XXIV. Brief

An Amalie

[45] Kannst wirklich froh seyn, ausgelaßnes Dingelchen! daß ich Dir mitten in meinen vielen Geschäften doch antworte. Ohne Strafpredigt wird's zwar nicht ablaufen, das darfst Du Dir nicht einbilden; aber vorher zur Sache des jungen Weibchens. – Die hat sich also so sehr geändert? – Ja, mein liebes Mädchen! – Die Männer im Ehestand bleiben weiter nichts, als Männer, und keine Anbeter, die ehemals[45] auf den Knieen krochen, und jezt mit den Füßen stampfen, wenn das liebe Weibchen nicht hübsch folgen will. Im Ehestand fällt der Schleier von beiden Seiten weg, und man erblikt sich als Mensch, wo man zuvor den Engel sah. Die Wünsche sind befriedigt, und keine Furcht einander zu verlieren, hält die gegenseitigen Ungefälligkeiten im Zaum. Der Mann wird finster, befehlend; das Weib, das ehedessen an tausend Schmeicheleien gewohnt war, raßt, tobt gegen so neue Auftritte, und wird zulezt ein unnachgiebiger Haust****. Fehlt es dergleichen Eheleuten obendrein an Erziehung, dann sind niedrige Schlägereien der tägliche Schluß eines solchen Jaunerlebens. – Doch denke ich, die meisten Ehen würden glüklicher seyn, wenn mehrere Men schen hinlänglich gute Herzen hätten, um dasjenige, was man aus tausend Gründen nicht mehr schwärmerisch lieben kann, doch wenigstens nicht zu verachten und nicht zu kränken. Es giebt eine Art von vernünftiger Duldung, die jede Ehe vor öffentlichen Auftritten schüzt. Es muß aber sowohl vom Manne als vom Weibe dazu beigetragen werden, sonst arbeitet der eine Theil blos, um den andern in der Bosheit zu bestärken. Von beiden Seiten gutwillig nur halb seine Pflicht erfüllen, ist besser, als sie ganz zu erfüllen scheinen, und dabei – besonders von Seiten des Mannes – mancherlei Betrügereien hinter dem Rükken zu spielen. Hinterlist, heimlicher Aufwand von einem lüderlichen Ehemanne, ist tausendmal sträflicher, als seine Unbeständigkeit in der Liebe. Unsere Neigung ist das Spiel eines Augenbliks, und nicht jeder findet liebenswürdige Abwechslung genug in seinem Weibe, um sie ewig fort leidenschaftlich lieben zu können. Aber sein Weib mishandeln, seine Kinder ins Elend stürzen, aus Unbeständigkeit sogar hartherzig werden, so was kann nur ein Schurke thun. Seine Gattin freundschaftlich ehren, sein Hauswesen nicht versäumen,[46] seine Kinder gut erziehen, das hängt von jedem Ehemann ab, er mag übrigens auch noch so flatterhaft denken. Aber sogar, wie es jezt Mode wird, sein Weib verlassen, das ist teuflisch und unmenschlich! – Wie wenig kostet nicht einem vernünftigen Ehemanne Güte des Herzens gegen die ehemalige Schöpferin seiner Freuden? – Ist es nicht Pflicht, ist es nicht Stimme der Natur, daß man seine unglükliche Gattin wenigstens mit einer schönen Lüge schadlos hält? – Und dann sie mit Sanftmuth und Aufrichtigkeit belehren, daß Kälte gegen sie, nicht Mangel an Pflicht, sondern blos in der unbeständigen Menschheit liege, daß zu langer Besiz endlich ermüde und die Einbildungskraft in etwas abspanne? – Jedes vernünftige Weib wird sodann mit ihrem Manne Mitleid fühlen und das nicht mit Gewalt fodern, was ihre Bemühung, durch Großmuth, durch Nachsicht mit den Schwachheiten ihres Mannes, wieder nach und nach zu erlangen hofft. Wie viele würdige Weiber bezauberten schon ihre Männer aufs Neue durch Nachgiebigkeit, durch Rüksichten, die ein Undankbarer nicht vermuthet hätte. Und wie viel, Freundin, könnte ich Dir noch über diesen Punkt sagen. Aber nun zur Geschichte deines Doktors. Ich sage deines, und kann mich doch nicht bereden, daß er dein ist, oder werden wird. Warum? – wirst Du fragen. Aufrichtig, Freundin, um Dir Schwärmerin ans Herz zu gehn, brauchts eben so viel Mühe nicht. Ob aber Du ihm wirklich auch ans Herz gehst? – Ja, das ist nun eine andere Frage. Es braucht ein wenig mehr, als blos lebhafter Wiz, um der Männer ihre ernsthafte Seite zu treffen. Sie tändeln oft statt der Liebe mit unserer Eitelkeit, wir desgleichen mit der ihrigen, bis eine jüngere Tändelei der ältern Plaz macht. – Die Herrchen sind galant, weil es ihnen nur um Galanterie zu thun ist; wizzig, um mit ihrem Wiz zu glänzen; aus Stolz nicht stürmisch, aber desto schlauer im[47] Schleichen. Du verstehst mich doch? – Ueberhaupt, Mädchen, bist Du zu leichtgläubig. Mistrauen am rechten Ort angebracht, ist ein trefliches Mittel für junge unerfahrne Seelen. Lebe wohl, lose Schwärmerin! – Lebe wohl!


Deine Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 45-48.
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