LXXVIII. Brief

An Amalie

[205] Holdes, liebes Malchen, es würde mir Sünde scheinen, Dich in deiner wirklichen Verstimmung nicht zu trösten.[205] Meine Amalie, ich schrieb eine Lüge! Denn welches menschliche Wesen hat in einer solchen Lage Trost für Dich? – Keine Macht, keine Gründe, keine bittende Freundschaft vermögen Dich von einem Unthier zu trennen, das Dich mit Hohngelächter zum Abgrunde hinschleppt! – Bist Du denn seiner Mißhandlungen noch nicht müde? – Hängt dein Herz noch immer an einem Barbaren, der Dich lebendig tausendfach würgt und doch nicht tödtet! – O das Weiberherz ist eine geringe Waare, die jeder Schandbube misbrauchen kann, wenn er sie einmal im Besiz hat. – Theure Märtirerin der unaussprechlichsten Leiden, komm in meine Arme; verlaß ihn den verabscheuungswürdigsten Unmenschen; er ist für Dich und für die Tugend unwiederbringlich verloren! – Wo Ehre weicht, weicht alles was zum rechtschaffnen Mann gehört. – Gott im Himmel! – Er stürzt Dich und deinen Oheim ins Verderben! – Sey vorsichtig, entferne Dich, dieweil es noch Zeit ist! – Deine Standhaftigkeit ist eine Sünde, die Du auf Kosten deines Lebens und deiner Gesundheit begehst. – Warum hörtest Du nicht schon lange auf meine Warnungen? – Warum folgtest Du nicht meinem Rathe? – Warum öffnetest Du ihm wieder ein Herz, das der Leichtfertige in Stükke zerreißt? – Du bist Weib im vollen Verstande, ein schwaches Weib, sonst würdest Du deinem Mörder nicht selbst den Nakken darbieten. Deine sträfliche Gutherzigkeit ist anstekkend, Du bethörst damit deinen Oheim, reißest ihn mit ins Verderben! Grausames, unbesonnenes Geschöpf! Höre die Wahrheit deiner Dich liebenden Freundin, und folge der Stimme der Vernunft! – Ich bitte, ich beschwöre Dich jezt zum lezten Mal, folge meinem Rath! – Wer kann, wer darf ihn tadeln? – Ist er nicht der Menschheit angemessen? – Grausamkeit zu dulden, kann kein Gesez fodern! – Verhärtetes Laster muß hier oder dort[206] gestraft werden, sonst weh dem Unschuldigen, wenn Niemand seine Klagen hören will! – Und, gesezt denn auch, die Ohren der geistlichen Richter wären unter euch Katholiken für so ein Elend taub, so dürfen es doch die deinigen nicht seyn, gegen ein Leben, dessen Verkürzung Du einstens schwer deinem Schöpfer wirst verrechnen müßen! Was könntest Du wohl länger einem Schurken an seiner Seite nüzzen, der sich mit Lasterwut im Kothe herumwälzt? – Oder sind Spielsucht, Mordsucht und Betrügerei etwa nicht hinlängliche Gründe zur ewigen Trennung? – Wenn der eigene Mann sein angetrautes Weib durch Spielsucht der Armuth und ihren Versuchungen Preis giebt; ist er denn nicht sträflicher, als der gekannte Böswicht, der nicht wie dieser öffentlich, sondern im Stillen, unter dem Dekmantel der Religion Seelen mordet? – Wenn so ein Meineidiger der am heiligsten Altar Fleis, Sorgfalt und alle Arten von Pflichten schwur, wenn so ein heuchlerischer Lügner mit Satans Grausamkeit, durch Hunger, selbstverursachten Mangel und Mißhandlung die Gesundheit seiner Gattin schwächt, und ihr Leben verkürzt: O dann sagt mir, ihr eiskalten Richter, wo giebt es unter der Sonne einen verdammungswürdigern Mörder, als in einer solchen Ehe? – Wie er dann im Dunkeln das an ihn gefesselte Weib dahinwürgt! – Wie er als Mann überall den Stärkern behaupten kann; wie die Menschen geneigt sind, Männerhärte zu entschuldigen, und wie sie dann schreien und wimmern kann, die arme gepeinigte Unschuld, bis der Tod sie von Banden befreit, die leider nur bei den wenigen vernünftigen Protestanten, auf dieser Erde gelößt werden können. – Beim Himmel! – Meine Freundin, zu wenig kann das Auge des Richters in die verschloßene Mauern so vieler unglüklichen katholischen Eheleute dringen, wo Tirannei des Mannes und sanfte Duldung des gekränkten Weibes, das leztere hinwelken machen, weil dasselbe[207] zu viel Ehrengefühl besizt, um zur Schande des erstern, ihr Hauskreuz öffentlich bekannt zu machen! Es ist doch die schröklichste Unmenschlichkeit, daß Tugend und Laster in einer solchen Ehe in einem Hause wohnen, an einem Tische speisen und in einem Bette schlafen muß! – Wie leicht kann eine unerfahrne junge Waise, aus Umständen, aus Uebereilung, mit einem leidenschaftlichen Bösewicht ein Band knüpfen und sich dadurch für die ganze Zeit ihres Lebens eine Hölle bereiten! – Bei jeder Klage, die über üble Ehen vor den Richter kommt, sollte derselbe genau alle Umstände der beiderseitigen Unzufriedenheit untersuchen: Oft sind es disharmonirende Gemüther, oft Ausschweifungen und verhärtete üble Gewohnheiten, die eine Ehe ohne Hofnung, daß sie besser werden könnte, vergiften. – Wir haben in katholischen Ländern kein häufigers Uebel, als unzufriedene Ehen. Würde man die vielen menschlichen Teufel, die einander täglich, stündlich wie Furien plagen, ohne Umstände von einander scheiden, so gäbe es minder boshafte Kinder und minder unglükliche Ehen. – Der Richter muß Menschenkenner genug seyn, um ins Innere zweier Gemüther zu dringen, er muß mit Ueberlegung untersuchen, ob wegen Verschiedenheit der Herzen, der Temperamenten, der Gemüthsarten, der Grundsäzze, alle Hofnung verloren ist, solche Leute je wieder zu vereinigen, daß kein Rükfall zu befürchten ist. Eingewurzelte, überwiesene Ausschweifung oder Sorglosigkeit des Mannes sind auch Ursachen, die durchaus Ehen für immer scheiden sollten; besonders dann, wenn keine Kinder vorhanden sind. Man urtheile nur selbst, ob nicht die Religion weit mehr durch die Unmöglichkeit der Trennung eines Bandes entheiligt werde, welche oft beide Eheleute zur Verzweiflung bringt, und sie in ihrem heimlichen Lasterleben nur noch hartnäkkiger und verstokter macht, als durch die Lösung desselben, vermöge welcher vielleicht noch Besserung für den einen oder den andern Theil[208] zu hoffen ist. – Zwang nährt überhaupt alle Laster, aber freiwillige Tugend macht der Religion und ihren sanften Banden Ehre. – Es geschieht dann doch im Stillen in solchen Ehen so viel Uebels, als man sich kaum denken kann. Und ist denn bei dergleichen Entdekkungen das Aergerniß nicht weit sträflicher als die Trennung? – Sollen denn zwei abgeneigte, verbitterte Gemüther wie Kettenhunde so lange mit Wut an ihren Ketten nagen, bis sie von selbst zerbrechen? – O Menschheit! – Menschheit! Wenn werden deine Gesezze anfangen der lieben Vernunft und der schönen Natur Ehre zu machen? – Aber nun, meine bedaurungswürdige Amalie, sey Dir das genug gesagt, von einem Gesez, das auch Dich unglüklich macht! – O, meine Arme, wach auf aus deinem gutherzigen Schlummer, suche Ruhe, suche Zufriedenheit; Du bist nicht dazu geschaffen, Dich durch eines Andern Laster in Staub tretten zu laßen. Amalie! ich fühle dein Elend jezt wieder aufs Neue zu tief... um Dir etwas weiter zu sagen, als daß ich mit Dir unglüklich bin! Deine fühlende


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 205-209.
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