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[204] Die Ziegenheerde.
Ich lebte ungefähr sechs Jahre in Stille und Einsamkeit vor mich hin, und da ich durch Ergebung in den göttlichen Willen vollkommen getröstet, gestärkt und über meinen Zustand beruhigt war, so fühlte ich mich, auch ohne menschliche Gesellschaft, recht glücklich.[204]
Der ernsthafteste Stoiker würde gelächelt haben, wenn er mich mit meinen Hausgenossen bei Tische gesehen hätte. Vorerst war ich König, und Besitzer der ganzen Insel, unumschränkter Herr über Leben und Tod aller meiner Unterthanen. Ich hielt Tafel wie ein Monarch, und speisete ganz allein in Gegenwart meines ganzen Hofstaats. Poll war mein Günstling, und hatte allein die Erlaubniß zu sprechen, von der er beliebigen Gebrauch machte. Er saß gewöhnlich auf der Lehne meines Stuhls, und nahm sich auch wohl die Freiheit, mir auf die Schulter zu steigen. Treu, mein Hund, saß mir wie ein bejahrter treuer Diener zur Rechten, und genoß aus meinen Händen die Belohnung seiner Anhänglichkeit; er war lange Jahre mein ergebener Gefährte gewesen; was er mir holen konnte, das durfte mir nicht fehlen, und an Unterhaltung ließ er es auch nicht ermangeln; es fehlte ihm nichts als die Sprache; jetzt war er alt und gebrechlich, und hatte, zu meinem Bedauern, nicht seines Gleichen gefunden, um sein Geschlecht fortzupflanzen. Meine beiden Katzen suchten, wie ein paar Hofschranzen, mit gekrümmtem Buckel meine Gnade zu erschmeicheln, lauerten auf einen gnädigen Bissen und zankten sich knurrend darum, wenn ich ihnen den zuwarf. Das waren aber nicht mehr die Katzen, die ich vom Schiffe gebracht und längst mit eigenen Händen begraben hatte, sondern eine Nachkommenschaft von ihnen, welche anfangs so zahlreich wurde, daß sie mir beschwerlich fielen, in meine Wohnung kamen, plünderten und raubten, bis ich endlich genöthigt war, auf sie zu[205] schiessen und sie auszurotten; endlich verliessen sie mich, und liefen in den Wäldern herum, und ich hatte nur diese zwei, ein Männchen und Weibchen, zahm gemacht und zu meinem Vergnügen behalten.
Zu dieser Zeit – es war bereits das eilfte Jahr meines Hierseyns – hatte ich auch schon eine Heerde zahmer Ziegen, welche sich, so oft ich zu ihnen kam, mit geselliger Zutraulichkeit an mich drängten und mir das Futter aus den Händen fraßen; sie waren mein größter Reichthum, und brachten mir eben soviel Vergnügen als Nutzen und Annehmlichkeit in meine Haushaltung. Es mochten ungefähr fünf Jahre seyn, als ich merkte, daß mein Pulfer auf die Neige gieng, denn ich war schon genöthigt gewesen, eins der naß gewordenen Tönnchen zu meinem Gebrauche zu öffnen, worin sich ungefähr noch 30 Pfund gutes Pulfer befanden, der Rest war durch das eingedrungene Seewasser zusammen gebacken, und nachdem es getrocknet, steinhart und unbrauchbar geworden, denn nach verschiedenen gemachten Versuchen wollte es sich nicht mehr entzünden; ich warf es also weg, und vertheilte das gute wieder in meinen Säckgen an vielen Stellen, wo es trocken und sicher lag. Ich fieng nun ernstlich an zu überlegen, was ich anfangen wollte, wenn ich kein Pulfer mehr hätte, das ich auf keine Art zu ersetzen wußte; wie sollte ich Ziegen und Vögel schießen? wie sollte ich mich im Fall der Noth vertheidigen? und soweit durfte ich es doch auf keinen Fall kommen lassen. Ich war nun ernstlich darauf bedacht, Ziegen zu fangen. Zwar hatte ich deren schon zwei gehabt; die eine[206] war schon längst vor Alter gestorben, und die andere war auch bereits ziemlich alt. Ich hatte keinen andern Nutzen als das Vergnügen geselliger Hausthiere an ihnen gehabt, und sie zu schlachten konnte ich daher nie übers Herz bringen; es wollte mir nie gelingen, ein junges Böckgen dazu zu bekommen, denn sie waren weit wilder als die Weibchen, und wenn ich auf sie schoß, so verwundete ich sie zu stark oder nicht genug, so daß sie entweder todt blieben oder davon liefen.
Jetzt da die Noth gebot, legte ich ihnen Schlin gen, um sie zu fangen, besonders hätte ich gerne eine trächtige Ziege gehabt; es mochten sich auch wohl mehrere darin verwickelt haben, aber meine Stricke waren zu mürbe, und wenn ich eine Beute zu lösen glaubte, fand ich die Schlingen zerrissen und die Lockspeise weggefressen. Ich versuchte es also mit Fallgruben, und machte in den Gegenden, wo die Ziegen gewöhnlich weideten, verschiedene lange und tiefe Gruben, legte ein Geflechte von dünnen Ruthen darüber, bedeckte dieses mit einem schweren Steine und mit Gras, streute Reis und Getreide darüber, und nach mehrern mißlungenen Versuchen gelang es mir, in der einen Grube einen alten Bock, und in der andern drei Zickelchen, ein männliches und zwei weibliche, zu fangen.
Der alte war so wild, daß ich ihm nicht zu nahen wagte, um ihn lebendig zu fangen, und ihn zu tödten war wider meine Absicht, denn das Fleisch der Böcke, besonders der alten, war unangenehm; ich ließ ihn also laufen, und da er sich eben so sehr vor mir fürchtete, als ich mich vor ihm, so rannte er mit großen[207] Sprüngen auf und davon. Damals wußte ich noch nicht oder erinnerte mich nicht daran, daß der Hunger auch Löwen bändigt. Ich hätte ihn nur drei bis vier Tage lang hungern lassen, ihn dann zum Wasser führen und mit Korn füttern sollen, so würde er so zahm wie meine Zickelchen geworden seyn. Diese nahm ich behutsam eins nach dem andern aus der Fallgrube, band sie mit Stricken zusammen, und brachte sie nicht ohne Mühe nach Hause, und es währte mehrere Tage, ehe sie fressen wollten; endlich, als der Hunger sich fühlen ließ, und ich ihnen Gerstenähren vorhielt, reizte sie das zum Fressen, und sie wurden in kurzer Zeit zahm, denn es sind gelehrige und zuthätige Geschöpfe, wenn man sie nur recht zu behandeln weiß.
Jetzt hatte ich also den Anfang einer Heerde und freute mich schon im Voraus, sie um mich her weiden zu sehen, und in Zukunft, ohne mein Pulfer zu vermindern, Ziegenfleisch genug zu haben. Allein ich sah auch, daß, wenn sie sich vermehrte, mein Hofraum nicht groß genug wäre, um ihnen genug Weide zu geben, und sie immer über den Zaun, oder durch den Felsengang in's Freie zu führen, war mir auch zu mühsam, und stand mir desto weniger an, da ich befürchten mußte, daß wenn sie größer wären, sie vielleicht davon laufen würden.
Um diesem vorzubeugen, wählte ich vor allen Dingen einen schicklichen Platz, der hinlänglich Weide, Wasser und Schatten hatte, und beschloß, ihn einzufriedigen, damit weder meine zahmen Ziegen entfliehen, noch die wilden sich hineindrängen, sich mit ihnen vermischen,[208] und sie durch ihre Gesellschaft wieder wild machen möchten. Ich fand ein herrliches Stück Wiesenland, wo eine klare Wasserquelle hervorsprudelte, über Blumen und fettes Gras fortschlängelte, und sich in einen Bach ergoß, der weiterhin dem kleinen Flusse zueilte; das eine Ende stieß an das dicke Gehölze am Fuß der südlichen Bergreihe, das andere dehnte sich in die Ebene, und war etwa tausend Schritte von meinem Landhause entfernt.
Ich fieng nun an dieses Stück einzufriedigen, indem ich wieder von den leichtwachsenden Weidenstäben dazu nahm, und da ich mir meine Heerde schon sehr zahlreich dachte, so wollte ich für die Zukunft arbeiten, um nicht genöthigt zu seyn, den Platz späterhin erweitern zu müssen. Voraussicht ist allerdings eine nützliche, lobenswerthe Tugend, doch aber mit Einschränkung. Der verständige Leser wird mir wohl wenig Klugheit zutrauen, und mich mit vielem Recht auslachen, wenn ich ihm gestehe, daß nach meiner ersten Anlage die Einzäunung nicht weniger als zwei Meilen Umfang bekommen hätte. Er wird bemerken, daß ich die Lehre, die mein altes Kanot mir so warnend zuwinkte, nicht benutzt habe. Die Albernheit bestand nicht in dem Zeitverlust, sondern darin, daß in einem so weitläufigen Bezirke meine Ziegen eben so wild, und eben so schwer zu fangen seyn mußten, als im Freien, und daß es mir wohl selten gelungen wäre, eine zu erhaschen. Mein Zaun war bereits bis an die 100 Ellen fortgerückt, als mir dieser Gedanke erst einfiel; ich hielt sogleich inne, lenkte um, und beschloß,[209] nur einen Platz von 100 Ellen ins Gevierte einzufriedigen. Damit brachte ich beinahe zwei Monate zu, und ließ bei der Arbeit meine jungen Ziegen angebunden um mich herum grasen; ich belustigte mich zuweilen mit ihnen; sie fraßen mir die Gerstenähren oder den Reis aus der Hand, und als der Zaun fertig war, hatte sie der tägliche Umgang schon so zahm gemacht, daß sie mir überall mäckernd nachliefen und um eine Hand voll Körner blökten. Nach anderhalb Jahren bestand meine Heerde aus zwölf, sowohl Böcke als Ziegen und Zickelchen, und zwei Jahre später hatte ich schon zweiundvierzig Stücke, obgleich ich so viel davon geschlachtet hatte, als ich zu meinem Hausbedarf nöthig fand; späterhin fügte ich noch einige kleine Hürden von 25-30 Fuß ins Gevierte hinzu, und machte Thüren, damit ich sie aus dem großen Umfang dahin treiben, einschliessen und besser mästen konnte.
Es gieng mir mit den Ziegen, wie es mit vielen Dingen zu gehen pflegt, ohne ihre ganze Nutzbarkeit zu kennen. Lange hatte ich deren zwei ohne Nutzen; nachher eine Heerde, und begnügte mich, blos von Zeit zu Zeit eine zu schlachten. Ein Zickelchen, das ich saugen sah, führte mich erst lange nachher auf den Einfall, meine Ziegen zu melken. Seitdem erhielt ich täglich ein bis zwei Eimer Milch, und sie ward eines meiner liebsten Lebensmittel. Nach mehreren mißlungenen Versuchen lernte ich auch Butter und Käse machen, und litt nie daran Mangel, obgleich ich vorher nie keine dieser Künste getrieben hatte.
Ich hatte es nun so weit gebracht, daß meine[210] Lebensart viel erträglicher war als vorher. Ich hatte gelernt, meinen Zustand immer mehr von der guten als von der unangenehmen Seite, mehr das was ich hatte, als was mir fehlte, zu betrachten. Ich brachte oft ganze Stunden mit der Vorstellung zu, wie ichs wohl hätte machen müssen, wenn es die gütige Vorsehung nicht so wunderbarer Weise gelenkt hätte, daß das Schiff näher an das Ufer getrieben wurde, daß ich dazu kommen, und alles, was es zu meiner Equickung und Unterstützung enthielt, an das Land bringen konnte. Ohne das hätte es mir an Werkzeugen zum Arbeiten, an Waffen zur Vertheidigung und zur Versorgung mit Lebensmitteln gänzlich gefehlt. Wie ich dann nicht anders als ein Wilder hätte leben, und wenn ich etwa eine Ziege, einen Vogel, eine Schildkröte oder Fische gefangen hätte, ich sie roh wie ein Raubthier mit den Zähnen und Nägeln hätte verreißen, und vielleicht gar hätte umkommen müssen, ehe es mir gelang, dergleichen zu erhaschen. Solche Vorstellungen erfüllten mich mit Dankbarkeit für meine gegenwärtige Lage, bei allen ihren Beschwerlichkeiten und Entbehrungen, und ich empfehle jedem meiner Leser, in allen Umständen zu bedenken, wie viel schlimmer ihr Zustand noch werden könnte, wenn es Gott gefiele, sie darein zu versetzen. Die Vergleichung meiner jetzigen Lage mit dem Zustande, wie ich ihn anfänglich befürchtete, gewährte mir ein so inniges Vergnügen, daß ich es nicht auszudrücken vermag, tröstete und stärkte mich für die Zukunft, und war also für mich von dem größten Nutzen, und würde es wohl für Jeden in einer ähnlichen[211] Lage seyn. All unser Mißvergnügen, über das, was uns fehlt, scheint bloß aus dem Mangel an Dankbarkeit für das zu entspringen, was wir haben.
Meine Lage hatte das Sonderbare, daß viele meiner Leidenschaften weder Nahrung noch Anwendung fanden, und obgleich dies auf einer Seite eine wirkliche Entbehrung war, so fand ich dafür auf der andern Ersatz. Wünsche und Begierden hatten bei mir hier nicht Statt; Herrschsucht, Stolz, Hoffahrt und Habsucht fanden hier keinen Reiz. Ich war Herr über die Insel und alles was sie enthielt; ich konnte mich Kaiser oder König nennen; hier war kein Mitwerber, kein Empörer, der mir meine Alleinherrschaft streitig machte; der unersättlichste Geizhals würde von seinem Laster geheilt worden seyn, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre, denn ich besaß mehr als ich brauchte. Schoß ich mehr Gewild als ich nebst meinem Hund und beiden Katzen verzehren konnte, so mußte es unbenutzt verderben; von meinem Reis und Getreide hätte ich ganze Schiffsladungen erhalten können, säete ich aber mehr als ich zu meiner Nahrung bedurfte, so mußte es umkommen; ich ließ daher nicht mehr wachsen, als mein Hausbedarf erforderte; ich hatte Trauben genug, um eine ganze Flotte mit Wein und Rosinen, so wie mit Pomeranzen und Limonien zu befrachten, konnte aber den Ueberfluß nicht genießen; ich hatte Zimmerholz, um eine Flotte zu bauen, fällte ich aber mehr Bäume, als nöthig war, so mußten sie auf der Erde liegen bleiben und verfaulen, denn ich konnte sie zu nichts als zur[212] Feuerung, und zwar bloß zum Kochen brauchen. Mit einem Worte: ich lernte aus Erfahrung, daß alles Gute in der Welt für uns nur insofern und nicht länger gut ist, als wir Gebrauch davon machen können. Den Beweis fand ich an meinen 50 Pfund Sterling, mit denen ich nichts anzufangen wußte; wie gerne hätte ich den ganzen Plunder für eine Hand voll Rübensamen, Bohnen oder Erbsen, oder für eine Flasche voll Tinte gegeben, so aber hatte ich nicht den geringsten Vortheil davon, sondern sie hatten Zeit, unbenutzt schimmlicht zu werden, und hätte ich eine Schiffsladung Diamanten gehabt, sie wären für mich ohne den geringsten Werth gewesen, weil sie mir zu nichts dienen konnten. Mein gegenwärtiger Zustand war wohl ganz geeignet, diese und ähnliche Betrachtungen zu veranlassen, denn ich war nun schon so lange hier gewesen, daß viele von den aus dem Schiffe geretteten Dingen entweder ganz oder zum Theil abgenutzt, oder gar nicht mehr vorhanden waren.
Vorzüglich giengen meine Kleider zu Ende, und das war für mich ein wahres Herzeleid, obgleich die Hitze so groß war, daß man keine Kleidung nöthig zu haben schien; allein eben diese Hitze war Ursache, daß ich nicht nackt gehen konnte, denn sie brannte mir an den unbedeckten Stellen oft Blasen auf die Haut, hatte ich aber ein Hemd an, so bewegte es die Luft, wenn sie darunter spielte, und machte mir eine angenehme Kühlung; überdas schützten mich die Kleider gegen die Moskiten oder Stechmücken, die in diesem Klima eine große Plage sind. Eben so wenig konnte ich's ertragen,[213] ohne Hut oder Mütze zu gehen, weil mir sonst die Sonnenstrahlen heftige Kopfschmerzen verursachten; aber auch ohne diese wichtigen Beweggründe war mir der Gedanke, nackt zu gehen, unausstehlich.
Ich war so glücklich gewesen, fünf bis sechs Dutzend theils weiße, theils gestreifte Hemden auf dem Schiffe zu finden; von diesen aber blieben mir jetzt nicht mehr als acht bis zehn Stücke, welche ich sehr schonte, weil ich oft kein anderes Kleidungsstück als das bloße Hemd auf dem Leibe ertragen konnte. Es waren ferner, ausser meinen eigenen Kleidern, mehrere Matrosen-Kamisole und lange Beinkleider da, die mir bei der Arbeit am bequemsten, aber aus diesem Grunde längst unbrauchbar waren; auch fand ich vier oder fünf dicke Ueberröcke, welche die Matrosen auf der Wache oder bei schlechtem Wetter anzogen, aber hier waren sie mir zu warm, und dienten mir nur, das Lager weich zu machen, dennoch, als alles Uebrige oft zusammengeflickt und abgetragen war, sah ich mich genöthigt, aus den Wachtröcken kurze Kamisole und lange Beinkleider zu machen; meine Schneiderei war eine wahre Pfuscherei, dem ungeachtet hoffte ich eine lange Zeit damit auszukommen. Späterhin war ich aber gezwungen, noch andere Maßregeln zu ergreifen, um mich zu bedecken.
Ich habe schon gesagt, daß ich die Felle aller vierfüßigen Thiere, die ich schoß, trocknete und aufhob; freilich waren mehrere so hart geworden, daß ich sie nicht zu Kleidungsstücken brauchen, noch weniger gerben konnte, andere aber waren weich geblieben und thaten mir vortreffliche Dienste. Das erste, was ich daraus[214] machte, war eine Mütze oder Hut – wie man's nennen will – das Haar auswärts gekehrt, damit der Regen abtriese und die Sonnenstrahlen abprallten. Da ich nun den großen Nutzen davon spürte, verfertigte ich mir in der Folge eine ganze Kleidung von Fellen, und wer mich in England in dieser Tracht gesehen hätte, würde entweder vor Schrecken oder vor Lachen krank geworden seyn; ich selbst konnte mich des Lachens nicht enthalten, wenn ich mich in diesem Aufzug nach Yorksshire dachte; da mich aber hier in meiner Einsamkeit Niemand sah, so war mir wenig daran gelegen, wie meine Figur aussah, für den Leser hingegen möchte eine Beschreibung derselben nicht überflüssig seyn.
Den Kopf bedeckte eine hohe spitzige Mütze von rohen Ziegenfellen, mit einem hinten herabhängenden Zipfel, um die Sonne und den Regen vom Nacken abzuhalten, da unter diesem Himmelsstriche für die Gesundheit nichts Schädlicheres ist, als der Regen auf dem bloßen Leibe, daher die Wilden lieber ganz bis an den Hals in's Wasser stehen, als sich beregnen lassen. Wamms und Beinkleider waren weit und los, denn sie sollten mich mehr kühl als warm halten. Das erstere reichte bis an die Schenkel; die Beinkleider waren aus dem Felle eines alten Bocks gemacht, und giengen bis unter die Kniee, die Haare aber waren so lang, daß sie bis über die Waden herabhiengen, daher ich keine Strümpfe nöthig hatte, hingegen waren meine Füße mit einer Art Halbstiefeln bedeckt, die wie Kamaschen an den Seiten offen waren, und zusammen gebunden werden konnten. Ueber mein Kleid hatte[215] ich einen Gurt, ebenfalls aus Ziegenfell, worin statt des Säbels, auf der einen Seite ein Beil, auf der andern eine Säge steckte; an einem andern, über die linke Schulter hängenden Riemen von Ziegenfell hiengen, unter dem rechten Arm, zwei vom Schiff gerettete lederne Beutel mit Schroot und Pulfer. In meinem Tragkorbe auf dem Rücken trug ich meine Lebensmittel, wenn ich weit wanderte, oder andere Bedürfnisse. Auf der Schulter hatte ich meine Flinte, und den Kopf bedeckte mein unförmlicher, aber sehr zweckdienlicher Sonnenschirm, der mir nächst der Flinte so unentbehrlich war, daß ich ohne beide nie ausgieng. Was meine Gesichtsfarbe betrifft, so war sie nicht so mülattisch, als von einem Manne, der dieselbe, zwar täglich mehr als einmal wusch, und auch oft badete, sonst aber nicht schonen konnte, desto eher zu vermuthen war, da ich nur 9 bis 10 Grade von der Linie entfernt lebte. Den Bart hatte ich vor einigen Jahren bis zu einer Viertelelle wachsen lassen, da er mir aber beschwerlich fiel, und ich Scheeren und Barbiermesser genug hatte, so schnitt ich ihn ab, ausser daß ich auf der Oberlippe einen stattlichen Knebelbart stehen ließ, wie ich bei einigen Türken in Salee gesehen hatte, denn die Mauren sind nicht gewohnt welche zu tragen.
Solchergestalt war meine Figur wohl nicht angenehm und meine Kleidung nicht zierlich, denn ich war ein schlechter Schneider; aber in der Folge gelang es mir doch, sie recht bequem zu machen, und ich nahm in diesem Handwerk, so wie in allen mechanischen[216] Künsten, die mich die Nothwendigkeit treiben lehrte, immer mehr zu, und ich glaube, ich hätte mit der Zeit einen guten Zimmermann, Bäcker, Töpfer und so weiter abgegeben, besonders wenn man bedenkt, wie wenig Werkzeug ich hatte. Ich brachte es wirklich zu einer unerwarteten Vollkommenheit in der Töpferarbeit, denn es gelang mir eine Drehscheibe zu verfertigen, womit ich viel besser und leichter arbeiten, die Gefäße rund machen, und ihnen sogar eine gefällige Form geben konnte. In der Korbflechterarbeit war ich – wie schon bemerkt – ein ausgelernter Meister, und machte Körbe von allerlei Größe und Gestalt, so wie es die verschiedenen Bedürfnisse verlangten, und meine Erfindungskraft es mir an die Hand gab. Ich hatte zum Beispiel verschiedene Tragkörbe gemacht. Wenn ich eine Ziege geschossen hatte, so konnte ich sie an einen Baum hängen, das Fell abstreifen und sie in Stücken schneiden; wenn ich eine Schildkröte gefangen hatte, so konnte ich sie aufhauen, die Eier und so viele der besten Stücke, als mir nöthig schien, davon nehmen und nach Hause tragen; das Uebrige von beiden aber ließ ich liegen oder warf es in's Meer.
Ich war nun alle Stände der Menschheit durchwandert, war Jäger, Fischer, Ackersmann, Hirte, Handwerker, Künstler gewesen, und befand mich jetzt im Genuß der erfundenen Bequemlichkeiten. Meine Tafel war so manchfaltig und reichlich besetzt, daß der Markt von Leaden-Hall kaum mehr liefern konnte, und ich hatte Ursache Gott zu danken, daß er in einer Einöde, wo ich anfangs nichts[217] anders als die Gefahr, Hungers zu sterben, vor mir sah, mir nicht nur keinen Mangel ließ, sondern sogar Ueberfluß und Leckerbissen schenkte. Die Herbeischaffung meiner Lebensmittel kostete mich jetzt keine große Mühe mehr. Annehmlichkeit, Ordnung und Reinlichkeit herrschten überall.
Die Wohnung an der Felswand war eigentlich mein Hauptquartier, und ich nannte sie mein Schloß, meine Burg, oder meine Festung. Das Zelt vor derselben diente mir zum gewöhnlichen Aufenthalt; ward das Regenwetter gar zu schlimm, so zog ich mich in die Vorhalle meiner Höhle zurück, die wie ein Arsenal anzusehen war, wo alle meine Waffen, nebst andern Geräthen, in der schönsten Ordnung aufgehängt waren oder auf Laden standen; daneben links im Eingange war mein Schlafzimmer und dahinter mein großes Magazin. Alle meine Vorräthe und Gefäße, die sich nicht zusammen vertrugen, waren von einander abgesondert. Hier standen große irdene Töpfe, nebst fünfzehn bis zwanzig Kör ben, deren jeder vier bis fünf Scheffel halten mochte, worin ich meine Vorräthe an Lebensmitteln, vorzüglich an Reis und Getreide theils ausgerieben, theils in Hülsen, theils endlich in abgeschnittenen Kornähren aufbewahrte. Rechts war meine Küche, wo sich die kleinen Vorräthe und Geschirre befanden, die ich täglich brauchte, dahinter war der Keller, wo ich meinen Rum, Branntewein und andere starke Getränke, nebst Trauben, Orangen, Limonien und dergleichen aufhob. Das Pfahlwerk, welches den vor dem Zelte befindlichen[218] Hofraum umschloß, unterhielt ich sorgfältig, und es war im besten Zustande. Die Stäbe, die ich zehn Schritte von meinem Pfahlwerk bereits in fünf oder sechs Reihen herumgepflanzt hatte, waren um diese Zeit schon groß geworden, und hatten sich so weit und dichte ausgebreitet, daß Niemand die Wohnung eines Menschen hier vermuthen konnte, und gaben derselben Kühlung, Anmuth und Sicherheit. Die Gräben, welche das Wasser ableiteten, waren in gutem Zustande.
Auf ähnlichem gutem Fuß war auch mein Landhaus eingerichtet, das ich gewöhnlich meine Sommerlaube hieß. Die Bäume, welche die Einzäunung bildeten, waren jetzt so stark geworden und so hoch gewachsen, daß sie den ganzen innern Raum bedeckten und so sehr beschatteten, daß kein Sonnen strahl durchdringen konnte. In der Mitte stand mein Zelt, dem ich es so wenig als dem Zaun an sorgfältiger Unterhaltung fehlen ließ; er war mit den nöthigsten Bedürfnissen und Bequemlichkeiten versehen, so daß ich mich daselbst aufhalten konnte, wenn ich wollte, ohne genöthigt zu seyn, mich mit einigem Transport zu belästigen, denn ich hatte ein gutes weiches Bette, und brachte einen guten Theil der schönen Jahrszeit hier zu.
Nicht allzuweit vom Schlosse, etwas mehr landeinwärts, lag mein Ackerfeld in einem fruchtbaren Boden, immer wohl angebaut und besäet, und mein Fleiß ward durch eine sehr ergiebige Erndte belohnt. Hätte ich mehr Korn oder Reis nöthig gehabt, so lag gleich daneben eben so fruchtbares Erdreich im Ueberfluß.[219]
Weiterhin, näher gegen die Sommerlaube, war meine Viehzucht: damit die Ziegen nicht durchbrechen konnten, hatte ich mehrere Reihen von den leicht wachsenden Stäben so dicht an einander herumgepflanzt, daß man kaum eine Hand durchstecken konnte; so daß diese Einfriedigung weit stärker ward als die beste Mauer, nachdem sie einige Jahre gestanden war; ich war auch sehr besorgt, sie immer gut zu unterhalten, und war sogar in der Folge genöthigt, viele Stäbe auszureissen, weil sie zu dicht gesetzt waren und einander am Wachsen hinderten. Aus allem diesem kann man sehen, daß ich keine Mühe sparte, um alles zu Stande zu bringen oder zu erhalten, was meine Nothdurft zu erfordern schien.
Um mein Landhaus her lag mein Obstgarten, wo ich eine Menge der vortrefflichsten Zitronen, Pomeranzen und Melonen einsammeln konnte. Hier war auch mein Weinwachs, auf den ich mich vornehmlich wegen meiner Winterkost von Rosinen oder gedörrten Trauben verließ, die ich auch als die besten und angenehmsten Leckerbissen unter allen meinen Vorräthen, mit vorzüglicher Sorgfalt zog, denn sie waren nicht nur angenehm, nahrhaft und erfrischend, sondern auch sehr gesund und eine wahre Arznei.
Ich konnte mich nun als den Besitzer eines Schlosses und eines Landsitzes ansehen: jenes diente mir zum Winteraufenthalt, zur Sicherheit in Gefahr, und zur Besorgung der Regierungs- und anderer Geschäfte; dieses war ein angenehmer Aufenthalt in der schönen Jahreszeit; zwischen beiden lagen meine andern ländlichen[220] Anlagen, so daß ich sie alle auf meinem Wege hatte, und der Reihe nach besuchen konnte, ohne Umwege zu machen. Meine Laube selbst lag auf der Hälfte des Weges zwischen meiner Wohnung und dem Orte, wo mein Fahrzeug lag, das ich zuweilen besuchte.
Zu allem diesem hatte ich das vollkommenste Be sitzungs- und Erbrecht, so gut als irgend ein Gutsherr in England, und so sonderbar diese Ansicht für einen Einsiedler, wie ich war, scheinen mag, so war sie doch für mich angenehm und beruhigend, gab meinen Besitzungen in meinen Augen einen höhern Werth, und meinen Beschäftigungen eine größere Wichtigkeit, so daß ich diese lieber und besser besorgte.
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