Siebenundzwanzigster Abschnitt.

[103] Geschichte der Kolonie.


»Die Ursache unserer verzögerten Zurückkunft war keine andere als die Schwierigkeit, Fahrzeuge zu finden, worin ich meine Gefährten nebst den wenigen geretteten Habseligkeiten aufnehmen und herüber bringen konnte, denn das Fahrzeug, in dem ich mit Freitags Vater hinüber gefahren war, konnte uns nicht alle Achtzehn fassen, wie wir geglaubt hatten.

Unsere Hinfahrt war bei dem schönen Wetter und dem stillen Meere glücklich aber langsam. Nichts kann aber mit der Verwunderung meiner Landsleute verglichen werden, als sie mich wiedersahen, denn sie glaubten nach dem Gefechte mit den Wilden, denen ich in die Hände gefallen war, nichts anders, als daß ich von ihnen wäre aufgefressen worden. Die Erzählung von meiner Errettung setzte sie in Erstaunen, die frohe[103] Botschaft von ihrer nahen Befreiung in ein unaussprechliches Entzücken, und der Anblick der Lebensmittel, der Waffen und Munition überzeugte sie, daß sie von keinem angenehmen Traume getäuscht würden.

Wir machten nun sogleich Anstalt, die ersehnte Insel zu erreichen, und dazu war kein anderes Mittel, als von den Wilden ein paar Kanots zu borgen, ein Betrug, den die Nothwendigkeit verzeihlich zu machen schien. Nach einigen Tagen schifften wir uns ein, denn unser Gepäcke war zu gering, um uns aufzuhalten, und ruderten, unter dem Vorwande, auf einen Fischfang auszugehen und die Beute mit den Wilden zu theilen, von der Küste ab, wurden aber durch widrige Winde und Strömungen zurückgehalten, und genöthigt, an mehrern Inseln anzulegen, welches uns so lange aufhielt, daß wir erst drei Wochen nach meiner Abfahrt von der Insel wieder daselbst anlangten.

Die einzige redliche That der zurückgelassenen Britten war, daß sie uns Ihren Brief und die für uns bestimmten Vorräthe einhändigten. Dem Brief war ein ausführlicher Unterricht beigefügt, über alles was die hiesige Haushaltung betraf, wie und wenn wir säen, erndten, wie wir backen, kochen, Gefäße machen, Ziegen erziehen, melken, Butter und Käse machen, und überhaupt für unsere Bedürfnisse und Bequemlichkeiten zu sorgen hätten. Zum Glück verstanden zwei der Unsrigen genug Englisch, um daraus den Nutzen zu ziehen, den Ihre Menschenliebe dabei beabsichtigte.

Im Anfang herrschte zwischen uns und den Engländern[104] ein gutes Verständniß, wir lebten sehr einig zusammen im Schlosse, und da ich und Freitags Vater die hier nothwendige Lebensart schon aus Erfahrung kannten, und meinen Landsleuten Anleitung dazu gaben, so nahm unsere Kolonie sehr bald eine günstige Wendung. Die Engländer hingegen bedünkten sich zu vornehm um zu arbeiten, und begnügten sich, auf der Insel herumzuschweifen, aus bloßem Muthwillen Papageien zu schießen, Schildkröten umzuwenden, ohne daß diese zu Tode geplagten Thiere den geringsten Nutzen für uns hatten; dann kamen sie des Abends nach Hause und ließen sich das Nachtessen wohl schmecken. Da sie nun nicht den geringsten guten Willen zum gemeinen Besten zeigten, so konnte die Einigkeit zwischen uns und ihnen nicht lange bestehen. Für ihren Müssiggang würden wir um des Friedens willen Nachsicht gehabt haben, aber man kann mit Wahrheit behaupten, daß der Müssiggang die Wurzel alles Bösen, oder vielmehr, daß man eigentlich selten ganz müssig ist, sondern, daß wer nicht etwas Nützliches thut, meistens etwas Schädliches begeht. Die Engländer waren nicht zufrieden, keine Arbeit zu thun, sondern sie verhinderten uns, die oft nothwendigsten Geschäfte zu verrichten. Sie waren hierhin dem Hunde jenes Gärtners ähnlich, der selbst nicht fressen und auch nicht leiden wollte, daß Andere sich sättigten.

Die ersten Zwistigkeiten waren zu unbedeutend, um ihrer zu erwähnen, aber die Bosheit der drei Britten überstieg bald alles, was man sich vorzustellen vermag. Ihre Feindseligkeit äusserte sich mit einer unbeschreiblichen[105] Frechheit, die jeder Billigkeit der gesunden Vernunft, ja ihrem eigenen Vortheil ganz entgegen war, so daß ihnen auch nicht die geringste Beschönigung ihres Betragens übrig blieb. Ich war nicht im Stand, dasselbe ganz zu beurtheilen, weil ich es nur aus den Berichten der Spanier kannte, die ihre Ankläger, und folglich zu leidenschaftlich und einseitig waren, um mich darauf zu verlassen; aber ich war bald genöthigt zu gestehen, daß ihre Anklagen gerecht waren.

Zwei Tage nach unserer Ankunft stellten sich noch zwei andere Engländer ein, die sich sehr über die drei beklagten, welche wir in der Burg fanden, welche jene schon in den ersten Tagen daraus vertrieben, und ihnen jede Nahrung verweigert hatten. Wir suchten sie mit ihren Landsleuten zu versöhnen, aber die drei wilden Bestien wollten nichts davon hören, auch nicht zugeben, daß sie im Schlosse wohnen durften. Sie waren daher genöthigt, sich von uns zu trennen, und da nur Arbeitsamkeit und Geschicklichkeit sie vor Mangel schützen konnten, so wählten sie die nördliche Gegend der Insel zu ihrem Aufenthalte. Hier erbaueten sie zwei Hütten, die eine zu ihrer Wohnung, die andere zum Vorrathshause, wozu wir ihnen nicht allein behülflich waren, sondern ihnen auch Getreide und Reis zum Säen, Gefäße, Werkzeuge und mehrere Ziegen gaben. Sie fiengen auch sogleich an, das Feld zu bestellen, zu graben, zu ackern, zu pflanzen, und ihre Besitzungen zu umzäunen. Zwar hatten sie anfangs nur wenig säen können, doch war ihre Erndte zureichend, um sie hinlänglich mit Brod und Saatkorn zu versehen, und da[106] der Eine auf dem Schiffe Unterkoch gewesen war, der sehr gute Suppen, Puddings und andere wohlschmeckende Speisen zuzubereiten verstand, so weit ihr Reis, ihre Milch, Butter und das Fleisch von wilden Ziegen es gestattete, so befanden sie sich in kurzer Zeit in einem behaglichen Zustande, indem wir sie bis zu ihrer ersten Erndte mit einem Theil der nöthigsten Lebensmittel versahen.

So weit waren sie gefördert, als die drei Bösewichte aus bloßem Muthwillen herkamen, um sie zu beleidigen. Sie sagten: die Insel gehörte nur ihnen allein; nur sie wären durch den Gouverneur in Besitz derselben gesetzt worden, also hätte, ausser ihnen, Niemand einiges Recht, darauf zu wohnen, zu bauen, zu pflanzen, ohne ihre Einwilligung und ohne dafür Abgaben an sie zu entrichten. Die guten Leute glaubten, ihre Landsleute scherzten, und luden sie ein, in ihre Wohnung zu treten, um, wie sie sagten, ihren Palast zu beschauen, und sich mit ihnen über die verlangten Abgaben zu verständigen. Der Eine setzte hinzu, daß, wenn jene wirklich Landesherren wären, so hofften sie, bei gutem Anbau des Erdreichs einige Jahre von allen Abgaben befreit zu werden, und ersuchte sie, einen Notar kommen zu lassen, um, wie es bei andern Territorialherren üblich wäre, einen Vertrag ausfertigen zu lassen. Diese Spötterei brachte sie vollends auf, sie tobten und fluchten abscheulich, und einer gieng hin, nahm vom Herde, wo sie eben ihr Mittagsmahl zubereiteten, einen Feuerbrand, und steckte die Hütte an, indem er sagte: er wolle ihnen weisen, ob's nur Scherz sey. Es[107] gelang dem Einen, das Feuer zu löschen, ehe es überhand nahm, während der Andere das Gewehr des Mordbrenners ergriff, und ihn zurückdrängte. Dadurch ward er so wüthend, daß er eine nahe stehende Stange faßte, und seinen Gegner damit erschlagen haben würde, wenn dieser dem Streiche nicht ausgewichen wäre; sein Kamerad nahm nun auch sein Gewehr, und streckte den Bösewicht mit einem Kolbenschlage zu Boden, ehe seine Gefährten es verhindern konnten. Gefahr und Rache machten jene so herzhaft, daß sie diese bedrohten, bei der ersten Bewegung niederzuschiessen, und nun kam's zum Vertrage, welcher dahin auslief, daß sie sich zurückziehen wollten, wenn man ihnen gestattete, ihren verwundeten Kameraden wegzutragen. Dieser lag noch immer besinnungslos am Boden, und kam nicht eher zu sich, als bis sie ihn schon eine gute Strecke fortgetragen hatten. Die beiden braven Männer thaten sehr übel, ihre Feinde nicht zu entwaffnen, und uns anzuzeigen, was geschehen war, denn dadurch hätten sie sich für die Zukunft manche Verfolgung von diesen, eben so feigen als wüthenden Bösewichtern erspart, welche auf nichts anders als Rache sannen, ihnen mehrmals ihre Erndten zertraten, Ziegen erschossen, und sie endlich durch noch viele andere Bubenstreiche zur Verzweiflung brachten, das sie weder Tag noch Nacht vor ihren Nachstellungen sicher waren.

Zwei von meinen Landsleuten, welche vom Landhause, wo sie Geschäfte hatten, nordwärts auf die Jagd gegangen waren, trafen die beiden arbeitsamen Engländer im Walde an, welche ihnen erzählten,[108] was sie von den Andern zu erdulden hätten, so daß sie ohne unsere Unterstützung in Gefahr wären, Hungers zu sterben.

Als unsere Gefährten nach einigen Tagen wieder in der Burg anlangten, erzählten sie uns, was vorgefallen war, und nun konnten wir uns den Zustand des Verwundeten erklären.

Bei Tische machten wir ihnen Vorstellungen über ihr unmenschliches Betragen gegen ihre eigenen Landsleute, die ihnen nichts zu Leide gethan hatten, und nichts suchten, als durch Fleiß ihren Lebensunterhalt zu finden. Atkins antwortete unter Flüchen und Drohungen: das gehe uns nichts an; ihre Landsleute hätten nichts auf der Insel zu schaffen, wohin sie ohne Erlaubnis gekommen wären; sie hätten kein Eigenthumsrecht, und daher sollte es ihnen nie erlaubt seyn, weder zu bauen, noch zu pflanzen. – ›Dann aber müßten sie ja verhungern.‹ – Das mögen sie, meinetwegen, oder zum Teufel fahren. – ›Aber was sollen sie denn thun?‹ – Unsere Sklaven seyn, und für uns allein arbeiten. – ›Ei, woher haben Sie denn das Recht? Sie haben sie ja gar nicht um's Geld gekauft, noch zu Gefangenen gemacht.‹ – Die Insel gehört uns Dreien ausschließlich. Der Gouverneur hat sie uns allein geschenkt, und Niemand hat hier etwas zu befehlen, als wir, und um dieses zu beweisen, wollen wir ihre Hütten, Pflanzungen und Heerden zerstören. – ›Dem zufolge müßten auch wir Ihre Sklaven seyn!‹ – Ei, freilich, ihr werdets auch gleich erfahren. Was war auf solchen Unsinn, der mit den niedrigsten Schimpfreden vermischt[109] war, zu antworten? Spott und Verachtung drückte sich auf Jedes Angesicht aus, ohne eine Sylbe zu erwiedern. Dies erregte die Galle der drei Bösewichte, sie ließen allerlei Drohungen fallen, die wir nur zum Theil verstanden, und wenn der Eine nicht ausser Stande gewesen wäre, so möchte schon diese Nacht etwas vorgefallen seyn; indessen hielten wir uns gewarnt und auf unserer Hut. Wir bemerkten, daß sie über heimlichen Anschlägen brüteten.

Sobald der Verwundete hergestellt war, setzten sie ihr feindseliges Betragen gegen ihre beide andern Landsleute fort, die sich endlich entschlossen, diesen Mißhandlungen auf einmal ein Ende zu machen. Sie erschienen also eines Morgens vor dem Schlosse, und forderten die drei Taugenichtse bei Namen heraus; da diese des Abends vorher nicht nach Hause gekommen waren, welches Einer von uns ihnen anzeigte, so kehrten sie sogleich um, indem sie nicht ohne Grund vermutheten, jene möchten etwas gegen sie im Sinne haben, und so war's auch.

Unter dem Vorwande auf die Jagd zu gehen, waren sie gleich nach dem Mittagsmahle dem Landhause zu gegangen, wo sie, wie wir nachher vernahmen, nach einigem Herumstreifen die Nacht zubrachten. Ihr Vorsatz war, ihre Landsleute des andern Morgens vor Tage im Schlafe zu überfallen, die Hütten in Brand zu stecken, und jene entweder schlafend zu verbrennen, oder, wenn sie dem Feuer entfliehen wollten, sie niederzuschiessen. Allein, ermüdet von der Jagd, und zu träge,[110] sich zu rechter Zeit aufzumachen, verspäteten sie sich, und kamen erst nach Aufgang der Sonne zu den Hütten.

Atkins, der Beherzteste, trat zuerst hinein, und rief dann den Andern zu: Das Nest ist leer, die Vögel sind ausgeflogen, und der Teufel soll sie und diejenigen holen, die uns verrathen haben; denn es schien ihnen eine ausgemachte Sache zu seyn, daß wir sie vor der Gefahr gewarnt hätten, und sie verbanden sich unter den gräßlichsten Flüchen, sich an uns zu rächen. Hierauf rissen sie beide Hütten nieder, daß kein Stück auf dem andern blieb, und man kaum ihre Spur erkennen konnte; zerschlugen das Hausgeräthe und die Werkzeuge, oder zerstreuten sie bei'm Weggehen dergestalt, daß man nachher einige derselben über eine Meile weit von der Wohnstelle fand; sie zerstörten die Einfriedigung der Ziegenheerde, die sie theils tödteten, theils verjagten, und rissen zuletzt alle Bäume und Pflanzen aus, so daß die Verheerung einer tatarischen Räuberhorde Ehre gemacht hätte. Zufrieden mit ihrem Bubenstück kehrten sie frohlockend zum Landhause, und von da zur Burg zurück.

Durch ein sonderbares zusammentreffen der Umstände hatten sich beide Partheien sowohl im Hingehen, als im Zurückkommen verfehlt, denn als die Beiden ihre Gegner nicht im Schloß gefunden, so kehrten sie auf dem nämlichen Wege zu ihrer Wohnung, wo sie selbige zu finden hofften; denn obgleich sie nur zwei gegen drei waren, so würde doch das Gefecht sehr blutig gewesen seyn, denn beide Theile waren aufs äußerste gegen einander erbittert. Aber die Vorsehung, immer weise[111] und gütig, entfernte sie von einander, je eifriger sie bemüht waren, sich zu finden; denn als jene nach Hause oder vielmehr auf den Schauplatz der Zerstörung kamen, waren die Andern bereits weit davon entfernt. Man stelle sich das Entsetzen der guten Leute bei dem Anblick der Verwüstung vor; der Schmerz überwältigte sie dergestalt, daß sie erst sprachlos, dann jammernd die Hände rangen; doch bald machten Thränen und Klagen der Rachgier Platz; hier war nichts zu thun, sie kehrten also mit schnellen Schritten zur Burg zurück, um uns zu erzählen, was ihnen begegnet war. Wir wußten aber schon alles, und hatten ihnen selbst zu erzählen.

Die Dreie waren nämlich, bald nachdem jene fortgegangen waren, um sie aufzusuchen, auf der Burg angelangt, prahlten nun mit ihrer abscheulichen That, als ob sie noch so ehrenvoll gewesen wäre, und durch das Gelingen derselben übermüthig gemacht, vergaß sich der Eine so sehr, dem nächsten Spanier den Hut vom Kopf zu schlagen und zu drohen: ›so soll's Euch auch gehen, wenn ihr Herrchen nicht Respekt vor uns habt.‹ Aber er hatte sich an den Unrechten gewandt, denn dieser, obgleich sonst sanft und gelassen, aber darum nicht weniger beherzt, und überdas gewandt und kraftvoll, streckte ihn sogleich mit einem einzigen Faustschlage ohnmächtig zu Boden; Atkins, um seinen Kameraden zu rächen, schoß sein Pistol auf jenen ab, und verwundete ihn, doch nur leicht am Ohre, aber die Menge herabströmenden Bluts und der Schmerz ließ ihn glauben, daß seine Wunde gefährlich sey, und[112] erbitterte ihn so sehr, daß er das nächste Gewehr ergriff und Atkins würde niedergemacht haben, wenn wir nicht dazwischen getreten wären, und ihn ersucht hätten, ihn nicht zu tödten. Da er nun mit Grund behauptete, es sey hohe Zeit, den Beleidigungen dieser Ruhestörer Einhalt zu thun, so fielen wir über sie her und entwaffneten sie.

Als sie sich ausser Stande gesetzt sahen, uns zu widerstehen, so gaben sie es näher und baten, man möchte sie doch nicht ihrer Waffen berauben. Doch diese Bitte ward geradezu abgeschlagen, da sie ihre Landsleute so barbarisch mißhandelt und uns selbst mit Sklaverei bedroht hatten. Wir erklärten, daß wir ihnen nicht das Geringste zu Leide thun und fortfahren wollten, ihnen beizustehen, wenn sie sich ruhig verhalten würden. Aber die Verweigerung ihres Ansuchens machte diese abscheulichen Kerls auf's Neue wüthend; sie nahmen ihren Kameraden, der sich von seiner Betäubung wieder erholt hatte, mit, und entfernten sich unter Schimpfworten und Drohungen, sich empfindlich zu rächen, wenn sie schon keine Waffen hätten. Wir warnten sie, sich wohl zu hüten, unsern Pflanzungen und Heerden Schaden zu thun, weil wir sie sonst wie wilde Thiere niederschießen, und diejenigen ohne Gnade aufhängen würden, die uns nach der geringsten Beschädigung in die Hände fielen. Allein sie fuhren fort zu fluchen, zu drohen, zu schimpfen, wir aber verachteten sie zu sehr, um ihnen weiter ein Wort zu sagen, und ließen sie gehen. Die zwei andern Engländer waren aber viel zu sehr erbittert und entschlossen,[113] ihre Verfolger zu betrafen; es gelang uns jedoch sie zu besänftigen, da wir ihnen vorstellten, es wäre wenig ehrenhaft, wenn sie die Entwaffneten mit Feuergewehr angreifen würden, wir versprachen ihnen aber, diese zur vollständigen Genugthuung und Entschädigung anzuhalten, wenn sie versprechen wollten, nicht anders als zu ihrer Selbstverteidigung die Waffen gegen jene zu gebrauchen, wozu sich diese endlich bequemten. Wir hatten dabei keinen andern Zweck, als Blutvergießen zu verhüten, und zu unser Aller Glück den Frieden zu befestigen, denn es war ja Raum genug für uns Alle, und es ist zu bedauern, daß bei einer so geringen Anzahl wir nicht in Freundschaft leben konnten.

Es war zu vermuthen, daß wenn der Zorn sich gelegt haben werde, die drei Wichte, durch Mangel genöthigt, sich bald wieder einstellen würden, das sie von Waffen, Geräthen und Lebensmitteln entblößt, ohne unsern Beistand nicht leben konnten. Auch kamen sie wirklich am fünften Tage, des Herumstreifens müde, und beinahe verhungert, – denn sie hatten nichts als einige Eier zu ihrem Unterhalt gefunden, – zur Burg, und da sie mich nebst noch zwei Andern unweit derselben antrafen, so baten sie in den beweglichsten, demüthigsten Ausdrücken und Gebehrden, wieder in unsere Gesellschaft aufgenommen zu wer den. Ich begegnete ihnen zwar mit Güte, sagte ihnen jedoch, daß ihr Betragen gegen uns und besonders gegen ihre beiden Landsleute, so abscheulich und boshaft gewesen wäre, daß ich es nicht wagen dürfe, sie aufzunehmen, ohne vorher von diesen und jenen die Einwilligung erhalten zu haben;[114] ich würde sie Alle zusammen berufen, ihnen die Bitte vorlegen, und nach Verlauf einer Stunde ihnen die Antwort mittheilen. Der Hunger ließ ihnen die verlangte Stunde eine Ewigkeit vorkommen, sie flehten auf's dringendste um Brod, und ich ließ ihnen ein tüchtiges Stück Ziegenfleisch, einen gebratenen Papagei nebst Brod reichen, welches sie gierig verzehrten.

In unserer Versammlung entstanden lebhafte Wortwechsel, da die Einen zur Verzeihung und Nachsicht stimmten, hingegen die Andern, und vorzüglich die beiden Engländer darauf drangen, man müsse sie als Mordbrenner und Räuber mit dem Tode bestrafen. Ich machte dann den Vermittler, und es gelang mir nach vieler Mühe, beide Theile zu vergleichen. Man ließ dann die drei wartenden Engländer eintreten. Nachdem ihre beiden Landsleute ihnen die wohlverdientesten Vorwürfe gemacht, eröffnete ich ihnen, daß sie nur unter der Bedingung, alles in den vorigen Stand herzustellen, wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden könnten. Sie unterwarfen sich ohne Widersetzlichkeit, halfen die Hütten wieder aufbauen, die Einfriedigungen herstellen, die Bäume pflanzen, die Grundstücke beackern und besäen, und überhaupt alles in den besten Stand setzen, soweit es möglich war, denn freilich konnten sie den Pflanzungen nicht die Vollkommenheit geben, die sie vor der Zerstörung hatten.

Wir lieferten aus dem Magazin die Sämereien, die Werkzeuge und Lebensbedürfnisse, so lange es die Noth erforderte, und nun endlich fiengen wir an in[115] Ruhe und Frieden zu leben. Nur war es unmöglich, die drei Britten länger zur Arbeit anzuhalten, als bis sie diejenige, welche ihnen zur Entschädigung ihrer Landsleute aufgelegt war, beendigt hatten. Kaum waren sie damit fertig, so überließen sie sich dem Müssiggange wie vorher. Wir sagten ihnen, sie möchten nach Belieben herumstreifen, und wir wollten gerne für sie arbeiten, wenn sie nur die Ruhe nicht störten und nichts beschädigten. Dies dauerte ein paar Monate, und da wir hofften, es würde Dauer haben, so gaben wir ihnen ihre Waffen wieder, da sie uns auf ihren Streifzügen wenigstens Gewild erlegen, und dergestalt doch etwas zum gemeinen Besten beitragen konnten. Aber kaum waren sie wieder bewaffnet, als diese unverbesserlichen Bösewichte ihr voriges Betragen erneuerten. Es war wirklich zu verwundern, daß drei trotzige und doch feige Kerls neunzehn beherzte Männer so ungestraft beleidigen durften.

Eine unvermuthete, die ganze Kolonie bedrohende Gefahr verzögerte die Ausbrüche ihres bösen Willens. Schlaflosigkeit oder quälende Träume von Gefechten und Blutvergießen ließen mir einst in einer Nacht keine Ruhe, und nöthigten mich, aufzustehen. Das wir nicht in Hangmatten, sondern jeder auf einer Lagerstätte von weichen Ziegenfellen, angekleidet schliefen, so hatt' ich nichts weiter zu thun, als das Oberkleid und die Schuhe anzuziehen und hinauszugehen. Alles war still, der Himmel helle und mit Sternen besäet; die hohen, um die Burg gepflanzten Bäume beengten mir die Aussicht, und es war nicht das Geringste zu[116] sehen oder zu hören. Beruhigt legte ich mich wieder zu Bette, aber kaum schlief ich wieder ein, als mich die Unruhe auf's Neue ängstigte und weckte. Ich stand also wieder auf, und hoffte eben so unbemerkt hinauszugehen als das erstemal, allein einer meiner Landsleute fragte: wer aufstehe? Ich erzählte ihm meine Unruhe und meine Besorgnisse. Er stand ebenfalls auf; wir giengen zusammen in den Vorhof, und da sagte er mir: solche Ahnungen wären nicht zu verachten; gewiß bedroht uns ein Unglück. Wo sind die Engländer? Wir giengen zu ihren Hütten, die wir ihnen ausser dem Pfahlwerk aufgerichtet hatten, damit sie nicht wider unsern Willen in das Innere der Burg kommen könnten, wir fanden sie aber so ruhig schlafend, daß sie uns nicht bemerkten. Von dieser Seite war also nichts zu befürchten. Hierauf bestiegen wir die Warte, wo wir aber sehr bald im Nordost den Wiederschein eines Feuers wahrnahmen, und ein fernes Getöse wie von Menschenstimmen hörten. Als wir zu oberst standen, erblickten wir zwei Feuer, welche die Küsten erhellten, und eine bedeutende Anzahl Wilder voraussetzten, die Entfernung und die Dunkelheit waren aber zu groß, um sie zu erkennen.

In dieser Lage waren nur zwei Entschlüsse zu nehmen, entweder, wir hielten uns verborgen, damit die Wilden keinen Verdacht schöpften, daß die Insel bewohnt sey, und dies wäre allerdings das Klügste gewesen; oder dergestalt über sie herzufallen, daß kein Einziger davon käme. Um diese Absicht zu erreichen, mußten wir ihnen den Weg zu ihren Kanots abschneiden[117] und diese zerstören. Leider geschah keines von beiden. Neugier verrieth uns, und halbe Maßregeln waren, wie sie es jederzeit sind, die schlimmsten, die auf lange Zeit unsere Ruhe und Sicherheit störten.

Der Anblick der Wilden hatte uns zu sehr betroffen, um nicht unsere Gefährten sogleich aufzuwecken, und sie von der Gefahr zu benachrichtigen. Hätten wir sie doch ruhig schlafen lassen! Es war uns unmöglich sie zurückzuhalten; sie wollten mit eigenen Augen, und zwar in der Nähe sehen, wie sich die Sache verhalte. Statt also auf die Warte zu steigen, begaben sie sich in die Gegend, wo die Wilden ihr Wesen trieben, und bemerkten, daß sie sehr zahlreich und ihre Feuer über eine halbe Stunde von einander entfernt waren. Was uns am meisten beunruhigte, waren kleine Trupps, die hin und her streiften, unsere Felder und Wohnungen entdecken, und daraus schließen möchten, daß die Insel bewohnt sey; besonders war uns um unsere Heerden bange, durch deren Beraubung oder Vernichtung wir mit Hungersnoth bedroht wurden.

Wir beratheten, was das Beste seyn möchte, und der Schluß war: 1) die Heerde in Sicherheit zu bringen; 2) Freitags Vater hinzusenden, um zu forschen, welches die Absicht der ungebetenen Gäste seyn möchte. 3) Wenn sich selbige in einem Trupp vereinigten und vom Strande, also von ihren Kanots entfernten, jene anzugreifen und diese zu zerstören, unterdessen aber alle unsere Waffen zusammenzubringen und zu laden.

Um diesen Entschluß auszuführen, giengen zwei Spanier und eben so viele Engländer zu unsern[118] Heerden, und trieben selbige in das Thal, wo die Grotte, der vortrefflichste Sicherheitsort, sich befand, und schloßen sie in die Vorhöhle ein; von da giengen sie in die Burg, brachten Brod und Branntewein mit. Sechs Spanier giengen ebenfalls in die Burg, um alle Waffen und hinlängliche Munition zu holen. Ich blieb mit den übrigen acht Spaniern und mit Atkins an der Stelle, wo wir die Wilden beobachteten, um nach Umständen gegen sie zu verfahren, denn wir hatten Gewehre bei uns. Freitags Vater war bereitwillig, seinen Auftrag zu erfüllen, zog sich ganz nackt aus und lief hin; seine Abwesenheit dauerte beinahe zwei Stunden, und sein Bericht lautete wie folgt:

›Es waren Wilden von zwei feindlichen Stämmen, die sich Tags zuvor eine Schlacht geliefert, und sowohl Fliehende als Verfolgende auf dieser Insel gelandet hätten, um ihre Kriegsgefangenen zu verzehren; die Nacht, welche sie überfiel, veranlaßte dieses zufällige Zusammentreffen, welches, durch die beiden Feuer entdeckt, ihre Lust in Wuth verwandelt hätte, so daß kein Zweifel sey, sie würden bei Anbruch des Tages einander hier eine neue höchst blutige Schlacht liefern.‹ Der gute Alte rieth, man möchte sich verborgen halten, da die Wilden, sowohl Sieger als Besiegte, nicht ermangeln würden, gleich nach dem Gefechte sich einzuschiffen, ohne daß wir das Geringste von ihnen zu befürchten hätten.

Aber dieser kluge Rath war bei den Meisten, und vorzüglich bei den Engländern, in den Wind geredet. Das tägliche Einerlei der Einsamkeit erhöht die Neugierde,[119] und dieser ward die Klugheit, die Sicherheit, das Glück der Insel aufgeopfert, und nur mit Mühe ließen sich diese ausser sich gesetzten Menschen bereden, wenigstens vorsichtig zu handeln, und unter dem Schutz der Gehölze einen Umweg bis dahin zu nehmen, wo sie alles beobachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden, wozu dann die Dunkelheit der frühen Tageszeit das Ihrige beitrug.

Sobald die Morgenröthe Licht genug verbreitete, griffen sich die Wilden mit der äussersten Wuth an, und zeigten eben soviel Tapferkeit als Geschicklichkeit und Gewandtheit. Das Gefecht dauerte zwei Stunden, ohne daß der Sieg sich auf eine Seite neigte, dann aber fiengen die, welche uns am nächsten waren, an zu weichen, und die Sieger verfolgten sie mit Nachdruck und großem Geschrei, so daß wir einige Zeitlang fürchteten, die Flüchtlinge möchten ihre Sicherheit in eben dem Walde suchen, in dem wir uns verborgen hielten. Wir zogen uns daher in die Burg zurück, fest entschlossen, Alles niederzumachen, was sich uns nähern und uns entdecken würde. Die Engländer waren aber viel zu neugierig und unbändig, um zu gehorchen, und hielten sich in dem Gehölze, das die Burg umgab, versteckt. Nur drei Flüchtlinge suchten sich darin zu verbergen, und fielen den Engländern in die Hände, welche sie niedergesäbelt haben würden, wenn nicht noch einige Spanier, die sich verspätet hatten, herbeigesprungen wären, und sie vermocht hätten, ihnen das Leben zu schenken. Nicht Menschlichkeit, sondern theils Neugierde, den fernern Verlauf des Gefechtes zu beobachten, theils[120] die Vorstellung der Spanier, sich der Gefangenen als Sklaven bedienen zu können, rettete diese vom Tode; sie wurden aus Vorsicht mit Stricken gebunden und bewacht. Nach der Erzählung der Britten hatten sich die geschlagenen Wilden gerade gegen ihre Kanots zurückgezogen und sich eingeschifft. Die Sieger feierten ihren Triumph mit einem zweimaligen Siegesgeschrei, hielten dann ihre Mahlzeit, wie es schien, mit großer Eßlust und Freude, und verliessen gegen 3 Uhr Nachmittags die Insel, so daß wir von allen diesen Fremdlingen befreit wurden.

Da mir die Zeit bis dahin zu lang wurde, so schickte ich einige meiner Landleute hin, um sich zu den Engländern zu halten, und mir von Zeit zu Zeit Nachricht zu bringen. Als ich die Einschiffung der Wilden vernahm, ließ ich zwei Spanier nebst Freitags Vater in der Burg zurück, um diese und die Gefangenen zu bewachen, und gieng mit den Uebrigen, um das Schlachtfeld zu besehen. Wir zählten einige dreißig Todte, die theils durch Pfeile, theils durch Hiebe von schweren hölzernen Säbeln, deren wir mehrere fanden, ihr Leben verloren hatten; sie waren sehr übel zugerichtet, die Köpfe gespalten, oder Arm und Beine zerschlagen, und nicht ein Einziger zeigte die geringste Lebensspur, ein Beweis, daß sie sich mit Wuth und, obgleich verwundet, bis auf den letzten Blutstropfen schlagen. Die Sieger bringen ihre und die feindlichen Verwundeten mit sich fort.

Dieser gräßliche Anblick machte die sonst störrischen Britten für einige Zeit ganz zahm; sie halfen uns die[121] Todten begraben, und die Landarbeiten besorgen; sie gestanden unverhohlen, daß der bloße Gedanke, den Wilden in die Hände zu fallen, und von ihnen wie Rindfleisch oder Schaafsbraten aufgefressen zu werden, sie mit dem größten Abscheu und Schrecken erfülle.

Die Kolonie war jetzt einig; die allgemeine Gefahr hatte die Zwietracht verbannt, und wir hielten Rath, um zu untersuchen: ob es nicht vortheilhaft wäre, diese Seite der Insel, wo die Wilden am häufigsten zu landen schienen, zu verlassen, und eine sicherere Gegend zu bewohnen? Es ward viel dafür und dawider gesprochen, und die Mehrheit entschied: zu bleiben. Die fruchtbare Gegend im Westen der Insel ward eben so oft und noch öfter von den Wilden besucht; dort hatte ja der Gouverneur – Robinson – die ersten Spuren derselben entdeckt; die übrigen Küstengegenden waren theils unfruchtbar, theils unbewohnbar, und im Innern der Insel zu wohnen, würde uns alle Hoffnung benehmen, jemals befreit zu werden, wenn auch Jemand käme, um uns abzuholen, der, wenn er die Burg zerstört fände, glauben müßte, wir wären bereits fort oder gestorben. Jedoch entschloßen wir uns einstimmig, den Landbau nur in der Gegend des Lanhauses zu treiben, und alle Heerden im Thal der Grotte zu lassen, und ihnen verschiedene Einschläge einzufriedigen; die übrigen Aecker und Heerden hingegen zu zerstören, damit nichts andeute, daß die Insel bewohnt sey. Aus Vorsicht sollten auch die Gefangenen nichts weder von der Grotte noch von den Viehheerden erfahren, folglich nie in das Thal kommen, damit sie nichts verrathen[122] könnten, wenn sie, wider Vermuthen, Mittel fänden, die Insel zu verlassen. Alle diese Beschlüsse wurden genau befolgt, und in der Folge hatten wir Ursache, uns dazu Glück zu wünschen.

Die Burg war bekanntlich mit einem dichten Walde umgeben; allein wir dehnten selbigen bis an die kleine Bucht, und längs ihrem Ufer bis an die Küste aus; auch an der Westseite des Burghügels, wo sonst die Kornfelder waren, bis an den Eingang in's Grottenthal, den wir dadurch verdeckten, und oben von der Warte an der Rückseite derselben herunter pflanzten wir eine unzählbare Menge der so leicht wachsenden Weiden dicht in einander, und ließen keinen Zugang, so daß es schwer, beinahe unmöglich war, die Burg zu finden.

Aber diese auf die Zukunft berechneten Anstalten waren unzulänglich, um uns sogleich zu genügen, und wir befestigten den Wall noch mit Pallisaden, so auch die Rückseite der Burg. Die Nützlichkeit dieser Vorkehrungen zeigte sich zwei Jahre nachher. Wir wurden zwar in dieser Zwischenzeit schon einmal in Schrecken gesetzt, da einige Spanier, welche sich in aller Frühe nach der Westseite der Insel begeben hatten, einige zwanzig Kanots der Wilden entdeckten, die gerade auf die Küste zukamen; sie langten im größten Schrecken auf der Burg an, nachdem sie sowohl uns Alle, als die Engländer von der Gefahr benachrichtigt hatten. Wir hielten für das Klügste, uns still, verborgen zu halten, und nur bei Nacht auf Entdeckung auszugehen, woraus sich dann ergab, daß die Wilden nicht gelandet,[123] sondern vorbeigefahren seyn mußten, denn es fand sich keine Spur ihres Daseyns. Wir kamen also diesmal mit dem bloßen Schrecken und vierundzwanzigstündigem Hausarrest davon.

Da Atkins und seine beiden Gefährten träge Müssiggänger waren, so schien es uns am gerathensten, ihnen die drei Gefangenen als Sklaven zu überlassen, damit diese für sie arbeiten, und die Kolonie auf diese Art, wo nicht einigen Nutzen beziehe, doch weniger belästigt sey. Es waren starke, rüstige Bursche, welche ihnen desto nützlicher waren, da sie bald wieder ihre vorige Lebensweise begannen; auch behandelten sie ihre Gehülfen nicht so wie Sie, Herr Robinson, mit Freitag gethan; zwar ernährten sie solche, zwangen sie aber zu übermäßiger Arbeit, machten sich dadurch bei ihnen so verhaßt, daß sie im Nothfall nicht den geringsten Beistand, sondern vielmehr Aeusserungen ihrer Rache zu gewärtigen hatten, da hingegen Freitag jeden Augenblick bereit war, sein Leben für seinen Herrn zu wagen.

Kurz nach jener befürchteten Landung der Wilden geriethen wir mit den Britten in neuen Zwist, da Atkins den einen der Sklaven, der etwas nicht nach seinem Sinn gemacht haben sollte, mit einer Axt erschlagen wollte, was aber durch seine Wuth selbst mißlang, jedoch verwundete er dessen Schulter gefährlich; der Spanier eilte herbei, und bat ihn, sich zu mäßigen, wodurch aber Atkins noch wüthender ward, so daß er nun den Spanier selbst zu tödten strebte; dieser wich dem Schlage aus, und schlug jenen mit seiner Schaufel,[124] womit er eben beschäftigt gewesen war, zu Boden, ward aber durch einen andern herbeieilenden Britten zur Erde geworfen; zwei andere Spanier, so wie der dritte Engländer, eilten herbei, um die Ihrigen zu unterstützen. Glücklicherweise war keiner mit Feuergewehr, sondern nur mit Aexten und Schaufeln bewaffnet, doch hatte einer der Britten ein verborgenes Seitengewehr bei sich, und verwundete zwei Spanier, die nebst Andern herbeieilten. Die ganze Kolonie war in Verwirrung; die drei Engländer wurden sogleich verhaftet. Sie waren Verräther und Bösewichte, die jedes Verbrechens fähig und der Kolonie höchst schädlich waren. Es ward erwogen, was mit ihnen anzufangen sey. Ich erklärte ihnen, daß, wenn sie meine eigenen Landsleute wären, ich sie sogleich würde aufhängen lassen, da alle Gesetze die Erhaltung der Gesellschaft bezweckten, und daher die Gerechtigkeit erfordere, daß alle die, welche ihren Untergang bewirkten oder suchten, aus derselben verstoßen würden; da sie aber Britten wären, so würde ich sie, aus Achtung für einen Engländer, dem wir Alle unser Leben zu danken hätten, nicht selbst, sondern durch ihre eigenen Landsleute, die beiden andern Engländer, verurtheilen lassen. Aber diese lehnten den Auftrag ab, da sie sich in ihrem Gewissen verpflichtet fühlten, sie ohne anders aufknüpfen zu lassen. Der Eine fügte noch hinzu, daß Atkins ihnen den Vorschlag gethan, sich alle Fünfe zu vereinigen, um die Spanier während dem Schlafe zu ermorden. Wie! sagte ich, mich zu Atkins wendend, uns Alle wolltet ihr ermorden? Der Bösewicht war so unverschämt,[125] mit einem derben Fluche zu versichern, er beharre noch jetzt auf seinem Vorsatze. Eine so unbegreifliche Bosheit empörte mehrere der Uebrigen, so daß sie sogleich für seinen Tod stimmten, um den beiden Andern zum abschreckenden Beispiel zu dienen. Aber ich wollte nicht in den Tod des Atkins willigen, weil ich durch einen Britten vom Untergang war errettet worden. Es war unmöglich, mich von diesem Entschlusse abzubringen, und da die Gemüther gewöhnlich sich zur Milde neigen, so behielt diese auch in dieser Berathung die Oberhand, und der Schluß fiel dahin aus: 1) daß sie von allen Waffen, Munition und allen Werkzeugen, womit sie schaden könnten, entblößet werden sollten; 2) daß sie aus der Gesellschaft verstoßen, und von den Wohnungen der Uebrigen auf eine bestimmte Weite entfernt bleiben müßten; 3) daß weder die beiden andern Britten, noch die Spanier mit ihnen sprechen, oder den geringsten Verkehr haben dürften; und 4) daß, wenn die Verbannten die ihnen vorgeschriebene Gränze überschreiten, oder den Wohnungen, Pflanzungen und Heerden den geringsten Schaden zufügen, oder sonst Unordnung stiften würden, jeder Kolonist befugt seyn solle, sie, wie wilde Bestien, zu erschiessen. Auf meine Vorstellung ward dies strenge Urtheil dadurch gemildert, daß man ihnen hinlängliches Getreide zu achtmonatlichem Unterhalt und zur Besaamung ihrer Felder gab; man fügte hiezu noch sechs Milchziegen, vier Böcke und sechs Zickelchen, nebst den nöthigen Werkzeugen, doch gegen das ausdrückliche und eidliche Versprechen, sich dieser letztern weder gegen ihre Landsleute, noch gegen[126] die Spanier oder zum Schaden derselben zu bedienen. Da sie aber dies Versprechen verweigerten, so gab man ihnen weder Waffen noch Werkzeuge, sondern nur etwas Lebensmittel, und ließ sie laufen. So wurden sie aus der Gesellschaft verbannt. Aber schon nach einigen Tagen kamen sie wieder, um mehrere Lebensmittel zu holen, und sagten: sie hätten einen schicklichen Ort gefunden, um sich daselbst anzusiedeln und anzubauen. Er lag ganz nördlich, nicht weit ostwärts von der Stelle, wo ich nach meiner ersten gefahrvollen Reise, wo ich so fern von der Insel abgetrieben worden, wieder gelandet hatte, also weit genug von uns. Da sie nun weit geschmeidiger geworden, und das von ihnen verlangte Versprechen ablegten, so gab man ihnen alle obgemeldten Vorräthe und Werkzeuge, aber keine Waffen. Sie errichteten zwei kleine Hütten, an einer fruchtbaren, auf drei Seiten mit Waldung umgebenen Stelle, und wenn sie an der vierten von den leichtwachsenden Weiden pflanzten, so waren sie nicht leicht zu entdecken.

In diesem Zustande lebten sie ungefähr sechs Monate. Ihre Erndte war aber gering, denn sie hatten neben dem Feldbau viel andere Geschäfte zu besorgen, hatten nur ein kleines Stück Erde angebaut, waren ungeschickt, und dachten erst daran, einen Keller zu graben, als die Regenzeit eintrat, und einen Theil ihrer Vorräthe verdarb, so daß man sie wieder mit andern unterstützen mußte. Dies demüthigte sie, benahm ihnen Muth und Lust zur Arbeit; sie wurden ganz niedergeschlagen, da sie kein Ende ihres Elendes sahen, und entschlossen sich endlich, eine Reise auf's feste Land[127] zu unternehmen, woher die Wilden gekommen waren, dort einige Gefangene zu holen, um für sie zu arbeiten. Die Art der Ausführung dieses Entschlusses setzte nicht nur sie, sondern auch die ganze Kolonie in die größte Gefahr. Denn diese Bösewichte thaten nie etwas, ohne dabei zugleich mit Bosheit und Dummheit zu verfahren.«

Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 2, S. 103-128.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Der Bücherbär: Klassiker für Erstleser
Robinson Crusoe: Erster und zweiter Band
Robinson Crusoe (insel taschenbuch)
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Roman (Schöne Klassiker)

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon