Dritte Szene

[849] Wald. Man hört in weiter Ferne Waldhörner. Graf Leonard in etwas phantastischer Reisekleidung triff auf.


LEONARD.

Hallo, poet'sche Wirtschaft da! Von allen Gipfeln

Rings Hörnerklänge, und wie Meereswogen

Hoch über mir frisch Rauschen in den Wipfeln,

Als käm durchs Holz geflogen

Die Zaubergräfin auf phantast'schem Besen

Hier zum Walpurgistanze des Parnasses. –

Wer kein Genie ist, laß es!

Mir aber schwillt mein Busen so verwogen!

Wo kühn hin über das gemeine Wesen

Ein Weib das Seil der Poesie gezogen,

Um drauf mit keckem Schwung und Neigen

Sich vor dem Volk zu zeigen:

Da will mich der Bajazzo in mir zwingen,

Mich mit aufs Seil zu schwingen

In Entrechats und unerhörten Sprüngen.

Hopp! nochmals hopp! das Volk ist außer sich,

Je höher die Gräfin, je höher ich –

»Sie brechen den Hals mein Lieber!«

Hilft nichts! Dreimal noch in der Luft kopfüber

Stürz ich zuletzt mich ins Hurra der Menge,

Verschlüpfend wieder ins gemeine Wesen,

Und keiner im Gedränge

Weiß, daß der Narr Graf Leonard gewesen. –

Das ist das Flügelpferd mit Silberschellen,

Das heitere Gesellen

Emporhebt über Heidekraut und Klüfte,

Daß durch den Strom der Lüfte,

Die um den Reisehut melodisch pfeifen,

Des Ernsts Gewalt und Torenlärm der Schlüfte

Als Frühlingsjauchzen nur die Brust mag streifen;

Und so im Flug belauschen

Des trunknen Liedergottes rüst'ge Söhne,

Wenn alle Höhn und Täler blühn und rauschen,

Im Morgenbad des Lebens ew'ge Schöne,

Die in dem Glanz erschrocken,

Sie glühend anblickt aus den dunklen Locken. –

So rauscht nur, Wälder, frisch! ich wandre,[849]

Die Schöne sei mein Lieb und keine andre!


Er will weitergehen, bleibst aber plötzlich, in die Ferne sehend, stehen.


Was gibt's denn dort? – Ich glaub, das Flügelpferd

Hat eben zwei Genies da abgesetzt!

Ein Roß, im Winde Mähn und Zügel flatternd,

Fliegt lustig waldwärts übern grünen Grund,

Zwei Herren hinterdrein – nun fällt der eine,

Der andre über ihn – das Pferd ist fort,

Sie stehn und wundern sich –


Er ruft.


Heda! Hup hup!

SCHLENDER von der entgegengesetzten Seite hinter der Szene. Hup hup!

LEONARD sich schnell umwendend. Was Tausend, noch ein dritter! Die ich rief, hören mich nicht, und den ich höre, rief ich nicht. Hoho guter Freund, sind Sie bloß ein Echo?

SCHLENDER hinter der Szene. Laß die Narrenspossen und hilf mir lieber hier aus der Verwickelung! Hagebutten, Pfingstrosen, Stachelbeeren, alles niederträchtige Gewächs stichelt auf meine neue Kleidung.

LEONARD. Wie soll ich Ihnen helfen? ich sehe nichts von Ihnen als Ihre Stimme.

SCHLENDER in eleganten Kleidern, eine Geige unter dem Arme, tritt auf. Was! sind Sie nicht Flitt? –

LEONARD. Oh – ein Troubadour! bei Gott, ein Troubadour.

SCHLENDER seine Geige in die Rocktasche steckend. Erlauben Sie, mein Herr, haben Sie nicht ein gesatteltes Pferd gesehen?

LEONARD. Ja wohl, und zwei abgesattelte Herren hinterdrein. – Aber sagen Sie mir doch nur –

SCHLENDER. Die Landstürzer, die Schnappsackspringer die! – Man hat seine Not mit vielen Domestiken, je mehr Gefolge, je weniger folgt es, je größer die Suite, je mehr Suiten werden gerissen.

LEONARD. Wie, und alle diese Suitiers ritten auf einem Pferde?

SCHLENDER. Oh, das hätte noch zwanzig mehr ertragen! Was denken Sie? Es war recht mein Augapfelschimmel!

LEONARD. Nein, wahrhaftig, es war ein Brauner.

SCHLENDER. Ja, oder mein Augenbrauner. Tausend Dukaten, auf Ehre! dafür hätt ich ihn gegeben. Ich ritt einmal mit einem arabischen Lord, die bekanntlich die besten Pferde sind, um die Wette drauf – das hab ich nun verloren!

LEONARD. Meiner Treu, ich meine, das Pferd hat Sie verloren.

SCHLENDER. Ja, ich muß nun zu Fuß gehn, leider! Aber es tut[850] nichts, besser schlecht gegangen, als gut gehangen, wer reitet, kann fallen, und wer zu Fuß geht, kann auch fallen, das ist mir alles egal.

LEONARD der unterdessen um ihn herumgegangen, und ihn mit Vergnügen betrachtet hat. Bei Gott, wie eine Trödelbude! Der Frack zu lang, die Weste zu kurz – oh, ein köstlicher Fund!

SCHLENDER. Fund? – Wieso, Fund? Für sich. Das ist eine gute Geschichte! ich glaube, der Kerl ist gar einer von den Glücksrittern, die allezeit finden, was andern ehrlichen Leuten verlorengeht.

LEONARD. Wahrhaftig, ich laß Sie nicht wieder los.

SCHLENDER. Mich, mein Herr? Was wollen Sie von mir, mein Herr? Weil ich ein vornehmes Äußeres habe? Ja, gehorsamster Diener!

LEONARD. Ganz ergebenster! – Aber wie kamen Sie denn eigentlich in diesen Wald?

SCHLENDER. Ja, wüßt ich lieber, wie ich wieder herauskäme! – Aber das will ich Ihnen wohl sagen. Sehn Sie – treten Sie mir nur nicht so nahe, ich bin sehr empfindsam an den Hühneraugen – also: wir waren eben auf der Wanderschaft, und mein Kamerad Flitt lehrt mich unterwegs Galliarde springen und Pirouetten, kurz das ganze Solo mit den Füßen. – Aber bleiben Sie dort stehen, so – indem kommt ein fremder Herr zu Pferde des Weges daher. Ich denk an nichts und exerzier mich so für mich fort in den Sprüngen, da kömmt's mit einemmal dem Pferde auch in die Beine, ich sage Ihnen, wie ein Bock auf der grünen Wiese. Ich, nicht zu faul, streng mich an mit Sätzen, das Pferd aber immer noch höher, mein Kamerad schreit, der Herr schimpft, das war ein Spektakel, vier Pferdebeine, zwei Stiefel, ein Paar Arme, alles wie Windmühlenflügel in der Luft durcheinander. Endlich kommt der Hut auf die Erde geflogen, und gleich darauf der ganze Herr, leider! Er aber geschwind wieder auf und lauft hinter dem Pferde drein, mein Kamerad hinter ihm, ich hinter meinem Kameraden –

LEONARD. Halt, halt wieder! –

SCHLENDER. Was Halt! da war kein Halten mehr! Die beiden hatten gut rennen mit ihren vier Beinen, ich aber hatt nur zwei, da mag der Teufel nachkommen mit meiner Violine. So bin ich in diese Einsamkeit und Konfusion geraten und weiß nun nicht den Weg auf das Schloß der Gräfin Adele.[851]

LEONARD. Wie, Sie wollen auf das Schloß der Gräfin?

SCHLENDER. Ja, das will ich! Haben Sie was an sie zu bestellen? Ich und mein Kamerad, der ein berühmter Schauspieler –

LEONARD. O auserlesene Wirtschaft! O kommen Sie geschwind, ich geh auch zur Gräfin!

SCHLENDER zögernd. Verzeihen Sie, mein Herr, wer sind Sie eigentlich?

LEONARD. Ja so! – eigentlich – Sagten Sie nicht vorhin, daß Ihr Kamerad ein Schauspieler? – Für sich. Zwei Komödianten, das könnte auffallen, ich muß die Farbe wechseln. Laut. Wer sind denn Sie?

SCHLENDER. Ich bin eigentlich ein Sänger, aber ich habe meine Gurgel viel strapaziert und unterwegs die Stimme verloren, da akkompagniere ich jetzt meinen gewesenen Gesang auf der Violine.

LEONARD. Gut, so bin ich eigentlich bloß ein Violinspieler, der aber bloß singen kann, und Sie sollen mich begleiten. Mein Name ist – Florestin.

SCHLENDER. Also ein Sänger? – Nun wahrhaftig, dacht ich doch Wunder! Wieder keck vortretend. Oh, mein Herr Florestin, ich will nichts voraussagen, aber Sie werden mich schon kennenlernen –

LEONARD. Ist gar nicht nötig, ich sah es Ihnen gleich an, Sie haben einen schönen Strich.

SCHLENDER. Ich sag Ihnen, in dem Hotel, wo ich heute über Nacht war, haben sie sich ordentlich um mich gerissen, das war ein Furore und ein Klatschen von allen Fäusten!

LEONARD. Das ist alles noch nichts, das soll noch besser kommen!

SCHLENDER. Nein, ich dank Ihnen sehr. –

LEONARD. Nachher, nachher! Jetzt nur fort zur Gräfin! Bei Gott, Sie sind gerade das rechte Akkompagnement zu meiner Reisenote. Frisch dort hinaus! Sie können sich unterwegs noch in Ihren Solosprüngen üben. Schlender in Pirouetten voraus. So, sassa!


Beide ab.[852]


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 849-853.
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