Neunter Reim

Venusinens Besuch und Ohnmacht in der Sixtina

»Muß noch zur Sixtina,«

Rief die Venus eilig.

»Diese ist besonders

Meinem Herzen heilig.


Hörte: es vergehen

Dort die Christusbilder,

Die schon lang bestehen.


Angelo, der Meister,

Er kehrt niemals wieder,

Und vor seinen Werken

Knie auch ich gern nieder,


Lieb ihn, den das Nackte,

Mächtig wie die Götter,

Stets von Grund aus packte.


Tat heut Nacht ersuchen

Meinen Signor Teufel:

›Reparier' Sixtina!‹

Doch er hegte Zweifel.


Will mir's selbst ansehen,

Ob er nachgeholfen.

Etwas muß geschehen!«


Zu dem Vatikane

Mit besorgter Miene

Eilte kunstverständig

Schleunigst Venusine


Durch die Schweizer Wachen,

Die der schönsten Dame

Liebeszeichen machen.
[95]

Sie ersteigt die Treppen.

Im Entré voll Farben

Standen bleiche Leute,

Bleich, als ob sie starben,


Kopfschütteln die Köpfe,

Schienen zu ersticken,

Kriegten beinah Kröpfe.


Da kam auch der Teufel

Venus schon entgegen.

Bat: »Geh nicht mehr weiter

Der Sixtina wegen!«


War im Reiserocke

Wie ein Opernsänger,

In der Stirn die Locke.


Venus voll Erstaunen

Fragt: »Was ist geschehen?

Daß die Leut wie Leichen

Hier im Vorsaal stehen?«


Teufel konnt nicht sprechen.

Venus kurz entschlossen

Mußte Bahn sich brechen.


Greift der Türe Klinke,

Steht in der Kapelle.

Plötzlich sinkt sie nieder

Ohnmächtig zur Schwelle.


»Teufel,« ruft der Teufel,

»Ich werd's reparieren!

Das ist ohne Zweifel.«
[96]

Leer in der Kapelle

Waren alle Flächen.

Leere öde Mauern –

S'war zum Herzzerbrechen.


Staub lag auf den Fliesen

Gleich, als hab ein Beben

Alles umgeschmissen.


»Venus,« bat der Teufel

Kläglich in der Miene.

Führt sie fast gebrochen

Fort aus der Sixtine.


Hat sie fortgeschoben,

Hieß sie niedersitzen

Erst in der Garderoben.


»Laß mich hier erzählen,

Und Du sollst Dich fassen,«

Bat auf Knie'n der Teufel.

»Als ich Dich verlassen


Heut im Morgengrauen,

Lief ich nicht gleich weiter

Zu den andern Frauen.


Eilte zur Sixtina –

Eifersucht macht Schmerzen,

Wollte nicht, daß Deine

Augen Bilder herzen,


Jenen großen nackten

Menschensohn im Bilde, –

Qualen mich zerhackten.
[97]

Jenen da, der richtend

Aus den Wolken rannte,

Böses und auch Gutes

Viel zu ernst erkannte.


Jenen Sohn der Nöte

Dacht ich zu zerstören,

Wenn ich Kraft aufböte.


Tret' in die Sixtina,

Unter tiefstem Schauer,

Öffne nicht die Lippe,

Starre nur zur Mauer


Denkend: wie so mächtig

Venusin mich machte!

Und war ganz andächtig.


Mußte niederknieen,

Nicht vorm Kirchenbilde, –

Vor dem Blut im Herzen,

Das heut Nacht mich stillte;


Vor den kurzen Stunden,

Da wir nichts mehr wußten

Und uns nackt gefunden.


Plötzlich war's wie Seufzen,

Das sich um mich windet:

Von den Bilderwänden

Fällt die Farb' und schwindet.


Alles, was die Mauer

Hielt, stob in die Winde,

Der Jahrhundert Dauer.«
[98]

Venusine staunte

Und war fast beklommen,

Daß der Teufel solche

Lieb für sie bekommen.


Dankte ihm; indessen

Blieb sie doch inwendig

Etwas abgemessen.


Dachte: »War des Menschen

Sohn nicht doch am Ende

Schöner als der Teufel

An Sixtinas' Wände,


Weil der Teufel wollte,

Daß ich den nicht sehen

Und nicht lieben sollte?«


»Ja, so sind die Frauen,«

Rief gereizt der Teufel,

»Sehen Angebote

Immer an mit Zweifel.


Lieber sind sie Diebe,

Als daß sie die Treue

Schätzen in der Liebe.


Bin nicht stets der Böse,

Du nicht stets die Gute.

Heut in nächtger Stunde

Mischten wir zwei Blute.


Fühl mich jetzt wie aller

Schöpfung frohe Wesen

Und doch nicht banaler.
[99]

Will an leere Wände

Dir jetzt Christus malen,

Leiden auch die Hände

Drüber Folterqualen.


Sollt's Ideal mal sehen,

Herrin Venusine,

Nackt bis an die Zehen.«


Seine Stimme hallte

Donnernd aus dem Blauen.

Christus den Asketen

Schildert er mit Grauen.


Venus wehrt mit Händen,

Weil die Lust des Blutes

Schmerz wird ihren Lenden.


Doch er malt ohn' Gnade,

Malt mit klaren Zügen

Teuflisch 'ne Ballade,

Schildert ohne Lügen;


Schildert den Rivalen,

Und sogar die Wahrheit

Macht ihm heut nicht Qualen.


Venusin erschrocken,

S' fing ihr Haar fast Flammen,

Flüchtet in der Erde

Herz und kriecht zusammen.


Ist voll Angst entwichen,

Und der Teufel hat sich

Stolz den Bart gestrichen.
[100]

Horcht jetzt was er sagte!

Teuflisch war's ersonnen.

Nur ein Gott so wagte

Götter zu entthronen.


Venus zu gewinnen,

Sprach sich selbst der Teufel

Heute ganz von Sinnen:

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 91-101.
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