Achtzehnter Abschnitt.

[282] Freitag.


Ich blieb den übrigen Theil des Tages und die folgende Nacht in der Grotte; des andern Morgens aber nahm ich ihn mit in die Burg, um ihn zu kleiden, denn er war ganz nackt. Vorerst gab ich ihm ein Paar lange leinene Beinkleider, die ich in einer der Kisten fand, welche ich von dem letztgestrandeten Schiff gerettet hatte; dann nahm ich mir vor, ein Wamms von Ziegenfellen und eine Mütze von Hasenfell, so gut es meine Geschicklichkeit erlaubte, für ihn zu machen, denn ich war bereits ein guter Schneider geworden; doch für jetzt war ich zufrieden, daß er Beinkleider hatte.[282]

Hierauf bestieg ich meine Warte, um zu sehen, ob die Wilden fort wären, und sah deutlich durch das Fernglas den Ort, wo sie gewesen waren, von ihnen selbst und ihren Kähnen war aber nicht das Geringste zu entdecken; ich konnte also ganz sicher seyn, daß sie sich entfernt hatten, ohne sich um die zurückgebliebenen Gefährten zu bekümmern.

Doch damit war ich noch nicht zufrieden; ich hatte nun einen Begleiter, fühlte also mehr Herz und folglich eine größere Neugierde; daher nahm ich meinen Freitag mit mir, bewaffnete ihn mit Bogen und Pfeil, nebst dem Säbel, womit wohl umzugehen er schon gezeigt hatte, gab ihm überdies eine Flinte für mich zu tragen, nahm selbst zwei derselben, und so marschirten wir dahin, wo die Wilden ihre Blutmahlzeit gehalten hatten, denn ich wollte nähere Kundschaft einziehen. Als wir bei der Stelle vorbeigiengen, wo er seine Feinde begraben hatte, wies er genau auf den Fleck hin, und machte ein Zeichen, sie auszugraben und zu verzehren; allein ich bezeigte ihm meinen Abscheu, und winkte ihm mit der Hand, seinen Weg fortzusetzen, welches er sogleich that; das Blut erstarrte mir aber in den Adern bei dem grausenvollen Anblick am Strande. Ueberall war die Erde mit Blut gefärbt; hier und da lagen Menschenknochen von Schenkeln und Füßen; drei Hirnschädel, fünf Hände und mehrere große Stücke Fleisch, halb gegessen, zerrissen und geschunden, und Freitag gab mir durch Zeichen zu verstehen, daß die Kannibalen vier Gefangene zu ihrem Siegesschmause mit herübergebracht hatten, davon drei aufgefressen[283] wären, und der Vierte – indem er auf sich selbst wies – wäre er; daß zwischen seinem Stamme und dem nächst angrenzenden ein großes Gefecht vorgefallen, und in selbigem von beiden Seiten eine große Menge Gefangene gemacht worden sey, welche man an verschiedene Orte gebracht und auf ähnliche Art, wie die Unmenschen es hier gemacht haben, verzehrt habe.

Ich hieß Freitag alle Knochen, Fleischstücke und andere Merkmale des abscheulichen Schmauses auf einen Haufen sammeln, ein großes Feuer machen, und sie zu Asche verbrennen, wobei sich der Appetit nach Menschenfleisch auf's Neue bei Freitag regte und bewies, daß er ein ächter Kannibale war; allein ich äusserte einen solchen Abscheu und Unwillen über den bloßen Anschein, daß er es nicht wagte, es merken zu lassen, denn ich hatte ihm im Betretungsfall auf gewisse Art mit dem Tode gedroht.

Als wir wieder in die Burg zurückgekommen waren, machte ich mich sogleich an die Arbeit, um Freitag zu kleiden, womit ich des andern Tages fertig wurde, und er schien sehr vergnügt darüber, so gut als ich gekleidet zu seyn. Zwar stellte er sich anfangs sehr ungeschickt an; die Beinkleider plagten ihn am meisten, und die Wammsärmel drückten ihm die Schultern und Arme; als ich aber, wo er klagte, ein wenig nachhalf und weiter machte, so gewöhnte er sich bald daran, und zog endlich seine Kleidung sehr gerne an.

Ich überlegte auch, wo ich ihm sein Quartier anweisen wollte, damit ich von ihm nichts zu befürchten und er doch seine Bequemlichkeit haben möchte. Dazu[284] schien mir nichts Besseres als in dem Zwischenraum meiner beiden Einzäunungen ein kleines Zelt aufzuschlagen. Dies that ich und zwar dicht am Felsen, auf der Seite der Quelle, wo der Eingang in die Höhle war, den ich von innen heraus gegraben und mit einer Thüre verwahrt hatte; diese verriegelte ich des Nachts, und nahm auch meine Leiter hinein. Mein innerer Hofraum war mit einem vollkommenen Dach bedeckt, denn ich hatte nicht nur die langen Stangen, die, auf dem innern Pfahlwerk gestützt, sich an die Felsenwand lehnten, wohl unterhalten und erneuert, sondern auch vermehrt, mit kleinen Stäben, statt der Latten, in die Quere versehen, und mit starkem Reisstroh dicht belegt. Die Oeffnung, durch welche ich mit der Leiter aus- und eingehen konnte, hatte ich mit einer Fallthüre geschlossen, weil ich sie selten brauchte. Freitag konnte also auf keine Art in meine Höhle oder in den innern Hofraum kommen, denn er hätte die Thüre mit Gewalt sprengen müssen, und die Fallthüre wäre heruntergefallen, und beides hätte einen solchen Lärm gemacht, daß ich nothwendig davon hätte erwachen müssen. Das Gewehr, nebst Pfeilen und Bogen, nahm ich sämmtlich in die Höhle, wo Alles seine angewiesene Stelle hatte.

Allein ich hatte alle diese Vorsicht gar nicht nöthig, denn auf der ganzen Welt gab es wohl nie einen treuern, redlichern Diener als mein guter Freitag. Da war kein Eigensinn, keine Hinterlist, sondern lauter Gutwilligkeit, Ergebenheit und Anhänglichkeit. Er liebte mich aus vollem kindlichem Herzen wie einen[285] Vater, und ich darf wohl sagen, daß er bei jeder Gelegenheit sein Leben gern aufgeopfert haben würde, um das meinige zu retten. Davon gab er mir so häufige Proben, daß ich von seiner Liebe und Treue gänzlich überzeugt wurde, so daß ich alle Vorkehrungen zu meiner Sicherheit einstellte, weil sie seinetwegen ganz überflüssig waren.

Die guten Eigenschaften meines Freitags boten mir oft Stoff zu allerlei Betrachtungen dar, die mich zuweilen nur allzuweit fortrissen. Ich suchte mir zu erklären, warum Gott, welcher diesen Wilden eben die Vernunft, die Seelenkräfte, die Leidenschaften, Neigungen, Fähigkeiten und Empfindungen des Wohlwollens, der Wohlthätigkeit, Dankbarkeit, Aufrichtigkeit, Treue, das Gefühl von Recht und Unrecht verliehen, dieselben in solcher Finsterniß und Barbarei habe versinken lassen, daß sie keinen oder einen ganz verkehrten Gebrauch davon machten, da sie doch, wenn es ihm gefiele, eben so geschickt zu einer würdigen und nützlichen Anwendung derselben wären als wir. Warum es Gott gefallen, so vielen Millionen Menschen die beglückenden Kenntnisse zu entziehen, die er uns verliehen, und von denen wir, obgleich durch Offenbarung und Natur belehrt, einen so schlechten Gebrauch machen. So vermessen ist die Vernunft, wenn sie es wagt in die Geheimnisse der Regierung des Weltalls einzudringen und das zu meistern oder zu tadeln, was so unendlich über sie erhaben ist. Mit eben so vielem Recht könnte der Stoff den Künstler fragen: Warum bearbeitest du mich so?[286]

Dieser Gedanke hielt mich von weitern Grübeleien ab, und ich machte mir's zum Geschäfte, meinen Freitag alles zu lehren, wodurch er mir nützlich und behülflich werden konnte; dazu gehörte vorzüglich die Sprache. Er war der gelehrigste Schüler, den man sich nur denken kann, und ich hatte meine größte Freude an ihm, denn er war ununterbrochen fleißig, immer froh und heiter, und nichts machte ihn vergnügter, als wenn er mich verstehen oder sich mir verständlich machen konnte. Nur das wünschte ich, ihm vor der unmenschlichen Gewohnheit, Menschenfleisch zu essen, all den Abscheu einzuflößen den sie verdient, und ich glaubte dies am besten dadurch zu erreichen, wenn ich ihm anderes Fleisch zu kosten gäbe. Ich nahm ihn daher in den ersten Tagen nach seiner Ankunft eines Morgens mit mir, in der Absicht, ein Zickelchen aus meiner Heerde zu schlachten. Unterwegs sah ich eine Ziege mit zwei Jungen im Schatten eines Strauches liegen. Ich winkte Freitag, still zu stehen, und schoß eins von den Jungen, welches ihn so sehr erschreckte, daß er zitterte, und so verstört aussah, daß ich jeden Augenblick glaubte, er würde vor Angst zu Boden sinken, denn er glaubte, ich wolle ihn umbringen, riß sein Wamms auf und befühlte sich, ob er nicht verwundet wäre, dann nahte er sich, kniete nieder, umfaßte meine Kniee und sprach vielerlei Dinge, die ich zwar nicht verstehen aber doch leicht errathen konnte, daß er um sein Leben bat. Ich nahm ihn bei der Hand und lächelte ihn freundlich an, um ihm seine Furcht zu benehmen, dann zeigte ich ihm das Zickelchen, das er vor Schrecken gar nicht bemerkt[287] hatte, und winkte ihm, es zu holen. Während dem er hinlief, lud ich meine Flinte. Er brachte es mir, nachdem er es überall besehen und nicht begreifen konnte, wie es wohl getödtet worden wäre. Um ihm das verständlich zu machen, wies ich auf meine Flinte, zeigte ihm dann einen Papagey, der in Schußweite auf einem Baume saß, und den Boden unter ihm, hieß ihn dann dahin sehen, schoß, und nun sah er auch den Vogel fallen; dennoch erschrack er eben so sehr als zuvor, und da er nicht bemerkt hatte, daß ich die Ladung in die Flinte that, so veranlaßte dies den Wahn, sie enthielte einen unerschöpflichen Vorrath von Tod und Verderben für Menschen und Thiere, sie möchten nah oder fern seyn, und hätte ich es ihm nicht ernstlich untersagt, er würde mich und die Flinte nach seiner Art angebetet haben, denn er sprach mit ihr, wenn er sich allein glaubte, als ob sie ihn verstehen könnte, um – wie er mir seither sagte – sie zu bitten, ihn nicht zu tödten, und es währte lange, ehe er es wagte, sie zu berühren.

Nachdem er sich von seinem Schrecken erholt hatte, winkte ich ihm, den geschossenen Vogel zu holen, und lud meine Flinte, während er hingieng und lange ausblieb, denn der Papagey, der nicht sogleich todt blieb, war noch eine Strecke fortgeflattert, doch endlich fand und brachte er ihn mir; hierauf gab ich ihm auch das Zickelchen, und wir kehrten nach Hause, wo ich Letzteres in Stücke zerlegte und einen Theil davon noch denselben Abend an einer guten Brühe kochte. Freitag ließ sich diese Speise recht gut schmecken. Den[288] folgenden Tag bewirthete ich ihn mit einem guten Ziegenbraten; ich nahm den übrigen Theil des Zickelchens, band dessen Hinterfüße an eine Schnur, und hieng diese an einen Stab der quer über zwei andern lag, die ich stehend in die Erde gesteckt hatte, dann wies ich Freitag, wie er von Zeit zu Zeit den Braten wenden müßte, worüber er sich höchlich verwunderte; als er aber davon gekostet hatte, konnte er nicht Ausdrücke und Zeichen genug finden, um mir zu sagen, wie vortrefflich ihm das Gebratene schmecke, das er auch jederzeit dem Gekochten weit vorzog, und sobald er sich in der Folge besser verständlich machen konnte, versicherte er mich, er wolle nie wieder Menschenfleisch essen, was ich mit Vergnügen vernahm. Nur das Salz wollte ihm nicht behagen, er verzog den Mund, spühlte ihn mit frischem Wasser aus, und es vergieng eine geraume Zeit, ehe er sich daran gewöhnen konnte.

Da ich nun unser Zwei zu ernähren hatte, und doch den verhältnißmäßigen Vorrath auf mehrere Jahre haben wollte, so war es nöthig, entweder zweimal zu säen, oder ein desto größeres Ackerfeld einzuzäunen und zu besäen. Ich wählte das Letzte, wobei Freitag mir mit Lust und Fleiß arbeiten half, denn er ward gerührt, als ich ihm bedeutete, daß ich seinetwegen jetzt mehr Brod, und also mehr Arbeit haben müßte, als für mich allein, damit wir keinen Mangel leiden möchten, und erwiederte: ich sollte ihm nur sagen, was er thun solle. Er lernte auch bald Korn stampfen und sichten, Brod backen, und war in kurzer Zeit in diesen und andern häuslichen Arbeiten so geschickt als ich,[289] und so willig, daß er Alles für mich thun wollte und konnte.

Unstreitig war dies das angenehmste Jahr meines Aufenthalts auf dieser Insel, und nach Verfluß weniger Monate verstand Freitag schon die Benennungen von den meisten Dingen, die ich verlangte, und von den meisten Orten, wo ich ihn hinschickte, und zu Ende des Jahres konnte er schon ziemlich gut englisch sprechen, so daß ich mich meiner Zunge auch wieder zu Gesprächen bedienen konnte. Ausser dem Vergnügen der Unterhaltung fand ich auch täglich mehr Freude an diesem guten Burschen, dessen sanfte Gemüthsart, Redlichkeit und treue Anhänglichkeit mir ihn immer theurer machte; er liebte mich mehr, als er je vorher etwas geliebt haben mochte. Als er in der englischen Sprache so weit gefördert war, hielt ich es für meine unerläßliche Pflicht, ihn in der christlichen Religion zu unterrichten. Vorher aber wünschte ich zu erfahren, ob diese Wilden eine Art von Religion hätten. Dies veranlaßte folgendes Gespräch:

Robinson. Weißt du, wer dich erschaffen hat?

Freitag. Mein Vater.

Rob. (Genöthigt es auf andere Art anzufangen). Wer hat das Meer, die Erde, die Berge, die Wälder gemacht?

Fr. Ein alter Mann, Namens Benamuki, der auf einem hohen Berge wohnet, älter ist als die Erde, Sonne, Mond und Sterne, und alle Dinge überlebt.

Rob. Erweisen ihm nicht alle Dinge Ehre und Lobpreisungen?

[290] Fr. Alle Dinge sagen O! zu ihm. – Das ist: beten ihn an.

Rob. Wohin kommen die Leute in deinem Vaterlande nach ihrem Tode?

Fr. Sie kommen alle zu Benamuki.

Rob. Und die Kriegsgefangenen, die ihr aufgefressen habt?

Fr. Auch sie gehen alle zu Benamuki.

Rob. Hast du ihm auch schon O! gesagt?

Fr. Nein, junge Leute dürfen niemals zu ihm gehen, sondern nur allein die Owokakies, welches alte Männer sind, und O! zu ihm sagen. Wenn sie dann wieder vom Berge herab kommen, so erzählen sie, was Benamuki ihnen gesagt hat.

Hieraus ergiebt sich, daß sogar unter den rohesten Völkern Pfaffentrug herrsche, um die Ehrfurcht des Volkes der Priesterschaft zuzusichern. Ich suchte dem guten Freitag die List ihrer Priester zu erklären, dann aber machte ich ihm ein Bild des wahren Gottes, der Alles, was ist und lebt, Sonne, Mond, Sterne, Erde und Meer, die Menschen, Thiere und Pflanzen erschaffen habe, durch seine Allmacht und Vorsehung erhalte und regiere. Ich bemühte mich, ihm auch einen Begriff vom Evangelium Jesu Christi, der uns erlöse, und vom heiligen Geist, der uns führe, warne und heilige, beizubringen, zugleich aber dem Irrthum vorzubeugen, daß der Erschaffer, der Erlöser und der heilige Geist drei verschiedene Götter seyen. Alle drei sind Eins. Erschaffung, Erlösung und Heiligung können nur einen Urheber haben, Gott, den wir verehren[291] und anbeten, der unsere Bitten hört und von dem Alles kömmt. Dann ließ ich mich darauf ein, ihm von dem Satan zu reden, daß er Gottes Feind sey im Herzen der Menschen, und alle Bosheit anwende, dessen gute Absichten zu hintertreiben, die Menschen zum Bösen zu verführen und das Reich Christi zu zerstören.

Freitag nahm die Lehre des Evangeliums mit Freude und gläubigem Herzen an, und machte die Bemerkung: daß Gott, der unsere Bitten höre, obgleich er weit über der Sonne und den Sternen wohne, weit größer seyn müsse als Benamuki, der nichts höre, wenn man nicht zu ihm auf den Berg gehe, wo er sich aufhält, und der doch eben nicht gar weit entfernt sey. Mit ähnlichen und andern unschuldigen Fragen und Bemerkungen setzte er mich aber nicht selten in Verlegenheit, besonders hatte er gegen das, was ich ihm vom Satan sagte, gar viel einzuwenden, und meinte, wenn Gott so allmächtig sey, so müsse er denselben tödten, damit er nichts Böses mehr verüben könne. Dieser kathegorische Ausspruch verwirrte mich nicht wenig, denn, obgleich ein alter Mann, war ich doch nur ein junger Theologe, und wenig geschickt, dergleichen Zweifel zu lösen, und bei meinem Unterricht war weit mehr guter Wille als Wissenschaft. Ich that also, als ob ich ihn nicht verstanden hätte, und fragte ihn etwas anderes, allein es war ihm zu viel, um eine befriedigende Antwort zu thun, und er wiederholte seine Aeusserung sehr deutlich. Ich war so sehr in die Enge getrieben, daß ich ihm die Erklärung schuldig[292] bleiben mußte; um meine Verlegenheit zu verbergen, schickte ich ihn zur Quelle, um Wasser zu holen, und betete unterdessen um Erleuchtung. Als Freitag gar bald wieder zurückkam, verlangte er noch einmal zu wissen, warum Gott den boshaften Satan nicht tödte oder schon längst getödtet habe? Da ich Zeit gehabt nachzudenken, so frug ich ihn: Warum hat Gott mich oder dich und deine Landsleute nicht sogleich getödtet, wenn wir ihn durch schlechtes Betragen beleidigten? Da wir immer nachsichtiger gegen uns selbst als gegen Andere zu seyn pflegen, so machte meine Gegenfrage unserm Gespräche ein Ende.

Ungeachtet Freitag mich noch öfters in ähnliche Verlegenheit setzte, so war mir doch die Unterhaltung mit ihm eben so angenehm als lehrreich. Eine innige Freude durchströmte meine Seele, mein Kummer ward mir leichter und meine Wohnung angenehmer, wenn ich bedachte, daß ich in dieser Einsamkeit wäre bewogen worden, die Hand zu suchen, die mich hierher gebracht, und überdies noch die Seele eines armen Wilden zu retten, und ihn kennen zu lehren Jesus Christus, der da ist das Wort, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Um jedoch jenen Verlegenheiten auszuweichen, suchte ich nachher alle Lehrsätze unberührt zu lassen, die noch nicht befriedigend erwiesen oder nicht vollkommen auf die Bibel gegründet sind, deren Erkenntniß mehr ein Gegenstand theologischer oder philosophischer Untersuchungen als eines heilsbegierigen Herzens ist, und mit deren Erklärung die Christen, die in der Hauptsache eins sind, unvereinbar getrennt bleiben. Freitag[293] ward bald ein guter Christ, und ich gestehe gern, daß, indem ich ihm eine Sache zu erklären suchte, ich mich selbst in manchen Stücken belehrte. Ich fand bei dieser Gelegenheit weit mehr Vergnügen als vorher, in der Bibel zu lesen, und mich zu bemühen, den wahren Sinn des Gelesenen zu verstehen.1

Fußnoten

1 Der Verfasser Defoe läßt ich an dieser und andern Stellen in weitläuftige theologische Betrachtungen aus, die der Uebersetzer bedeutend abgekürzt hat. Religion ist Sache des Gemüthes und nicht des Verstandes. Man soll das Heilige nicht zu viel besprechen, und nicht glauben, daß wenn es nur häufig genannt werde, es auch schon da sey.


Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 1, S. 282-294.
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