Vorwort

In drei Romanen wollte ich drei Frauengenerationen des 19. Jahrhunderts schildern, deren Repräsentantinnen, den Durchschnitt zwar überragend, doch Typen ihrer Zeit sein sollten. Ich wollte sie schildern, aufsteigend aus dem ersten Dämmer des Morgengrauens der Erkenntniß bis zum hellen, verheißungsvollem Frühlicht, das den Glanz der Mittagssonne ahnen läßt, die erst über den Frauen des 20. Jahrhunderts aufgehen wird.

Der vorliegende Roman »Schicksale einer Seele,« hätte der erste in der Reihenfolge sein müssen. Er erzählt das Leben einer Frau, die heut in den Sechsziger Jahren stehen würde. Er will ihr anfangs noch dunkles, instinktives Ringen um Sein oder Nichtsein ihrer Seele veranschaulichen, und er endet mit einer theoretischen, fruchtlosen Erkenntniß. Fruchtlos, weil der Weg zum Ziel: Befreiung der ureigenen Individualität aus der Vergewaltigung der Jahrhunderte, noch in dämmernde Nebel gehüllt bleibt, weil die Zeit für die Verwirklichung ihrer Ideen noch nicht erfüllt ist.[1]

In dem zweiten Roman: »Sibilla Dalmar« (er ist bereits vor zwei Jahren erschienen) hatte ich das Lebensbild einer Frau, die heut etwa 40 Jahr alt sein würde, gezeichnet. Der Weg, der zum Ziel führt, liegt schon klar vor den Augen der Heldin, er ist aber uneben, dornig, gefahrvoll, beschreitbar nur für energische Charaktere, denen Schwierigkeiten ein Sporn zum Vorwärtsdringen sind. Diesen sonnenlosen Weg zu gehen war über Sibilla Dalmar's Kraft.

Der dritte Roman »Anne Marie Rubens« wird der eben aufblühenden jungen Generation gewidmet sein.

Es würden demnach meine drei Frauengenerationen die Lebensbilder von Großmutter, Tochter und Enkelin entrollen.

Alle drei Romane dienen der Illustrirung des Pindar'schen Spruches: »Werde, die du bist.«[2]

Quelle:
Hedwig Dohm: Schicksale einer Seele. Berlin 1899, S. 1-3.
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