|
[67] Aufenthalt in Brasilien, Reise und Schiffbruch.
Kurze Zeit nach unserer Ankunft empfahl mich der gute Kapitän in dem Hause eines Mannes, der eben so redlich als er selbst und Besitzer eines Ingenio, nämlich einer Zuckerpflanzung, war. Da ich mich einige Zeit bei ihm aufhielt, ward ich bald mit der Art,[67] den Zucker zu pflanzen und zu bereiten, bekannt, sah auch, wie gut diese Pflanzer lebten, wie sie sich in Kurzem bereicherten und bekam Lust, mich da niederzulassen, wenn ich Erlaubniß erhalten könnte, eine Pflanzung anzulegen, die ich auch durch die Vermittlung des Pflanzers erhielt. Nun ließ ich mich naturalisiren, kaufte soviel unangebautes Land, als mein mitgebrachtes und mein in England gelassenes Kapital, das ich kommen lassen wollte, zureichen mochte, und entwarf einen Plan zur Einrichtung meiner Pflanzung.
Diese war schon einigermaßen im Gange, als mein gütiger Freund, der Schiffskapitän, nach Europa zurückzusegeln bereit war, denn er brachte mit Ladung und Reiseanstalten über ein Vierteljahr zu. Ich hatte ihm schon früher von dem kleinen Kapital gesprochen, das ich in London zurückgelassen hatte. Er gab mir den freundschaftlichen, vernünftigen Rath: »Da alle menschlichen Dinge Zufällen unterworfen wären, so sollte ich erst nur die Hälfte, das ist hundert Pfund, kommen lassen, das Uebrige könnte ich, wenn es gelinge, nachher immer auf ähnliche Weise erhalten; wenn es aber fehlschlüge, so bliebe mir doch noch die andere Hälfte zur Hülfe übrig.« Jetzt erbot er sich, dies Geschäft in Europa zu besorgen, wenn ich ihm die nöthigen Briefe, Wechsel und Vollmachten mitgeben wollte, und mir den Betrag bei seiner Zurückkunft mitzubringen. Wem hätte ich mich besser anvertrauen können, als diesem redlichen und einsichtsvollen Freunde, dem Retter meines Lebens?
Ich schrieb also der Wittwe des englischen Kapitäns,[68] und gab ihr eine umständliche Nachricht von meiner Sklaverei, meiner Flucht, der Aufnahme und dem leutseligen Betragen des portugiesischen Kapitäns und von meiner jetzigen Lage, nebst der Anweisung über das Geld, das sie mir schicken möchte. Diesen Brief und die übrigen Papiere übergab ich dem redlichen Freunde den Abend vor seiner Abreise, dankte ihm nochmals für seine Güte, umarmte ihn herzlich, wünschte ihm eine glückliche Reise, und kehrte dann auf meine Pflanzung zurück.
Hier war mein nächster Grenznachbar ein Portugiese, der von englischen Eltern geboren war. Er hieß Wells, und befand sich mit mir in ähnlichen Umständen, denn sein Kapital war, wie das meinige, nur gering, und wir pflanzten in den zwei ersten Jahren bloß für unsern Unterhalt, ohne an Gewinn denken zu können. Wir wurden recht gute Freunde. Unsere Pflanzungen kamen indeß so in Aufnahme, daß wir im dritten Jahre Tabak pflanzen, und jeder ein großes Stück Feld zu Zuckerrohr fürs künftige Jahr einrichten konnten. Je mehr sich aber unsere Anlagen verbesserten und ausdehnten, desto mehr fühlten wir den Mangel an Arbeitern, und ich sah, daß ich nicht wohl gethan hatte, meinen Xury von mir zu lassen. Leider war es mein gewöhnlicher Fall, wider mein eigenes Wohl zu handeln; es blieb mir nichts übrig, als auszuhalten. Doch bald gieng es besser.
Während dem ich so meine Pflanzung verbesserte, und über das Ausbleiben meines portugiesischen Kapitäns ungeduldig wurde, langte er eben wohlbehalten[69] in Brasilien an. Er hatte durch englische Kaufleute in Lissabon meinen Brief und meine Anweisung der Witwe übermacht, worauf sie ihm nicht nur das verlangte Geld, sondern auch ein Geschenk für seine mir bezeigte Güte schickte. Der Kaufmann in London legte mein Kapital an solche englische Manufakturwaaren, als Tuch, Stoffe, Boys, und andere Dinge, die der Kapitän verlangt hatte, und in Brasilien sehr geschätzt und gesucht werden, so daß ich sie mit großem Vortheil absetzte und mehr als den vierfachen Werth aus dieser Ladung lösete. Mein guter Haushalter, der Kapitän, hatte aus eigener kluger Fürsorge vielerlei Werkzeuge, Eisenwerk und Geräthe beigelegt, und die fünf Pfunde, die ihm die Wittwe zum Geschenk gemacht hatte, dazu angewandt, mir einen Bedienten zu verschaffen, der sich verbindlich machte, mir sechs Jahre zu dienen. Alles das hatte ich nicht verlangt, denn bei seiner Abreise war ich noch gar zu unerfahren; es war her sowohl für meine Person als für die Pflanzung von dem größten Nutzen, und ich hielt mein Glück für gemacht, und die Freude hatte mich bei ihrem Empfang ganz ausser mich gesetzt. Für Alles das wollte der gute Kapitän durchaus keine Erkenntlichkeit von mir annehmen, ausser ein wenig Tabak und zwar, wie er sagte, weil ich ihn selbst gebaut hätte.
Nun gieng es mit meiner Pflanzung rasch vorwärts, und ich war bald unendlich weit vor meinem Nachbar voraus, denn ich versah mich mit noch einem zweiten europäischen Knechte, und kaufte über das noch einen Negersklaven, und schon im folgenden Jahre[70] gieng es weit über meine Wünsche. Ich hatte auf eigenem Grund und Boden fünfzig große Rollen Tabak reinen Gewinn, nach Abzug dessen, was ich mit meinen Nachbarn für allerlei Bedürfnisse umgetauscht hatte. Jede Rolle wog hundert Pfund; sie wurden alle wohl verwahrt, und auf die Rückkunft der Flotte von Lissabon aufgehoben.
Wäre ich in dem Zustand geblieben, in dem ich mich jetzt befand, so hätte ich noch all des Glücks geniessen können, das, wie mich mein Vater versicherte, den Mittelstand stets so sicher begleitete; ich war nun auf diese obere Stufe des niedern Lebens gekommen, die er mir so sehr anpries. Allein, wie es öfters zu gehen pflegt, daß ein gemißbrauchtes Glück das Mittel zu unserm Unglück wird, so gieng es auch mir; denn so wie mein Vermögen zunahm, so fieng auch mein Kopf an, sich mit einer Menge von Projekten anzufüllen, die so oft das Verderben der besten Köpfe sind. Um die rasche und unmäßige Begierde, schneller empor zu steigen, als die Natur der Sache es erlaubte, und zugleich meine thörichte Neigung, in der Welt herum zu wandern, zu befriedigen, verließ ich eine ruhige, stille Lebensart, die Natur und Vorsehung sich vereinten mir anzubieten und mir zur Pflicht zu machen, obgleich meine Vernunft mir deutlich zeigte, wie wohl ich mich dabei befinden und mein wahres Wohl befördern würde. Allein meiner warteten ganz andere Dinge, und ich mußte der eigensinnige Schöpfer meines eigenen Unglücks werden.
Ich hatte mich auf eine Beschäftigung eingelassen, die meiner unruhigen Neigung, die Welt zu sehen, an[71] der ich so viel Vergnügen fand, um derenwillen ich das Haus meines Vaters verlassen und seinen guten Rath verschmähet hatte, geradezu entgegen war. »Das alles,« sagte ich oft zu mir selber, »hätte ich ja in England bei meinen Eltern und Freunden eben so gut thun können, als hier unter Fremden und Wilden, in einer Wildniß und in einer Entfernung von fünftausend Meilen, wo ich nie etwas von jenen Gegenden vernehme, wo ich bekannt bin. Ich lebe hier wie ein Mensch, der einsam auf eine wüste Insel verschlagen worden ist, wo er Niemand als sich selbst hat.« Wie billig war es nicht, daß das einsame Leben, die gänzliche Verlassenheit, die ich mir jetzt nur dachte, dereinst mein Loos ward, und mich für die unbillige Vergleichung bestrafte. – Möchten doch alle Menschen, die ihren gegenwärtigen erträglichen Zustand mit einem schlimmern vergleichen, bedenken, daß die Vorsehung sie leicht in diesen versetzen und durch eigene Erfahrung von ihrem vorigen Besserseyn überzeugen könne. –
Da ich nun bereits vier Jahre in Brasilien lebte, und meine Pflanzung so schnell in Aufnahme kam, so ist leicht zu denken, daß ich die Sprache erlernt und sowohl unter den Landbesitzern als den Kaufleuten zu San-Salvador, welches unser Seehafen war, Freunde und Bekannte gehabt haben werde. Es hatte oft Gelegenheit gegeben, mich mit ihnen von meiner Reise nach der Küste von Guinea und von der Art zu unterhalten, wie man dort handele, und für Glaskorallen, Spielzeug, Spiegel, Messer, Scheeren, Beile und dergleichen Kleinigkeiten, Goldstaub, Elefantenzähne[72] und besonders Negersklaven in Menge erhalte. Dieser letzte Punkt reizte vorzüglich ihre Aufmerksamkeit. Damals war dieser Handel noch sehr unbedeutend und ein Monopol der Könige von Portugal und Spanien, so daß nur wenige Neger und sehr theuer verkauft wurden.
Ich hatte eines Tages mit einigen Kaufleuten und Pflanzern sehr umständlich darüber gesprochen. Am nächsten Morgen kamen drei von ihnen zu mir, und sagten, sie hätten schon lange und besonders diese Nacht über dem Negerhandel nachgedacht, und kämen jetzt, mir einen geheimen Vorschlag zu thun. Als ich ihnen Stillschweigen versprochen hatte, fuhren sie fort: »Sie hätten Alle Pflanzungen wie ich und Mangel an Sklaven, und wären Willens, ein Schiff nach Guinea auszurüsten, um Neger zu holen; da man aber selbige nicht öffentlich verkaufen dürfe, so wollten sie selbige insgeheim aus Land setzen und unter sich auf ihre Pflanzungen vertheilen. Nun wäre bloß die Frage: ob ich als Superkargo des Schiffs mitgehen und den Negerhandel übernehmen wolle? Wollte ich das, so sollte ich gleichen Antheil wie sie an den Negern haben, ohne etwas zu den Kosten beitragen zu müssen.«
Dieser Vorschlag war allerdings sehr vorteilhaft für Jemand, der keine eigene und so blühende Pflanzung besaß wie ich, der bereits ein bedeutendes Kapital auf selbige verwendet hatte, vortrefflich eingerichtet war, und nur noch drei oder vier Jahre wie bisher fortzufahren brauchte, um ein Vermögen von vier- bis fünftausend Pfund Sterling zu besitzen. Für mich[73] aber war dieses Anerbieten zu geringe und seine Annahme die größte Thorheit von der Welt. Aber so wenig ich das erste Mal dem Hange zum Reisen widerstehen konnte, eben so wenig vermochte ich es jetzt. Ich pflegte meine gegenwärtige Lage mit Widerwillen anzusehen, und nahm also den Vorschlag unbedenklich und unter dem einzigen Bedingniß an, meine Pflanzung bis zu meiner Zurückkunft treulich zu besorgen, und im Fall eines Unglücks sie demjenigen zu übergeben, den ich zum Nachfolger ernennen würde. Hiezu machten sie sich nun Alle verbindlich, und wir machten darüber einen förmlichen Vertrag. Der Eine war schon seit einiger Zeit mein Mitpflanzer geworden, und die beiden Andern ernannte ich zu meinen Faktoren. Hierauf setzte ich auch mein Testament auf, ernannte den Retter meinens Lebens, den portugiesischen Schiffskapitän, zum Haupterben, unter dem Beding, die Hälfte meines Vermögens in Legaten an meine Verwandten und an die gute Wittwe in England zu übermachen. So brauchte ich alle mögliche Vorsicht, meine Pflanzung in gutem Stand zu erhalten und mein Vermögen in Sicherheit zu setzen. Hätte ich doch nur die Hälfte dieser Klugheit angewandt zu überlegen, was ich thun oder nicht thun sollte, so hätte ich nie eine so gefahrvolle Reise unternommen, zumal da ich Gründe hatte, ein besonderes Unglück für mich selbst zu befürchten.
Aber ohne dies alles der geringsten Beachtung zu würdigen, gieng ich, nachdem das Schiff ausgerüstet und alles der Verabredung gemäß zu meiner Reise eingerichtet war, den 1. September 1659, an eben dem[74] Tag, an dem ich mich aus dem väterlichen Hause entfernt hatte, in einer eben so unglücklichen Stunde an Bord unsers Schiffes von 120 Tonnen, welches mit sechs Kanonen und, nebst mir, dem Schiffer und seinem Jungen, noch mit vierzehn Mann besetzt war. Die Ladung war nicht groß, und bestand in Spielsachen und andern Kleinigkeiten, wie wir sie zu unserm Handel mit den Negern brauchten.
Wir giengen noch an demselben Tag unter Segel, und steuerten längs den Küsten von Brasilien nordwärts in der Absicht, den 10. oder 12. Grad Nordbreite zu erreichen, und von dort, wie damals gewöhnlich war, nach der afrikanischen Küste zu segeln. So lange wir an unsern eigenen Küsten hinsegelten, hatten wir das schönste Wetter, aber eine große Hitze. Als wir auf der Höhe des Vorgebirgs San-Augustino waren, verloren wir das Land aus dem Gesichte, denn wir steuerten Nordost bei Ost gegen die Insel Fernando de Noronha, liessen sie aber rechts liegen, und passirten nach ungefähr zwölf Tagen die Linie.
Unsere letzten Beobachtungen gaben 7 Grade 22 Minuten Nordbreite, als ein heftiger Sturm aus Südost, der nach Nordost umschlug, sich daselbst setzte, und so heftig tobte, daß wir zwölf Tage nach einander vor Top und Takel trieben und ein Spiel der Winde waren. Jeden Tag fürchteten wir von den Wellen verschlungen zu werden, und keiner von uns Allen dachte an Rettung seines Lebens. Ein Matrose und ein Schiffjunge fielen über Bord, und ein anderer starb am hitzigen Fieber. Der Sturm ließ am zwölften Tage etwas[75] nach, und der Steuermann machte, so gut sich es thun ließ seine Beobachtung; er fand daß wir ungefähr 11 Grade Nordbreite, aber 22 Längen-Grade westlich vom Kap S. Augustin, jenseits dem Amazonenfluß, gegen die Küste von Guiana und den Orinokko waren getrieben worden. Wir überlegten, wohin wir unsern Lauf nehmen wollten, denn das Schiff hatte einen Leck bekommen und war ohne Ausbesserung nicht im Stande, nach Afrika hinüber zu segeln; der Schiffer meinte also, es wäre das Beste, gerade nach Brasilien zurückzukehren; dies wollte ich aber schlechterdings nicht zugeben, und wir kamen endlich überein, nach Barbados zu segeln, welches wir in vierzehn Tagen zu erreichen hoffen konnten, und steuerten dem zufolge Nordost bei West, vertrauensvoll, auf einer der britischen Inseln Hülfe zu finden.
Aber unsere Reise war ganz anders bestimmt. Unter dem 12. Grad Nordbreite überfiel uns ein zweiter Sturm, der uns mit solcher Heftigkeit westwärts trieb, und so weit von bewohnten Gegenden verschlug, daß wir keine Hülfe mehr zu hoffen hatten. Eines Morgens, als der Wind immer heftiger wüthete, und die Noth am höchsten war, rief ein Matrose plötzlich: Land! Alles eilte sogleich auf's Verdeck, um zu sehen, welches Land zu unserer Rettung sich zeigte; allein kaum war ich aus der Kajüte, als das Schiff auf einer Sandbank fest saß, und die Wellen überall darüber herstürzten, so daß wir den augenblicklichen Untergang befürchteten, und uns vor dem Schaum und Spritzen in die meistbedeckten Winkel flüchteten. Man[76] muß selbst in solcher Noth gewesen seyn, um sich unser Entsetzen lebhaft genug vorstellen zu können. Zuerst waren wir ganz betäubt, saßen da, und sahen uns unbeweglich an, jeden Augenblick den Tod erwartend, denn in dieser Welt schien wenig mehr für uns zu thun zu seyn.
Wenn der Wind nicht durch eine Art von Wunder sich plötzlich umdrehte, so konnte sich das Schiff nicht losarbeiten, und mußte in wenigen Augenblicken zertrümmern. Der einzige Trost, der uns blieb, war, daß das letztere nicht geschah und, nach des Schiffers Versicherung, der Wind sich etwas legte, ohne jedoch seine Richtung zu verändern. So wenig uns das helfen konnte, so wurden wir doch dadurch aus dem gefährlichen Zustande von Betäubung gerissen und zur Thätigkeit belebt, auf unsere Rettung zu denken. Die Schaluppe, welche am Hintertheile des Schiffes nachgezogen wurde, war durch beständiges Anstoßen schadhaft geworden, hatte sich losgerissen, und war versunken oder in's Meer hinaus getrieben. Das Boot lag an Bord, allein es schien unmöglich, selbiges in's Wasser zu bringen. Doch da war keine Zeit, sich erst viel zu besinnen; Jeder half dem Schiffer, und es gelang uns, es auszusetzen; wir sprangen sogleich Alle hinein, und liessen es treiben, wie Wind und Wellen es jagten, und überliessen uns – eilfe an der Zahl – der Barmherzigkeit Gottes.
Der Zustand, worin wir uns befanden, war schrecklich, denn obgleich der Wind beträchtlich abgenommen hatte, so gieng doch die See so fürchterlich hoch gegen[77] das Ufer, und konnte – nach dem Ausdruck der Holländer – mit Recht die wilde See heißen; das Boot konnte diese Bewegung nicht aushalten, es war zu leicht und zu sehr beladen. Segel hatten wir keine, und hätten uns ihrer auch nicht bedienen können. Wir arbeiteten also mit den Rudern dem Lande zu, aber mit so schwerem Herzen, als ob wir dem Tode entgegen giengen, denn wir waren überzeugt, daß, wenn wir uns dem Strande näherten, das Boot an selbigem durch den Woogensturm zertrümmert werden müßte; wir beschleunigten also unser Verderben mit eigenen Händen, indem wir dem Lande zuruderten.
Ob die vorliegende Küste eine Insel oder festes Land, ob es bewohnt oder wüste, ob das Ufer felsig oder sandig hoch oder flach war, das alles wußten wir nicht; der einzige Schimmer von Hoffnung, die uns noch blieb, war, daß wir vielleicht in eine Bai oder Meerbusen oder in die Mündung eines Flusses kommen und daselbst ebenes Wasser finden möchten. Allein von dem Allem zeigte sich gar nichts; im Gegentheil, als wir dem Gestade näher kamen, war das Land noch schrecklicher als die See, denn es ragte hoch und felsig aus den tobenden Fluthen.
Wir mochten ungefähr anderhalb Meilen fortgerudert oder vielmehr fortgetrieben seyn, als eine berghohe Welle hinter uns daher rauschte und mit Untergang bedrohte; sie stürzte auch wirklich mit solcher Wuth über das Boot, daß selbiges umschlug, wodurch wir getrennt wurden, und in den Abgrund versanken, ohne nur zu[78] einem Ausruf: O Gott, erbarme dich! – Zeit zu haben.
Es ist nicht möglich, die Verwirrung meiner Gedanken auszudrücken, da ich in die Tiefe sank; denn so gut ich auch schwimmen konnte, war mir es doch unmöglich, mich von den Wellen loszuarbeiten, daß ich hätte Athem holen können, bis endlich die ungeheure Wooge, die mich weit gegen den Strand fortgerissen oder vielmehr hingeworfen hatte, sich zurückzog, und mich auf dem Trockenen, aber von der Bewegung und dem eingeschluckten Meerwasser bis auf den Tod ermattet, zurückließ. Da ich mich auf festem Grunde fühlte, und das Felsenufer ganz nahe sah, so blieb mir soviel Geistesgegenwart und Athem, daß ich mich schnell aufraffte, und aus allen Kräften dem Strande zulief, ehe eine andere Welle mich zurückspühlte; das war aber nicht zu vermeiden, denn sie rauschte, hoch und wüthend, schon nahe hinter mir her, so daß mir nichts anders übrig blieb, als den Athem an mich und durch Schwimmen den Kopf über dem Wasser zu halten, und dem Lande zu nähern. Die Wassermasse begrub mich zwanzig bis dreißig Fuß tief in ihrem Schooße, und ich fühlte, daß ich mit äußerster Gewalt und Schnelligkeit fortgerissen werde und zugleich in die Höhe käme. Es war auch hohe Zeit, daß ich, zu meiner Rettung, mit Kopf und Händen über die Oberfläche des Wassers hervorschoß, denn bloß vom Anhalten des Athems, das ich nicht länger hätte aushalten können, wäre ich bald erstickt. Ich fühlte mich sehr erleichtert und mit neuem Muthe belebt, obgleich ich mich kaum einige Sekunden[79] über Wasser zu halten vermochte, indem es mich wieder, doch nur auf Augenblicke, bedeckte, und dann sich an dem Strande zu brechen und zurückzuweichen begann; als ich das merkte, arbeitete ich mich vorwärts, und fand bald Grund, stand dann einige Minuten stille, um Luft und Kraft zu schöpfen, und rannte dann so schnell als möglich gegen das Ufer. Aber noch zweimal stürzten die Wellen über mich her, hoben mich empor, und warfen mich gegen den Seestrand, das letztemal so stark gegen das Felsenriff, wo ich mit Seite und Brust anprallte, daß ich mein Bewußtseyn verlor, und wenn die Wellen noch einmal über mich gestürzt wären, es mir das Leben gekostet hätte; sie kamen zwar noch, aber, da sie dem Strande so nahe waren, nicht mehr so hoch, und ich hatte zum Glück noch soviel Zeit, mich ein wenig zu erholen, klammerte mich an einem Felsenstück fest, und hielt den Athem so lange zurück, bis die Wooge sich gebrochen und zurückgezogen hatte. Dann kletterte ich die Klippen hinauf, und setzte mich, von den Anstrengungen ganz ermattet, an dem Ufer nieder. Ich war nun sicher vor dem Wasser und der Gefahr, blickte zum Himmel, und dankte Gott, der mich vom nahen Tode errettete, wozu ich nur vor einigen Minuten kaum einen Schatten von Hoffnung sah.
Das Entzücken der Seele über eine so unerwartete Rettung aus der unvermeidlichen Todesgefahr geht über allen Ausdruck. Ich wundere mich jetzt nicht mehr über die Gewohnheit, einen Wundarzt in Bereitschaft zu halten, dem Missethäter, der nichts als den Tod erwartet, im Augenblick seiner Begnadigung eine[80] Ader zu öffnen, damit die plötzliche Ueberraschung ihm nicht den Tod bringe, denn allzuschnelle Freude wirkt oft gefährlicher als der stärkste Schmerz.
Ich warf meine Augen auf das gescheiterte Schiff, das in weiter Ferne, von den schäumenden Wellen umbrauset, mir beinahe unsichtbar war. Gott, dachte ich bei mir selber, wie war es möglich, das Land zu erreichen! Ich gieng nun an dem Strande umher, und, hingerissen vom Gefühl meiner Rettung, erhob ich die Hände und machte tausend Bewegungen und Geberden, die ich nicht beschreiben kann. Der Gedanke, daß alle meine Gefährten ertrinken mußten, daß kein Einziger als gerade ich allein dem Tode entrann, entzückte und erschreckte mich zugleich. Von ihnen allen sah ich nie einen wieder, nicht einmal das geringste Zeichen von ihnen, ausser drei Hüte, eine Mütze und zwei Schuhe, die nicht zusammen gehörten.
Die Freude über meine Erhaltung gieng bald vorüber, um mich sehr traurigen Betrachtungen zu überlassen. Wie schrecklich war meine gegenwärtige Lage! Ich war ganz durchnäßt, hatte keine andern Kleider, weder Speise noch Trank, um mich zu erlaben, und was das Schlimmste war, ich hatte keine Waffen, um Thiere zu meinem Unterhalte zu tödten, oder mich gegen sie zu vertheidigen, und hatte also keine andere Aussicht, als von wilden Thieren gefressen zu werden oder Hungers zu sterben; denn ich hatte nichts bei mir als ein Messer, eine Tabakspfeife und in meiner Dose einen kleinen Rest von Durchnäßtem Rauchtabak. Das war mein ganzer Vorrath; in halber Verzweifelung[81] lief ich hin und her, um etwas zur Befriedigung meines Hungers und Durstes zu suchen, und fand einige hundert Schritte vom Ufer, zu meiner großen Freude und Erquickung, frisches Wasser; aber etwas zu essen fand ich nirgends, ich nahm daher, nach Seemanns Sitte, Rauchtabak in den Mund.
Die Nacht nahete sich. Schwere, tiefhängende Wolken, die der Wind langsam fortwälzte, vermehrten die Dunkelheit. Ich befand mich in einer einsamen, öden Gegend, mit einzeln stehenden Bäumen besetzt, die jetzt in tiefer Finsterniß begraben waren. Nur der Wind, der in den Zweigen der Bäume rauschte, der fortdauernde Regen, das Getöse der Wellen, die sich am Ufer brachen, und in weiter Ferne der dumpfrollende Donner liessen sich durch die nächtliche schauervolle Stille hören. Das alles erfüllte mein Herz mit Bangigkeit, wozu noch die Furcht vor reissenden Thieren kam, welche gewöhnlich des Nachts auf Raub ausgehen. Das einzige Mittel, das mir zu meiner Sicherheit einfiel, war, auf einen dichtbewachsenen Baum zu steigen, der nahe bei mir stand und einer Tanne ähnlich, aber dornicht war. Zu meiner Verteidigung hatte ich mir einen knotigen Stock abgeschnitten, bestieg, damit bewaffnet, mein Nachtquartier, und setzte mich in eine solche Lage, daß ich nicht in Gefahr war, herunterzufallen. Aeusserst ermüdet sank ich bald in einen tiefen Schlaf und ruhte so sanft, daß ich bei meinem Erwachen mich neu belebt fühlte.
Es war schon heller Tag und kein Wölkgen am blauen Himmel; der Sturm hatte sich gelegt, und die[82] ruhige See glänzte im lieblichsten Sonnenschein, von sanften Winden gekühlt. Was mich am meisten verwunderte und erfreute, war, das Schiff kaum eine Meile vom Ufer, aufrecht und unbeweglich im Sande liegen zu sehen, wohin es während der Nacht, durch die Fluth aufgehoben, war getrieben worden.
Der erste Gedanke bei diesem trostvollen Anblicke konnte wohl kein anderer seyn, als mich an Bord zu begeben, Lebensmittel zu suchen, und soviel von der Ladung zu retten, als möglich wäre. Dahin gieng nun mein einziges Bestreben, und das natürlichste war, mich nach unserm Boot umzusehn, um damit an das Schiff zu fahren. Ich ward es auch ungefähr zwei Meilen links von mir gewahr, stieg dann vom Baum herab und gieng längs dem Strande hin, fand aber ungefähr auf halbem Wege die Mündung eines kleinen Flusses, der hier wohl eine halbe Meile breit und also zu weit war, um hinüber zu schwimmen. Noch weniger konnte ich schwimmend zum Schiffe gelangen, da die Entfernung noch einmal so groß war. So verstrich der ganze Morgen unter vergeblichen Entwürfen und Bemühungen, etwas auszudenken und etwas zu finden, um meinen Hunger zu stillen.
Als ich nicht lange nach Mittag an das Gestade zurückkam, fand ich die Ebbe beinahe verlaufen und das Wasser so weit zurückgezogen, daß ich trockenen Fusses mich dem Schiffe auf drei- bis vierhundert Schritte nähern konnte. Voll Freude zog ich mich sogleich aus, doch behielt ich meine langen Beinkleider und mein[83] Hemde an, warf meine Kleider auf den Strand und schwamm zum Schiffe, wo ich eine neue, nämlich die Schwierigkeit fand, an Bord zu kommen, denn es lag in niedrigem Wasser auf dem Grunde fest, und ragte hoch über selbiges heraus. Zweimal schwamm ich um das Schiff herum und ward endlich ein Tau-Ende gewahr, das ich mich wunderte nicht gleich das erstemal erblickt zu haben; es hieng am Vordertheil so tief herab, daß ich es, wiewohl nicht ohne Mühe, erhaschen und mich daran auf den Bock schwingen konnte, der tiefer im Wasser lag als der Hintertheil, der auf einer Sandbank ruhte.
Hier ward mein Schmerz über den Verlust meinem Gefährten erneuert, denn ich sah deutlich, daß, wenn wir an Bord geblieben wären, keiner sein Leben verloren hätte, und ich nicht so ganz verlassen in einer Einöde geblieben seyn würde, denn wir hätten aus den Schiffstrümmern und dem vorräthigen Holz, mit Hülfe des Schiffszimmermanns und seiner Werkzeuge, ein Fahrzeug erbauen und nach bewohnten Gegenden und von da wieder zu den Unsrigen gelangen können.
Mein erster Gang war in die Brodkammer, welche im Hintertheil des Schiffs und alles, was sie enthielt, in trockenem und unverdorbenem Zustande war. Ich füllte meine Taschen mit Schiffzwieback und Käse, um zu gleicher Zeit zu essen und mich mit andern Dingen zu beschäftigen, da keine Zeit zu verlieren war. Wir hatten einen Hund und zwei Katzen an Bord, die mir sogleich nachliefen, besonders der Hund, der Hunger[84] und Durst litt und mir außerordentlich schmeichelte; die Katzen mochten wohl Mäuse gefangen haben. Auch mir war es lieb, lebendige Geschöpfe zu finden; ich gab ihnen sogleich zu fressen und zu saufen, und dann folgten sie mir auf allen Schritten nach. Als ich ans Land zurückfuhr, ließ ich die Katzen an Bord, der Hund aber sprang ins Wasser und schwamm mir nach, worauf ich ihn auf den Floß hob, und an das Land nahm, wo er viele Jahre lang meine Freude und treuer Begleiter war.
Ich fand in der Kajüte mein Flaschenfutter, und stärkte mich durch einen guten Schluck Rum zu der bevorstehenden Arbeit. Mir fehlte jetzt nichts als ein Boot, um Alles, was mir nützlich war, ans Land zu bringen. Statt mich nun hinzusetzen und zu wünschen, was nicht zu haben war, machte ich mich an die Arbeit, einen Floß zu bauen, und sah mich vorerst nach Balken, Stangen und Brettern, so wie auch nach Zimmermannswerkzeugen um, und fand zwei oder drei Stücke Zimmerholz, ein Paar vorrätige Bramstangen und einige Raaen; dann öffnete ich die Zimmermannskiste, und nahm Sägen, Beile, Hammer und Nägel. Ich warf nun vier Stücke von dem vorräthigen Rundholz über Bord, und band jedes mit einem Tau an das Schiff, damit sie nicht wegtrieben. Hierauf stieg ich an der Seite des Schiffes herab, band die vier Vorenden neben einander so fest als mir möglich war zusammen; eben so auch die hintern Enden, und nagelte dann einige Bretter kreuzweise darüber, auf welchen ich nun sicher herumgehen konnte; allein der Floß war zu[85] leicht, um eine hinlängliche Last zu tragen; ich sägte also eine der Bramstangen in drei gleiche Theile, und verstärkte damit meinen Floß. Die Hoffnung mich mit allerlei Bedürfnissen zu versehen, machte mir die schwere Arbeit leicht, so daß ich gerne that, was mir vorher unmöglich gewesen wäre.
Meine nächste Sorge war jetzt, womit ich meinen Floß beladen und die Fracht vor dem Ueberspühlen des Seewassers sichern sollte. Das war aber bald entschieden. Ich öffnete drei Matrosenkisten, leerte sie, und ordnete selbige auf dem Floße; füllte dann die Eine mit Schiffszwieback, Reis, drei holländischen Käsen, fünf Stücken geräuchertem Fleisch und einem Säckchen, worin sich ein Rest Gersten und Waizen gemischt befand, das zum Futter für das Federvieh bestimmt gewesen, welches leider ersoffen war. Von Getränke fand ich mein und einige andere Flaschenfutter, worin sich mehrere Flaschen Rum und Kordialwasser befanden; diese setzte ich sorgfältig neben die Kiste. Gewehr, Pulfer und Blei schienen mir ganz unentbehrlich, sowohl zur Vertheidigung als zum Unterhalt. In der Kajüte waren zwei gute Vogelflinten, ein Paar Pistolen, ein Beutel mit Schroot, ein anderer mit Kugeln, vier Pulferhörner und zwei Säbel, womit ich die andere Kiste anfüllte. Ich erinnerte mich auch, daß einige volle Pulferfässer auf dem Schiffe waren, und fand sie nach langem Suchen; zwei davon waren ganz trocken, und ich brachte sie mit großer Mühe und nur mit Hülfe des Ladetakels auf den Floß herunter. Ich sah eben unschlüssig[86] umher, womit ich die dritte Kiste anfüllen könnte, da bemerkte ich, daß die Fluth bereits anströmte, und meine am Strande liegenden Kleider wegschwemmte, die ich auch nie wieder fand. Dies erinnerte mich, auf Kleidungsstücke zu denken, und ich nahm vorn aus meinem eigenen Vorrath das Nöthigste, soviel als ich in die Kiste bringen konnte. Als ich nun das Schiff verlassen wollte, und bei der Zimmermannskiste vorbei gieng, kam sie mir so nützlich und unentbehrlich vor, daß ich sie unmöglich zurück lassen konnte, und brachte sie auch noch auf den Floß herab.
Jetzt war ich darauf bedacht, wie ich meine kostbare Ladung an's Land bringen könnte, da ich weder Segel noch Steuerruder hatte; ich fand zwar einige theils ganze, theils zerbrochene Ruder, die zu der verlornen Schaluppe gehört hatten, womit ich meinen Floß zu lenken hoffte; doch würde eine Mütze voll Wind meiner Fahrt bald ein Ende gemacht haben. Drei Dinge machten mir jedoch Muth. Die See war still und eben; die Fluth strömte dem Ufer zu, und der schwache Wind wehte ebenfalls dahin. So günstige Umstände konnte ich nicht unbenutzt lassen; ich machte meinen Floß vom Schiffe los und trieb fort. Ungefähr eine Meile gieng die Fahrt vortrefflich, nur merkte ich, daß der Floß mehr nordwärts als nach der Stelle hintrieb, wo ich zu landen gedachte, woraus ich schließen mußte, daß die Mündung des kleinen Flusses, der zwischen mir und dem Boot gelegen hatte, diesen Zug verursachte; dies machte mir Hoffnung, in diese Bucht als in einen Hafen einzulaufen, und meine Fracht in Sicherheit zu[87] bringen. Meine Vermuthung war richtig, denn ich entdeckte bald die Oeffnung in der Küste, in welche die Fluth immer stärker eindrang, je mehr ich mich ihr näherte. Ich lenkte also meinen Floß, so gut ich konnte, um in der Mitte des Fahrwassers zu bleiben; dennoch hätte ich beinahe einen zweiten Schiffbruch gelitten, über den ich mich wahrscheinlich zu Tode gegrämt hätte, denn da ich die Küste gar nicht kannte, so stieß mein Floß, der beinahe einen Fuß in's Wasser gieng, mit einem Ende auf eine Untiefe, und da das andere flott bliebt, so fieng meine Ladung an gegen diese Seite zu gleiten. Ich stemmte meinen Rücken gegen die Kisten, um sie in ihrer Stelle zu erhalten, und suchte zu gleicher Zeit den Floß mit dem Ruder von der Sandbank abzubringen; allein meine Kräfte reichten zu dieser doppelten Anstrengung nicht zu, und doch durfte ich aus meiner unbequemen und mühevollen Stellung keinen Augenblick weichen; fast eine halbe Stunde mußte ich darin aushalten, bis die steigende Fluth endlich meinen Floß wieder flott machte, worauf ich durch Stoßen und Rudern in die Mündung des kleinen Flusses einlief. Ich sah mich nach einer bequemen Stelle zum Anlanden um, und fand eine kleine Einbucht am linken Ufer, wohin ich den Floß nicht ohne Beschwerlichkeit hineinleitete, und bald soviel Grund fand, mich mit dem Ruder fortzustoßen; aber die Begierde zu landen setzte mich abermals in Gefahr, meine ganze Ladung zu verlieren; denn das Land auf beiden Seiten des Flusses war hoch und neigte sich steil gegen die Bucht herab, so daß die vordere Ecke meines Floßes[88] so hoch anlief, daß die Fracht an der andern tiefer liegenden Seite herunter fallen mußte; zum Glück merkte ich die Gefahr frühe genug, um ihr vorzubeugen, und meinen Floß mit dem in den Boden gesteckten Ruder so lange festzuhalten, bis ich Wasser genug hatte ihn auf eine flache Stelle zu bringen, die ich bemerkt hatte; hier steckte ich zwei meiner mitgebrachten zerbrochenen Ruder an die Aussenseite des Floßes in den Grund fest, und lag auf diese Art so lange vor Anker, bis die Ebbe sich einstellte, das Wasser abgelaufen und mein Floß mit der ganzen Ladung auf dem Trockenen in Sicherheit war. Meine Freude über diese gelungene Unternehmung läßt sich durch keine Worte ausdrücken. Mein Leben war nun auf lange Zeit vor Gefahr und Mangel gesichert.
Meine erste Sorge war nun, auf Entdeckungen auszugehen. Noch wußte ich nicht, ob ich auf festem Lande oder auf einer Insel, in einer bewohnten oder unbewohnten Gegend, und der Gefahr vor wilden Thieren ausgesetzt war oder nicht. Nicht über eine Meile von mir sah ich einen steilen Berg, der unter einer Reihe anderer, die sich westwärts hinzog, der höchste zu seyn schien. Ich faßte sogleich den Entschluß, alles am Ufer stehen zu lassen, und ihn zu besteigen; ich nahm eine Vogelflinte, eine Pistole, Pulfer und Schroot, und erkletterte mit größter Beschwerlichkeit den Gipfel. Hier erblickte ich nun meine ganze Lage, sah, daß ich mich auf einer nicht sonderlich großen, felsichten, unangebauten und wahrscheinlich unbewohnten Insel befand. So weit mein Auge reichte, war kein Land zu sehen,[89] als zwei kleine, einige Meilen entfernte, westwärts liegende Inseln und in weiter Ferne eine hohe Küste, die ich nicht deutlich erkennen konnte. Von wilden Thieren sah ich keines, ausser zwei bis drei Hasen ähnlichen Thieren, wohl aber eine große Menge Vögel. Auf meinem Rückwege schoß ich einen derselben, der auf einem Baume saß, und mich ohne Furcht erwartete. Dies mochte wohl seit der Erschaffung der erste Schuß in dieser Gegend gewesen seyn, denn er setzte das ganze Gehölz in Bewegung, und aus allen Theilen desselben flog eine unzählbare Menge Geflügel mit lautem, verwirrtem Schnattern und Schreien auf, und durchirrte die Lüfte; doch sah ich keinen, dessen Stimme, Farbe und Gestalt mir bekannt war. Der Geschossene war ein Raubvogel, unserm Habicht ähnlich, doch mit kleinern Fängen und Klauen, und sein Fleisch war ungenießbar.
Gewißheit giebt Beruhigung, selbst im Elende; zufrieden kehrte ich zu meinem Floße zurück, und brachte den übrigen Theil des Tages zu, meine Ladung an's Land zu setzen. Nur die Furcht vor wilden Thieren beunruhigte mich, so daß ich nicht wußte, wo ich eine Ruhestelle finden sollte; in der Nähe fand sich kein Baum, und ich konnte mich nicht entschließen, auf der Erde zu schlafen, oder meine Güter zu verlassen. Die einbrechende Nacht endigte meine Unentschlossenheit; ich stellte alle Kisten und Bretter in ein Viereck um mich her, und machte mir eine Art Hütte, aß etwas Zwieback, that einen Trunk frischen Wassers, und schlief, von der angestrengten Arbeit ermattet, bald[90] und unbesorgt ein. Mein Hund legte sich nebenbei und bewachte mich.
Ausgewählte Ausgaben von
Robinson Crusoe
|
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro