Erster Reim

Venusinens Toilette, Schuhe, Korsette und Leberflecken

Prächtig sind die Tiere,

Die nichts sündig finden,

Leben ihrer Liebe,

Sterben und verschwinden.


Eitler doch als Pfauen

Sind die Menschenseelen

Und verbreiten Grauen.


Götterdämm'rung herrschte

Auf der Erde Trachten,

Denn die Götter konnten

Keinen Mensch mehr achten,


Hielten sich verborgen,

Nahmen mit die Freuden, –

Seufzen blieb und Sorgen.


In dem Hörselberge

Saß Frau Venusine

Tausend Jahr in Tränen

Und mit müder Miene.


Endlich aber fühlte

Sie die Zeit gekommen,

Die die Nacht fortspülte.


Alte Sitt' und Weisen

Gehen dann in Sprüngen,

Wenn die Götter kreisen

Und sich selbst verjüngen.


Denn auch ihrer Dauer

Liegt der Tod am Wege,

Sitzt die Zeit als Mauer.
[3]

Blühend unter Schmerzen

Schrie Frau Venusine:

»Menschen, tote Tiere

Seid ihr ohne Minne!


Geist macht kaltes Dürsten.

Euch gilt heut die Liebe

Gleich den Pferdfleischwürsten.


Kindlich seid ihr Menschen,

Kindlich im Erfinden.

Denn ihr wollt die Liebe

Durch die Tinte binden.


Leidenschaften werden

Täglich unbequemer

Und gehaßt auf Erden.


Leidenschaftlich lobten

Mich einst frohe Heiden.

Freude sie verehrten,

Ihr verehrt nur Leiden.


Selbst könnt ihr euch fluchen;

Schon im Mutterleibe

Darf euch Fluch aufsuchen.


Habt gar viel erfunden.

Machtet selbst euch schlechter.

Habt die Sünd' erdichtet.

Ihr, des Lebens Aechter,


Wollt auch Schuld einimpfen

Schon den Embryonen,

Unschuld bös beschimpfen.
[4]

Aber neue Zeiten

Treten unter Waffen.

Frei will sich die Freude

Neu bei euch erschaffen.


Bös nicht und nicht besser

Gleich den anderen Tieren,

Seid ihr, Bratenfresser. –


Söhnchen Amor, höre:

Rot wie eine Hummer

Schießt Du Dich nur müde,

Machst die Pfeil' nur krummer.


Wirf ihn fort den Bogen!

Mit Maschingewehren

Komm vor's Herz gezogen.


Menschen tragen Panzer-

Platten unter Hemden,

Drunter da verlachen

Dich die Unverschämten.


Siehe, wie Verbannte

Lebten wir im Berge

Von der Welt Verkannte!


Laß uns unter Leute

In die Städte gehen!

Zu lang man sich scheute

Uns ins Aug zu sehen.


Immer nur in Träumen

Sangen wir verborgen

Und in Gartenbäumen.
[5]

Nur wie Duft der Blumen

Die zum Frühling kamen,

Gar zu zart und süßlich

Wir uns stets benahmen.


Offen will ich streiten,

Leibeslust will leben,

Zeit verschiebt die Zeiten!


Eckehardt, Getreuer,

Wächter vor dem Bösen,

Laß nach Tausend Jahren

Deine Wach ablösen!


Hast den Berg behütet

Tausend Jahr vor Argem,

Sei mit Huld vergütet!


Sei verjüngt, und folge

Ohne graue Falte

Uns hinaus zum Berge,

Laß im Berg das Alte!


Trage jungen Scheitel,

Laß die weißen Haare,

Und werd' etwas eitel.«


»Ja, wir wollen reisen«,

Sprach verjüngt der alte

Eckehardt, der Treue,

Mit der Denkerfalte.


»Herrin, der ich diene,

Viele Dich vergaßen,

Zeig Dich Venusine!
[6]

Auch der Barbarossa

Stieg schon vom Kyffhäuser.

Heute hinter Bergen

Wohnen nur Duckmäuser.


Deine roten Schleier

Lüfte Venusine,

Trag die Hüften freier!«


»Ja, getreuer Wächter,

Fest bin ich entschlossen,

Will zu Menschen gehen,

Die mich schwer verdrossen,


Die mich froh einst lobten

Und dann gegen alle

Fleischeslüste tobten.


Diese armen Menschen

Will ich jetzt beglücken.

Ohne Leibesliebe

Geht die Seel' in Stücken.


Ich will nicht mehr bangen

Vorm Verstand der Zwerge

Und vor seinen Zangen.


Will mal Rom aufsuchen,

Wo man mich verstoßen;

Wo man einst aus Wollust

Tötete mit Rosen.


Möglich, daß ich finde

Dort noch eine Größe,

Der ich mich verbinde.
[7]

Erst will ich mich kleiden

Gleich den Menschenfrauen,

Die heut in den Städten

In die Welt sich trauen.


Auch sind stolze Kleider,

Trotz der Götterwürde,

Keinem Weib zur Bürde.«


»Herrin Venusine,

Kleider, die verbergen

Mängel nur und reizen

Unter Menschenzwergen.«


So sprach wie die Alten

Eckehardt der Junge,

Konnt' den Mund nicht halten.


»Eckehardt, viel weiser

Hast Du sonst geraten.

Kleider sind die Sauce

Schmackhaft bei dem Braten.


Jederzeit bei Damen

Waren Kleider nötig,

Das gehört zum Rahmen.


In den Tausend Jahren,

Die ich hier versonnen

In dem Hörselberge,

Hab ich's ausgesponnen.


Ja, sogar das Schnüren

Soll die Venus leiden,

Gilt es zu verführen.
[8]

Enger sind nicht Kleider

Als die Einsamkeiten

In dem Hörselberge,

Die mir Qual bereiten.


Soll mal was geschehen,

Muß man nicht nur kritisch

Drauf herniedersehen.


Bringt mir alle Dinge,

Die ein Weib heut zieren!

Alles will ich tragen,

Nichts soll mich genieren.«


Zofe Melusine

Naht beim Wink der Wimper,

Dient mit kluger Miene.


Bringt zuerst die Schuhe,

Doch die haben Tücken.

Ach, von hundert Paaren

Will nicht Eines glücken.


Keines will recht sitzen.

Zof' und Göttin zerren,

Zof' und Göttin schwitzen.


Venus Füßen waren

Klein noch die Enormen,

Und man mußte extra

Neue Schuhe formen.


Füße leicht sich breiten,

Trug man nur Sandalen

Seit den Ewigkeiten.
[9]

Eckhardt konnt' die Trauer

Nicht gleich überwinden,

Als der Herrin Füße

In den Schuh'n verschwinden.


Nachdenklich im Gehen

Starrt' er sonst versunken

Auf der Göttin Zehen.


Konnt' sich dran durch Stunden

Wie an Röslein weiden,

Doch jetzt litt sein Auge

Hühneraugenleiden.


Stets doch blieb der Alte,

Eckehardt der Junge

Mit der Denkerfalte.


Melusine brachte

Spitzen aus den Städten,

Die auch höchste Damen

Gern getragen hätten.


Doch die seidnen Faden

Kitzeln sehr die Göttin,

Wie ein Nest von Maden.


Niemals man je besser

Eine Frau frisierte,

Als klein Amor selber

Die Mama toupierte.


Still hält sie ohn Klagen,

Trug bald Nadeln, Kämme

Und auch Haareinlagen.
[10]

Zofe Melusine

Schnürt sie auch ins nette

Fischgebeinte schlanke

Seidene Korsette.


Eckehardt erbittert

Flucht auf seidne Kerker,

Drin man sich vergittert.


»Herrin, Deine Brüste

Werden noch zwei Wunden

Hinterm Fischbeingitter

Lebst Du keine Stunden.«


Kaum hat er's gesprochen

Kracht schon das Korsette,

Hing geknickt zerbrochen.


Wie zwei Füllen sprangen

Venusinens Brüste

Bei dem ersten Atem

Durchs Gebeingerüste.


Auch ein neues Mieder

Tat nicht lange halten,

Leicht knickt sie es nieder.


Bis man ihr die Büste

Faßt in Draht und Banden,

Und die wilden Brüste

Sich gelähmt dreinfanden.


Strumpfband und auch Kragen,

Hutnadeln und Hüte

Lernte sie zu tragen.
[11]

Venusin studierte

Auch die Umgangsbücher,

Lernt mit Gabeln essen

Und braucht Taschentücher.


So ward sie zur Dame.

Göttin blieb sie trotzdem

Bei der Hemdabnahme.


Eins nur macht ihr Sorge:

Kaum ist sie entkleidet,

Seufzt sie, daß sie nirgends

Ach, an Fehlern leidet.


Nirgends sitzt ein Flecken

Irgendwo am Leibe,

Nichts kann sie entdecken.


»Und ich will nicht besser

Als die Erdenfrauen

Mich in Männernähe

Fleckenlos getrauen.


Dieses wär wie Tadel

Schwachen Menschenkindern,

Und ich halt auf Adel.«


Doch die Zofe meinte:

»Göttin seid Ihr eben!

Göttern ist nicht zugleich

Menschliches gegeben.


Was sollten bezwecken,

Herrin Venusine,

Schwarze Leberflecken?«
[12]

»Wisse,« spricht die Göttin,

»Zu viel Reinheit blendet,

Daß das Alltagsauge

Sich dann abseits wendet.


Vor dem steifen Strauße

Tadelloser Lilien

Ist man nicht zu Hause.


Frauen geben Heimat

Abgehetzten Männern,

Die am Tage starten

Gleich den besten Rennern,


Die gern Hindernisse

Halszerbrechend nehmen

Und das Ungewisse.


Kommen solche müde

Abends von dem Traben,

Stört sie allzu Hohes,

Weil sie's Aug voll haben


Voll von Staub und Kohlen,

Sehen oft noch Ziffern,

Die sich überholen.


Eine kurze Spanne

Reicht die Nacht zum Morgen.

Dann pfeift die Maschine –

Feilschend kommen Sorgen.


In die kurze Spanne

Passen keine Götter,

Weib bin ich dem Manne.


[13] Traulichkeit dient Männern

Mehr denn Götterbilder;

Ist dem Herz erquickend,

Stimmt den Körper milder.


Traulichkeit zu wecken

Will am Götterleibe

Ich die Leberflecken.


Eile Melusine,

Hol den Mediziner!

Er sei heut nicht Krankheits-

Sondern Schönheitsdiener.


Soll mir mit Lanzetten

Leberflecken impfen,

Von den braunen netten.«


»Schwerlich,« sagt die Zofe,

»Wird ein Arzt sich finden,

Weil die Luft im Berge

Menschen nicht verwinden.


Wer von all den kühlen,

Welche Leichen schneiden,

Wird nicht Venus fühlen?


Und dann muß er sterben,

Kann er nichts erreichen,

Würde er entlassen

Ohne Liebeszeichen,


Würde nie genesen,

Weil er hier im Berge

Ohne Luft gewesen.
[14]

Darum Herrin sage

Deine Wunschangaben!

Wo willst du die Flecken,

Die Verschämten haben?


Wie ich es dann mache,

Dir die Flecklein hole,

Sei dann meine Sache.«


»Kluge Melusine,«

Venusin errötet,

»Jegliche Sekunde

Wird ein Mensch getötet.


Stirbt er mal am Herzen,

Sind das auch bei Göttern

Einzig echte Schmerzen.


Wenn er mir gefiele,

Würd' ich ihn nicht schonen.

Aber sollt' er sterben,

Nur weil wir hier wohnen,


Weil die Luft im Berge

Schon den Tod kann bringen

Einem Menschenzwerge?!


Flott weg mal zu töten

Lieb ich sonst ohn' Maßen,

Heut' doch will ich Deinem

Rat mich überlassen.


Geh und bring die Flecken!

Wie Du sie willst bringen,

Kann ich nicht entdecken«.
[15]

Melusine kichert

Und ist schon verschwunden;

Hat verjüngt den Eckhardt

Unterm Tor gefunden.


Spricht: »Komm' auf ne Weile!

Kannst jetzt etwas lernen.

Schnell, ich habe Eile!


Sieh, ich will zum Arzte,

Und er soll mich impfen,

Daß uns nicht die Pocken

Einmal bös verglimpfen.


Ist die Impf geschehen,

Sollst Du's Venus tuen;

Komm' jetzt, sollst es sehen« ...


Venus fragt am Abend:

»Hast Du sie die Flecken?«

»Ja,« lacht Melusine,

»Kann sie nicht verstecken.


Ach, der Arzt nicht ruhte,

Nicht nur bei drei Orten,

Wühlte er im Blute.«


Venus, bei der Lampe,

Sieht voll Sommersprossen

Ihre hübsche Zofe,

Punkt an Punkt durchschossen.


Venus lacht mit Schallen:

»So gut hat dem Doktor

Jeder Fleck gefallen?
[16]

Daß er sich dann übte

Und Dich ganz besäte?

Ach, wenn ich von Deinen

Hundert einen hätte!«


Eckehardt, verständig,

Impft sie, – und im Berge

Lachte man unbändig.

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 1-17.
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