Vorwort

Vorwort zur Erstausgabe bei S. Fischer, Berlin, 1899.

[4] In drei Romanen wollte ich drei Frauengenerationen des 19. Jahrhundertsschildern, deren Repräsentantinnen, den Durchschnitt zwar überragend,doch Typen ihrer Zeit sein sollten. Ich wollte sie schildern,aufsteigend aus dem ersten Dämmer des Morgengrauens der Erkenntniß biszum hellen, verheißungsvollem Frühlicht, das den Glanz der Mittagssonneahnen läßt, die erst über den Frauen des 20. Jahrhunderts aufgehen wird.

Der vorliegende Roman »Schicksale einer Seele,« hätte der erste in derReihenfolge sein müssen. Er erzählt das Leben einer Frau, die heut inden Sechsziger Jahren stehen würde. Er will ihr anfangs noch dunkles,instinktives Ringen um Sein oder Nichtsein ihrer Seele veranschaulichen,und er endet mit einer theoretischen, fruchtlosen Erkenntniß. Fruchtlos,weil der Weg zum Ziel: Befreiung der ureigenen Individualität aus derVergewaltigung der Jahrhunderte, noch in dämmernde Nebel gehüllt bleibt,weil die Zeit für die Verwirklichung ihrer Ideen noch nicht erfüllt ist.

In dem zweiten Roman: »Sibilla Dalmar« (er ist bereits vor zwei Jahrenerschienen) hatte ich das Lebensbild einer Frau, die heut etwa 40 Jahralt sein würde, gezeichnet. Der Weg, der zum Ziel führt, liegt schonklar vor den Augen der Heldin, er ist aber uneben, dornig, gefahrvoll,beschreitbar nur für energische Charaktere, denen Schwierigkeiten einSporn zum Vorwärtsdringen sind. Diesen sonnenlosen Weg zu gehen war überSibilla Dalmar's Kraft.

Der dritte Roman »Anne Marie Rubens« wird der eben aufblühenden jungenGeneration gewidmet sein.

Es würden demnach meine drei Frauengenerationen die Lebensbilder vonGroßmutter, Tochter und Enkelin entrollen.

Alle drei Romane dienen der Illustrirung des Pindar'schen Spruches:»Werde, die du bist.«


Der ursprünglich unter dem Titel »Anne Marie Rubens« als Abschluss derTrilogie angelegte Band erschien 1902 unter dem Titel »Christa Ruland«.

Quelle:
Hedwig Dohm: Der Mißbrauch des Todes. Berlin-Wilmersdorf 1917, S. 4.
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