Zweiter Auftritt.

[39] Vorige. Luise.


LUISE lebhaft hervorkommend. Hörten Sie? Sahen Sie, liebe Mutter? Es hält ein Wagen, und wenn mich nicht Alles täuscht – – Von Brink gewahr werdend.[39] Aber Sie sind es. Sie sind schon hier. – Gott, wie glücklich ist Ihre Ankunft!

VON BRINK in sich hinein. Glücklich?

LUISE. Ich erkannte den Wagen beim ersten Blicke. Es ist der Ihrige. Sie brachten damit meinen Vater aus dem Gefängniss. – Urtheilen Sie, wie sehr der Anblick mich freuen, wie sehr ich gerührt werden musste! Denn so eben sind wir von neuem in einer Lage –

VON BRINK gezwungen. Die mir nicht unbekannt blieb; – die mein ganzes inniges Mitleiden für Sie erweckt –

LUISE dankbar. Und die Sie hieherbringt. Ich seh' es.

VON BRINK. Ja, mein Kind – die mich hieherbringt – nicht, um sie besser zu machen –

LUISE erschrocken. Wie? –

VON BRINK nach augenblicklichem Schweigen. Es wäre Thorheit, hier zurückhalten[40] zu wollen. – Fassen Sie Sich! Ich bin am Ende meines Einflusses, meines Vermögens. Ich bin in Absichten da, die dem zärtlichen Herzen des Kindes kaum verhasster seyn können, als dem wohlgesinnten des Freundes. – Ich selbst, in dem Augenblick, da ich hier ankomme, erhalte Befehl – unbedingten Befehl –

LUISE zurückfahrend. Meinen Vater zu fordern?

VON BRINK. Es war das erste Wort, der erste liebreiche Empfang dieses Obersten, der es schon wusste, wie sehr er mir damit schmeicheln würde. – Doch sei es! Ich trotze nur seiner Tücke, und lache ihrer. Für Ihren Vater soll es Wohlthat werden, mein Kind.

LUISE. Wohlthat? – Dass man ihn fortschleppen will?

VON BRINK. Daß man eben mich dazu aussuchte. – Ich kann ihn nicht hier erhalten;[41] aber ich kann doch Eins: ihm sein Schicksal mildern, es ihm erträglicher machen.

LUISE. Und Sie wollten –? Sie, sein einziger Freund; – Sie wollten itzt Selbst – –

VON BRINK. Ich will thun, was ich noch kann. Ich bringe den Wagen, den Sie sahen, nicht zu meinem, sondern zu seinem Gebrauche; ich weiss, dass er bequemer und besser seyn wird, als jeder, der hier zu haben wäre; ich geb' ihm Leute zu seiner Bedeckung, die ich aus meinen besten, meinen geprüftesten wählte; Leute, denen ich's auf die Seele band, den guten Greis mit der sanftesten Schonung, mit der ehrerbietigsten Nachgiebigkeit zu behandeln, und von denen ich gewiss bin, dass sie gehorchen, dass sie freudig gehorchen werden. – Für alles Nothwendige, selbst für Überfluss, ist[42] gesorgt; Indem er Briefe hervorzieht. und auch das hab' ich veranstaltet, dass, wo er jetzt hinkömmt – –

LUISE. In sein Grab hin, wohin, es sei! – Nein, was Sie auch für ihn thun mögen – und wenn es mehr, wenn es unendlich mehr wäre, als das – –

VON BRINK. Aber was kann ich denn mehr?

LUISE. Er ist verloren, wenn Sie ihn von den Seinigen reissen; wenn, Sie ihm die Pflege, die Ruhe entziehen.

VON BRINK die Achsel zuckend und finster. Das muss ich einmal.

LUISE. Er ist verloren! ohne olle Rettung verloren!

VON BRINK. Ich danke Gott: nicht durch mich! – Sie mit ausgestrecktem Arm und weggewandtem Blick von sich abhaltend. Und nun, mein Kind – weil doch nichts dadurch besser wird, dass Sie mich martern:[43] – Schonen Sie meiner! Mässigen Sie Ihren Schmerz! Ich trage schon ohnehin eine Bitterkeit, einen Verdruss in der Seele: – ich bin kaum nur noch Herr darüber. – Mit erzwungener Kälte. Madame! Was ich Ihnen sagte, das nöthig seyn würde. Machen Sie Anstalt!

MADAME WELLDORF. So muss ich? Ich muss hinein und ihn wecken? – Es ist ein Gang, wie zum Tode.

LUISE ihr vorrennend. Wohin? wohin? Nimmermehr!

MADAME WELLDORF. Sage: was bleibt hier übrig? Was kann ich thun?

LUISE mit Empörung. Sollen wir Mitschuldige werden? – Mag er gehen! Mag er seine eigene Wohlthat vernichten!

MADAME WELLDORF zuredend. Luise! – Du bist ausser dir, Kind.

LUISE. Ist's ein Wunder? – Sich fassend[44] und ihm wieder nähernd. Aber ich bin es! Ich Verzweifelte an einem der besten Männer. – Weiss ich denn nicht? Hab' ichs nicht noch immer im Herzen, wie Sie mich im Gefängniss vom Boden aufhoben? wie Sie mir mit eigener Hand die Thränen trockneten, die ich um meinen Vater vergoss, und mich eine gute, eine liebende Tochter nannten – O, Sie werden auch itzt; ja, Sie werden gewiss, da Sie doch so Alles, Alles in Händen haben – –

VON BRINK. In Händen? Ich?

LUISE. Sie werden durch ein einziges Wort, das Sie sprechen, durch einen einzigen Gang, den Sie thun – –

VON BRINK. Zu wem? Zu wem?

LUISE. Zu dem Obersten. – Sie werden, bei Ihrem Einfluss auf ihn – bei Ihrer Verbindung mit ihm – –

VON BRINK. Verbindung! – Ha, lieber[45] gar Freundschaft! So bin ich noch um so mehr erniedrigt. – Ich in Verbindung mit ihm? – Aber Sie denken: weil ich doch sonst schon durchdrang, und weil ich selbst meine Mühe herabsetzte, um Ihnen den Dank zu ersparen. – Wären Sie nur zugegen gewesen! – So ein blosses, unbedeutendes Nichts jene Gnade war, einen sterbenden Greis zu entlassen; so riss ich ihm dieses Nichts nur mit äusserster Noth und nur in einem Fluch von den Lippen. – Sich gegen Madame Welldorf umwendend. Und jetzt, da er sich so trefflich gedeckt sieht; da er seinen Grausamkeiten durch den Befehl, den er erschlich, die Miene der Pflicht geben kann: jetzt dürft' ich mit meiner Fürsprache kommen! Wenn er allen seinen bittersten Hohn über mich ausschütten sollte; so dürft' ich kommen! – Er war von jeher mein Feind. Er[46] sieht mich an, als eine Schlange in seinem Wege und hasst mich, um mich mit jedem Blick zu vernichten. Er dürfte nur nicht den Neffen des Generals in mir scheuen; so hätt' er mich schon zur Verzweiflung getrieben. – Wieder mehr zu Luisen. Das, das ist meine Verbindung mit ihm: und nun – Soll ich nun gehen?

MADAME WELLDORF. Ich zittre. – Gott wenn's so mit uns steht – –

VON BRINK. So, Madame! so! Um keinen Gedanken anders. – Und würd' ich denn auch hier seyn, wenn's besser stände? Würd' ich ein armseliges Fürwort zurückhalten, um mich erst an Ihrem Händeringen, an Ihren Thränen zu weiden? – Zwischen Unmuth und Rührung. Haben Sie so mich kennen gelernt?

LUISE mit Thränen. Dieser Vorwurf – er dringt an's Herz!

VON BRINK. Ich würd' im Stillen gewirkt;[47] würd' es mir nicht zum Verdienst gerechnet, sondern mir gesagt haben, was ich so oft mir sage: Du selbst dankst dein Leben nur fremder Hülfe! Du bist noch in Schuld bei der Menschheit!

MADAME WELLDORF. Aber mit diesem Edelmuthe, mit diesem herzlichem Willen zu retten; wäre denn damit nichts – nichts – auch nicht das möglich, dass Sie Aufschub bewirkten? nur Aufschub von Wochen, von Tagen, bis seine Kräfte – –

VON BRINK. Von Tagen! – Und wenn ich auch nur auf Stunden antrüge; was nähm' ich für Vorwand? Kann ich sagen, dass der Mann, der den Tod vor Augen sah und nicht wankte; dass der auf einmal unschlüssig scheine? dass er seinen Widerstand noch aufgeben, die Schuld noch erkennen werde? – Denn[48] entweder das müsst' ich sagen, mit Wahrheit sagen; oder jeder Versuch – –

LUISE. Aber wenn er nun noch – o Sie geben mir die Hoffnung, und mit ihr das Leben wieder! – wenn er noch itzt sich entschlösse?

VON BRINK es wegwerfend. Er? –

LUISE. Wenn er noch itzt sich bewegen liesse, seinen Widerspruch fahren zu lassen; die geforderten Wechsel zu unterzeichnen?

VON BRINK wie vorher. Ihr Vater? Das sollt' Ihr Vater?

LUISE. Wenn er dadurch auch die übrigen Geissel stimmte, die alle den Blick nur auf ihn richten; die es gewiss schon hoffen, schon mit voller Sehnsucht erwarten? – –

VON BRINK. Täuschung! Leerer Wunsch, den Sie zur Hoffnung ausbilden! Mehr[49] nichts! – Zur Mutter. Haben Sie Erklärungen, Äusserungen von ihm?

MADAME WELLDORF. Keine. Ich müsste Unwahrheit reden. – Aber da ihm ein Glück bevorsteht; das er immer so sehr ersehnt, und zu hoffen so gar nicht gewagt hat: die Umarmung seines einzigen Sohnes – –

VON BRINK. Nun? – Und was soll die? Was kann die?

LUISE. Sehn Sie denn nicht? Wenn wir mitten in seiner Freude und Rührung, ihm seine Gefahr, und zugleich die volle feste Überzeugung ans Herz legen, dass sein Widerstand ja doch umsonst, daß er ewig umsonst ist; – denn nicht wahr? Er ist doch ewig umsonst?

VON BRINK. Das sicher. Sicher.

LUISE sich lebhaft zur Mutter wendend. Und wenn nun das Eduard ihm bestätigt; und wir dann Alle uns um ihn her[50] sammeln, und auf ihn eindringen, und mit den wehmüthigsten Bitten ihm zusetzen, dass er doch nachgeben, dass er für uns sich erhalten wolle – – Wieder zum Hauptmann. O nur Aufschub! nur wenige Stunden! und ich hoffe gewiss – –

MADAME WELLDORF. Ja, auch ich hoffe, auch ich. – Seine Standhaftigkeit wird hier mehr als erschüttert, wird überwältiget werden. Was keine Todesgefahr vermogt hat, das wird Vaterliebe vermögen. – Nur die Zeit, ihm seine Lage fühlbar zu machen! damit wir dann Alle – –

VON BRINK wankend. Madame – – Und mit unruhigen Schritten umhergehend. Aber ich glaube bei Gott! ich will hier nach eigenem Triebe handeln; ich will meinen Befehl überschreiten. – Ha! die Aufnahme, die ich da finden, die Verweise, die ich da hören würde! – Mit Wildheit.[51] Verweise! und die von ihm! von ihm! ohne ihm antworten zu dürfen! – Es ist unmöglich! unmöglich!


Quelle:
J[ohann] J[akob] Engel: Eid und Pflicht. Berlin 1803, S. 39-52.
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