|
[243] Abreise von Peking.
Noch war die Karavane nicht reisefertig; wir hatten also Zeit genug, unsere eingebrachten Waaren einzutheilen und einzupacken, Kameele und Pferde zu kaufen, deren wir eine bedeutende Anzahl bedurften, als nämlich: zwei Kameele für uns Beide zu tragen, achtzehn für die Waaren, 2 Reitpferde für uns, und vier Saumrosse zum Fortbringen der Lebensmittel. Die ganze Karavane bestand aus hundert und zwanzig wohlbewaffneten Männern, denn die Steppen, welche wir zu passiren hatten, waren nicht ohne Gefahr, von Tataren, Kalmüken, Mongolen und anderm ähnlichem Gesindel angegriffen zu werden. Die Zahl der Pferde belief sich auf hundertfünfzig, und die der Kameele über zweihundert.
Die Gesellschaft bestand meistens aus Russen, unter denen sich wenigstens sechszig Einwohner von Moskwa, auch mehrere Liefländer befanden, welche Letztere sehr artige Leute waren; was uns Beiden aber am meisten Vergnügen gewährte, waren fünf reiche Schotten, die das Reisen sowohl als ihre Geschäfte sehr wohl verstanden, und eben so wackere Männer als angenehme Gesellschafter waren.[244]
Es war gegen das Ende Februars 1703, als diese Reisegesellschaft die Kaiserstadt Peking verließ. Die erste Tagereise war nicht lang, und als wir den Ort erreicht hatten, wo wir verweilen sollten, wurden alle Reisenden, mit Ausschluß der Bedienten, durch die Wegweiser, deren fünfe waren, zusammengerufen, um, nach Gewohnheit, einen Rath zu halten. Vorerst ward der Antheil bestimmt, den Jeder zu einer gemeinschaftlichen Summe beizutragen habe, um Fourage und dergleichen Dinge anzuschaffen. Dann wurden Anführer ernennt, und die Marschordnung vorgeschrieben, damit, bei einem allfälligen Angriffe, die Vertheidigung ohne Verwirrung und mit Nachdruck statt finden könne. Ferner ward festgesetzt, daß Niemand, ohne Erlaubniß der Anführer, sich von der Karavane entfernen, also weder vorausgehen, noch zurückbleiben dürfe, bei Strafe einer Buße, die diesseits der Mauer gering, jenseits aber, wegen der größern Gefahr, bedeutend war, und ich sah in der Folge, wie nothwendig diese Strenge war, obwohl dadurch meine Neugierde zuweilen unbefriedigt bleiben mußte. Alle diese Anordnungen wurden, nachdem der Hauptanführer ihre Nützlichkeit und Nothwendigkeit, so wie das Beispiel aller Karavanen vorgestellt hatte, nicht aus Zwang, sondern freiwillig von Allen gut geheissen.
Diese Gegend war sehr bevölkert, und wir passirten viele Städte und große Dörfer, wo eine Menge Porzellantöpfer ihre schöne und berühmte Waare verfertigten, obschon ich nachher in Peking vernommen, daß in den südlichen Provinzen, Kiang-Si und Kiang-nan, das Porzellan in weit höherer Vollkommenheit[245] fabrizirt wird. Es soll sich dort ein Dorf befinden, King-te-ching, das eine Million Einwohner zählt, und 3000 Porzellanöfen enthält. Den Tag nach unserer Abreise aus Peking versprach mir der alte Portugiese, der sich immer beschäftigte, uns zu belustigen, er wollte mir die größte Seltsamkeit von der Welt zeigen, obgleich ich immer klagte, daß in diesem Lande nichts Besonderes zu sehen wäre. Nachdem sein Geheimthun meine Neugier gesteigert hatte, und ich bereit war ihm zu folgen, sagte er: es wäre ein ganz von Porzellan erbautes Haus, worin gegen dreißig Personen wohnten. Wir machten uns sogleich dahin auf den Weg, und gelangten nach einer guten Stunde zu dem besagten Landhause, das zwar aus Balken zusammengesetzt, aber sowohl aussen als innen mit Porzellantafeln belegt war, und wirklich einen höchst sonderbaren Anblick darbot. Diese Tafeln waren blendend weiß, mit blauen Figuren bemalt, und mit einem feinen Mörtel so genau zusammengefügt, als wenn alles aus einem Guß bestände; in den Zimmern war der Boden aus ähnlichen gemalten und gebrannten Tafeln zusammengesetzt, aber in den Gängen waren sie weder gemalt noch gebrannt, sondern bloß an Luft und Sonne getrocknet. Auch das Dach war mit Porzellantafeln gedeckt, die glänzend schwarz waren. Es war wirklich ein porzellanenes Haus, und ich würde mich gerne länger verweilt haben, da aber die Karavane uns bereits vorbei passirt, so war es Zeit, ihr nachzueilen, und wir holten sie erst nach zwei Stunden ein, ich mußte aber eine Buße von ungefähr vier[246] englischen Schillingen bezahlen, weil ich das Verbot übertreten hatte. Natürlich sprach ich von dem, was ich gesehen, und man fragte, ob ich den Garten auch gesehen? wozu aber die Zeit gebrach. Man versicherte mich, es befänden sich Teiche in selbigem, deren Boden und Seiten mit den nämlichen Platten belegt, und die Alleen mit Statuen von Porzellan geziert wären. Es ist nicht zu läugnen, daß die Chinesen in solcherlei Arbeiten eine ausgezeichnete Geschicklichkeit besitzen; aber freilich treiben sie es noch viel weiter in ihren Mährchen, die sie mit dem größten Ernste für Wahrheit aufheften wollen. So erzählte Einer von einem Schiffe, das fünfzig Menschen fassen konnte, wo nicht nur das Gebäude, sondern auch die Masten, Segelstange, und sogar die Segel und das Tauwerk, ganz aus Porzellan bestand.
Am dritten Tage gelangten wir an die berühmte große Mauer, wodurch China sich gegen die Einfälle der Tataren nicht sichern konnte. Der Eindruck, den das ungeheure Bollwerk macht, ist unbeschreiblich. Es geht über die höchsten Gipfel längs dem Rücken der Bergketten, durch die tiefsten Thäler, und vermittelst Bogengewölben über Flüsse. Es erstreckt sich auf 1500 englische oder 300 deutsche Meilen, und es ist unbegreiflich, wo die Materialien hergenommen und wie sie auf so unzugängliche Gebirge, gleichsam bis in die Wolken hinaufgeschafft worden sind.1 Die[247] Mauer ist von der Erde bis zum obersten Rande der Brustwehr 25 Fuß hoch und an der Grundfläche eben so breit. Eigentlich besteht sie aus einem Erdwall, der durchgängig 11 Fuß dick ist, damit aber die Erde nicht ausweichen könne, ist er innen und aussen mit starken Mauern von Backsteinen bekleidet, die am Fuße jede 7 Fuß, aber in der Höhe von 20 Fuß nur 2 Fuß 3 Zoll Dicke hat; oben sind diese Mauern und der Erdwall mit gebrannten viereckigten Fliesen bedeckt. Die Brustwehr ist 5 Fuß hoch und von 7 zu 7 Fuß mit 2 Fuß weiten Schießscharten versehen. Längs der ganzen Mauer stehen Thürme, 300 Fuß – bald mehr bald weniger – von einander stehend, und 12 bis 25 Fuß über die Mauer emporragend. Ausserdem befinden sich dann noch mehrere Thore, die mit Wachtthürmen und Bastionen versehen und mit Wachen besetzt sind. Da dies Riesenwerk nicht zu verhindern vermochte, daß die Tataren eindrangen und das Reich eroberten, jetzt also keine Feinde mehr sind, sondern mit den Chinesen eine Nation ausmachen, so ist die Mauer zum Theil überflüssig und versinkt größtentheils in Trümmer. Ich glaubte diese so weltberühmte chinesische[248] Mauer nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, werde mich aber in Zukunft auf meine eigenen Begebenheiten beschränken.
Während die Karavane durch das Thor ausrückte, hatte ich Gelegenheit und Muße genug, dieses Werk zu betrachten, das nur 28 deutsche Meilen von der Residenz Peking entfernt ist. Jenseits derselben wird das Land immer weniger bewohnt und angebaut, und wir fiengen bald an, tatarische und andere Horden zu entdecken, die um uns herum schwärmten; sie kamen oft nahe genug heran, daß wir ihre armselige Haltung und Bewaffnung bemerken konnten. Wenn diejenigen Schaaren, welche China eroberten, von eben dem Gelichter als diese waren, so ist es eine Schande für diese große Nation, daß sie unterlag.
Am zweiten Tage nach unserm Ausgang gab unser Befehlshaber uns Erlaubniß auf die Jagd zu gehen; wir waren fünfzehn an der Zahl, und nachdem wir schon über einige englische Meilen von der Karavane entfernt waren, stiessen wir auf einen Trupp tatarischer Reiter, vierzig bis fünfzig Mann stark; sobald sie uns erblickten, stieß Einer in ein Horn, das einen höchst scharfen, unangenehmen Ton gab. Wir vermutheten nicht ohne Grund, dies sey ein Zeichen für einen andern Trupp, und wir irrten nicht, denn wir sahen bald darauf einen andern Trupp, von gleicher Stärke, in vollem Galop herankommen. Einer der schottischen Kaufleute, der diese Reise schon gemacht hatte, versammelte uns sogleich, und erklärte, da wäre nichts weiter zu thun, als auf das Gesindel loszustürzen; wir waren Alle bereit, und[249] baten ihn, uns anzuführen; er rangirte uns in ein Glied und wir trabten auf den Feind los, der uns einen Flug Pfeile entgegen schoß, weil aber die Entfernung zu groß war, so erreichte uns kein einziger; wir machten im Augenblick Halt und feuerten auf sie, trabeten aber gleich wieder den beiden Trupps, die sich vereinigt hatten, entgegen, und feuerten dann unsere Pistolen ab, setzten uns, den Säbel in der Faust, in Galop, aber die Feinde erwarteten uns nicht, sondern flohen in größter Verwirrung und Schnelligkeit. An der Stelle, wo sie gestanden, lagen fünf Todte, und daherum Spuren von Blut, wahrscheinlich von Verwundeten, die wir aber nicht fanden, und somit ihre Anzahl nicht erfahren konnten. Ich hatte nun Gelegenheit gehabt, diese Tataren ziemlich nahe zu beschauen, ihre Pferde waren mager, beinahe verhungert, schlecht gezäumt und abgerichtet, aber lebhaft und leichtfüßig. So endigte sich dies Gefecht ohne andern Verlust als den der Jagdthiere, denn wir konnten die Jagd nicht fortsetzen, weil es Abend wurde, und uns die Zeit vorgeschrieben war, wenn wir wieder bei der Karavane eintreffen sollten. Es ist hierbei zu bemerken, daß dies Gefecht noch auf dem chinesischen Gebiete vorfiel, wo diese Steppenvölker weit weniger tapfer und grausam sind, als jenseits der Grenze, die wir nach fünf Tagen erreichten. Auf meine Frage: wem nun das Land gehöre? berichtete man mich: es sey ein Theil der großen Tatarei und der Wüste Cobie, die zwar noch zu China gezählt, von diesem Reiche aber ganz vernachlässigt, und den Räubereien der Einwohner keinen[250] Einhalt gethan würde, daher diese Steppe, obwohl nicht eine der größten, doch eine der gefährlichsten wäre. Wir legten sie in drei Tagemärschen zurück, und waren genöthigt, unsern Wasservorrath mitzunehmen, und während der Nacht zu lagern. Bei unserm Durchzuge erblickten wir mehrere kleine Haufen, die hin und herzogen, sich aber um uns gar nicht zu bekümmern schienen, sondern ihren anderweitigen Geschäften nachgiengen, worin wir sie auch gar nicht zu stören verlangten. Eines Tages jedoch nahete sich uns ein stärkerer Haufen, betrachtete unsern Zug mit ihren scharfen, gierigen Augen, und schien zu berathschlagen, ob sie uns angreifen oder ziehen lassen wollten. Die Karavane verfolgte ihren Weg, und stellte bloß einen Trupp von vierzig Mann auf, um über das Raubgesindel herzufallen, wenn es die geringste Bewegung machte, die uns Gefahr drohete; es ließ sich aber durch unsere rüstige Haltung abschrecken, und entfernte sich; unser Trupp schloß sich wieder an den Zug an. Da es sich bei dieser Gelegenheit zeigte, daß mehrere der zum Gefecht Kommandirten sich weigerten, Andere aber, die nicht waren aufgefordert worden, sich dazu drängten, so hielt man hierüber eine allgemeine Rathsversammlung, worin der Hauptanführer die hieraus entstehende Verwirrung und Gefahr vorstellte, und es ward mit großer Mehrheit beschlossen, die ganze Mannschaft der Karavane in vier Abtheilungen abzusondern, welche täglich in festgesetzter Ordnung abwechseln, und diesen Tag die vorfallenden Gefechte bestehen sollten; im Fall der Noth aber sollten die andere Abtheilungen ihrer Folgeordnung nach,[251] einzeln oder sämmtlich zur Verstärkung befehligt werden, und sich Niemand weigern dürfen, in den Streit zu ziehen.
Nach diesem Vorfall zogen wir vier Wochen lang durch Gegenden, wo nur kleine Dörfer und selten Orte, die gegen Ueberfälle etwas befestigt waren. In einem von diesen hielten wir einen Rasttag, weniger um auszuruhen, als eint und anders, das gelitten hatte, herzustellen. Wir befanden uns ungefähr eine Tagereise von der Stadt Naum, wo Kameele und Pferde in Menge zu kaufen sind, weil viele Karavanen hier durchreisen. Der Mann, bei dem ich mich erkundigte, wo ich mir ein gutes Kameel anschaffen könnte, weil mir eben eins gefallen war, bot sich an, mir eins aus der Umgegend zu bringen, und ich war thöricht genug, ihn nebst dem alten Portugiesen zu begleiten, wozu ich Urlaub erhielt. Wir mußten drei Stunden weit zu Fuß gehen, was nichts weniger als angenehm war, denn der schlechtgebahnte Weg war so morastig, daß schon nach einer Viertelstunde Strümpfe und Schuhe durchnäßt und wir bald ermüdet waren. Der Ort war mit einer Mauer von trockenen Feldsteinen, ohne Mörtel, umgeben, und mit chinesischen Soldaten besetzt. Nachdem ich ein gutes Kameel gefunden, kehrten wir zurück; der Chinese, der es mir verkauft hatte, führte solches an einer Halfter. Wir mochten wohl die Hälfte des Rückwegs gemacht haben, als wir von fünf berittenen Tataren angefallen wurden; zwei machten sich an den Kameelführer, und ohne ihn eben zu mißhandeln, nahmen sie ihm das Thier ab und sprengten davon;[252] die drei Andern drangen auf mich und den Portugiesen ein, indem ich so unvorsichtig gewesen, nur bloß mit einem leichten Degen bewaffnet auszugehen; wir zogen zwar von Leder, aber ich erhielt einen Schlag auf den Kopf, der mich betäubt zu Boden warf. Zum Glück hatte der Portugiese eine Pistole bei sich, und schoß dem, der mich niedergeschlagen hatte, die Kugel durch den Kopf, fiel dann den Andern mit dem Säbel in der Faust an, da aber dieser eine Wendung machte, so traf er nur das Pferd, das darüber so scheu ward, daß es mit seinem Reiter unaufhaltsam davon rannte, doch nach weniger als hundert Schritten stürzte, so daß dieser unter ihm lag. Als der Dritte dies sah, machte er sich schnell aus dem Staube; nun gieng der Chinese zu dem, der gestürzt war, entriß ihm eine Art Streitaxt, die an seinem Gürtel hieng, und spaltete ihm den Kopf.
Während allem dem lag ich noch betäubt auf der Erde; als ich wieder zu mir selbst kam, ohne mich zu erinnern, was vorgefallen war, hob ich instinktmäßig die Hand auf den Kopf, sah sie ganz blutig, und nun erst begann ich Kopfschmerzen zu fühlen, und mein völliges Bewußtseyn zu erhalten; ich stand auf und ergriff den Degen, der mir entfallen war. Der erschossene Räuber lag neben mir, und sein Pferd stand bei ihm ganz still. Jetzt kam der Portugiese und der Chinese zu mir. Als Jener, der mich todt glaubte, mich lebend sah, war er vor Freude ganz ausser sich, fiel mir um den Hals, und weinte Freudenthränen; dann untersuchte er meine Wunde, die gar nicht gefährlich[253] und ohne nachtheilige Folgen war, und verband sie so gut er konnte, mit meinem Schnupftuche; nach wenigen Tagen war ich völlig genesen.
Als wir den Ort der Karavane erreicht hatten, verlangte der Chinese den Verkaufspreis des Kameels, den ich ihm geradezu verweigerte, da er sich selbiges ohne Widerstand hatte abnehmen lassen; er belangte mich vor den Richter des Orts, der mich zur Bezahlung verurtheilte. Von Rechts wegen.
Tages darauf sahen wir mehrere Reiter daher gesprengt kommen; es waren Kuriere, die der Gouverneur von Naum überall mit der Anzeige an alle Karavanen und Reisende herumsandte, Halt zu machen, bis die nöthige Mannschaft zur Begleitung eingetroffen sey, weil sich ein Haufen Tataren, oder Mongolen, zehntausend Mann stark, auf der andern Seite der Stadt gezeigt habe. Diese Nachricht war für uns sehr niederschlagend; indeß tröstete uns zwei Tage hernach die Ankunft von fünfhundert Mann, nämlich dreihundert Mann von der Garnison von Naum, welche nun unsere Vorhut bildeten; die zweihundert, die von der Besatzung einer andern Stadt herkamen, dienten zur Arrieregarde. Zwischen beiden marschierte die Karavane in der Art, daß die zwei Hälften der Mannschaft den Zug der Kameele und Saumpferde auf beiden Seiten deckten. In dieser Ordnung rückten wir am andern Morgen aus dem Orte wo wir gewartet hatten, und hofften uns mit den Zehntausend – die eben nicht die des Xenophon waren, – mit Erfolg messen zu können, und langten am Abend in einer kleinen Stadt[254] – Changu genannt – an; wir wurden im Orte selbst einquartiert, und die beiden Abtheilungen der Chinesen lagerten ausserhalb der Mauern. Wir marschierten bei Tagesanbruch wieder ab, weil wir in der Nähe über einen Fluß setzen mußten. Wenn uns der Feind bei'm Uebergange angegriffen hätte, ehe die Arrieregarde auch übergesetzt war, so hätten wir wahrscheinlich großen Verlust erlitten, aber zum Glück ließ sich damals Niemand sehen, sondern erst drei Stunden später, nachdem wir eben in eine ausgedehnte Steppe eingerückt waren, entdeckten wir in der Entfernung große Staubwolken, und bald kam eine große Anzahl Reiter auf uns herangesprengt. Bis dahin hatte die Mannschaft der Vorhut mit ihrer Tapferkeit geprahlt und den Feinden den Untergang gedrohet, jetzt aber waren sie ganz kleinlaut, und die Leute sahen immer rückwärts, was immer ein böses Zeichen ist. Der schottische Kaufmann, von dem ich schon gesprochen habe, und der neben mir ritt, sagte, daß uns nichts anders übrig bliebe, als auf jeden Flügel der Chinesen eine Abtheilung von fünfzig Mann der Unsrigen aufzustellen, was jenen Muth einflößen würde. Er sprengte sogleich zum Anführer der Karavane, der diesen Vorschlag vortrefflich fand und auf der Stelle vollziehen ließ, was heilsam auf die Truppen wirkte. Der Nachzug der Chinesen ward nun zur Hälfte zur Bewachung der Karavane kommandiert, und die andere sollte als Reserve den Theil der Fechtenden verstärken, der Unterstützung bedurfte; in dieser Verfassung erwarteten wir dein Feind.[255]
Ein Vortrab von einigen tausend Mann nahete sich uns auf Schußweite. Unser Anführer befahl, auf sie zu feuern, worauf sich jener Vortrab auf sein Hauptkorps zurückzog, das während dem im Vorrücken geblieben war, jetzt aber Halt machte. Unsere Begrüßung scheint ihnen wenig aufmunternd gewesen zu seyn, denn sie machten bald darauf Rechtsumkehrt, ohne das Geringste zu unternehmen, und wir wünschten gute Reise.
Dieser Vorgang hatte uns Aufhalt verursacht, so daß wir erst am folgenden Tage in Naum eintrafen, wo wir dem Gouverneur für seinen Beistand unsern Dank abstatteten, auch für unsere chinesische Bedeckung eine Summe von einigen hundert Thalern zusammenschossen, die ihr besser gefiel als die Nähe der Feinde. Diese Stadt wird eine Festung genannt, ist auch wirklich fester und größer als die andern Orte, und ebenfalls mit Mauern ohne Mörtel aufgeschichteter Steine umgeben, aber in Europa würde sie nie für eine Festung gelten können. Die Besatzung mochte etwa tausend Mann stark seyn.
Nach unserm Abmarsche aus Naum, der am zweiten Tage erfolgte, hatten wir Wüsten, Gebirge und verschiedene Flüsse zu passiren, von welchen letztern zwei sehr ansehnlich waren. Der Durchzug durch dies beschwerliche Gelände dauerte sechszehn Tage, und wir gelangten am 23. März 1703 an die russische Grenze. Die erste Stadt dieses Reichs, wo wir eintrafen, heißt, wo ich nicht irre, Argun und liegt an einem Flusse gleichen Namens – vielleicht Arguy. – Meine Freude, nun wieder in dem Reiche eines europäischen[256] eines christlichen Monarchen mich zu befinden, preßte mir Freudenthränen und Jubeltöne aus. Meine Reisegefährten sahen mich mit etwas unerklärlichen Blicken an. Die der Russen zwar waren so gar schwer nicht zu entziffern; sie bilden sich viel darauf ein, Christen zu seyn, obwohl ihr gerühmtes Christenthum bloß Kirchendienst ist. Auch schmeichelte es ihnen, von ihrem mächtigen und wirklich großen Kaiser ein so unzweideutiges Lob, als meine Ausrufungen zu seyn schienen, zu hören; aber die, welche nicht zu seinen Unterthanen gehörten, folglich daran keinen Antheil nehmen konnten, auch Land und Leute besser kannten, belächelten meinen Irrthum, und mein schottischer Landsmann bedeutete mir, ich erwartete zu viel und jubelte zu früh. Leider sah ich auch bald, daß sich nicht nur keine Spuren des Christenthums oder europäischer Gesittung, sondern vielmehr des krassesten heidnischen Aberglaubens und der rohesten Barbarei zeigten, und zwar noch mehr als selbst in China, wo die Sitten in gewisser Rücksicht auf den höchsten Grad verfeinert und abgeschliffen sind. Auch fiel es mir schwer, mich in allen meinen Erwartungen getäuscht zu sehen, und[257] ihre Verwirklichung noch auf eine große Entfernung und lange Zeit hinaus zu schieben.
Wir befanden uns jetzt beinahe im ausgedehntesten Festlande unsers Erdballs, und daher hatte ich einen noch sehr langen und mühsamen Weg zurückzulegen, ehe ich soweit kam, daß ich das Meer erreichen und mich nach meinem Vaterlande einschiffen konnte. Als wir über die Arguna gegangen waren, gieng der Zug immer tiefer in das Innere Rußlands, und wir fühlten, wie sehr der Kaiser unsern Dank verdiente, daß er in diesen endlosen Wüsten so viele Städte und Orte erbauet als möglich war, und sie mit Besatzungen versehen hatte, um die Einwohner sowohl als die Durchreisenden vor den Räubereien der Nomaden zu beschützen. Diese Besatzungen bestanden aus eigentlichen Russen, folglich aus griechischen Christen, so wie die Beamteten. Die ganze übrige Bevölkerung bestand aus Nichtchristen von allerlei Religionen, worunter sich freilich auch Bekehrte befanden, die aber so unwissend im Christenthum waren, und so viele Gebräuche und Aberglauben ihrer vorigen Irrthümer beibehalten hatten, daß nur wenig Christliches an ihnen zu entdecken war. Als ich dies einigen russischen Offizieren bemerkte, und dabei bedauerte, daß so gar wenig für die Bekehrung dieser Völker gethan würde, erwiederten sie mir ganz kurz: das sey nicht ihre Sache; es liege dem Monarchen vorerst mehr daran, das Land zu beschützen und zu behaupten, darum schicke er Soldaten; wenn er hingegen die Völker bekehren wolle, werde er Missionarien senden. Diese Antwort schien mir so bündig[258] und unwiderleglich, daß ich nichts dawider einzuwenden gut fand, obgleich die Abgötterei, die hier so öffentlich getrieben wurde, mich so sehr empörte, daß ich mich nicht enthalten konnte, als die Gelegenheit sich darbot, meine Rache an diesen heidnischen Greueln auszulassen. Dies geschah einige Tagreisen jenseits des Argay, in einer ausgedehnten Wüste, da wir in die Nähe eines Ortes kamen, wo eben große Vorbereitungen gemacht wurden, um ein Fest zu begehen, und ihrem Götzen ein Opfer zu bringen, dessen hölzernes Bild auf einem alten, abgehauenen Baumstamme aufgerichtet, und eine Vereinbarung alles dessen war, was die Einbildung Scheußliches hervorzubringen vermag. Der Kopf glich keinem von andern Thieren, hatte Ohren von ungeheurer Größe, Augen wie Teller, eine Nase, die wie das Horn eines Widders gewunden und eingekerbt war; das Maul gieng von einem Ohr zum andern, und war mit langen Zähnen wie gepflastert; einige derselben ragten, sich herausbiegend, hervor. Die Kleidung bestand in einem Schaaffelle, die Wolle auswärts, und der Kopf war mit einer hohen Mütze vom nämlichen Stoffe bedeckt, die mit zwei Hörnern prangte. Ein so imposanter Götze hätte wohl verdient, den Zepter zu tragen, aber er hatte weder Hände noch Füße, sondern war nur ein Brustbild, ungefähr acht Fuß hoch, und mit allerlei Farben beschmiert, um seine Häßlichkeit zu vermehren. So gräßlich sah der Götze aus, dem ein seiner würdiges Volk seine Verehrung zu bezeigen bereit war. Da die Stelle, wo das Bild stand, ungefähr hundert Schritte vom Orte entfernt[259] war, so bemerkte ich viele Hin- und Herwandelnde, die große Lebhaftigkeit äusserten, was mich bewog, mit dem Portugiesen, der mich meistens begleitete, auch dahin zu gehen, um zu sehen, was die Leute so in Thätigkeit setzte. Da sah ich denn das Scheusal, zu dessen Füßen fünfzehn bis zwanzig Menschen knieten, und ihr Antlitz zur Erde gebeugt hatten. Ob es Männer oder Weiber waren, kann ich nicht angeben, denn die Kleidung beider Geschlechter ist gar nicht verschieden. Man schien meine Ankunft gar nicht zu beachten, und ich hatte alle Muße, den Götzen und seine Verehrer zu betrachten. In der Nähe des Bildes befand sich eine Art Hütte, die mit Kuh- und Schaaffellen gedeckt war; ich bemerkte durch die offene Thüre, oder vielmehr durch die unbedeckte Oeffnung, drei Männer in derselben, die große Schlachtmesser in der Hand hielten; neben ihnen lagen drei Schaafe und ein Ochse in ihrem Blut. Vermuthlich waren es Priester, welche diese, durch jene Verehrer gebrachte Opferthiere so eben geschlachtet hatten. Dies empörte mich so gewaltig, daß ich den Säbel, ohne den ich seit jenem Abentheuer nicht mehr ausgieng, zog, und dem Götzen mit einem Hieb den Kopf abschlug, und mein alter Portugiese, ein eifriger Katholik, nicht weniger erzürnt als ich, riß ihm seinen Mantel oder Schaaffell vom Rumpfe herab. Nun erhoben die Priester und die Anbeter des Götzen ein entsetzliches Geheul, Alles lief zusammen, und wir fanden, es sey das Beste, uns in vollem Laufe zu entfernen, ehe die Menge über uns herfiel. Als mein erster Eifer vorüber war, sah ich unsere Unvorsichtigkeit[260] wohl ein, wodurch ich nicht allein mich, sondern auch die ganze Karavane in die äusserste Gefahr setzte, und noch jetzt kann ich mir's nicht erklären, daß wir nicht beunruhigt wurden, sondern am andern Morgen, wie gewöhnlich, abzogen. Höchst wahrscheinlich hatten wir dies dem Umstand zu danken, daß vier Stunden weiter ein bedeutender Ort lag, wo eine starke russische Besatzung war, und wohin wir eben zogen. In dieser Stadt hielten wir drei Rasttage, weil man hier Pferde zu kaufen fand, deren wir nöthig hatten, um diejenigen zu ersetzen, die der lange, beschwerliche Marsch zu Grunde gerichtet hatte. Dieser Aufschub unsers Abmarsches gab mir Anlaß, einen neuen Streich auszuführen. Statt daß es mich hätte gereuen sollen, mich an dem Götzenbilde vergriffen zu haben, ward ich nur desto mehr gegen jene Abgötterei erbittert, so daß ich sie gerne ganz und gar von der Erde vertilgt hätte. Hierzu kam noch die Angst, die ich ausgestanden, bis wir jene Gegend verlassen hatten, und meine Empfindlichkeit, durch Religionseifer erhöht, trieb mich an, meinem Haß freien Lauf zu lassen.
Während der Nacht, da ich vor lauter Nachgedanken nicht schlafen konnte, entwarf ich allerlei Plane, fand aber endlich, daß ich ohne Gehülfen der Sache nicht gewachsen sey; ich entschloß mich daher, meinem schottischen Freunde meinen Anschlag zu eröffnen, und ihn zu bereden, mit mir gemeinschaftliche Sache zu machen, doch ihm zu verhehlen, was ich schon gethan hatte. Ich fand ihn aber gar nicht geneigt dazu, sondern er machte mir vielmehr die gegründetsten Vorstellungen[261] dagegen. Ich mochte ihm, so viel ich wollte, versichern, daß ich es bloß aus christlichem Eifer und zur Genugthuung für die beleidigte Ehre Gottes unternähme, den Götzen zu zerstören, und die Abgötter zu bestrafen: alle diese schön lautenden Worte schienen gar keinen Eindruck auf ihn zu machen. Er stellte mir vor, der Götze selbst wisse und fühle nichts, da er weiter nichts als ein Klotz sey. Die Anbeter desselben, da sie meine Beweggründe nicht kennten, und keineswegs glaubten, etwas Strafbares zu thun, würden dadurch nicht gebessert, wohl aber so sehr erbittert werden, daß wahrscheinlich ein Aufruhr und zwar desto eher erfolgen würde, da diese Völker durch Waffengewalt unter das russische Joch wären gezwungen und seither hart bedrückt worden. Ob ich die Folgen davon verantworten wolle? Die Ehre Gottes sey zu erhaben, als daß sie könne beleidigt werden. Meine ganze Unternehmung wäre daher ohne Vortheil für die Ehre Gottes, ohne Nutzen für das arme Volk, für mich aber von doppelter Gefahr, entweder als Ursache des Aufruhrs zur Strafe gezogen, oder von den Abgöttern selbst erschlagen zu werden. Ich muß gestehen, daß die Gründe des Herrn Campbell mich in meinem Vorsatz schwankend machten, denn sie waren von Gewicht, ich glaubte aber meiner Religion etwas zu vergeben, wenn ich sie nicht rächte. Als mein Freund mich verlassen, überlegte ich nochmals meine Beweggründe, fand sie vortrefflich, und beharrte auf meinem Vorsatze, erklärte ihm auch, nachdem wir miteinander zu Mittage gespeiset hatten, daß ich ihn noch nicht[262] aufgegeben hätte. Seine Antwort lautete anders als Vormittags. »Hören Sie – erwiederte er – wenn Ihr Eifer Sie so unwiderstehlich dazu antreibt, so kömmt mir Ihre Unternehmung als eine Gewissenssache vor, die Sie nicht unterlassen dürfen. Sie sollen sie aber nicht allein ausführen; ich habe mit meinem Freunde Richardson darüber gesprochen, der ganz Ihrer Meinung ist, und die meinige widerlegt hat. Wir sind beide bereit, Ihnen beizustehen. Allein in der nächsten Nacht kann es nicht geschehen, denn es sind Verabredungen und Vorbereitungen nöthig, die heute nicht beendigt werden können; wir wollen aber diesen Abend zu Ihnen kommen, um die Sache zu überlegen, zu besprechen und festzusetzen.« Hierauf drückte er mir die Hand und ich war froh mich unterstützt zu sehen. Sie kamen, und es ward beschlossen, daß nur wir Drei und mein Knecht den Streich ausführen wollten, ohne jemand anders in unser Geheimniß zu ziehen, und zwar sollte dies in der Nacht geschehen, welche unmittelbar unserer Abreise vorhergehe, damit wir Zeit hätten, alles Nöthige vorzubereiten. Wir beschäftigten uns, Feuerwerk mit Pulfer, Weingeist und andern brennbaren Substanzen zu verfertigen, und als der dritte Abend hereingebrochen war, zogen wir tatarische Kleidung an, um desto weniger erkannt zu werden, und begaben uns auf den Weg; das Wetter war stürmisch, der Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt, und wir langten gegen Mitternacht in der Gegend des Götzenbildes an. Alles war in tiefer Stille, eine Anzeige, daß nichts von unserer Absicht[263] kund geworden war; man hörte nichts als das Sausen des Windes, der sie mehr begünstigte als erschwerte. Der Mondschein war eben helle genug, um uns bemerken zu lassen, daß das Götzenbild noch da stand, und man ihm den Kopf wieder auf den Rumpf gesetzt hatte. Als wir ganz nahe waren, hörten wir in der Hütte daneben mehrere Menschen mit einander sprechen, was uns in einige Verlegenheit setzte. Richardson meinte, wir müßten über sie herfallen und niedersäbeln, um nicht verrathen zu werden, oder unser Unternehmen aufgeben; ich widersetzte mich Beidem; das Erste schien mir zu grausam, das Andere zu feige; ich schlug daher vor, sie gefangen zu nehmen und zu zwingen, Zuschauer zu seyn, wie wir mit ihrem Götzen verfahren würden. Mein Knecht hatte einen Korb hergetragen, in welchem die Feuerwerkssachen, nebst vielem Harz, Pech, Talg, einige Instrumente, Tauwerk und Bindfaden lagen. Da wir bei unserer Ankunft Niemand in der Nähe vermuthet hatten, waren wir nicht vorsichtig genug und sprachen halblaut, worauf ihrer Zwei aus der Hütte traten; wir ergriffen und banden sie. Bald darauf erschienen noch zwei Andere, denen wir den gleichen Empfang gewährten. Wir wollten uns eben der Hütte nähern, als ihrer noch Drei heraustraten, wahrscheinlich um zu sehen, wo die Andern blieben; wir fielen über die zwei Vordern her, und behandelten sie wie die Vorigen, der Dritte aber zog sich schnell in die Hütte zurück und rief um Hülfe, die Uebrigen wagten es aber nicht herauszukommen, und wir nicht hineinzudringen, weil wir nicht wußten, wie viele ihrer[264] noch in der Hütte waren. Richardson nahm also eine Feuerwerkskugel, zündete sie an und warf sie in's Innere derselben, wo sie einen eckelhaften Geruch und dicken Rauch verbreitete, der die noch dort befindlichen Menschen beinahe erstickte, und sie endlich zwang herauszukommen; es waren nur zwei Männer und drei Weiber, die wir ebenfalls banden. Alle diese Menschen waren nun an Händen und Füßen gebunden, der Mund geknebelt, um das Schreien zu verhüten, und um das Götzenbild her, einige Schritte davon und voneinander, auf den Boden gelegt.
Hierauf beschmierten wir das Bild und den Stamm, vorauf es stand, mit Pech, Harz und Talg, füllten alle Oeffnungen und Spalten mit Pulver und Feuerwerksatz, holten auch aus der Hütte, so viel der Dampf und Geruch es erlaubten, das darin liegende Stroh, das wir um den Götzen her aufhäuften, und legten Feuer an. Bald war alles in voller Flamme, das Bild zerbarst mit einem Knalle mitten entzwei. Dies war für uns das Zeichen, uns schnell zu entfernen, und wir erreichten die Stadt ohne Jemand zu begegnen, und ohne uns dem geringsten Verdacht der Abwesenheit ausgesetzt zu haben. Eine Stunde nach unserer Zurückkunft reiste die Karavane ab, wir hörten dengan zen Tag über nichts von der Sache reden, und glaubten bereits nichts Weiteres besorgen zu dürfen. Aber in der folgenden Nacht trafen einige Reiter des Gouverneurs bei uns ein, mit der Anzeige, die ganze Bevölkerung der Umgegend sey in völligem Aufstande über den an dem Götzen verübten Streich, und habe[265] gedrohet, dem russischen Kaiser den Krieg zu erklären, und alle Christen niederzumachen, wenn ihnen nicht durch die Bestrafung der Schuldigen Genugthuung gegeben werde. Der Gouverneur fand nöthig, die Karavane davon zu benachrichtigen, damit sie, und besonders diejenigen welche schuldig wären, sich in Acht nehmen möchten. Wir hüteten uns wohl, uns der That zu rühmen. Der Anführer und die übrigen Vorsteher der Karavane waren über die erhaltene Nachricht höchlich verwundert, und antworteten, daß ihnen von der ganzen Sache nichts bekannt wäre. Die Gesellschaft bestehe größtentheils aus Männern von gesetztem Alter, die weit entfernt wären, das ihnen so fremde Volk zu kränken; es müßten daher Andere gewesen seyn, die den Götzen verbrannt hätten. Dies war auch die allgemeine Meinung, in welche wir mit lautem Beifall einstimmten, auch von Niemand in Verdacht gehalten wurden. Indeß war uns nicht wohl zu Muthe, und wir waren recht froh, daß die Anführer sich entschlossen, einige Tage nach einander in Eilmärschen weiter zu reisen, weil dem aufgebrachten Volke, das die Thäter nicht kannte, ungefähr gleich viel daran gelegen seyn mochte, an wem es seine Rache abkühlte; doch mußten ihm fremde Durchreisende die Verdächtigsten scheinen. Wir setzten uns daher schon vor Tagesanbruch in Bewegung, und rückten so gut vor, daß wir am dritten Abend bis an den Eintritt in eine große Wüste gelangten, die wir sonst erst am vierten Tage erreicht haben würden. Ehe wir aber so weit kamen, bemerkten wir an eben dem dritten Tage am frühen Vormittage hinter uns[266] eine ausgedehnte Staubwolke, die nichts anders als der Vorbote einer verfolgenden, zahlreichen Horde seyn konnte. Wir waren eben an den Ufern eines See's, der zu unserer Rechten lag, und sich nördlich weit ausdehnte; wir zogen westwärts desselben fort, und entdeckten nicht ohne Vergnügen, daß der Schwarm, der die Staubwolke verursachte, sich nordöstlich, längs dem jenseitigen Ufer hinzog. Wir hielten uns hinter einigen Hügeln verborgen und beobachteten die zahlreichen Feinde, welche glaubten, auf jenem Wege uns bald einzuholen; Nachmittags verloren wir sie aus dem Gesichte und setzten unsere Reise fort, in der Hoffnung, die Gefahr sey vorüber.
Das war sie nicht. Drei Tage später, nachdem wir bereits über die Länge des See's hinaus waren, erhob sich eine neue Staubwolke seitwärts in südöstlicher Richtung, die geradezu auf uns loskam, und uns einzuholen drohete, denn sie näherte sich immer mehr. Es war schon Abend, so daß wir hoffen durften, wenigstens die Nacht zu unserm Vortheil benutzen zu können. Der Ort, wo wir uns befanden, war günstig zu unserer Vertheidigung. Zwischen zwei kleinen Gehölzen, wo der Durchgang für unsere verhältnißmäßig geringe Anzahl eben weit oder eng genug war, um ihn ganz zu besetzen, und uns gegen eine weit überlegenere zu halten; überdies waren wir durch einen kleinen Fluß, der vor unserer Fronte und rechten Flanke hinschlängelte, gedeckt; den übrigen offenen Raum schlossen wir theils mit unserm Gepäcke, theils durch ein Verhack, hinter welchen unsere Kameele und Pferde gereihet[267] standen. In dieser Verfassung erwarteten wir den Angriff erst nach Anbruch des folgenden Morgens, doch waren wir wegen ihrer großen Menge nicht ohne ängstliche Besorgnisse, und besonders wir Veranlaßer dieses Streits bereuten nun ernstlich, durch unüberlegten Religionseifer uns nebst der ganzen Karavane in so augenscheinliche Gefahr gestürzt zu haben. Ueberdies waren wir, theils von den angestrengten Märschen, theils von den Vertheidigungsanstalten, welche beinahe die ganze Nacht durch uns wach erhalten hatten, äusserst ermüdet und viele der Unsrigen ganz muthlos.
Die Sonne stieg hell über den Horizont, und versichtbarte uns einen unabsehlichen Schwarm Reiter, der uns wie ein Halbmond umgab. Viele sprengten vor ihren unordentlichen Haufen hin und her, und es schien, daß sie unentschlossen waren, ob und wie sie uns angreifen wollten. Andere kamen Truppsweise uns so nahe, daß wir sie ganz genau betrachten, und – wie man sagt – ihnen das Weiße im Auge sehen konnten, sobald wir aber einzelne Flintenschüsse auf sie abfeuerten, stoben sie schnell auseinander. Dies dauerte so fort bis in den Nachmittag, wo ein Dutzend Männer zu Fuß, mit belaubten Zweigen in der Hand, sich unserm rechten Flügel näherte, und Zeichen machte, mit uns zu sprechen. Einer unserer Unteranführer ward mit einem der Wegweiser und zehn Andern, die einige von den Sprachen verstanden, welche unter diesen Volksstämmen geredet werden, an sie abgesandt, um zu vernehmen, was ihr Begehren sey. Dies bestand darin: »Daß man ihnen diejenigen zur Strafe ausliefere,[268] welche ihren Gott Chan-Chi-Thaungu verbrannt hätten, wo nicht, so würden sie uns bis auf den letzten Mann niedermachen, sonst aber die Karavane ihres Weges ungekränkt ziehen lassen.« Als dies dem Oberanführer berichtet worden, theilte er solches den versammelten Kaufleuten mit, und jeder war oder schien aufs Höchste über eine Anklage verwundert, deren Grund allen unbekannt und unbegreiflich war. Man wiederholte daher die dem Gouverneur ertheilte Antwort: wir wären friedliche Kaufleute, die Niemanden etwas zu Leide gethan hätten oder thun wollten; mit ihrem Götzen hätten wir nichts zu schaffen, und so möchten sie uns im Frieden unsere Straße ziehen lassen, sonst aber würden wir Gewalt mit Gewalt abtreiben. Nach diesem Bescheid trennten sich beiderseits Abgeordnete, und wir erwarteten sofort aufs Lebhafteste angegriffen zu werden, allein der Feind begnügte sich, von Zeit zu Zeit kleine Haufen vorzuschicken, welche aber durch ein paar Flintenschüsse zerstreut davon flohen. So vergieng der Nachmittag und die ganze Nacht, deß wir froh waren, theils um die Anstalten zur Gegenwehr zu vervollständigen, theils um auszuruhen; doch hielten wir gute Wache, um nicht überfallen zu werden.
Des andern Morgens näherte sich nun der ganze Schwarm, der sich ohne Uebertreibung auf wenigstens zehn tausend Mann belief; als er auf Pfeilschuß weit nahe war, erhub er ein großes Geschrei, und schoß eine Wolke von Pfeilen auf uns her. Wir hatten dies erwartet, und uns hinter unserm Gepäcke verborgen,[269] und es war Niemand von uns verwundet, wir feuerten aber in den dichtesten Haufen, und das Klagegeheul so wie der schnelle Rückzug zeugten allgenugsam, wie tödtlich unser Feuer gewirkt hatte. Während dem wir wieder ladeten, um allenfalls neue Angriffe abzuschlagen, kam ein Kosake, der zur Karavane gehörte, zum Anführer, und versprach ihm, wenn er's erlaube, den ganzen Troß nach Siheilka zu befördern, eine Stadt, die nicht weniger als fünf Tagmärsche südöstlich von uns entfernt war, und da unser Zug nordwestlich gieng, so entfernten wir uns dergestalt vom Feinde, daß wir nichts mehr von ihm zu besorgen hatten. Sehr gerne genehmigte der Anführer das Anerbieten, dem unser Aller Beifall nebst dem Versprechen einer Belohnung nicht fehlte. Der Kosake nahm Pfeil und Bogen, stieg zu Pferde, machte dann rückwärts einen großen Umweg, kam dann als ein Bote zu den Tataren mit der Anzeige, ein Zug von ungefähr 50 Mann sey auf dem Marsche nach Siheilka, um den dortigen Götzen zu verbrennen, und rühmten sich den großen Chan-chi-Taungu schon verbrannt zu haben; kurz, er machte die Sache so wahrscheinlich, seine Sprache und Kleidung schienen seine Aussage so sehr zu bestätigen, daß die leichtgläubigen Feinde sich sogleich auf den Weg machten, und wenige Stunden nachher war nichts mehr von ihnen zu sehen. Der Kosake wünschte ihnen gute Reise, und folgte der Karavane nach, die er noch am nämlichen Abend einholte; wir aber haben seitdem nichts mehr von ihnen und ihrem Götzen gehört.
Wir durchzogen nun eine Steppe während drei[270] Tagen, und gelangten wieder an eine Stadt, wo rus sische Besatzung lag. Hier rasteten wir fünf Tage aus, dessen wir höchst bedürftig waren. Dann setzten wir unsern Zug weiter fort, durch die abscheuliche, oft sumpfige Wüste Baraba, die wir erst am dreiundzwanzigsten Tage zurücklegten. Wir hatten uns in der letzten Stadt Gezelte und sechszehn Wagen oder Karren, wie sie dort gebräuchlich waren, angeschafft, was beides uns viele Bequemlichkeiten gewährte, weil wir unsere Vorräthe an Lebensmitteln und gesundem Wasser mit uns führen mußten. Des Nachts dienten uns die Wagen auch zur Sicherheit gegen allfällige Angriffe, indem wir daraus eine Art Wagenburg bildeten. In dieser Wüste stießen wir auf jene tatarischen und mongolischen Jäger, welche die Zobeln und Hermeline erlegen, die das vortreffliche, berühmte und kostbare Pelzwerk liefern. Diese Jäger greifen aber wohl auch Karavanen an, wenn sie ihnen überlegen sind, uns aber liessen sie ungekränkt fürbas ziehen, und zwar aus guten Gründen, denn wir waren ihnen zu stark. Gerne hätte ich diese Pelzthiere gesehen, sie durften sich aber nicht genug uns nähern, und allein zu diesem Raubgesindel zu gehen, wäre höchst unvorsichtig gewesen.
Als wir diese Wüste durchwandert hatten, kamen wir nach Jeniseisk, an dem großen Fluß Jenisey, welcher Siberien im Ost begrenzt, und in's Eismeer ausströmt. Bei'm Eintritt in jene Stadt setzten wir über diesen mächtigen Strom, wo wir wieder drei Tage ausruheten, und dann in westlicher Richtung fortzogen, und nach einer Reise von beinahe sieben Monaten[271] in Tobolsk, der Hauptstadt von Siberien anlangten.
1 Einer dieser Berggipfel ist nach seitherigen genauen Vermessungen 5225 Fuß hoch. Das Mauerwerk, berechnet Barrow, beträgt mehr als alle Häuser Englands und Schottlands zusammengenommen, deren Anzahl er auf 1,500,000 setzt, jedes derselben auf 2000 Kubikfuß gerechnet. Ja er meint sogar, die Masse dieser Mauer reiche hin, um eine gewöhnliche Mauer zu errichten, die zweimal den Erdball umfasse. Siehe Zimmermanns Tagebuch der Reisen, neunter Jahrgang, 1810, Seite 283 der Originalausgabe.
Ausgewählte Ausgaben von
Robinson Crusoe
|
Buchempfehlung
»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.
530 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro