein Gebein von Octavian bestattet.
Ich bin Virgil, und nur die eine Schuld
Raubt mir den Himmel, daß mir Glauben fehlte. –
So lautete die Antwort meines Führers.
Wie einer, der vor seinen Augen plötzlich
Etwas erblickt, ob dessen er sich wundert,
Und glaubt und nicht glaubt, daß es sei und nicht sei,
So schien mir jener; doch die Wimpern senkt' er
Und wandt' in Demut sich zu ihm zurück,
Wo sich der niedre anhält, ihn umarmend.
O der Lateiner Ruhm, sagt' er, durch welchen
Was sie vermag, gezeigt hat unsre Sprache,
Du ew'ger Preis des Ortes meiner Heimat,
Leiht mir Verdienst, leiht Gnade deinen Anblick?
Und bin ich dich zu hören wert, so sage,
Ob du der Höll' entstieg'st und welchem Schlunde? –
Durch jeden Kreis des schmerzensvollen Reiches,[172]
Sprach er, ging ich hindurch, hierher zu kommen;
Mich sandte Himmelskraft, die mich begleitet.
Nicht wegen Tuns, nur wegen Nichttuns werd' ich
Die Sonne nimmer sehn, die du ersehnest,
Und die ich leider allzuspät erkannte.
Ein Ort ist drunten, unbetrübt von Qualen,
Den Finsternis nur drückt und wo die Klagen
Nicht Schmerzensrufe, sondern Seufzer sind.
Mit den unschuld'gen Kindern weil' ich dort,
Die, unbefreit noch von der Menschheit Sünde,
Ergriffen wurden von dem Biß des Todes:
Genosse deren, die zwar mit den drei
Geweihten Tugenden sich nicht bekleidet,
Doch frei von Fehl, die andren sämtlich übten.
Du aber, weißt du anders und vermagst es,
Gib Kunde uns, wie wir am nächsten dahin
Gelangen, wo das Fegefeuer anfängt. –
Und er: Kein fester Ort ist uns beschieden;
Ich darf bergauf und hin und wieder wandeln,
So weit ich geh'n kann, werd' ich dich geleiten.
Doch sieh', wie schon der Tag zu Ende eilet,
Und ist es Nacht, kann man nicht weitersteigen;
Drum tun wir wohl auf gute Rast zu sinnen.
Hier rechts, nicht weit entfernt, verweilen Schatten;
Ist dir's genehm, so führ ich dich zu ihnen,
Und sicher ist dir, sie zu sehn erfreulich. –
Wie ist das, war die Antwort, würde jemand
Den hindern, der des Nachts aufstiege, oder
Vermöcht' er's nicht, weil ihm die Kraft gebräche? –
Sordell, der gute, streifte mit dem Finger
Die Erd' und sprach: Nicht diesen Strich vermagst du
Zu überschreiten, wenn die Sonn' entschwunden,
Doch hindert weiter nichts emporzusteigen,
Als nur allein die nächt'ge Finsternis;
Sie hemmt die Kraft und mit ihr auch den Willen.
Wohl aber könnte man, auch wenn den Tag[173]
Der Horizont verschließt, nach unten kehren
Und auch umirrend längs dem Strande schweifen. –
Verwundert schien mein Herr mir, als er sagte:
So führ' uns dorthin, wo, wie du berichtest,
Uns Freude werden soll, indem wir weilen. –
Erst wenig weiter waren wir geschritten,
Als in dem Berg' ich eine Senkung wahrnahm,
Wie diesseits Täler sich in Berge senken.
Dorthin, so sprach der Schatten, laß uns gehen,
Wo in dem Abhang sich ein Schoß gebildet;
Dort wollen wir den neuen Tag erwarten. –
Ein Fußweg bot sich zwischen Steil' und Fläche,
Der uns zur Flanke jenes Tales führte,
Dort wo sein Rand mehr als zur Hälfte schwindet.
Gold, Silber und Karmin wie Elfenbein
Und Holz aus Indien, sowie glänzend lichtes,
Smaragd auch, der soeben erst gespalten,
Sie wären von den Gräsern und den Blumen
In diesem Tal an Farbenpracht besiegt,
Sowie der Schwächre unterliegt dem Starken.
Und nicht gemalt nur hatte dort Natur;
Die Würzigkeit von tausend Wohlgerüchen
Vermischte sich zu niegekannter Süße.
Und auf dem Rasen und den Blumen sah ich
Salve Regina singend, Seelen sitzen,
Die, ob des Tals, man außerhalb nicht wahrnahm.
Bevor die Sonne ganz zur Rüste gehe,
Begann der Mantovaner, der uns führte,
Verlangt nicht, daß zu jenen ich euch bringe.
Das Tun, sowie die Züge aller werdet
Von diesem Vorsprung besser ihr erkennen,
Als, seid ihr drunten erst, in ihrer Mitte.
Der dort am höchsten sitzt, doch dessen Ausdruck
Anzeigt, daß seine Pflicht er unterlassen,
Und der den Mund nicht regt beim Sang der andren,
War Kaiser Rudolph, der die Todeswunden[174]
Italiens noch imstande war zu heilen,
Wo jetzt kein andrer mehr vermag zu helfen.
Der zweite, der dem Anschein nach ihn tröstet,
Befahl dem Lande, dessen Wässer alle
Moldau der Elb' und die dem Meere zuführt.
Ottokar hieß er und schon in den Windeln
War er um vieles tüchtiger als Wenzel,
Sein Sohn, im Bart, den Wollust freut und Nichtstun.
Der stumpf Benas'te, der in engem Zwiesprach
Mit jenem scheinet, der so gütig aussieht,
Starb auf der Flucht die Lilien entblätternd.
Seht, wie in Reu' er sich die Brust zerschlägt!
Und seht den andren, welcher unter Seufzern
Auf seine flache Hand das Haupt gebettet:
Der Vater sind sie und der Schwiegervater
Des Frankenunheils, und daß sie sein Leben
Voll Schand' und Laster kennen, macht sie traurig.
Der Gliederkräftge dort, der im Gesange
Sich jenem anschließt mit der starken Nase,
Mit jeder Trefflichkeit war er gegürtet.
Und wäre nur die Krone jenem Jüngling,
Den hinter ihm ihr sitzen seht, geblieben,
So ging die Tüchtigkeit von Haupt zu Haupte.
Doch mit den andren Erben ist's nicht also:
Jacob und Friedrich haben wohl die Reiche,
Doch nichts besitzen sie vom besseren Erbteil.
Nur selten wiederholt sich in den Zweigen
Der Menschen Würdigkeit, und also will es
Der sie verleiht, daß man von ihm sie heische.
Und meine Rede gilt, sowohl als Peter,
Dem Großbenas'ten auch, der mit ihm singt,
Weshalb Apulien und Provence wehklagt.
Der Sam' ist so viel schlechter wie die Pflanze,
Als sich Constanze mehr wie Beatrice
Und Margarete ihres Gatten rühmet.
Sieh' dort den König von einfältigem Wandel,[175]
Heinrich von England, abgesondert sitzen;
Der hat in seinen Zweigen bessren Ausgang.
Der andre, welcher tiefer sich gelagert
Und aufwärts schauet, ist der Markgraf Wilhelm,
Ob dessen Monferrat und Canavese
Um Alessandria weint und dessen Krieg. –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro