|
[276] So haftete mein Auge fest und eifrig,
Zehn Jahre langen heißen Durst zu stillen,
Daß tot die andren Sinne sämtliche schienen.
Mit einer Wand umgab sie rechts und links
Gleichgültigkeit; so zog das heil'ge Lächeln
Sie mit dem alten Netze zu sich hin.
Da ward gewaltsam nach der linken Seite
Von jenen Göttinnen mein Blick gewandt;
Denn ich vernahm: Nicht allzustier! – sie sagen.
Und jener Zustand, der die Augen blendet,
Wenn eben erst die Sonne sie getroffen,
Beraubte mich auf ein'ge Zeit der Sehkraft.
Als dann mein Aug' allmählich für Gering'res
Empfänglich ward (Gering'res im Vergleiche
Des Zuviel, dem mein Aug' entrissen war),
Gewahrt' ich, wie zur rechten Seite hin
Die heil'ge Schar gekehrt war, und das Antlitz
Zur Sonne wandte und den sieben Flammen.
Wie eine Kriegsschar, die, beschützt von Schilden,
Um sich zu retten fliehn will, mit der Fahne
Voraus, sich wendet, ehe ganz sie umkehrt,
So ging der Teil von jenem Himmelsheere,
Der erst voranging, ganz an uns vorbei,
Eh noch sein vordres Holz den Wagen wandte.
Dann stellten zu den Rädern sich die Frauen,
Und ohne, daß sich eine Feder regte,
Bewegte die geweihte Last der Greif.
Von Statius und von mir begleitet, folgte[276]
Das holde Weib, die durch die Furth mich zog,
Dem Rade, das die kleinste Wendung machte.
Es regelte, als durch den Wald (der leer steht
Durch deren Schuld, die einst der Schlange glaubte)
Wir gingen, unsren Schritt ein Engelslied.
Vielleicht, daß solchen Raum in dreien Flügen
Ein losgelass'ner Pfeil durchmißt, als wir
Zurückgelegt, da Beatrice abstieg.
Da hört' ich murrend alle »Adam« sagen.
Drauf kreisten sie um einen Stamm, des Zweige
Beraubt der Blüten waren, wie der Blätter.
Sein Haar, das um so weiter sich verbreitet,
Je mehr es aufsteigt, würd' ob seiner Höhe
Selbst in den Wäldern Indiens Staunen wecken.
Gesegnet sei'st du, Greif! daß dieses Holzes
Dein Schnabel sich enthält, obwohl es süß schmeckt;
Denn übel wurmt es hinterdrein im Bauche. –
So schrie'n, rings um den kräft'gen Baum, die andren;
Das zwiegestalt'ge Tier dagegen sagte:
Also bewahrt man alles Rechtes Samen! –
Und zugewandt der Deichsel, die er lenkte,
Zog er zum Fuß sie des verwaisten Baumes
Und ließ an ihn, was von ihm war, gebunden.
Wie unsre Pflanzen, wenn das große Licht
Vermischt mit dem zur Erde niederfällt,
Das, auf die Himmelsfische folgend strahlt,
In ihren Knospen schwellen, und dann jede
In eigner Farbe sprießt, noch eh die Sonne
In andrem Sternbild ihre Rosse anschirrt,
So ward der Baum, der so verwaiste Zweige
Zuvor gewiesen, neu belebt, mehr Farbe
Als Veilchen, weniger als Rosen zeigend.
Den Hymnus, welchen jene Schar dann sang,
Verstand ich nicht; hier wird er nicht gesungen,
Auch konnt' ich bis zu Ende nicht ihn hören.
Wüßt' ich zu schildern, wie die strengen Augen[277]
In Schlaf, als sie von Syrinx hörten, sanken,
Und längres Wachen dann so teuer zahlten,
Dann würd' ich, wie, wenn er ein Vorbild nachmalt,
Der Maler tut, wie ich in Schlaf fiel zeichnen;
Nun schildre, wie man einschläft, wer da Lust hat,
Drum übergeh' ich bis wo ich erwachte,
Und sag', ein Glanz zerriß des Schlafes Schleier
Mir mit dem Ruf vereint: Steh auf! was säumst du? –
So wie Johannes, Petrus und Jacobus,
Als sie (geführt, des Apfelbaumes Blüten,
Nach dessen Frucht die Engel selbst gelüstet
Und der im Himmel ew'ge Hochzeit feiert,
Zu sehn) entschlummert waren, bei dem Worte
Das tiefren Schlaf bezwungen hat, erwachten,
Und ihre Schule dann gemindert fanden
Sowohl um Moses als auch um Elias,
Und umgewandelt ihres Meisters Kleidung –
So sah, als mir Besinnung wiederkehrte,
Ich jene Fromme neben mir, die längs
Des Bachs geleitet hatte meine Schritte.
Wo ist Beatrix? – sagt' ich voller Zweifel.
Drauf jene: Siehe dort sie auf der Wurzel
Des neubelaubten Baum's im Schatten sitzen.
Sieh das Geleite, welches sie umgibt;
Die andren gehn dem Greife nach gen oben
Und singen süß're Lieder noch und tiefre. –
Nicht weiß ich, ob sie weiter noch gesprochen:
Schon hatten meine Augen die erfaßt,
Die mich für andres unempfänglich machte.
Sie saß allein auf dem wahrhaften Boden,
Geblieben, um den Wagen zu bewachen,
Den ich vom Doppeltier befest'gen sah.
Im Kreis' umschlossen sie die sieben Nymphen
Und trugen jene Lichter in den Händen,
Die sicher sind vor Nordwind oder Föhn:
Nur kurze Zeit noch wirst ein Gast du hier sein;[278]
Dann bleibst du ewig Bürger jenes Rom's,
Von welchem Christus selbst ein Römer ist;
Darum, der Welt zum Nutz, die übel wandelt,
Sollst auf den Wagen du die Augen richten,
Und heimgekehrt, was du gesehn hast, schreiben, –
So sprach Beatrix, und, der ich bereit
Zu ihres Willens Füßen saß, ich wandte
So Geist als Augen dorthin, wo sie wollte.
Aus dichter Wolke schoß mit solcher Schnelle
Niemals die Flamme nieder, wenn der Regen
Von unsres Dunstkreis' fernster Grenze kommt,
Als durch den Baum den Vogel Jupiter's
Ich niederschießen sah, die Rinde splitternd
So wie die Blumen und die neuen Blätter.
Mit aller seiner Kraft traf er den Wagen;
Der aber wankte, wie ein Schiff in Nöten,
Das Wellen hinten bald, bald vorn bedrängen.
Dann sah ich in des Siegeswagens Wiege
Sich einen Fuchs voll Freßbegierde stürzen,
Der alles guten Futters ledig schien.
Doch meine Herrin zieh ihn schnöder Sünden
Und jagte ihn in so behende Flucht,
Als die Gebeine ohne Fleisch ihn trugen.
Dann aber sah ich in des Wagens Arche
Vom vor'gen Ort den Adler wiederkehren
Und seiner Federn einen Teil ihr lassen.
Wie aus der Brust die bitter sich beklaget,
So kam vom Himmel eine Stimm' und sagte:
Wie bist, mein Schifflein, übel du beladen! –
Dann war's, als täte zwischen den zwei Rädern
Der Grund sich auf, ausspeiend einen Drachen,
Der mit dem Schwanze das Gefährt durchbohrte.
Und, wie zurück den Stachel zieht die Wespe,
So riß, den bösen Schweif er nach sich ziehend,
Ein Stück vom Boden aus und floh behende;
Was übrig blieb, bezog, wie fettes Erdreich[279]
Mit Grase, mit den Federn sich, die wohl
Gespendet waren in der besten Absicht.
Das ein' und andre Rad, die Deichsel auch
Bedeckten sich damit in solcher Schnelle,
Daß länger wohl den Mund ein Seufzer aufhält.
Also verwandelt, streckte dann das heil'ge
Gebäude Häupter vor aus seinen Teilen:
Drei aus der Deichsel, eins aus jeder Ecke.
Gehörnt wie die des Stieres, waren jene,
Nur ein Horn aber trugen die vier andren;
Ein ähnlich Ungetüm war nie zuvor.
Wie eine Burg auf hohem Felsen trotzig,
Sah auf dem Untier eine Hur' ich sitzen,
Die rings umher die frechen Blicke wandte,
Und neben ihr, hoch aufrecht, auf der Wacht,
Daß man sie ihm nicht raube, stand ein Riese,
Der geiler Küsse manchen mit ihr tauschte.
Als rings umschweifend sie das gier'ge Auge
Auf mich gerichtet, schlug der wilde Buhle
Vom Haupt sie bis zur Sohle mit der Geißel;
Dann aber lös't er voll Verdacht und zornig
Das Ungetüm und schleppt' es in den Wald
So weit hinein, daß dieser mich vom Anblick
Der Hure und des neuen Tiers befreite.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
746 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro