CLVI. Brief

An Amalie

[223] Gewis, meine Freundin, ich wußte es zum voraus, daß Du bald wieder von deinem Leichtsinn zurükkehren würdest. – Galanterie-Beschäftigungen, leeres Wortspiel mit deinen faselnden Anbetern gab deinem Herzen nicht jene beruhigende Nahrung, deren es zu seiner Zufriedenheit bedarf. – Der Grund der Rechtschaffenheit ist in deiner Seele schon zu stark befestigt, als daß ihn das vorüberrauschende lokkende Laster erschüttern, noch viel weniger zerstören könnte. – Deine kleinen Fehler sind blos das Werk eines Augenbliks, wozu Dich meistens deine angeborne Lebhaftigkeit verleitet. Ein einziges gutes Wort zur rechten Zeit angebracht, ist hinreichend deine weiche, fürs moralische Gefühl so empfängliche Seele zu rühren. – Siehst Du, liebes, trautes Malchen, so gut kenne ich Dich! –

Jener schielende Wollüstling hat Dich auf die niederträchtigste Art angegriffen; – kein Wunder, daß er von deinem edeln Stolz mit aller Verachtung abgewiesen wurde. – Daß Du Dich bei diesem Anlaß an deinem ehemaligen Anbeter nicht rächtest, sieht deinem Herzen ganz ähnlich, weil es von Jugend auf zur Großmuth gebildet wurde. – Indessen glaube[223] ich doch, daß der Wankelmuth dieses jungen Mannes wirklich mehr aus Mangel an festem Karakter, als aus Bosheit herrührte; obgleich ein gutes Herz ohne Standhaftigkeit eine bettelhafte Gabe ist. –

Ich für mein Theil möchte nicht das Weib eines Mannes werden, der noch in Knaben-Schuhen stekt. – So ein schüchternes Männchen kann ja jede Fraubasen-Grille zittern machen. – Nach meinem Begriff muß derjenige, der auf das Wort Mann Anspruch machen will, Kopf zum Denken, Kraft zum Ausführen und Stärke zur Vertheidigung seiner Unternehmungen besizzen; vorausgesezt, daß der überlegende Mann nichts unternimmt, was er nicht auszuführen im Stande ist. –

Wenn sich das Machtwort Mann nicht durch seine feste Beharrlichkeit auszeichnete, so könnte jeder Swachkopf, jeder Taugenichts, jedes unnüzze Bürschchen damit auftretten. Aber es sind zwei verschiedene Dinge, blos damit prahlen, und mit der That beweisen, daß man diesen Namen zu tragen verdient! – Was in der Liebe nicht wider Rechtschaffenheit und Tugend geht, soll für den Mann gar kein Hindernis seyn. – Läßt er sich durch Vorurtheile einnehmen und wird wortbrüchig, so ist er nicht Mann, sondern ein Kind, dem man die Ruthe geben muß, wenn es, an das Gängelband gewöhnt, allein zu gehen wagt, eh es die Kräften dazu besizt, und dann fällt und schreit; durch die Züchtigung gewarnt, läßt es sich alsdann gutwillig wieder das Gängelband anlegen. – Genug von dem herrlichen Worte Mann, das leider durch die meisten, die sich dasselbe zueignen, geschändet wird. Die wenigen guten Ausnahmen, die diesem Worte Ehre machen, müßen uns für die übrigen entschädigen. Da ohnehin so ein gebrechliches Männchen von einem Weibe, oder wohl gar von einem feurigen, muntern Schulknaben über den Haufen kann gestossen werden, und ohne alle Schonung,[224] aus Strafe, meistens in den Koth sinkt; je nun so lassen wir den Feigen liegen, bis ihn ein Riechfläschchen wieder aus seiner Ohnmacht zu Sinnen bringt. –

Uebrigens, theures Malchen, bin ich mit deiner Reue sehr wohl zufrieden. – Aber was soll denn die Schüchternheit, womit Du mir deine neue Bekanntschaft entdekkest? – Ist sie vielleicht wohl gar der Beweis, daß Du wegen der Gefahr, der Du Dich abermals dadurch aussezzest, Vorwürfe zu verdienen glaubst? – – O ich werde Dir über den Umgang mit dem andern Geschlechte nie welche machen, besonders wenn Du Dich von den häufigen Schmeichlern zu entfernen suchest. Diese kriechenden, giftigen Insekten übertäuben so gerne die Vernunft eines Frauenzimmers, um desto bequemer den Zutritt zu ihrer Leichtgläubigkeit zu finden. – In der That, meine Freundin, edler Stolz in einem Jüngling ist schon ein Karakterzug, welcher Verehrung verdient, weil durch ihn das Gefühl der Rechtschaffenheit in Thätigkeit gebracht wird. –

Oft zeigt sich aber auch unter dieser Larve nur Afterstolz, indem sich mancher Jüngling dadurch aus Eitelkeit als Sonderling auszeichnen will. – O, der Karakter der Männer ist in so vielen Stükken unerklärbar! – Irre Dich ja nicht über diesen Punkt, wenn Du jenen Jüngling näher zu untersuchen Lust hast! – Du kennst ja meine Besorglichkeit und die Liebe, mit der ich ewig bin

Deine Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 223-225.
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