1. Ein Amazonentöter.

[12] Die Kampfesart unserer Gegner hat naturgemäß im Lauf der Jahrzehnte ihre Physiognomie geändert. Fern liegt die Zeit, wo die ersten Symptome der Bewegung mit gröbsten Späßen, gelegentlich auch mit Zoten – abgefertigt wurden. Ich will nicht auf Hans Sachs zurückgreifen, der empfiehlt, ungehorsame Weiber windelweich zu prügeln. Aber auch noch vor 25 Jahren deckten hervorragende Wissenschaftler ihren Bedarf an Gründen mit Harlekins-Einfällen. Man nahm eben die Sache noch nicht ernst.

Wie man damals argumentierte, möchte selbst unsern heutigen Gegnern ein Lächeln abgewinnen. Jene Amazonentöter, die vor 25 Jahren an der Spitze unserer Gegner standen, dürften heut kaum noch im Train mitmarschieren.

Ich kann mir nicht versagen, dem Leser eine kleine Blütenlese aus dem dicken, dicken Buch eines solchen altgläubigen Gelehrten zu bieten.

Der heitere Herr ist nicht der erste beste. Auf dem Titelblatt lesen wir: »Doktor der Medizin und Chirurgie, legaler Direktor der L. L. Akademie, Mitglied gelehrter Gesellschaften u.s.w.« Und wir lesen, daß dieses Mitglied[12] in sechs Sprachen 284 Bücher studiert hat, um die Hinrichtung der weiblichen Revolutionshorde gründlich besorgen zu können.

Ich nenne seinen Namen nicht. Ich bin zwar nicht Spiritistin genug, um an die Rachegeister Verstorbener zu glauben, aber – man kann nicht wissen.

Jedenfalls muß der Amazonentöter in der litterarisch wissenschaftlichen Welt in hohem Ansehen gestanden haben. In den verschiedensten Büchern habe ich ihn als beweiskräftigen Gewährsmann citiert gefunden.

Ein Kapitel des Buches ist den Verbrechen der Frauen gewidmet. Er weiß ein Heilmittel gegen diese Kalamität: »Zur Verhütung des Verbrechens bei den Frauen gehört weiter nichts als die Schaffung natürlicher Lebensverhältnisse, die Beseitigung von Elend und Üppigkeit, von Emanzipation und Sklaverei, von Verwahrlosung und raffinierter Hyperzivilisation.«

Weiter nichts??

Könnte nicht auch die Männerwelt von diesem Heilmittel profitieren? Ja, täusche ich mich, oder wäre mit der Anwendung dieses Mittels (wo ist die Apotheke, in der es hergestellt wird?) nicht überhaupt die ganze, große, soziale Frage mit einem Schlage gelöst?

Von der physischen Natur des Weibes.

Er führt die Phrenologie ins Gefecht. Absehend von der Gepflogenheit, Herz und Gehirn zu prüfen, prüft er nur Stirn, Augen, Nase, Haar der Frau.

»Es bekümmert ihn, daß bisweilen auch bei Frauen eine senkrechte Stirnfalte vorkommt, die bekanntlich Denkkraft und Energie bekundet.« Denkkraft und Energie! die Kainszeichen der Emanzipierten! Ihn überläuft eine Gänsehaut.

Gott sei Dank, kann die ominöse Stirnfalte beseitigt[13] werden. »Solche Frauen können mit Liebe und Gemütsruhe leicht regiert, und es kann die Tiefe ihrer senkrechten Stirnfalten immer mehr vermindert werden.« Wir atmen auf.

Die Augen der Frau. »Feinfühlende, gemütvolle Frauen haben nicht einerlei Farbe der Augen (ach!) sondern es kommen deren Augen mehr in Form und Glanz überein.« Ja?

Die Nase. »Der Mann mit wohlgeformter Nase soll eine Frau mit gleicher oder ähnlicher Nasenform sich wählen, (wäre dem Mann mit mißgeformter Nase nicht erst recht eine Frau mit schöner Nase vonnöten, schon der armen Kinder wegen?) damit die gegenseitige Verständigung größer, das Leben somit glücklicher, gemütlicher werde.«

Die Ehefrage eine Nasenfrage! Der Herr hat Cyrano von Bergerac vorgeahnt, dem die Nase das Herz brach.

Die Sache ist aber wieder gar nicht so schlimm. Das Mitglied gelehrter Gesellschaften weiß das Heilmittel gegen weibliche Nasenentartung. Er weiß, wie »jene Konstitution des weiblichen Geschlechts sich erzielen läßt, die teilweise (vorsichtig dieses ›teilweise‹) durch eine gut oder schön geformte Nase sich ausdrückt, nicht nur durch passende Auswahl des Ehegatten, sondern auch durch Tilgung von Elend, Roheit, Sittenlosigkeit, durch Bannung der Üppigkeit, Schwelgerei und Ausartung.«

Ja, banne du nur!

Man sieht, es ist dasselbe Heilmittel wie gegen die Verbrechen der Frau.

Das Haar. »Im allgemeinen entscheidet die Farbe des Haupthaares noch nicht darüber, (also doch zuweilen?) ob man es mit einer guten oder bösen, nobel oder pöbelhaft angelegten Weibsperson zu thun habe, aber man kann immerhin annehmen, daß die Heftigkeit in Produktion von[14] Gedanken, Gefühlen, Trieben, Leidenschaften (sind das gute oder pöbelhafte Qualitäten?) mit dem Dunklerwerden des Haares wachse, daß im großen und ganzen die dunklen mit rasch dahinbrausenden, die hellen mit langsam fließenden Gewässern verglichen werden können.«

Seite 126 aber desavouiert Seite 123: »Ein Weib mit schwarzem Haar pflegt mächtige Leidenschaften zu beherbergen. Man darf indessen nicht glauben, daß die Leidenschaften gerade mit dem Hellerwerden des Kopfhaares sich vermindern.«

Wo in aller Welt kommen denn nun all die weiblich sanften Frauen her, die doch ihren Geschlechtscharakter repräsentieren sollen!?

»Weichheit des Haares,« fährt er fort, »gehört entschieden zu den Zeichen der Weiblichkeit, und ein gefühlvoller, naturfrischer Mann wird zumeist instinktmäßig eine Frau mit weichem Kopfhaar sich erwählen.«

Wie aber kommt der Mann hinter die Beschaffenheit des Haares? Ein Spielen mit den Locken unbescholtener Jungfrauen ist für junge Männer nicht statthaft, und sich hinter den Friseur des Fräuleins zu stecken, ist teils wenig gentlemanlike, teils haben die Fräuleins gar keinen Friseur.

Fein zieht sich der Gelehrte aus der Klemme. »Instinktmäßig« erkennt der gefühlvolle, naturfrische Mann die Qualität des weiblichen Schopfes.

Ein Bedenken! Könnte es nicht vorkommen, daß ein lieblich Kind in all seiner Unschuld die strafbaren Borsten des Vaters ererbte? Müßte nicht mithin, um beglückende Ehen zu erzielen, den Männern mit struppigem Haarwuchs die Ehe verboten werden? und müßte nicht ein gleiches Verbot an alle melancholischen Väter ergehen? Der Autor[15] nämlich hält es »für eine der wichtigsten Aufgaben der Nationalerziehung, das melancholische Temperament, insbesondere bei Frauen immer mehr und mehr auszutilgen.«

Wie wär's, wenn dieser heitere Herr, bei dem das melancholische Temperament bereits ausgetilgt ist, mit einem Federstrich die Vererbung für null und nichtig erklärte? Es kostet ihm ja auch nur einen Federstrich, der Frau den Verstand fortzudekretieren.

Und hiermit wären wir von dem Exterieur zum Interieur der Frau gelangt, und können dem Sturmlauf des Akademie-Direktors gegen den Verstand der Frau beiwohnen.

»Das Weib urteilt nur auf Grund von Schein und Schale... Bei denkkräftigen Männern werden die Ergebnisse ihres Nachdenkens weder durch das Gemüt beeinflußt noch erschüttert. (Diese Gletscher!) Frauen werden nie im stande sein, die Gedanken von der Herrschaft der Gefühle auch nur für Augenblicke zu befreien« u.s.w.

Als mildernder Umstand für das, was der Amazonentöter sagt und nicht sagen sollte, mag gelten, daß es einsichtslose Mütter gibt, die sich nicht scheuen ihre geistige Geringfügigkeit auf die Söhne zu vererben.

»Während in dem männlichen Gehirn das Wahrgenommene sich mehr seiner Innerlichkeit nach ausdrückt, beschäftigt sich das Weib fast ausschließlich mit dem äußeren Kern, mit Kleidungsstücken, Haartracht, Ringen, Uhrketten und anderen langweiligen Anhängseln.«

Ob der Herr seine Frauenkenntnis den Gefilden von Neuseeland und Zentralafrika verdankt? Nein, denn er fährt fort: »Alle gesitteten Länder zusammengenommen, kann man sagen, daß den Frauen aller Stände mit wenigen Ausnahmen, ein Mann mit großen, goldenen Achselstücken und großer Feldschärpe (die Portiers vor den Palästen z.B.)[16] weit lieber und willkommener sei, als der beste und edelste Philosoph von Weltruf.«

Daß er eben erst die Innerlichkeit des Mannes auf den Schild erhoben, hindert ihn nicht, gleich darauf zu behaupten: »Zahllos sind die Jungfrauen und Weiber, welche guter Wahl von Kleidungsstücken und Putzsachen die Eroberung von Ehegatten verdanken, von Anbetern, deren Feuer manchmal in geradem Verhältnis steht zu dem Putz der Herzensdame.« Na, er muß es ja wissen als Mann.

Bildung der Frau. »Alle Geistesbildung der Frau muß auf Tugend hinauslaufen, und darf Weisheit nicht erzielen wollen.«

Weisheit als Gegensatz der Tugend! Heiliger Sokrates.

Auf eine Tugend, die goldene Achselstücke dem edelsten Menschen vorzieht, – mit Erlaubnis – pfeife ich.

Aus dem Kapitel der Liebe. »Frauen sind mehr unglücklicher Liebe zugänglich als der Mann.« Der heitere Herr hält das Universalmittel bereit.

»Das Weib muß so erzogen werden, daß unglückliche Liebe verhängnisvolle Wirkungen nicht auszuüben vermag ... Hierzu gehören feste Grundsätze, es gehört dazu jene wahre Moral der Selbstlosigkeit, der Einsicht, der Verzeihung und der Herzensgröße, welche allein imstande ist, Schmerzen zu stillen und den Verstand vor Verwirrung zu bewahren.«

Wie wär's, wenn man die Erreger der unglücklichen Liebe in den Zivilstand versetzte, sie der goldenen Achselstücke und der großen Feldschärpe beraubte, womit ihnen der Boden für das Brechen weiblicher Herzen entzogen würde.

»Um mehr legitime Ehen zu erzielen, muß man den Geschlechtstrieb eng an den Heiratstrieb knüpfen.«[17]

Ja, knüpfe Du nur!

Gibt's überhaupt einen Heiratstrieb?

Er bleibt uns diesmal das Heilmittel schuldig. Da wüßte ich nun wieder eins: eine solide Mitgift und die Knüpfung der beiden Triebe ginge glatt von statten.

Vom Sterben der Frau. Er führt einen Schriftsteller (Sauvergne) an, der da sagt: daß die Frauen im allgemeinen besser zu sterben wissen, als die Männer.

»Ohne Zweifel, weil ihre geistigen Fähigkeiten insofern unvollständiger sind, als ihnen das Vermögen abgeht, so wie wir trostlose Theorieen über die Zerstörungen des Organismus auszuspinnen.«

Ein schöner Gedanke des Mannes, der in sechs Sprachen 284 Bücher studieren mußte, um ihn zu fassen, während die Sache sich doch so einfach mit einem Witz – ich greife ihm damit unter die Arme – erledigen ließe: Sie geben eben ihren Geist so leicht auf, weil sie nur ein Minimum davon haben.

Sollte man nicht meinen, daß umgekehrt die Herren Sterbenden vom starkgeistigen Geschlecht dem Tod gegenüber mehr Fassung zeigen müßten, als die ganz von Gefühlen beherrschten Weiber, die »jenes Nachdenkens, das beruhigend auf das Gemüt wirkt, nicht fähig sind?«

Er fühlt wohl selbst die Schwäche seiner Begründung, denn er setzt hinzu, daß das Sterben den Frauen leichter wird, weil »eine Menge von Genüssen, die den Frauen versagt sind, es mit sich bringen, daß wir (die Männer) einen größeren Wert auf das Leben legen.«

Ist dieser Mann materiell! Und hat er da nicht ein wenig aus der Schule geplaudert? Den Frauen einreden, daß im Vergleich zu dem schweren Los der Männer das ihrige wonnig sei, wäre schlauer gewesen.[18]

Übrigens an die Menge der Genüsse, die den Millionen sterbender Proletarier das Ableben erschweren sollen, glaube ich nicht.

Überhaupt, warum glaubt er denn dem Herrn Sauvergne? vielleicht ist die ganze Sache nicht wahr.

Einmal aber schwillt dem Akademie-Direktor die Zornesader. Er geht ordentlich ins Geschirr. »Wollten die Weiber der Gegenwart doch ihre Kinder lieber mit Idealen erfüllen, anstatt blödsinnig nach Emancipation zu schreien.«

Wenn er uns nur sagen möchte, wo die Frauen, denen Männer mit goldenen Achselstücken und großer Feldschärpe weit lieber und willkommener sind, als die besten und edelsten Philosophen von Weltruf, die Ideale zur Füllung ihrer Kinder herbekommen sollen? besonders, wenn die Väter der Kinder so materiell sind, daß sie wegen der vielen Genüsse, die ihnen das Leben bietet, nicht sterben wollen.

Die Ideal-Füllung wird wohl erst zu bewerkstelligen sein, wenn die Emanzipation das Entzücken des Weibes an goldenen Achselstücken, Uhrketten u.s.w. gedämpft haben wird.

Ich habe nie begreifen können, warum gerade diejenigen Männer, die der Frau am energischsten den Verstand absprechen, ihr am eifrigsten die Erziehung der Kinder aufhalsen.

Jedoch, der Charakter des Weibes ist der Aufbesserung fähig.

»Vortrefflich wird der Charakter der Frauen, wenn eine schöne und beglückende Religion die Keime der Nächstenliebe in alle Herzen legt, wenn die Hervorragenden und Mächtigen die edlen Triebe des Gemüts entwickeln, und alles pflegen, was das Leben verschönt, verbessert und versüßt.«[19]

Weiter nichts? Mehr könnte auch die radikalste Emanzipierte nicht verlangen, als daß man alles in ihr pflege und entwickle, was ihr Leben verschönt, verbessert und versüßt.

Ob nun aber auch wirklich die Hervorragenden und Mächtigen den Anzapfungen des heiteren Herrn folgegebend, alle edlen Triebe der Gemüter entwickeln werden? Leider haben die Hervorragenden und Mächtigen so viel anderes zu thun, und ich fürchte, seine Heilmittel, die er aus Arkadien und Umgegend bezogen, – dürften in absehbarer Zeit nicht nur keinen Hund vom Ofen locken, sondern auch nicht die kleinste Emanzipierte in den Schoß der allein seligmachenden Küche zurücklocken.

Ich grolle dem heiteren Amazonentöter nicht. Ich wünsche ihm nicht einmal, daß er sich im Grabe umdrehen möge, angesichts der bedeutenden Fortschritte, die die Frauenfrage in den letzten Dezennien gemacht hat.

Quelle:
Hedwig Dohm: Die Antifeministen. Berlin 1902, S. 12-20.
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