Vierzehnter Abschnitt.

[221] Vestigia me terrant.


Schon lange hatte sich in mir der Wunsch geregt, mein Boot in der Nähe zu haben. Ich dachte oft auf Mittel und Wege, wie ich es um die Insel herumbringen könnte. Zuweilen gab ich mich auch ohne dasselbe zufrieden, und faßte wohl gar den Entschluß, der zwar viel sicherer, aber auch viel beschwerlicher war, ein anderes Boot zu bauen, um auf jeder Seite der Insel ein Fahrzeug zu haben. Ehe ich aber die Arbeit anfieng,[221] beschloß ich, noch einmal bis an die Mündung der Bucht zu gehen, den dortigen Hügel zu besteigen, die Lage des Ufers und vorzüglich die Beschaffenheit der Ströme zu erforschen, und meine Maßregeln darnach zu nehmen. Da ich jetzt für kein Boot zu sorgen hatte, gieng ich den nächsten Weg über Land nach der Seeküste, und erkannte auch nach einigen Stunden die Anhöhe, auf der ich gewesen war, um damals die See zu beobachten. Ich bestieg sie auch jetzt, und zu meinem größten Erstaunen ward ich allgemeine Ruhe und Stille im Meere gewahr. Die See war wie ein Spiegel; da war kein Strom, keine Brandung. Die natürlichste Erklärung dieser befremdenden Erscheinung war wohl, sie der abwechselnden Bewegung der Ebbe und Fluth zuzuschreiben, aber ungeachtet ich ein Seefahrer gewesen, und jetzt der Bewohner einer Insel war, die mitten im Ozean lag, wo dieses Wunder der Natur sich täglich und stark ereignete, fiel ich nicht gleich darauf, sondern zerbrach mir lange den Kopf mit Nachdenken, bis ich endlich durch die langsam zunehmende Höhe des Wassers darauf geleitet wurde. Ich nahm mir daher vor, die Sache einige Zeit zu beobachten, und stieg nach eingetretener Ebbezeit abermals auf den Hügel, und sah nun den Strom wieder ganz deutlich, doch mit dem Unterschied, daß er in seiner jetzigen Richtung von der ehemaligen abwich, und beinahe eine halbe Meile von der Spitze der Sandbank entfernt vorbeiströmte; da er hingegen bei meiner Fahrt dicht an selbige andrang, mein Fahrzeug ergriff und fortriß, was er heute nicht gethan haben würde. Jetzt ward es[222] mir leicht, die ganze Sache zu erklären. Die Ebbe kam aus West und vereinigte sich mit dem Lauf eines oder mehrerer Flüsse, die in eben dieser Richtung sich aus der Insel in's Meer ergossen; der mehr südliche oder nördliche Strich des Windes verursachte die größere oder geringere Abweichung und Entfernung des Stromes von der Sandbank. Diese Bemerkung überzeugte mich, daß ich nur die Zeit der Fluth zu benutzen hatte, um mein Boot ohne die geringste Gefahr in meine Anfuhrt zu bringen. Aber die Gefahr, in der ich gewesen war, hatte einen so bleibenden Eindruck auf mich gemacht, daß noch mehrere Jahre verflossen, ehe ich das Wagstück unternehmen durfte.

Ich entschloß mich nun, von hier aus die Ost- und Nordseite der Insel bis zu meinem Grenzpfahl zu umgehen, und mein Kanot im Vorbeigang zu besuchen. Ich mußte erst die Ebbe abwarten und bei niedrigem Wasser über die Mündung des Bachs setzen; dann gieng ich längs dem linken Ufer desselben hinunter, wandte mich hierauf nordwärts, und kam Abends wieder an einen Fluß, der weit größer war als alle, die ich noch gesehen hatte, und aus einer gebirgigen, meist mit Wald bedeckten Gegend daher strömte, und sich östlich in die See ergoß. Erst des andern Morgens, nachdem die Ebbe ganz abgelaufen und ich ziemlich weit aufwärts gegangen war, konnte ich schwimmend hinübersetzen, und ich war überzeugt, daß er viel zu jenem heftigen Strome im Meer beitrug. Ich fand noch einige andere unbedeutende Bäche in meinem Wege, über welche ich schwamm oder durchwatete.[223] Diese ganze Küste war unfruchtbar, hügelicht, felsicht und mit Gesträuchen besetzt; die Küste war sandig und senkte sich flach gegen die See herab, und die Reise war nichts weniger als angenehm. Gegen Abend langte ich bei meinem Fahrzeug an, schlief diese Nacht darin, und setzte dann frühe meine Reise weiter fort. Aber jetzt komme ich zu einem neuen Auftritt meines einsamen Lebens.

Als ich noch ungefähr zwei Meilen von dem Grenzpfahl entfernt war, sah ich, zu meiner äussersten Verwunderung, im Sande die deutliche Spur eines Menschenfußes. Wie vom Blitze getroffen blieb ich vor Schrecken bei diesem Anblick stehen. Wie seltsam und widersprechend sind doch unsere Neigungen! das Gefühl des gegenwärtigen Augenblicks erregt und bestimmt unsere Begierden. Heute lieben, wünschen, suchen wir, was wir morgen hassen, fürchten und fliehen, vor dem wir sogar zittern, wenn wir es uns nur als möglich denken. Ich, der in der Einsamkeit schon so lange Zeit von aller menschlichen Gesellschaft abgesondert gelebt, und sie so oft, so sehnlich gewünscht hatte, hätte entzückt seyn sollen, menschliche Spuren anzutreffen; ich, der mein Leben so viele Jahre in einer gänzlichen Todesstille zugebracht und mir oft vorgestellt hatte, daß die Gegenwart eines einzigen Menschen mir ein Auferstehen vom Tode zum Leben, und das größte Glück dieses Lebens seyn würde; – ich bebte und zitterte jetzt vor Schrecken, nicht über den Anblick eines Menschen, sondern eines bloßen Fußtapfens. Betäubt stand ich da, wie eingewurzelt; ich lauschte,[224] blickte um mich her, sah aber und hörte nicht das Geringste. Ich bestieg eine kleine Anhöhe, wo ich eine weit ausgedehnte Aussicht vor mir hatte; ich gieng wieder an das Ufer zurück, um zu sehen, ob noch mehrere Fußtritte im Sande abgedrückt wären, oder ob mich Angst und Einbildung vielleicht getäuscht hatten. Allein Zehen, Fersen, alle Theile und die ganze Form eines Menschenfußes, waren recht eigentlich zu sehen und gar nicht zu verkennen, aber auch keine andere Spur als nur allein diese zu entdecken, und wie sie so einzig hieher gekommen seyn mochte, konnte ich mir gar nicht vorstellen. Dieser geringe Umstand erneuerte plötzlich mein Entsetzen, die Furcht beflügelte meine Schritte, und ich eilte im stärksten Laufe meiner Felsenburg zu, sah oft zurück, ob mich Jemand verfolgte, erschrack vor jedem Strauche, erbebte vor jedem Stamme, fürchtete bei jedem Rauschen eines Blattes einen hervorbrechenden Wilden, und weiß bis diese Stunde nicht, ob ich über die Leiter oder durch den Felsengang in mein Schloß kam, denn geängstigter kann kein gescheuchter Hase zu seinem Lager, kein gejagter Fuchs zu seinem Baue flüchten, als ich in diesen Zufluchtsort.

Ich konnte vor Besorgnissen und fürchterlichen Einbildungen die ganze Nacht kein Auge zuthun. Meine aufgeregte Fantasie beschäftigte sich bereits damit, Gespenster und sogar den Teufel in das Gemälde zu bringen, das sie mir vorgaukelte. Ich sah keine Möglichkeit, wie Menschen, ohne Schiff, auf meine Insel gekommen wären, und doch konnte ich keine Spur von Schiffen[225] oder nur von mehrern Fußtritten entdecken, da doch der Boden rund und weit umher eben so flach, sandig und locker war. Nachgerade schien es mir doch wenig mit der bekannten oder beglaubten Schlauigkeit des Satans übereinzustimmen, an einem so abgelegenen und von mir nur selten und zufällig besuchten Ort den Abdruck eines Menschenfußes im Sande zu hinterlassen, wo er von den nahen Meeresfluthen so leicht verspühlt werden konnte, daß tausend gegen eins zu wetten war, er würde mir nie zu Gesichte kommen, da ich auf der ganz entgegengesetzten Seite der Insel wohnte; er konnte ja wohl andere Künste anwenden, um mich zu versuchen oder zu erschrecken. Diese und ähnliche Gründe befreiten mich gänzlich von der Furcht, daß der Teufel persönlich hier im Spiel sey.

Damit aber war meine Furcht nicht gehoben; lange Einsamkeit macht die Menschen scheu, furchtsam und einbildisch. Ich hatte den Kopf voll von Menschenfressern, die mir wenigstens eben so fürchterlich schienen als Satan. Es konnten ja Wilde von jenem festen Lande seyn, das ich einst gesehen hatte und besuchen wollte. Winde oder Ströme konnten sie mit ihren leichten Kanots an diese Küste verschlagen haben, und da sie just an dem ödesten Theil landeten, fühlten sie eben so wenig Lust zu bleiben, als ich, sie zu sehen; aber sie konnten mein Kanot gesehen und daraus geschlossen haben, daß die Insel bewohnt sey; sie konnten bald in verstärkter Anzahl wieder kommen, mich aufsuchen, schlachten, braten und fressen; sie konnten meine Ziegen, Getreide und Geräthe wegnehmen oder zerstören,[226] und mich vor Hunger und Mangel umkommen lassen. Nun machte ich mir Vorwürfe über meine Bequemlichkeit, daß ich nicht mehr Korn als für den Bedarf eines Jahrs gesäet hatte, als ob nicht Mißwachs oder andere Zufälle Brodmangel verursachen konnten, und ich nahm mir fest vor, künftig jederzeit einen Vorrath auf zwei bis drei Jahre einzusammeln. Bald aber verlor ich so sehr alle Ueberlegung, daß ich auf den tollen Vorsatz gerieth, alle meine Gebäude, Umzäunungen, Felder und Pflanzungen einzureissen, meine Heerde auseinander laufen zu lassen, damit nicht die geringste Spur einer Wohnung zu sehen, nicht die kleinste Lockung oder Veranlassung für die Wilden da sey, die Insel oft zu besuchen, weiter nachzuspüren, und mich zu finden. So ist die Furcht vor der Gefahr tausendmal schrecklicher als die Gefahr selbst, und tausendmal peinigender ist die Angst als der Gegenstand, der uns ängstigt. So beraubt uns die Furcht des Gebrauchs gerade derjenigen Mittel, die uns die Vernunft zur Hülfe anbeut.

In solchen Gedanken, Beängstigungen und Vorsätzen verlebte ich drei Tage und Nächte, ohne mich über meine Mauer hinaus zu wagen, bis mich der Mangel an frischem Wasser – denn mit Speisen war ich überflüssig versorgt – nöthigte, zur Felsenquelle zu gehen. Anfangs sah ich ängstlich umher, Alles war still und ruhig, und ich faßte nach und nach wieder Muth. Der erste Schritt ist immer der schwerste; als ich so weit war, und ein wenig vor der Felswand hin und her wandelte, fieng ich an, mir über meine Zaghaftigkeit Vorwürfe zu machen. Meine Ziegen waren in dieser[227] Zeit nicht gemelkt worden, welches gewöhnlich mein Abendzeitvertreib war, und ich mußte befürchten, daß, wenn es länger unterblieb, es ihnen Schaden verursachen und die Milch gar vertrocknen möchte, und ich fand nachher, daß einigen bereits die Euter verdorben waren.

Bei diesem Gedanken konnte ich nicht länger verweilen, ohne sogleich hinzugehen; ich frühstückte, nahm überdas einen guten Schluck Rum, dann nahm ich mein gewöhnliches Geräthe, und steckte ausserdem noch ein Paar Pistolen in den Gürtel. Unterwegs fiel mir ein, daß diese Spur wahrscheinlich nichts anders als der Abdruck meines eigenen Fußes wäre, als ich aus meinem Boot an's Ufer stieg. Dies erhob meinen Muth noch mehr, und ich fieng an, mich mit den Erzählern von Gespenstermährchen und Spuckgeschichten zu vergleichen, die sich endlich selbst mehr als ihre Zuhörer davor fürchten, und mir vorzuwerfen, daß mich mein eigener Schatten geängstigt habe.

Ich gieng also wieder hin und her, auf mein Landgut, zu meinen Ziegen, auf mein Kornfeld, zu meinen Pflanzungen, aber doch nicht mit der vorherigen Ruhe und Unbefangenheit. Wenn man gesehen hätte, wie schüchtern ich vorwärts gieng und mich umsah, wie oft ich meinen Korb ablegen und davon laufen wollte, so würde man in der That haben glauben müssen, daß mich ein böses Gewissen verfolgte, oder der Schrecken mich jagte.

Nach einiger Zeit fieng ich an, etwas dreister zu werden, und mich immermehr in der Meinung zu bestärken,[228] es wäre bloße Täuschung und nichts weiter als der Abdruck meines eigenen Fußes, aber mein Gefühl wollte sich nicht so leicht als der Kopf bereden lassen; um den Zweifel zu lösen, entschloß ich mich, an Ort und Stelle zu gehen, den streitigen Punkt – die Fußspur – noch einmal recht genau zu betrachten, sie mit meinem Fuße nachzumessen, und zu sehen, ob dieser genau in jene paßte, so daß ich überzeugt seyn müsse, es sey der Eindruck meines eigenen und keines andern Fußes. Als ich aber an den Strand kam, so zeigte sichs vorerst, daß ich bei meiner Anlandung mit dem Boot unmöglich hier herum konnte am Lande gewesen seyn, denn es lag beinahe vier Meilen weit entfernt. Hierauf, als ich meinen Fuß dagegen maß, so befand er sich viel kleiner als die Spur, obgleich diese der Abdruck eines nackten Fußes, der meinige aber bedeckt war, und endlich entschied dieser letzte Umstand die Sache unwidersprechlich, daß es die Fußtapfe eines andern und zwar wilden Menschen war. Je höher diese Gewißheit stieg, desto mehr bemächtigte sich Schrecken und Angst meines ganzen Wesens, so daß ich zusammenbebte, vor Frost wie ein Fieberkranker klapperte, und völlig überzeugt nach Hause eilte: es müßten entweder mehrere Wilde auf der Insel gewesen, oder vielleicht gar diese bewohnt, und ich daher der Gefahr, überfallen zu werden, täglich ausgesetzt seyn.

Diese Gedanken und die noch ganz frischen Eindrücke der Angst und Furcht, machten mir den Kopf ganz verwirrt, und beunruhigten mich die ganze Nacht so sehr, daß ich kein Auge schließen konnte. Erst gegen Morgen[229] schlief ich ganz ermattet ein, und so fest und gut, daß ich nur spät erwachte, und mich weit ruhiger fühlte als vorher. Jetzt konnte ich auch gelassener darüber nachdenken, und kam nach vielen Einwendungen auf den ganz natürlichen Schluß: daß diese so anmuthige und fruchtbare, in einer mäßigen Entfernung vom festen Land gelegene Insel nicht so ganz verlassen seyn könne, als es mir bis jetzt schien, und daß, wenn sie auch nicht bewohnt wäre, so könnten doch die Bewohner vom festen Lande oder von andern Inseln, freiwillig oder gezwungen, mit ihren Booten hierher kommen. Zwar hatte ich in den fünfzehn Jahren meines einsamen Aufenthalts auch nicht einen Menschen gesehen, und daraus ließ sich folgern, daß es nur sehr selten wiederfahre, sie auch sobald möglich suchten wieder wegzugehen, und nicht leicht eine Nacht sich aufhielten, um nicht der Begünstigung der Fluth und der Tageshelle zu entbehren. Sonach hatte ich keine andere Gefahr zu besorgen, als den Wilden bei einer solchen Landung zufälligerweise zu begegnen, und ich hatte nichts weiter zu thun, als behutsam auf sie Acht zu geben, und sobald ich ihre Anwesenheit bemerkte, mich in meinem sichern Schlosse still zu halten. So richtig diese Folgerung war, so war sie doch nicht hinreichend, mich zu beruhigen, und die bloße Entdeckung einer menschlichen Spur verursachte mir eine Menge von Besorgnissen und beschwerlichen Arbeiten, die mein Leben mit Bitterkeiten überhäuften.

Das Schlimmste bei der Sache war, daß diese Unruhe mir allen Trost, alle Hoffnung raubte, die mir[230] sonst die Religion gab. Verschwunden war nun mein voriges Vertrauen auf die Vaterliebe Gottes, von der ich doch so wunderbare Beweise erfahren hatte. Die Furcht hatte sich meiner so bemächtigt, daß ich mich selten in der ruhigen Gelassenheit und der gewohnten Ergebung in den Willen Gottes befand, um zu ihm zu beten, und wenn es auch geschah, so war es mehr die Stimme eines Menschen, der beständig in großer Trübsal, Bedrängniß und Gefahr schwebt, und mehr an diese als an die Vorsehung denkt. Hier muß ich aus eigener Erfahrung bemerken, daß ein Herz voll Liebe, Ruhe und Dankbarkeit viel geschickter zum Gebet und voll Zutrauen auf Erhörung ist, als wenn es stets durch ängstliche Besorgnisse bestürmt und aus seiner gewöhnlichen Lage aufgeschreckt wird. Ich ergriff nun nicht die rechten Mittel, mein Gemüth zu beruhigen, denn hätte ich, wie vorher, Gott in meiner Noth angerufen, und mich für meine Beschützung und Rettung auf ihn verlassen, so würde ich entschlossener und muthvoller gewesen seyn, so aber war ich zaghaft, zerstreut, und ich empfand, daß die Furcht mir nichts als Schaden that, und dennoch konnte ich mich ihrer nicht erwehren.

Nun bereute ich, daß ich mir einen Ausgang aus meiner Höhle gegraben hatte, der nicht durch das Pfahlwerk eingeschlossen und gesichert war. Das Erste, was ich also vornahm, war, die zwei oder drei inneren Reihen der Bäume, die ich schon vor zehn oder zwölf Jahren einige Schritte von jenem Pfahlwerk gepflanzt hatte, zu einer zweiten Pallisadirung einzurichten, wozu[231] es weiter nichts bedurfte, als zwischen selbigen in der Länge und Tiefe dicke Weidenstäbe zu pflanzen, wodurch nach wenigen Jahren ein so dickes Gehäge entstand, das desto undurchdringlicher war, da ich es etwa 3-4 Fuß hoch mit dünnen Zweigen verflocht, die auch in den Boden gesteckt waren und fortwuchsen, auch unablässig Erde von aussen, und Schutt aus meiner Höhle von innen, zwischen und an selbige anwarf. Diese Befestigung führte ich nicht nur über den Ausgang, sondern auch über die Quelle hinaus, so daß ich niemals in Gefahr kommen konnte, Mangel an Wasser zu leiden.

Als dieses geschehen war, bepflanzte ich den ganzen Abhang der kleinen Wiese vor meinem zweiten Walle mit mehr als zwanzigtausend Stäben von dem weidenähnlichen Holze, doch ließ ich einen freien Raum von beinahe hundert Schritten zwischen diesem Gebüsche und dem Baumwall, damit ich meine Feinde von weitem sehen, und sie sich nicht durch die Bäume gedeckt, nähern konnten; auf diese Art hatte ich schon nach zwei Jahren ein dichtes Gebüsche, und nach fünf Jahren einen so dichten und starken Wald, daß er in der That undurchdringlich war, und kein Mensch vermuthen konnte, daß dahinter etwas anderes als eine Wildniß, geschweige die Wohnung eines Menschen wäre. Durch diesen Wald veränderte ich täglich meinen Weg, damit er nicht betreten und dadurch bemerkbar würde. Ueber den äussern Wall gieng ich nicht anders als mit Hülfe einer Leiter, denn ich hatte keinen Eingang gelassen. Ich setzte sie an die Felswand; sie war ungefähr[232] zehn Fuß lang und reichte an eine flache Stelle die von unten nicht sichtbar war, und sich bis über die Quelle in's Innere erstreckte, wo ich die nachgezogene Leiter wieder anstellte, herunter stieg, mich dann erst zwischen beiden Wällen befand und dann gewöhnlich durch den Felsengang hinein gieng. Wenn die Leiter weggenommen war, so konnte kein Mensch, ohne den Hals zu brechen, hinein kommen. In den innern Wall hatte ich sieben Schießlöcher gemacht, nicht größer als daß ich meinen Arm durchstecken konnte; durch diese Löcher pflanzte ich sieben von meinen zehn geretteten Musketen, indem ich Gestelle für sie zurecht machte, auf denen sie wie Kanonen auf ihren Lafetten ruhten, so daß ich sie in zwei Minuten alle abfeuern konnte.

Auf diese Weise ergriff ich alle Maßregeln, welche die Klugheit mir zu meiner Sicherheit eingeben konnte, brachte mit allen diesen Arbeiten acht bis neun Monate zu, und arbeitete doch mit größter Anstrengung, denn ich hielt mich nicht eher für sicher, bis ich damit zu Stande war. Auch wird man in der Folge sehen, daß sie nicht ohne Nutzen waren.

Während diesen Arbeiten versäumte ich meine übrigen Angelegenheiten nicht ganz, obgleich die Besorgnisse, in denen ich jetzt lebte, allen weitern Erfindungen und Anschlägen, die ich zur Verbesserung meines Zustandes entworfen hatte, ein Ende machten.

Vorzüglich lag mir meine Ziegenheerde am Herzen, denn sie gab mir nicht nur Ziegenfleisch zum Essen, so oft als es mir beliebte, ohne nöthig zu haben, durch Schießen mein Pulfer zu vermindern, noch mich durch[233] den Knall zu verrathen, sondern ich hatte an ihnen auch eine lebendige Vorrathskammer an Milch, Butter und Käse, wenn ich auch noch fünfzig Jahre in dieser Einsamkeit leben müßte. Diese Vortheile hätte ich nun nicht gerne eingebüßt, aber um sie zu erhalten, boten sich mir nur zwei Mittel dar; entweder an einem schicklichen Orte eine Höhle unter der Erde zu graben und meine Ziegen alle Nächte hinein zu treiben, oder mehrere kleine Stücke Landes an verschiedenen versteckten und von einander entfernten Orten einzuzäunen, in deren jedem ich vier bis sechs Ziegen halten könnte, so daß, wenn ja der großen Heerde oder einem dieser kleinen Einschläge ein Unglück begegnen sollte, ich doch im Stande wäre, sie mit wenig Mühe und Zeit nachzuziehen. Das Letztere schien mir besser.

Dem zufolge suchte ich in den unzugänglichsten Theilen der Insel einige verborgene Stellen, die nicht allzu entfernt von meiner Wohnung wären. Ich war noch nie in die südliche Bergreihe, die sich von meinem Schlosse bis an das westliche Ende der Insel erstreckte, gedrungen; jetzt glaubte ich in den dazwischen liegenden Thälern die größte Sicherheit zu finden. Hohe Felsen mit dichten Waldungen umgeben, bildeten dunkle, wilde Schluchten, die wohl nie der Fuß eines Menschen betreten hatte; auch waren sie keineswegs einladend, aber für meine Absicht vortrefflich, denn ich fand hier bald was ich suchte: verschiedene kleine Rasenplätze, mitten in hohen dichten Wäldern, so daß schon die Natur sie beinahe umzäunte, und ich nicht halb so[234] viel Mühe anzuwenden hatte, sie völlig einzuschließen, indem ich zwischen die großen Bäume von meinen Weidenpfählen einschlug, und die Zweige verflocht. Zwei derselben waren von einem kleinen Bache durchflossen, und in den dritten konnte ich ohne große Mühe eine Quelle leiten, denn überall sprudelten Quellen hervor, und überhaupt herrschte in diesen Thälern Schatten und Feuchtigkeit. Nach und nach, so wie eine fertig war, brachte ich in jede einen Bock und drei Ziegen; in weniger als drei Monaten war ich auch mit dieser Arbeit zu Ende. Nachher entschloß ich mich, auch in meinem Hofraum, nämlich zwischen beiden Wällen, auf der Seite, wo die Quelle war, jeder Zeit ein Böcklein und ein Paar Ziegen zu halten, wozu ich immer die schönsten auswählte, weil sie mir zugleich zum Vergnügen dienen sollten, da ich sie so zahm machte, daß sie mir überall nachliefen und aus der Hand fraßen.

Die dichte Baumpflanzung der äußern Einzäunung war bereits so hoch aufgewachsen, daß sie mir alle Aussicht benahm, und da ich jetzt nicht nur das Meer, sondern auch das Land zu beobachten hatte, um zu entdecken, ob keine Wilden da waren, so machte ich eine zweite Leiter von ungefähr 25 Fuß Länge, um von der flachen Stelle der Felswand, wohin ich mit der ersten Leiter stieg, bis über selbige auf den Hügel zu kommen, wo ich denn, durch kleines Gesträuche gedeckt, noch ungefähr 50 Schritte höher klettern konnte, und eine freie sehr ausgedehnte Aussicht hatte. Diese Stelle hieß ich meine Warte oder Observatorium. Wenn ich herabstieg,[235] so legte ich jederzeit die Leiter auf der Fläche des Felsens nieder, so daß meine Sicherheit keineswegs gefährdet war.

Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 1, S. 221-236.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Der Bücherbär: Klassiker für Erstleser
Robinson Crusoe: Erster und zweiter Band
Robinson Crusoe (insel taschenbuch)
Robinson Crusoe
Robinson Crusoe: Roman (Schöne Klassiker)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Catharina von Georgien

Catharina von Georgien

Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon