Zwölfter Reim

Venusine thront im Himmel, wo sie jüngstes Gericht hält und den Liebesdichter Dauthendey an ihre rechte Seite setzt

Brennend brannte Sonne

Auf die Weinbergmauern,

Selbst die Steine konnten

Einem schwitzend dauern.


In dem juliblauen

Himmel standen Wolken

Weißgedeckt zu schauen,


Weißgedeckt wie Tische,

Die auf Gäste warten.

Dauthendey, der Dichter,

Sah's von seinem Garten.


Nahm vom Stall den Schimmel,

Den er täglich reitet,

Sprengte in den Himmel.


Sah der Erde Väter

An den Tischen schmausen;

Aßen, tranken, lachten

Ohne lange Pausen.


Biblische Gesichter

Grüßten ihn gar höflich,

Ihn, der Liebe Dichter.


Venusine selber,

Frei von Kleid und Schleppe,

Rannte ihm entgegen

An der blauen Treppe.


Fiel ihm in die Arme,

Lacht mit vollen Backen

Frei von Trän' und Harme.
[123]

Ȇber Deinem Garten

Deckten wir die Tische.

Alle Speisen warten,

Suppe, Omelett', Fische,


Kaviar und Kapaunen.

Und die Musikanten

Rufen mit Posaunen.


Siehst Du Adam, Moses,

Abraham und Aron?

Siehst Du Homer, Dante,

Goethe und auch Charon?


Heut ist ›Jüngst's Gerichte‹.

Deshalb kommt man nämlich, –

Flott wird die Geschichte.


Seit der Teufel neulich

Schnell aus Lieb gestorben,

Hat er samt der Hölle

S' Himmelreich erworben.


Himmlisches Gelichter,

Platz«, ruft Venusine,

»Platz für meinen Dichter!«


Dauthendey muß sitzen

Ihr zur rechten Seite,

Er, der schon sein Lebtag

Um die Venus freite.


Teufel sitzt zur Linken.

Venus, Teufel, Dichter

Dutzen sich und trinken.
[124]

Venusine drückte

Unterm Tisch die Zehen

Beiden von den Gästen –

Liebe mußt' entstehen.


Lange konnt's nicht dauern,

Ward die Luft zu enge

Selbst in Himmelsmauern.


Teufel eifersüchtig

Ließ sich gar nichts merken.

Dauthendey, erstickend,

Mußt' am Wein sich stärken.


Die vom Testamente,

Von dem alt und neuen,

Sagten: »Prost Entente!«


Venusin verlegen

Küßte ihren Dichter.

Teufel lachte vorne,

Hinten schnitt er G'sichter.


»Bin ich nicht gestorben

Jüngst erst Dir zu Liebe

Und jetzt unverdorben?«


Also fragte leise

Teufel Venusine.

Diese aber teuflisch

Lacht mit Himmelsmiene:


»Unter uns gesprochen

Hast Du einst nach Schwefel

Besser mir gerochen.
[125]

Teufel, warst mir lieber,

Wie Du noch am Leben

Wilder als ein Wilder,

Die nicht Gnade geben.


Heute hier im Himmel

Lieb ich mehr den Dichter,

Mehr selbst seinen Schimmel.«


Zornig ward der Teufel

Über alle Maßen.

Wollte gerne wettern,

Aber selbst das Hassen,


Das ihm gut gestanden

Unten in der Hölle,

Kam ihm jetzt abhanden.


Gütig war der Böse

Gar nicht zu erkennen;

Ängstlich von der Tafel

Tat er weiterrennen,


Ängstlich aus dem Saale

Fort von allen Guten,

Fort vom Liebesmahle.


An der blauen Treppe

Stand des Dichters Schimmel.

Diesen stiehlt der Teufel,

Reitet aus dem Himmel.


Seine Wege münden

Wieder auf die Erde,

Will dort Höllen gründen.
[126]

Und dort wird er Zensor,

Der den Dichter bindet,

Kritikus daneben,

Der die Haut ihm schindet.


Bis er davon müde,

In dem Reichstag sitzet

Und plaidiert fürs Prüde.


Aber alle Leiden,

Die der Teufel dichtet,

Nicht dem Menschen schaden,

Der zur Venus flüchtet.


Venus wird erlösen

Alle ihre Dichter

Von den Prüden, Bösen.


Venus hat den Vorsitz

An den Himmelstischen,

Tut auch ihrem Liebling

Selbst den Mund abwischen.


Gar nichts muß er müssen,

Läßt den Teufel fluchen,

Darf die Venus küssen.


Kommt man in den Himmel,

Fragt Dich ins Gesichte

Venusin, als Richter

Von dem Weltgerichte:


»Tat Dein Blut auch lieben

Echt und ohne Logik?

Dann wird dageblieben.
[127]

Hast Du's nicht gelernet,

Dann nochmals auf Erden

Mußt zum echten lieben

Du geboren werden.


Dann zurück zur Erde,

Lerne Feuer fangen,

Wie die Dichterpferde!


Feurig ohn' Gedanke

Nimm Unmöglichkeiten!

Herzen sattelfester

Als Gehirne reiten.


Nicht mit Kritik-Miene

Schau aufs Ideale,

Sonst flieht Venusine.«


Lebt jetzt wohl ihr Menschen,

Die ihr dies gelesen!

Ist euch manches fettig

Und zu fett gewesen,


Schleckt euch eure Hände.

Von dem Venusreime

Ist jetzt dies das Ende.


ENDE

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 119-128.
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