[841] Studierstube, Akten liegen auf den Stühlen. Hofrat Fleder sitzt auf einem Reitsessel vor dem Pult und schreibt.
FLEDER. Vorwärts! vorwärts! Morgenstunde ist die stille Saatzeit der Gedanken. Er schreibt. »Das Amt hat dem Mäusefraß mit Energie und gebührendem Ernste entgegenzutreten.« – Ja, es ist des Mannes edelster Beruf, so unmittelbar in das Leben, in die Welt zu greifen. Vaterland – deutsches Vaterland – ein erhabener Gedanke! Er schreibt. »Mäusefallen aber sind nicht etatsmäßig, und können nicht passieren, wonach sich zu achten.« – So, diese wichtige Angelegenheit wäre auch reguliert. Frisch weiter! was kommt nun? Er steht auf, und wühlt in den Akten. Das ist fertig – hier ebenfalls – das auch. Weiß Gott! ich habe alles schon abgemacht! Ach, das ist ärgerlich, die kostbare Morgenzeit! Was fange ich nun an? – Nur nicht lange besonnen, die Zeit entflieht, man muß jede Minute benützen, sich menschlich auszubilden. Harmonie der Kräfte ist das erste Gesetz.
Er hat den Schreibesel mitten in die Stube gestellt und macht gymnastische Übungen. Währenddes tritt ein Bote herein und bleibt verwundert stehen.
BOTE. Ih, Herr Hofrat! was machen Sie denn da?
FLEDER erschrocken. Ich? wahrhaftig – ei, so früh schon vom Büro? –
BOTE. Ich habe in meinen jungen Jahren immer so viel vom Turnieren gelesen –
FLEDER. Turnen, turnen heißt das, guter Mann.
BOTE. Wahrhaftig, wenn Sie nichts dawider hätten, ich möcht das Ding einmal selbst probieren.
FLEDER. Ich bitte Sie, tun Sie Ihrer edlen Aufwallung keinen Zwang an! Versuchen Sie, das Volk ist ja eben um dieser Gesittungsanstalten willen da.
BOTE. Nun, in Gottes Namen. Er springt. Hopp!
FLEDER. Ah – nicht doch diesen barbarischen Laut dazu! Das will mit Würde, mit geziemendem Ernst getrieben sein.[841] Sehn Sie, so – der Schwerpunkt ruht auf den beiden Ballen, der Körper bildet einen stumpfen Winkel – Er springt.
BOTE. Nun treff ich's auch.
Er macht einen Sprung und fällt jenseits nieder.
FLEDER ihn aufhebend. Sie haben doch keinen Schaden genommen?
BOTE aufstehend. Bloß eine sanfte Empfindung hinten. – Es geschieht mir schon recht, das soll so ein alter Esel den Jungen überlassen. – Aber über dem Turnieren da wäre ich bald returniert, ohne – Er sucht in seinen Taschen. Ich soll – der Präsident – o er ist verloren!
FLEDER. Was, um Gottes willen! verloren? Und das sagen Sie mir erst jetzt? was ist geschehen? wie verließen Sie ihn, wie sah er aus?
BOTE. Blau, mit einem eingekniffenen Eselsohr.
FLEDER. Blau! Liegt er?
BOTE. Nein, Gott sei Dank, er sitzt –
FLEDER. Fest?
BOTE. Ja, im Futter.
FLEDER. Wer?
BOTE. Was? Er zieht einen Brief in blauem Umschlage hervor und übergibt ihn dem Fleder. Da ist er.
FLEDER. Aber ich begreife nicht –
BOTE. Na, na, ich hab nicht länger Zeit. Guten Morgen! Ab.
FLEDER. Hat mich der einfältige Mensch doch erschreckt! er ist immer so dumm zu verstehen. – Das Schreiben ist vom Präsidenten selbst, seine gewöhnliche vergnügte Hand. Er erbricht den Brief. Ach – eine konfidentielle Mitteilung! Laß sehen, was gibt es da? Er liest.
»Bester Hofrat Fleder! Sie kennen meinen alten Lieblingswunsch, daß mein Neffe, der junge Graf Leonard, der soeben von Reisen zurückgekehrt ist, endlich das ewige, zwecklose Umherschweifen lasse, sich vermähle und seine Kenntnisse und Talente der Welt zum besten gebe.«
Gott, ja wohl, des Würdigen beut die ernste Zeit so viel! – »Ich habe daher meinem Neffen zugeredet, um die Hand der unabhängigen, liebenswürdigen und reichen Gräfin Adele zu werben. Sie lebt, wie Sie wissen, jetzt auf ihrem einsamen Waldschloß, weil ihr die Residenz zu langweilig ist. Er hat sich vor der Langweiligkeit der Welt in die Residenz geflüchtet, um unsere Kurzweil gründlich zu studieren.[842] Sie verachtet die Männer, er die Weiber. Sie ist launisch, phantastisch; er verfolgt wütend die Phantasten und ist doch selbst der größte – in summa: die beiden passen zusammen, wie zwei scharfgezahnte Räder, wenn's auch anfangs tüchtig knarrt. Das wäre nun alles gut. Aber kaum erzähle ich ihm von allen diesen Kuriositäten der Gräfin, so springt er zerstreut vom Stuhle auf – ich füge noch hinzu, daß sie oft reisende Künstler auf ihrem Schlosse sieht – da greift er nach seinem Hut – daß sie sie aber immer am folgenden Morgen wieder fortjagt, weil sie ihr zu ordentlich sind – da ist der Narr schon zur Türe hinaus. – Nun hör ich soeben, daß er gar schon hingereist ist, aber, wie ich von sicherer Hand weiß, wieder ganz auf seine Weise: er will nämlich – denken Sie nur! – unerkannt, als reisender Schauspieler das Schloß der Gräfin besuchen!«
O irregeleiteter Jüngling! o armer, würdiger Oheim! – »Ich fürchte da wieder große Konfusion und wünschte sehr, daß ein Dritter auf dem Schlosse ein wenig zum Rechten sähe, um im Falle sehr wahrscheinlicher dummer Streiche, alles möglichst ins Geleise zu bringen oder doch jedenfalls mich von dem Ausgange schnell in Kenntnis zu setzen; aber das müßte jemand sein, der allen unbekannt ist, denn merken die lustigen Vögel etwas davon, so sitze ich mit meinem Kuppelpelz wie der Schuhu auf der Stange, sie stoßen alle nach mir. – Ich weiß, lieber Fleder, wie Sie immer recht erpicht sind auf Menschheitsveredlung und nach nützlichen Taten dürsten; hier gibt es einmal einen rechten Humpen für solchen Durst. – Die Gräfin Adele kennt Sie nicht persönlich, Leonard ebensowenig, Sie aber haben ihn schon einmal bei mir aus dem Kabinett gesehen und werden ihn leicht wiedererkennen. Daneben blasen Sie auch charmant die Flöte –«
In der Tat, wenn der seelenvolle Blick manches gebildeten weiblichen Wesens bei den schwierigen Passagen nicht log –
»Wie wäre es, wenn Sie selbst sich nach dem Schlosse aufmachten, allenfalls unter erdichtetem Namen, als reisender Musikus, gleichsam so hingeblasen. – Aber was geschehen soll, geschehe schnell, recht schnell! Denn mein Neffe, wie gesagt, ist schon fort, darum wählte ich, der Kürze wegen, die schriftliche Mitteilung in der frühesten Morgenzeit. –[843]
Postskript: Sie haben die junge Gräfin noch niemals gesehen. Um des Himmels willen nehmen Sie sich in acht, daß die Verwirrung nicht noch größer wird!«
In acht? – Diese Nachschrift ist ein Dintenklecks auf die reine Seele des Präsidenten! Hält er mich für einen Jungfernknecht, wie den gemeinen Haufen? – Indem er den Brief schnell einsteckt. Nun, des Mannes Antwort ist die Tat! ich reise als Flötenspieler zur Gräfin, noch in dieser Stunde. Heilige Pflicht, zwei verwilderte Herzen für die allgemeine Sache der Menschheit zu erwärmen durch ernster Rede Kraft – die jüngste Regierungsratsstelle wird nächstens erledigt – die gebührende Achtung vor der Familie meines würdigen Chefs – sie wirft jährlich tausend Taler ab – ja, ein edler Vorwurf, so recht unmittelbar in das Leben hineinzunützen – und freie Wohnung nebstbei – fort, hinaus, zu Pferde! Eilig ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Freier
|
Buchempfehlung
Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.
546 Seiten, 18.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro