Erster Auftritt.

[173] Scene. Ein Zimmer mit Steinwänden, auf beiden Seiten Karyatiden. Hans Volk liegt in Decken gehüllt, eine Schlafmütze auf dem Haupte, auf einem Bette und schläft. Aufrecht und Kriechel im Gespräch. Aufrecht spricht durchgehends mit starker Stimme.


AUFRECHT.

Jammervoll und unverzeihlich!

KRIECHEL.

St! Nur still! Ich bitt' Euch, leiser!

AUFRECHT.

Volk in einer Irrenanstalt!

KRIECHEL.

Wecket nicht den schwer Erkrankten.

AUFRECHT.

Mußt' ich dazu lange Jahre, fern von Haus, in fremden Ländern

Reisen, um nun in der Heimath –

KRIECHEL.

Stille nur! – Gott sorgt für Alle;

Unser guter Volk befindet sich verhältnißmäßig trefflich.

AUFRECHT.

Trefflich, hier im Irrenhause? Mit wem hab' ich doch die Ehre?

KRIECHEL.

Joseph Kriechel, der Gewissensrath der Anstalt.

AUFRECHT.

Weßhalb hab' ich

Keine Nachricht denn erhalten, als Herr Volk zuerst erkrankte?[173]

Bin ich nicht von frühster Jugend ihm der treuste Freund gewesen?

KRIECHEL.

Ich muß bitten, sprechet leiser.

AUFRECHT.

Darf ich jetzt vielleicht erfahren,

Wie das Unglück sich begeben?

KRIECHEL.

Weil in der Familie Volk

Seit undenklichen Äonen sich der Irrsinn erblich zeigte,

Und Herr Theodor besorgte – sicher ist Herr Theodor,

Einem Freund' des Herren Volk doch bekannt?

AUFRECHT.

Ich kenn' ihn leider,

Diesen Schlemmer, dessen Väter sich bei Volkes seel'gen Vätern

Eingenistet als Verwalter, sie beherrscht, gezwackt, betrogen,

Wie es dieser thut bei Hansen.

KRIECHEL.

Heiland! Nimmer darf ich's dulden,

Daß man unsern gottgesandten Herren Theodor verunglimpft,

Der herabgeschickt vom Himmel hier erschien von Gottes Gnaden,

Herren Hansens wahrzunehmen, ihn zu leiten, zu beglücken,

Wie vor Zeiten seine Väter es mit Hansens Vätern thaten,

Herren Theodor –

AUFRECHT.

Ich weiß es, daß von je die Theodore

Bei den Volken als Verwalter angestellt und thätig waren.

KRIECHEL.

Angestellt von Gottes Gnaden, wie der Name schon verkündet.[174]

AUFRECHT.

Meinetwegen glaubt den Unsinn; doch von Hansen sprecht mir weiter!

KRIECHEL.

Weil in der Familie Volk sich der Irrsinn erblich zeigte,

Und Herr Theodor besorgte, daß Herr Hans darin verfallen

Könnte, hat er wohlbedächtig, jedem Unheil vorzubeugen

Ihn in diese Irrenanstalt frommen Sinnes hingeführt,

Und dem hochgepries'nen Doctor Censur bestens anempfohlen.

Der und Doctor Polisëi, sein College, gotterfüllet,

Waren gleich bereit, ihr Leben zur Bewachung und zur Heilung

Herren Volkes anzuwenden, ihn zu hegen und zu pflegen,

Und mit rührender Entsagung widmen nun die edeln Herren

Tag' und Nächte, Nächt' und Tage dem beschwerlichen Geschäft.

AUFRECHT.

Also nur aus der Besorgniß, daß man einst wahnsinnig werden

Könnte, steckt man hier in's Tollhaus?

KRIECHEL.

Ihr vernahmt von der Geschichte

Noch das Ende nicht.

AUFRECHT.

So redet.

KRIECHEL.

Die berühmten beiden Ärzte

Untersuchten ihren Kranken als er ankam, und gewahrten,

Daß er an der Hals- und Lungen-Schwindsucht fast unrettbar leide.

AUFRECHT.

Hans die Hals- und Lungen-Schwindsucht?! Hans mit seinem Stieresnacken,

Hans, der mit der Stentorstimme ganze Meere übertönte?[175]

HANS gähnt mit donnerndem Tone.

Oooah – –

AUFRECHT will zu ihm.

Laß an mein Herz dich drücken, bester Hans!

KRIECHEL Aufrecht fest haltend.

Nicht von der Stelle!

Wollt ihr meinen Kranken tödten? laßt ihn schlafen, nur die Ruhe

Thut ihm wohl.

AUFRECHT.

An diesem Gähnen hab' ich meinen Hans erkannt.

Laßt mich zu ihm!

KRIECHEL.

Nicht um alle Kostbarkeiten aller Welten!

AUFRECHT.

Laßt mich zu ihm!

KRIECHEL.

Herr, wir haben Douchen hier, Zwangsjacken, Peitschen,

Alles was nur irgend nöthig, Widerspänstige zu zähmen.

Redet leise, denn der Kranke schläft schon wieder.

AUFRECHT.

Soll ich glauben,

Jener Ton, im halben Schlafe nur gegähnt, und doch so kräftig,

Daß die Fensterscheiben klirrten, sei ein Schwindsuchtslaut gewesen?

KRIECHEL.

Dumpfes Röcheln war's, vielleicht das trübe Zeichen nahen Todes.

AUFRECHT.

Ist das wahr, so ist ein Kiesel das Symbol nahrhaften Brodes![176]

KRIECHEL.

Habt Ihr Medizin studiret, daß Ihr hier ein Urtheil waget?

AUFRECHT.

Jedermann kann unterscheiden, ob es nachtet, ob es taget.

HANS mit tiefster schläfrigster Baßstimme.

Ruhig, ich will schlafen.

AUFRECHT.

Heißt das Röcheln?

KRIECHEL eilt zu Hans.

O Herr Volk, bedenket,

Daß ihr durch verbotnes Sprechen Euern Doctor Censur kränket.

Euer Zustand ist gefährlich; Worte giebt es, die euch schaden.

Wollt Ihr, unbedachtsam sprechend, größ're Krankheit auf Euch laden,

Als ihr jetzo leidet?

AUFRECHT.

Ist es denn verboten, daß er spricht?

KRIECHEL.

Allerdings. Der Doctor Censur sagte, er erlaub' es nicht.

Weil das Übel so beschaffen, daß gewisse Worte tödtlich

Auf der Stelle wirken müssen, meint er, sei vielmehr es räthlich,

Daß Herr Volk durchaus nicht spreche, wenn der Doctor nicht zugegen;

Doch, tritt dieser ein, so läßt er auf das Bett 'ne Tafel legen,

Und 'nen Griffel, und gestattet dann dem Herren Volk zu schreiben,

Was er sagen will. Ihr sehet, wie beschwerlich solches Treiben,

Doch es ist zu Volkes Bestem, und der Doctor unermüdlich.

Ach, wie thut Herr Volk bisweilen auf der Tafel dann sich gütlich!

Die gefährlichsten Gedanken, die verderblichsten der Worte[177]

Schreibt er eifrig mit dem Griffel, recht dem Doctor wie zum Torte;

Aber der, mit mildem Lächeln, wischt mit einem nassen Schwamme

Still den Unfug ab, und reichet –

AUFRECHT.

Daß Euch Alle Gott verdamme!

Schändlich handelt Ihr an Hansen.

KRIECHEL.

Still den Unfug ab, und reichet

Herren Volk, was steh'n geblieben. Was der Doctor Censur streichet,

Das ist schädlich; Alles Andre darf Herr Volk ganz furchtlos sprechen.

AUFRECHT.

Ha, mich lüstet's, Eure Schädel an einander zu zerbrechen!

HANS.

Ruhe, sag ich! Ich will schlafen.

KRIECHEL.

Ei Herr Volk, sich so zu regen

Hat der Doctor Polisëi streng verboten. Das Bewegen

Ist auch Gift!

AUFRECHT.

Zwei solche Ärzte ruiniren sonder Zweifel

Auch die kräftigste Gesundheit; lieber Hans, jag' sie zum Teufel!

KRIECHEL.

Stille! – Was Euch hier auf Erden schädlich dünket und verkehrt,

Wird im lichten Glanz des Himmels künftig Alles aufgeklärt;

Und Ihr werdet dort erkennen, wie für Herren Volk zum Besten

Wir verfahren.[178]

AUFRECHT.

Ich erkenne hier schon, wie sich Schweine mästen.

HANS.

Donnerwetter, Ruhe will ich!

KRIECHEL.

Nur nicht sprechen! Dringend bitt' ich,

Regt ihn nicht so auf.

AUFRECHT.

Ihr faselt! Ich verdiente Strafe, litt' ich,

Daß man so den Hans behandelt. Ist's die Stimme eines Kranken,

Die ich hörte? Hans, erheb' Dich!

KRIECHEL.

Keine Lust mit Euch zu zanken

Hab' ich; gleich geh' ich zum Doctor, und das Weitre wird sich finden.


Kriechel ab.


AUFRECHT.

Hans, wie geht's Dir?

HANS.

Ach, Du bist es! Sei willkommen, lieber Aufrecht.

Wie mir's geht? Nun, ganz erträglich.

AUFRECHT.

Weißt Du, wo Du Dich befindest?

HANS.

Gut, daß Du mich dran erinnerst; ich bin krank, sagt Doctor Censur,

Und entschlüpfen kann mir leicht ein Wörtchen, das den Tod mir brächte,

Darum laß mich lieber schweigen.

AUFRECHT.

Und Du glaubst an solchen Unsinn?

Hans, Du bist gesund und kräftig; steh' nur auf![179]

HANS.

Der Polisëi

Meint, es sei durchaus unmöglich, daß ich mich auf eignen Füßen

Halten könne. Ach, ich fühle eine Schwäche, eine Mattheit

Träge mir im Körper schleichen ... Bin ich bleich?

AUFRECHT.

In meinem Leben

Sah ich keine röthre Wangen.

HANS.

Leider, ja! der Schwindsucht Röthe!

AUFRECHT.

Dummes Zeug! der Doctor Censur und der Doctor Polisëi

Halten schändlich Dich zum Narren.

HANS.

Sie bedienen mich vortrefflich.

– Freilich möcht' ich wohl zu Zeiten etwas Anderes genießen,

Doch Gehorsam für der Ärzte Vorschrift ist, das weiß ich, Pflicht.

Und sie geben mir das Beste, was sie mir nur geben können.

Morgens wundervolle Grütze, Frühstück süßen Haferschleim,

Mittag –

AUFRECHT.

Hans, Du bist gesunken, daß Du immer nur

des Körpers

Denkst, und keiner geist'gen Nahrung.

HANS.

Habe sie im vollsten Maaße!

Doctor Censur liest für mich die Schriften all, aus allen Ländern

Und das Heilsamste und Beste, was für mich und meine Krankheit

Passend ist, erlaubt er freundlich mir zu lesen, und ich les' es.

AUFRECHT.

Aber trautster Hans, erkennst Du nicht, daß Dir ein eignes Urtheil[180]

Zusteht, und bist Du zufrieden mit den Brocken, die von Censurs

Reichbesetzter Tafel fallen?

HANS.

Hat er nicht studirt? Er weiß wohl

Was mir frommt.

AUFRECHT.

S'ist zum Verzweifeln!

HANS.

Ja, bisweilen denk' ich auch so.

AUFRECHT.

Dann ertrag' es nicht; erheb' Dich, fasse all das Pack am Kragen,

Wirf's hinaus!

HANS.

Wo denkst Du hin! Ei, so die Pietät verletzen

Gegen meinen angestammten Erbwohlthäter Theodor?!

Ach, ich werde stets gerührt, bedenk' ich, was ohn' seine Leitung

Aus mir würde, matt und schwächlich, wie ich bin! – glaub' mir's, ich fühle

Eben wieder Schmerz im Rücken –

AUFRECHT.

Offenbar vom ew'gen Liegen!

Hans, Du hast Dich durchgelegen; mach' dem tollen Spuck ein Ende,

Iß' und trink', und lies und rede, was Dir ansteht. Deine Krankheit

Ist Betrug, ist von den Ärzten auf den Antrieb Theodors

Nur erfunden, daß sie sich'rer Deine Güter Selbst genießen;

Jag' sie fort!

HANS.

Du bist zu heftig. – Wenn ich mir's so recht bedenke,[181]

Mögen wohl die guten Leute Manches nehmen, was mein eigen,

Und was sie nicht nehmen sollten – doch es bleibt für mich noch immer

Zur Genüge; und ich habe auch ein gutes Herz – die Andern,

Wollen sie nicht auch genießen? Warum soll ich sie beschränken –

AUFRECHT.

Aber sie beschränken unverschämt Dich Selbst.

HANS.

Eh' ich's vergesse,

Hattest Du nicht mit dem Kriechel eben Streit?

AUFRECHT.

Er ging zum Doctor

Hülfe suchen, weil er meinte, daß ich Deinen Tod bewirke

Durch Aufregung.

HANS.

Ja, wahrhaftig, dieser Kriechel dient mir treulich.

Ach, ich hab' in dem Gespräche mit Dir allzuviel gesprochen,

Allzuviel gedacht, gehandelt – und ich fühle, daß mir's schadet –

Gehe, eh' noch Censur herkommt; denn vielleicht muß er Dich streichen.

AUFRECHT.

Was? mich streichen? Wirst Du's dulden, daß man Deinen Freund mißhandelt?

HANS.

Ach, warum nicht gar! Das Streichen ist ein Akt zu meinem Besten.

– Weil ich Dinge hören könnte, die die Lust in mir erwecken

Dürften, manches auszusprechen, was nachtheilig auf mich wirken

Möchte, untersucht der Doctor, was man zu mir sprechen will,[182]

Sondert Schädliches vom Guten, läßt das Schädliche verschwinden,

Und das nennt man »streichen«. Bist Du schädlich, wirst Du ausgestrichen.

AUFRECHT.

Hans, Du dauerst mich.


Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 173-183.
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