XLVII.

Falsche Zeitrechnung des Ursprungs der venerischen Krankheiten.

[101] Man hat bis hieher dafür gehalten, daß die barbarische Eroberung der neuen Welt, und der Ursprung dieser grausamen Krankheit, welche Gift und Galle in unser angenehmstes Vergnügen mischet, ihrem Ursprung und Anfang nach, zu gleicher Zeit entstanden wären; dieses ist die Meynung fast aller unserer neueren Schrifsteller: einige mehr menschlichgesinnte Schriftsteller, aber eben so unrichtige Zeitrechner, haben diese Geisel als eine gerechte Strafe betrachtet, welche unsere Grausamkeit gegen diese so ruhige und weise Völker verdiente. Folgendes Schreiben, welches der Herr [101] Samhez an den Herrn Vandermonde abgelassen, und in dem medicinischen Tagbuch Tom. II. p. 372. eingerucket ist, beweiset die Unrichtigkeit dieser Zeitrechnung auf die überzeugenste Art.


Mein Herr!


»Vor ohngefähr zwey Jahren hat mir einer meiner Correspondenten ein ganz kleines Buch in Quart von Rom geschicket, welches den Titel führet:


Pacifici maximi Poetae Aesculani. Florentiae anno gratiae M. CCCC. LXXXIX. Idibus Novembris per Antonium Miscaminum. In dem zehenden Buch de Matrona, ließt man folgende Disticha;


– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ne confidatis natibus, sunt omnia ficta;

Quo praedicemus? dicimus ista: mares

Et placet nulli vos subdere more ferarum,

Sitque per amplexus ora dedisse satis.

Ince calet culus, digitisque evellitur, inde

Ficus habet miseras, atque mariscas nates.

Inde aliquem vidi tanto pallore teneri,

Vt faciem credas immaduisse croco:

Adde quod hinc olidas hircus celer ibit in alas,

Mirandosque dabit barba molesta pilos;[102]

Et saepe in partes centum discinditur ille,

Vt sit opus sartas ustulet igne nates.

Non aliter vidi nimio vel sole imbre.

Punica disrumpi, cortice mala suo.«


Und in eben diesem Buch Lib. III. ad Priapum, liest man:


»Tuque meum, si non properas sanare Priapum

Decedet; heu! Non hoc nobile robur erit.

Ante, meis oculis orbatus priuer, vel ante

Abesus faedo nasus ab ore cadat.

Non me respiciet, nec me volet ulla puella,

In me etiam mittet tristia sputa puer.

Laetior, heu! Toto me non erat alter in orbe!

Si cadet hic, non me tristior alter erit.

Me miserum sordes, quas Marcidus ore remittit?

Vlcera, quae fœdo Marcidus ore gerit!

Aspice me miserum, precor, o per poma per hortos,

Per caput hoc sacrum, per rigidamque trabem,

Summe pater, miserere mei, miserere dolentis,

Meque tuis meritis fac, precor, usque tuum.

Hinc ego commendo tota tibi mente, Priape,

Fac valeat, fac sit sanus, ut ante fuit.
[103]

Da diese Disticha zum überzeugensten Beweiß dienen, daß die venerische Krankheit in Italien schon vier Jahr vorhero bekannt war, ehe Christoph Columbus nach Amerika gienge, so glaube ich, daß sie, mein Herr, vieleicht nicht für undienlich halten werden, sie in ihrem Tagbuch kund zu machen, um dieses Denkmaal der Nachwelt zu erhalten; dann ich weis nicht wie solches anderst geschehen kann. Man hat in dem vorigen Seculo eine zweyte Auflage von den Werken des Pacifici Maximi in 4. herausgegeben, die man in der königlichen Bibliotheck findet, man hat aber alle diese unzuchtige Verse nebst unterschiedlichen andern weggelassen. Es fehlen in der Ausgabe die ich besitze, und die ich dem Herrn von Maizieux, Director der Kriegsschule, gegeben habe, die ersten Blätter, die Seiten sind mit keinen Zahlen bezeichnet, und die Anzeige des Drucks und des Ortes, wo solcher geschehen, ist hinten am Ende zu finden – – – etc.«


Ich habe die Ehre zu verbleiben etc.


Wenn man also hartnäckig behaupten wollte, daß die Franzosen aus Amerika zu uns gekommen wären, so müste solches, wie man aus obigen gesehen hat, ohne Zweifel noch vor der Unternehmung des Christophs Columbs geschehen seyn: durch welchen Weg müsten sie aber vor der Entdeckung der neuen[104] Welt gekommen seyn, und ganz Europa so angestecket haben?

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 101-105.
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